Staatsanwältin schützt Senioren ALEXANDER SULANKE LÜBECK:: Am Anfang ist die Euphorie groß. Das Telefon hat geklingelt. „Sie haben ein Auto gewonnen“, sagt der Anrufer. „Ein hochwertiges Auto!“ Dann kommt er aufs Kleingedruckte zu sprechen. Bevor das gewonnene Auto aus dem Ausland überführt werden könne, müssten noch Gebühren, Steuern und andere Kosten beglichen werden. „Aber das rechnet sich immer noch.“ Für den Angerufenen, älter an Lebensjahren, klingt das plausibel. Er schickt Geld ins Ausland, viel Geld, per Bargeldtransferdienst, per Brief oder per Päckchen. Möglicherweise macht er es sogar mehrmals. Am Ende ist die Enttäuschung groß. Das verschickte Geld ist weg. Das hochwertige Auto nicht da. Weil gar kein Auto, gar kein Gewinn existiert. Weil der Anrufer ein Betrüger ist. Der Vorfall ist fiktiv. Gleichwohl trägt er sich haargenau so zu – jeden Tag. Die Folgen für die Opfer sind dramatisch: Verarmung. Scham. Selbstzweifel.„So ein Erlebnis kann einen älteren Menschen weit zurückwerfen. Sehr weit. Bis ins Altenheim“, sagt Ulla Hingst,42. Sie ist eine Frau, die sich ausführlich damit beschäftigt. Die Staatsanwältin ist Leiterin des neuen Sonderdezernats für Seniorenschutz in Lübeck – ein Pilotprojekt. „Es trägt dem Umstand Rechnung, dass es immer mehr ältere Menschen gibt und dass Ältere immer öfter Opfer von Straftaten werden“, sagt die promovierte Juristin. Sie, die sich neben ihrer neuen Aufgabe auch mit Mord und Totschlag beschäftigt, sagt: „Es fasst mich sehr an, wenn ich sehe, wie ältere Menschen ausgenommen werden.“ Für Telefonbetrügereien in all ihren Facetten sind ältere Menschen offenbar besonders empfänglich. Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden geht von mehr als 1,1Millionen Opfern in Deutschland seit 2008 aus. Staatsanwältin Hingst spricht von „internationalen gut organisierten Strukturen“: „Die Anrufe werden oft aus Callcentern in der Türkei und in Polen abgesetzt, die angezeigten Rufnummern sind gefälscht.“ Egal, ob Gewinnversprechen, Schockanruf oder Enkeltrick (siehe Infokasten) – dass sogar fünfstellige Summen gezahlt werden, komme durchaus vor. „Wir registrieren, dass manche Senioren sehr leichtgläubig sind“, sagt Ralf Peter Anders, 50, stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Lübeck. Das war einer der Gründe, für sie ein Sonderdezernat zu schaffen. Entscheidend dafür, ob eine Akte auf Ulla Hingsts Schreibtisch landet, ist nicht das Alter eines Opfers, sondern die Frage, ob ein Täter zielgerichtet eine eventuelle altersbedingte Einschränkung ausgenutzt hat. Dass es im Behördenhaus an der Travemünder Allee nun eine Person gibt, die sich kümmert und diesen großen Apparat Staatsanwaltschaft etwas übersichtlicher erscheinen lässt, dass auch die Polizei in Lübeck eine Spezialabteilung gegründet hat, soll dazu führen, dass ältere Menschen Straftaten auch wirklich anzeigen. Die Erfahrung zeigt: Viele aus der Großelterngeneration haben selbst als Opfer noch Scheu vor der Berührung mit der Polizei. Die Telefonbetrügereien sind im neuen Sonderdezernat natürlich ein großes Thema. Gerade wegen der internationalen Verflechtungen seien die Ermittlungen aber „schwierig und nicht sehr erfolgsträchtig“, wie es Staatsanwältin Hingst formuliert. Stattdessen setzt die Behörde auf Prävention. Speziell geschulte „Sicherheitsberater für Senioren“ ziehen durchs Land und klären die ältere Bevölkerung auf. Es sind Menschen wie Hans-Ulrich Raab, 67, pensionierter Diplomingenieur aus Bad Oldesloe. „Das Interesse an meinen Vorträgen ist groß“, sagt Raab. „Zwar hat fast jeder schon einmal vom Enkeltrick gehört. Aber man darf nicht vergessen, dass sich die Betrüger ja laufend neue Maschen einfallen lassen.“ Raab selbst lässt sich von der Polizei regelmäßig auf den neuesten Stand bringen. Unterdessen hat das Sonderdezernat die ersten Ermittlungserfolge verbucht. Einem Einbrecherduo beispielsweise konnte das Handwerk gelegt werden. Vater und Sohn waren in Lübeck in einen Fußpflegesalon und später in ein Reisebüro eingebrochen, um auszukundschaften, wann Senioren zur Pediküre beziehungsweise auf Busausflug sind. Sie brachen dank dieser Erkenntnis in 15 Wohnungen ein, erbeuteten 40.000 Euro. Beide sind verurteilt, sitzen für mehr als drei Jahre in Haft. Weitere Fälle warten auf Bearbeitung. Vor Gründung des Sonderdezernats hat die Staatsanwaltschaft Lübeck 120 Fälle pro Jahr als Richtgröße definiert. Nach den ersten sieben Monaten waren es schon 146. „Rate mal, wer dran ist“ – die Tricks der Betrüger Enkeltrick: Der Klassiker unter den Telefonbetrügereien, funktioniert aber offenbar immer noch. Ein Anrufer beginnt das Gespräch mit den Worten:„Ratemal, wer dran ist!“ Damit wird dem Angerufenen ein Name entlockt. Staatsanwältin Ulla Hingst:„Zur Zeit erklären die angeblichen Enkel, sie seien gerade dabei, sich ein neues Auto oder eine Immobilie zu kaufen. Es gebe aber kurzfristig Probleme mit der Finanzierung.“ Gewinnversprechen: Der Angerufene hat angeblich ein Auto oder viel Geld gewonnen. Bevor er es bekommt, soll er Geld überweisen – gern via Western Union. Wer darauf reinfällt, wird erneut angerufen. Jemand bietet nun an, sich gegen Geldzahlung darum zu kümmern, dass der Gewinn endlich ausgehändigt wird. Dem zweiten folgt ein dritter Anruf: Nun fordert ein angeblicher Staatsanwalt Geld, weil die ganze Aktion mit dem Gewinn illegal gewesen sei. Schockanruf: Ein Anrufer erklärt, einem Angehörigen des Angerufenen sei im Ausland etwas ganz Schreckliches zugestoßen. Wahlweise müsse er operiert werden, oder ihm drohe eine lange Haft. Auf jeden Fall werde sofort sehr viel Geld gebraucht, um das Übel abzuwenden. Experten raten: Im Zweifel die Angehörigen anrufen – unter einer bekannten Telefonnummer. Niemals Details über Lebensumstände preisgeben! (sul) Quelle: Hamburger Abendblatt 9.10.2015