Vortrag Beate Lisofsky

Werbung
Nicht von schlechten Eltern
28. Laienhelfertag
„Menschenkinder : Wenn Eltern psychisch erkranken“
Freitag, 29. Juni 2012, Erlangen
BApK / Beate Lisofsky 2012
1
Gliederung
1. Familienbilder im Wandel –
Was sind eigentlich „Angehörige“?
2. Die „Entdeckung“ der Kinder
3. Belastungen und Ressourcen der Familien
4. Was brauchen die Familien und was brauchen
sie nicht?
BApK / Beate Lisofsky 2012
2
Bundesverband der Angehörigen
psychisch Kranker e.V.
1985 gegründet
Selbsthilfeorganisation und Solidargemeinschaft
Mitglieder sind die 15 Landesverbände
über 500 regionale Gruppen
www.bapk.de
BApK / Beate Lisofsky 2012
3
Wer sind die „Angehörigen“?
In der Gründungsphase:
Eltern psychotisch erkrankter „Kinder“
Angehörigen-Selbsthilfe im Wandel:
Partner, Geschwister, Freunde und Kinder psychisch
Kranker
„Familie ist da, wo Menschen füreinander
einstehen.“
BApK / Beate Lisofsky 2012
4
Die Sache mit den Diagnosen
Angehörige schwer und chronisch Erkrankter
Schwerpunkt sind Erkrankungen aus dem
schizophrenen Formenkreis
Ca. ein Drittel Angehörige depressiv Erkrankter
Fortschreitende Differenzierung :
Gruppen für bipolare Störungen, Borderline usw.
Differenzierung auch nach personellen Kriterien
(Gruppen für Partner, Geschwister, Männer, Migranten
usw.)
BApK / Beate Lisofsky 2012
5
Familienbilder …
BApK/Beate Lisofsky 2012
BApK / Beate Lisofsky 2012
2. Die Entdeckung der Kinder
•
•
•
•
•
Wandel im Blick auf die Angehörigen:
Erwachsene Familienangehörige wurden
einbezogen
Kinder/Jugendliche nicht auf gleicher Augenhöhe
Kinder wurden vergessen/ übersehen
Kinder galten als Belastungs-, bzw.
Stabilisierungsfaktor
Gilt für das System der Erwachsenenpsychiatrie
wie auch die Angehörigenselbsthilfe
BApK / Beate Lisofsky 2012
7
„Bei uns ist alles anders“ –
1. bundesweite Fachtagung des BApK 1996
BApK / Beate Lisofsky 2012
8
1998: Erstveröffentlichung
2008: Neuausgabe
BApK / Beate Lisofsky 2012
9
Wie viele Kinder sind betroffen?
Nach Hochrechnungen von Mattejat (2006) gibt es in
Deutschland
• 740.000 Kinder mit einem alkohol-oder
drogenabhängigem Elternteil
• 270.000 Kinder mit einem an Schizophrenie
erkranktem Elternteil
• 1.230.000 Kinder mit einem an affektiven
Störungen erkranktem Elternteil
• 1.555.000 Kinder mit einem an Angststörungen
erkranktem Elternteil
BApK / Beate Lisofsky 2012
10
Zahl psychisch erkrankter Eltern in der
stationären Psychiatrie
Studie
Anteil der PatientInnen
mit minderjährigen
Kindern in der
stationären Psychiatrie
• Schone, R./Wagenblass, S. 2002
• Lenz, A. 2005
• Gurny, R. 2007 (Schweiz)
BApK / Beate Lisofsky 2012
19%
27%
17%
11
Nichtwissen über die psychische Erkrankung
in der Kinder-und Jugendhilfe
In 20% der Fälle wussten die Fachkräfte der
Kinder-und Jugendhilfe weder die Art der
Erkrankung (Diagnose) des erkrankten Elternteils
noch, ob sich die betreffende Person
gegenwärtig in psychiatrischer Behandlung
befand
Aber: Bedarf wird zunehmend formuliert!
Quelle: Schone, R./Wagenblass,S. 2002, n=157
BApK / Beate Lisofsky 2012
12
(Nicht-)Berücksichtigung der Elternrolle in
der Psychiatrie
• 12% der Patienten geben an, dass die Ärzte sie gar
nicht nach ihren Kindern fragten.
• 37% geben an, dass die Ärzte sich nicht nach der
Versorgung der Kinder erkundigt haben.
• 55% geben an, dass sie bereits ärztlich
empfohlene stationäre Maßnahme aus Sorge um
die Kinder abgebrochen oder nicht angetreten
haben.
Quelle: M. Kölch u.a., Studie Universitätsklinikum Ulm
BApK / Beate Lisofsky 2012
13
„Kindeswohlgefährdung“ ein
gesellschaftlicher Diskurs
 Wöchentlich: etwa 2 Kinder unter 15 Jahren sterben an den
Folgen von Gewalt, körperlicher Misshandlung und
Vernachlässigung.
 zentraler Risikofaktor: psychische Erkrankungen bei den
Eltern.
 Kinder von psychisch kranken Eltern: besondere Risikogruppe
im Hinblick auf die Entwicklung psychischer Störungen
 Störungsrisiko: um den Faktor zwei bis drei gegenüber einer
gesunden Vergleichsgruppe erhöht .
 psychischen Erkrankung beider Elternteile: das Risiko steigt
auf das 4-5-fache, auffällig zu werden.
BApK / Beate Lisofsky 2012
14
3. Belastungen und Ressourcen der Familien
BApK / Beate Lisofsky 2012
15
Probleme und Belastungen der
•erwachsenen Angehörigen
Studienlage eher „dünn“
• finanzielle Belastungen
• gesundheitliche Belastungen
• Beeinträchtigung der Beziehung zum Erkrankten
• Einschränkungen in der Autonomie u. Abgrenzungsprobleme,
• zusätzliche familiäre Pflichten/Mehrbelastungen
• Reduktion von Freizeit
• Ängste
• Diskriminierung/Isolation
• Verlusterfahrung der Gegenwart bzw. der Zukunft
(Quelle: Jungbauer et al. 2001, Franz u.a. 2003)
BApK / Beate Lisofsky 2012
16
Probleme und Belastungen der Kinder
(Inzwischen recht gut erforscht)
•
Unmittelbare Probleme
•Desorientierung
•Unsicherheit, Ängste
•sozialer Rückzug/ Isolierung
•Tabuisierung/ Kommunikationsverbot
•Schuldgefühle
•Trauma bei Zwangseinweisungen
•
Folgeprobleme
• Betreuungsdefizite
• Parentifizierung
• Loyalitätskonflikte
• Abwertungserlebnisse
BApK/Beate
BApK
/ BeateLisofsky
Lisofsky2012
2012
17
Probleme und Belastungen der erkrankten
Eltern
• Überforderung (Ich schaffe das nicht!)
• Selbstzweifel (Ich bin eine schlechte Mutter!)
• Scham (Ich schäme mich dafür, was ich meinem Kind
zumute!)
• Ängste (Ich habe Angst, dass mir mein Kind
weggenommen wird! Ich habe Angst um mein Kind!)
BApK / Beate Lisofsky 2012
18
Psychosoziales Umfeld
• Eheliche Konflikte, Streit und Scheidung
• Soziale Isolation
• Inadäquate soziale Unterstützung
• Arbeitslosigkeit, finanzielle Problem, schlechte
Wohnverhältnisse
BApK / Beate Lisofsky 2012
19
Auswirkungen im Säuglings – und
Kleinkindalter bei depressiven Müttern
• Reduzierte Empathie und emotionale Verfügbarkeit
bei Müttern
• Mütter haben Einschränkungen in der Feinfühligkeit,
die kindl. Signale wahrzunehmen und prompt und
angemessen zu beantworten
(z.B. Blickkontakt, Lächeln, Sprechen, Streicheln,
Interaktionsspiele)
Quelle: Papousek 2002
BApK / Beate Lisofsky 2012
20
Auswirkungen im Kindergarten - und
Vorschulalter
• Mütter nehmen die Kinder als besonders schwierig
wahr
• Eingeschränkter sprachlicher Austausch
• Probleme, sich durchzusetzen und bei der
Grenzsetzung bei neuen Erziehungsaufgaben
• Schwankender Erziehungsstil ( zw. gewähren lassend
und kontrollierend)
Quelle: Papousek 2002
BApK / Beate Lisofsky 2012
21
Auswirkungen in der mittleren
Kindheit und im Jugendalter
• Dem Kind werden Aufgaben eines Erwachsenen
übertragen (Parentifizierung)
• Die Kinder werden in die Probleme der Eltern mit
einbezogen (diffuse generationale Abgrenzung)
• Ablösungs-, Loyalitätsprobleme
• Eltern haben eine eingeschränkte Vorbildfunktion
• Eltern sind bei der Unterstützung der Kinder bei
altersspezifischen Aufgaben überfordert
(Selbstständigkeit, Autonomieentwicklung)
BApK / Beate Lisofsky 2012
22
Parentifzierung?
René Magritte: Der Geist der Geometrie, 1936/37, ©VG Bild-Kunst, Bonn 2008
BApK / Beate Lisofsky 2012
23
Familienbeziehungen:
Stichwort „Parentifizierung“
• Kinder werden zu Friedensstiftern und
Schiedsrichtern
• Übernehmen Verantwortung für Haushalt,
Tagesstruktur oder Medikamenteneinnahme
• sind zuständig für Versorgung jüngerer
Geschwister
• Partnerersatz
• Lebenstraum der Eltern realisieren
(Lenz, Jungbauer, 2005)
BApK / Beate Lisofsky 2012
24
Bewältigung
Kindzentrierte Schutzfaktoren
• Temperamentsmerkmale wie Flexibilität,
Anpassungsvermögen
• Soziale Empathie und Ausdrucksfähigkeit
• Problemlösefähigkeit, realistische Einschätzung
persönlicher Ziele
• Intelligenz
• Positive Selbstwertkonzepte
BApK / Beate Lisofsky 2012
25
Familienzentrierte Schutzfaktoren
• Emotional sicher und stabile Beziehung zu
mindestens einer Bezugsperson
• Eine emotional positive, zugewandte und zugleich
normorientierte Erziehung
• Gute Paarbeziehung derEltern
• Familiäre Beziehungsstrukturen, die sich durch
emotionale Bindung und Anpassungsvermögen an
Veränderungen auszeichnen
BApK / Beate Lisofsky 2012
26
Soziale Schutzfaktoren
• Soziale Unterstützung und sozialer Rückhalt
durch Personen außerhalb der Familie
• Einbindung in ein Peer-Netzwerk
• Soziale Integration in Gemeinde, Vereine,
Kirche usw.
BApK / Beate Lisofsky 2012
27
Protektive Faktoren
(Zusammenfassung)
• Stabile Eltern-Kind-Beziehungen
• gute materielle Organisation
• Zusätzlich entlastende gesunde Bezugsperson
• Entlastung durch altersadäquate Information
der Kinder über die Erkrankung der Eltern, die
Behandlung und Folgen
BApK / Beate Lisofsky 2012
28
Flyer
Flyer für Profis in der
Psychiatrie
Flyer für das soziale Umfeld
BApK / Beate Lisofsky 2012
Flyer für pädagogische
Fachkräfte
29
„Jetzt bin ICH dran…“
(für Kinder von 8 bis 12 Jahren)
„It’s my turn“
Information für Jugendliche
„Nicht von schlechten Eltern…“
Informationen für Eltern
BApK / Beate Lisofsky 2012
30
www.kipsy.net
BApK / Beate Lisofsky 2012
31
4. Was brauchen die Familien, wenn
Eltern psychisch krank sind
• Familienpolitik muss stets auch diese Familien im
Fokus haben
• Auf den Anfang kommt es an –
Familien mit kleinen Kindern wirksam fördern
• Die ganze Familie im Blick haben
• Diskriminierung und Stigmatisierung psychischer
Krankheit bekämpfen
„… Helfen sollte man denen, die Hilfe wollen,
unterstützen muss man alle.“
(aus dem Brief einer betroffenen Mutter)
BApK / Beate Lisofsky 2012
32
Was hätte dir geholfen?
•
•
•
•
Gesprächsangebot und Gesprächsmöglichkeit
Aufklärung über die Situation
Anerkennung der Realität
Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen ohne Angst
und ohne Schuldgefühle offen anzusprechen
• Kontakte zu anderen außerhalb der Familie
• Später evtl. Therapieangebote
Quelle: Mattejat 2007
BApK / Beate Lisofsky 2012
33
Für Kinder /Jugendliche:
• Informationsvermittlung und Krankheitsaufklärung in
verschiedenen Settings
• Förderung von Empowerment
• Therapienahe Formen der Angehörigenarbeit
- Familiengespräche
- Kommunikations- bzw. Konfliktlösetraining
- anwaltliche Funktion für die Kinder
• Förderung und Stärkung sozialer Ressourcen
- Gruppenarbeit
- verlässliche Bezugspersonen
BApK / Beate Lisofsky 2012
34
Für die (gesunden) Eltern:
• Einbeziehung in Akut- und Langzeitbehandlung
• Psychoedukation
• Erfahrungsaustausch
- angeleitete Gruppen
- Selbsthilfegruppen
• Praktische Unterstützung
BApK / Beate Lisofsky 2012
35
… und der „Rest“?
•
•
•
•
Einbeziehung, Information
Praktische Entlastung
Respekt
Netzwerke sind wichtig, gerade, wenn man
„zwischen allen Stühlen sitzt“
• Hilfen zur Bewältigung der elterlichen Erkrankung
BApK / Beate Lisofsky 2012
36
„Nachdem seit nunmehr über zehn Jahren die Problematik psychisch
kranker Eltern und ihrer Kinder von den beteiligten Professionen der
Psychiatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Sozialarbeit und
Jugendhilfe intensiver wahrgenommen und diskutiert wird, können zwar
Veränderungen im Bewusstsein über die Problematik wahrgenommen
werden, gleichwohl müssen weiterhin ein lückenhaftes Angebot in der
Versorgung und Defizite in der Wahrnehmung des Problems diagnostiziert
werden.“
„Angebote müssen also so entwickelt werden, dass sie in der
Regelversorgung stattfinden, bzw. in diese überführt werden können.“
Quelle: Dr. Michael Kölch, Versorgung von Kindern aus Sicht ihrer psychisch kranken Eltern
(Expertise im Rahmen des 13. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung)
Herausgeber: Sachverständigenkommission des 13. Kinder- und Jugendberichts Juni 2009
BApK / Beate Lisofsky 2012
37
Und zum guten Schluss …
Sie müssen nicht fliegen können.
Es reicht, wenn Sie den Kopf nicht in den Sand
stecken.
BApK / Beate Lisofsky 2012
38
Herunterladen