- Dr. Wolfgang Wodarg

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Wolfgang Wodarg, „Das Berufsrecht ist zahnlos.”
veröffentlicht in kma 09/2012 - Seite: 46
Das Berufsrecht ist zahnlos
Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, der Vertragsarzt sei weder Amtsträger noch Beauftragter der
Krankenkassen. Es gibt bei ihm keine Strafverfolgung wegen Bestechung oder Vorteilsnahme nach dem
Strafgesetzbuch mehr. Trotz der zahlreichen Fälle von Kick-Back-Zahlungen, „kooperativem Upgrading“ von
Diagnosen, korruptivem Marketing der Pharmaindustrie, abhängig machender Praxisfinanzierung und FangPrämien von Kliniken hat der BGH keine Klarheit geschaffen sondern einen Rechtsnotstand lediglich
dokumentiert und dem Gesetzgeber nahegelegt tätig zu werden.
Ärzte machen sich weiterhin strafbar, wenn sie als Krankschreiber, Gutachter oder Verordner von Leistungen
den Gesundheitszustand des Patienten wider besseren Wissens gegenüber Behörden oder Versicherungsgesellschaften falsch bescheinigen. Ob sie jedoch für ihr unrichtiges Zeugnis nebenher noch die Hand aufhalten,
kann in Zukunft aber nicht mehr straferschwerend hinzukommen. Gleiches gilt für den Straftatbestand bei
Veruntreuung von Kassen-Geldern. Man kann jetzt nach dem Urteil des BGH wohl von einer strafrechtlich
gespaltenen Amtsträgerschaft sprechen.
Bei den für das Berufsrecht zuständigen Ärztekammern gibt es keine gesetzlich legitimierten Ermittler, keine
erfahrenen Staatsanwälte oder vergleichbar ausgestattete Mittel der Korruptionsbekämpfung. Die Chance für
einen korrupten Arzt, wegen seines Fehlverhaltens zur Rechenschaft gezogen zu werden, geht nach dem
vorliegenden Urteil gegen null. Viele laufende Verfahren und Ermittlungen werden jetzt von in den letzten
Jahren neu geschaffenen Spezialabteilungen wieder eingestellt. Dabei hat nach Aussagen erfahrener
Kriminologen das Gesundheitswesen die Baubranche in Sachen Korruption längst auf den zweiten Rang
verwiesen. Das Berufsrecht ist zahnlos: Die von den Standesorganisationen bestraften Fälle lassen sich an zwei
Händen abzählen.
Interesse an einer Einflussnahme auf ärztliche Entscheidungen haben nicht nur Pharmaindustrie, KlinikKonzerne oder Heil- und Hilfsmittel-Lieferanten. Jetzt kann auch ein Arbeitnehmer seinem Arzt für eine
Krankschreibung oder eine teure Reha-Verordnung einen Hunderter in die Hand drücken ohne dass einer der
beiden wegen Bestechung strafrechtlich belangt wird. Seinen Eid, dem Patienten nicht zu schaden, bricht ein
Arzt mit einer gekauften Krankschreibung oder Reha-Verordnung jedenfalls nicht.
Kassenärzte sind aber nicht nur ihren Patienten sondern ebenso der Solidargemeinschaft verpflichtet. Die
Bundesärztekammer ignoriert in ihrer Stellungnahme die allgegenwärtigen Interessenkonflikte, denen Ärztinnen
und Ärzte in einer mehr und mehr ökonomisch geprägten Struktur unseres Gesundheitswesens ausgesetzt sind.
Sie problematisiert nicht den zwingenden Zusammenhang zwischen Vertrauensverlust und wachsendem
Kontrollaufwand. Sie macht auch keine Vorschläge, wie das Vertrauen in den ärztlichen Stand wieder gefestigt
werden könnte.
Vertrauen braucht Transparenz und verbindliche Regeln. Missbrauch muss geahndet werden. Das ärztliche
Standesrecht kann fachliches Handeln von Medizinern beeinflussen, ist aber fast völlig zahnlos, wenn es um
deren ökonomische Aktivitäten geht. Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen sind nicht ausgerüstet und
motiviert, interessengeleitetes Fehlverhalten ihrer Mitglieder aufzudecken oder gar präventiv zu verhindern. Das
Ziel neuer Gesetze muss deshalb sein, dass auch Ärzte und ihre Vorteilsgeber immer dann strafbar sind, wenn
sie anvertraute öffentliche Güter zu ihrem privaten Vorteil missbrauchen.
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