Erworbene Störungen der Schriftsprachverarbeitung Dyslexien und

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Erworbene Störungen der
Schriftsprachverarbeitung
Dyslexien und Agraphien
Von Helen Leuninger
Abtrudeln  ab-trudel-n
Dyslektisch:
Abt ...ruder
Zugriff  Zu-griff
Dyslektisch:
Zug
George Bernhard Shaw :
Man könnte für fish auch ghoti schreiben?
Warum?
Shaw nutzt die Graphem-Phonem-Regeln
(Korrespondenzen) des Englischen aus:
Gh = f
O=i
Ti = sch
wie in laugh [la:f]
wie in women [wimən]
wie in nation [nejschen] sch und schwa
Was wir besprechen wollen
Modalität:
Lesen und Schreiben
GPK-Regeln
Lesen
Was passiert beim Lesen?
Kognitive Neuropsychologie
Historisches/Terminologie
Lesen von Sätzen
Modellierung des Lesens: Das Logogenmodell
Dyslexien: zentrale und periphere
Der Gehalt der lexikalischen Komponenten
Morphologische Prozesse und
Schriftverarbeitung
Agraphien
Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben
Übersetzung von Graphemen in Phoneme (GPK-Regeln)
Modalität Schreiben:
Übersetzen von Phonemen in Grapheme (PGK-Regeln)
Beziehung in vielen Sprachen nicht eins-zu-eins
Deutsch
Gestern schüttete Helen, die ihre Hare Chaqui gefärbt hatte, dem
Jörk in Ksanten Waks auf seine gesamte Haabe und auch kwer
über seinen Ze, so dass alle Häne chräten und besagter Herr
nicht im Khor das Krehdo mitsingen durfte.
Helen kennt die Regeln nicht. Sie sollte sie schnell lernen
Graphem-Phonem-Korrespondenzen für /k/
/k/  <c>
Cola, Credo
/k/  <kh>
Khaki
/k/  <ch>/Wort [___]
Christ, Chor
/k/  <ch>/V [-lang]___s]
Wachs
/k/  <x>/V [-lang]___s]
Jux
/k/  <q>/ ___ [v]
quer, Qualle
/k/  <k>/sonst
Graphem-Phonem-Korrespondenzen für die
Längung
<h>
Hahn, Zeh
Doppelvokal
Waage, Beet
<e>
Liebe
nix
Habe, Bad
Was passiert beim Lesen?
Ein schriftsprachlicher Stimulus wird zunächst visuell analysiert, dann
wird das Ergebnis in ein graphematisches Lexikon übergeben,
semantisch analyssiert, übergeben in ein phonologisches Lexikon, im
Arbeitsspeicher weiter berechnet und dann ausgesprochen. Wird
zwar visuell analysiert und im graphematischen Input-Lexikon
weiterverarbeitet, aber nicht semantisch analysiert, kann der Stimulus
direkt an das phonologische Output-Lexikon übergeben werden.
Sollen Formen gelesen werden, die keinen Lexikoneintrag, daher
auch keine Semantik haben, kann das Ergebnis der visuellen Analyse
direkt an die GPK-Regeln übergeben werden. Alle drei Wege arbeiten
im ungestörten Lesen zusammen. Daher geben nur selektive
Beeinträchtigungen Aufschluss darüber, ob diese Wege/Komponenten
isolierbar sind (Module, Transparenz).
 kognitive Neuropsychologie
Modularität: jede Komponente hat ihre eigenen Aufgaben
Transparenz: selektiv störbare Komponenten identifizieren
psychologisch reale Komponenten
Einzelfallstudien: individuelle Störungsprofile
Paradigma der kognitiven Neuropsychologie: multiple
modellorientierte Einzelfallstudien; spezielles Störungsprofil für
jeden einzelnen Probanden, Dissoziationen (verschonte im
Vergleich zu beeinträchtigten Komponenten)
Historisches - Terminologie
Früher:
Unterscheidung von Dyslexie (Störungen des
Schriftspracherwerbs) und Alexie (Störungen der
Schriftsprache nach abgeschlossenem Spracherwerb)
Einfluss der angelsächsischen Forschung:
Dyslexie als Störungen der Schriftsprache nach
abgeschlossenem Spracherwerb hat sich im
Wesentlichen durchgesetzt
Kussmaul (1877): Wortblindheit
Déjérine (1982): reine Wortblindheit ohne
Agraphie
Wortblindheit mit Agraphie
Goldstein (1948): primäre Alexie (ohne Aphasie)
Sekundäre Alexie (mit Aphasie)
70er Jahre
Marshall & Newcombe (1973) Visual dyslexia
Surface dyslexia
Deep dyslexia
2 Patienten ohne Aphasie mit nur visuellen Fehlern
ohne Störungen der semantischen oder
phonologischen Verarbeitung beim Lesen
(vergleichbar mit bestimmten legasthenischen
Leistungen bei Kindern)
1. Gestaltfehler: h statt b, o statt c, t statt f, i statt l
2. Umkehrungsfehler: b statt d, p statt q
3. Inversionsfehler: b statt p, d statt q, u statt n
4. Partielle oder totale Umstellungsfehler im Wort:
grill statt girl, from statt form, was statt saw
Surface Dyslexia (Oberflächendyslexie)
Erhalten: Lesen isolierter Buchstaben
Gestört: Lesen von Wörtern
Fehlermuster bei 2 Patienten
1. Partielle Fehler in der Graphem-Phonem-Konvertierung bei
Konsonanten, deren phonetischer Wert vom graphematischen
Kontext abhängig ist: incense increase, good  gin
2. Stimmlose statt stimmhafter Konsonanten: disease  decease
3. Ignorieren von Vokallänge: bike  bik
4. stumme graphematische Konsonanten erhalten phonetischen
Wert: island  izland
5. viele phonematische Paralexien
6. Verschieben des Wortakzents: omít ómmit
7. Gelegentliches Auslassen von ganzen Silben
Deep Dyslexia (Tiefendyslexie; überwiegend bei Patienten mit
Broca-Aphasie; Shallice & Warrington, 1980)
1. Hauptsächlich semantische Paralexien
2. Schwierigkeiten, vom „phonologischen Weg“ Gebrauch zu
machen, z.B.sehr schlechte Leistungen bei nonsense-Silben
3. Wortarteneffekt: Nomina > Adjektive > Verben >
Funktionswörter
4. Konkretheitseffekt
3 entspricht Fehlern der Broca-Aphasie:
Ein Patient reagierte auf eine Vorlage mit Funktionswörtern so:
„Big words – Yes! Little words –No!“
Daten
Semantisch verwandte Funktionswörter
Me  I
Us  we
We  me and you
Optisch-graphisch ähnliche Funktionswörter
His  is
Our  or
Semantisch nicht verwandte Funktionswörter
Both  perhaps
The  and
Semantische Paralexien – kein Funktionswort
Beneath  downstairs
Her  girl
Generell aber Dissoziation von Inhalts- und Funktionswörtern
Schuell (1959)
Suit  coat
Cream  milk
Summer  winter
Marshall & Newcombe (1973)
Employ  factory
Daughter  sister
Er war Maler und verstand sich selbst als Denker
Er wal walter und 1 verseb sich 
als lek
2 selcht sich selbst als leker
3 verselcht sicht selbst als denker
Der war maler und verstand
sich selb als denker
Der war malter und verstalt sind 1 sibst als depper
Er war Maler und verstand sich 2 laibst als denker
Er war Malter und verstand sich 1 ver als denker
2 selbst
Sprachplanungsstörung mit vielen Perseverationen, aber keine
besondere Anfälligkeit von Flexion und Funktionswörtern
Milch macht stark  Milch … milch ist sauer
Das Auto fährt vorbei  das auto ist schnell
Die Kinder lachen  die kinder spielen
(aus de Langen, 1983)
Logogenmodell
Heutige Dyslexieund Agraphieforschung
macht sich das LogogenModell
(Morton, 1966) zu Nutze:
Dyslexien
Dyslexien sind erworbene Störungen des sprachlichen Leseprozesses
trotz guter prämorbider* Lesefähigkeit (*vor der Erkrankung).
Meist nach linkshemisphärischen Läsionen. Selten als isolierte
Störungen, sondern mit Aphasien und/oder Agraphien (Störungen
des Schreibens)
Sprachen mit alphabetischer Schrift: Störung bei Einzelbuchstaben
(literal alexia) oder bei Wörtern (verbal alexia; GPK-Regeln oder
Verknüpfung zur Bedeutung fehlen)
Sprachen mit nicht-alphabetischer Schrift, z.B. Japanisch mit den
beiden Schriftsystem Kanji und Kana: nur eines der Systeme kann
betroffen sein (vgl. Keller & Leuninger, 2004)
Typen von Dyslexien
1. periphere Dyslexien
2. zentrale Dyslexien
ROUTEN
Semantisch-lexikalische Route
das geschriebene Wort wird unmittelbar mit der Wortbedeutung
verknüpft
phonologisch-lexikalische Route
das orthographische Wort wird unmittelbar mit dem phonologischen
Wort verknüpft
für orthographisch unregelmäßige Wörter: BUS ---> [bus], *[bu:s]
nicht lexikalische Route (GPK-Route)
die Graphem-Phonem-Korrespondenzen (GPK)
werden hergestellt
Lesen von unbekannten Wörtern und
Neologismen: KNONK ----> [knok], *[kno:k]
ZENTRALE DYSLEXIEN
Tiefendyslexie
Symptome
•
semantische Fehler (Paralexien): Prinz ---> König
• visuelle Fehler: Gigant ---> Gitarre
• morphologische Fehler:
gerettet ---> retten; größer ---> groß,
schuldig ---> Schuld
• visuelle und darauf basierende semantische Fehler: Sympathie --> (Symphonie) ---> Orchester
•
Neologismen können nicht gelesen werden
•
konkrete Wörter (Apfel) werden besser gelesen als abstrakte
(Grammatik)
• Nomina > Adjektive > Verben > funktionale Kategorien
Modelltheoretisch
• GPK-Route fällt aus
• phonologisch-lexikalische Route fällt aus
• ausschließliche Verwendung der semantischen
Route; diese aber ist teilweise geschädigt
Direkte Dyslexie
Symptome
• Lesen ohne Sinnverständnis
• korrektes und flüssiges Lesen regelmäßiger und unregelmäßiger
Wörter (keine Regularisierungen)
• Neologismen können nicht gelesen werden
Modelltheoretisch
• Ausfall der semantischen Route
• Ausfall der GPK-Route
• Erhalten ist die direkte phonologisch-lexikalische Route
Phonologische Dyslexie
Symptome
• Neologismen können nicht oder nur sehr fehlerhaft gelesen
werden
• gutes Sprachverständnis, keine semantischen Paralexien
Modelltheoretisch
• GPK-Route ist stark gestört oder fällt aus
• Verschonung der semantischen und phonologischlexikalischen Route
Oberflächendyslexie
Symptome
• Regularisierung orthographisch unregelmäßiger Wörter;
orthographisch regelmäßige Wörter und Neologismen werden gut
gelesen
2 Gruppen
Gruppe 1: Bedeutung, die diese Gruppe angibt, ist nicht die des
Zielitems (Bsp. listen/“hören“), sondern die der Reaktion
(Liston/ „Boxer“)
Gruppe 2: Bedeutung, die diese Gruppe angibt, ist die des Zielitems
Modelltheoretisch
Lesen nur über die GPK-Route
Gruppe 1: Störung der semantischen und lexikalischen Route
Gruppe 2: Verschonung der semantischen und lexikalischen
Route
PERIPHERE DYSLEXIE
Das buchstabierende Lesen
(„letter-by-letter-reading“; reine Alexie)
Symptome
•
lautes Benennen der Buchstaben beim Lesen
• Ersetzen visuell ähnlicher Buchstaben
• kurze Wörter werden besser gelesen als lange
Modelltheoretisch
• Störung der visuellen Analyse
• Zutritt zum eigentlichen Lesesystem ist unmöglich
Störungen des Lesens als Begleiterscheinung zu anderen
neuropsychologischen Störungen
Neglect-Dyslexie
Symptome
• kontralaterale Lesestörungen (Bsp: Patienten mit
rechtshirniger Schädigung zeigten Paralexien im linken
Teil des Worts:
Hockeyspieler ---> Tennisspieler)
• Aufmerksamkeitsstörung, nicht nur für sprachliche,
sondern für alle visuellen Stimuli
• der eigentliche Lesevorgang ist ungestört
(verschiebt man die Stimuli (Eishockey), so liest der
Patient das nun rechts stehende Wort einwandfrei)
Die agnostische Dyslexie
Symptome
• buchstabierendes Lesen mit visuellen Fehlern
• bei mehreren vorgebenen Buchstaben kann nur ein
Buchstabe benannt werden
• Störung der Wahrnehmung, extrem eingeschränkte
Aufmerksamkeit
(zweiseitige Hirnschädigungen im occipitalen
Bereich)
Lesemodell
Der Gehalt der Komponenten bleibt unklar,
meist werden nur monomorphematische Items
getestet. Die meisten Wörter des Deutschen
sind jedoch polymorphematisch.
Frage: Gibt es wortbildungsspezifische
Dissoziationen?
Morphologische Prozesse und
Schriftsprachverarbeitung
(de Bleser & Bayer, 1988)
Lexikon:
gelistete Lexeme
Inhaltswörter/Funktionswörter/Affixe
unregelmäßige Flexion
Komposition
Derivation
regelmäßige Flexion
Patientin HJ: embolisch bedingte Aphasie mit 22 J., Broca
Agrammatismus in der Spontansprache: nach 7-jähriger
Therapie sehr stark gebessert, aber Dyslexie blieb erhalten
Spontansprache
U: Will Ihr Sohn abends nicht ins Bett?
P: Nee, freiwillig, nee ich bin nicht müde, aber jetzt habe ich
gesagt, du musst im Bett , du musst morgen Schule,
Wochende darf er dann länger aufbleiben, aber so, das geht
ja nicht, die halbe Nacht.
Im Kontrast die Leseleistungen von HJ:
Mir wird schlecht  Mir ... Schlecht
Er schrie er sei blind  Er schreien er blind
Wir liebten diese Rose  Lieben ... Rose
HJ zeigte typische Symptome einer Tiefendyslexie
Unfähigkeit, Neologismen zu lesen (keiner der Neologismen, z.B.
Funst, wurde gelesen)
Konkrete Nomina > Abstrakta
Inhaltswörter < Funktionswörtern
Sehr viele semantische Paralexien (Beil  Hammer; trübe 
das wetter, bewölkt,
lexikalisches Entscheiden
auditive Modalität: Leistungen im Normalbereich
visuelle Modalität: alle Leistungen im Normalbereich bis auf
neologistische Komposita (Kugelsänger):
Geschenkskrümel: zu wenige Geschenke, aber nein
Pflanzenwohnung: könnte es geben, habe ich aber noch nie gehört
modellorientierte Erklärung: Tiefendyslexie nicht
bei der Inputverarbeitung (graphemischer
Stimulus  semantisches System), sondern
zwischen der semantischen Repräsentation und
dem phonologischen Wort (neologistische
Komposita können nachgesprochen werden, daher
phonologische Wortform selbst intakt), aber
typische Lesefehler:
Kugelsänger  Bleistift, irgendwas, Sänger
Pflanzenwohnung  Wohnung-Blumen nicht
HJ’s Weg beim Lesen:
1. Segmentieren der Buchstabenkette mithilfe des
lexikalisch-semantischen Systems
2. Graphemische Einheiten werden auf Bedeutung
bezogen
3. Der semantische Gehalt wird mit einem
entsprechenden Eintrag im phonologischen
Lexikon verbunden
Morphologische Lesefehler
Verben: hauptsächlich Infinitive werden gelesen (für
flektierte Formen im Präsens und Präteritum)
Regulär/irregulär: wenn überhaupt, dann wurden
irreguläre Präteritumformen gelesen
Plural/Komparativ: Plural besser (auch irregulärer)
als reguläre Komparative
Ebenenunterscheidung scheint auch psychologisch
plausibel
Patientin GE
36 Jahre: hämorrhagischer Infarkt im
Versorgungsgebiet der vorderen und mittleren
Mediaastgruppe links
brachiofaziale Hemiparese rechts
Untersuchungszeitpunkt:
Aphasie seit 2;5 Jahren; Spontansprache: kurze
Sätze, Beeinträchtigung von Flexionsformen und
Funktionswörtern, Redefloskeln, vereinzelt
phonematische Paraphasien und phonematische
Unsicherheiten
U: Wie sieht dein Tagesablauf aus?
P: Hm mit`m Sherry spazierengehen und
essen äh...äh Kaffee trinken ...hm...üben
sprechen...hm...nach Mama...gehen.
Testung
Monomorphematische Nomina
Auditives lexikalisches Entscheiden (passt der Artikel: der Stuhl)
Visuelles lexikalisches Entscheiden (schriftliches Vorgeben von
Nomina und die drei definiten Artikel, Patient soll zeigen, welcher
Artikel passt: Schiff – der, die das)
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels (Hut wird vorgelesen,
nachgesprochen werden soll der Hut)
 Verwenden der direkten lexikalischen Route
Mündliches Benennen mit Hinzufügung des Artikels
(Bild mit Tasse: Patient soll Bild mit passendem Artikel benennen
die Tasse)
Nomina Komposita
Auditives lexikalisches Entscheiden für echte Komposita
Auditives lexikalisches Entscheiden für Pseudokomposita
Visuelles lexikalisches Entscheiden für echte Komposita
Visuelles lexikalisches Entscheiden für Pseudokomposita
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels für echte
Komposita
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels für
Pseudokomposita
Semantisch transparente Komposita: Haustür
Komposita mit opaker Erstkonstituente: Strohmann
Komposita mit opakem Kopf: Nilpferd
Neologistische Komposita
Wurmbank  Artikel muss mithilfe von Wortbildungsregeln
gefunden werden
Zusätzlich bei auditivem lexikalischen Entscheiden:
Die Flutlicht (Artikel vom Erstglied)/ der Flutlicht
(Artikel weder vom Erst- noch vom Zweitglied)
Derivierte Nomina
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels für native Wörter
(Maler)
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels für Fremdwörter
(Nation)
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels für Neologismen mit
nativen Suffixen (Strippung)
Nachsprechen mit Hinzufügung des Artikels für Neologismen mit
fremden Suffixen (Spatur)
Pluralbildung
Nachsprechen regelmäßige Plurale
Nachsprechen unregelmäßige Plurale
Kasusproduktion auf Satzebene (schriftliche
Darbietung von Lückensätzen, schriftliches Einfügen
der fehlenden Morpheme)
Kasusproduktion für SVO- und OSV-Sätze
Patientin GE
Modalitätsspezifische Effekte
Auditiv Entscheiden, Nachsprechen, mündlich Benennen > visuell
Entscheiden
Artikelaufgaben: Auditiv Entscheiden, Nachsprechen > visuell
Entscheiden
Modalitätsspezifische Beeinträchtigung der Genusflexion im
visuellen Input-Lexikon
Itemweiser Vergleich:  Wortarteneffekt, Konkretheitseffekt,
Frequenzeffekt  vollständige Blockierung der nicht-lexikalischen
GPK-Route (daher auch keine Neologismen), überwiegende
Verwendung der semantischen Route
Beleg: semantische Paralexien
Stoff  Tuch
Sofa  Sessel
Wut  Fluch
Sohn  Junge
Wortbildungsspezifische Effekte
Derivationale und kompositionale Wortbildungsmuster im OutputLexikon sind beeinträchtigt
Fraktionierung des Lexikons für regelmäßige und unregelmäßige
Flexion (unregelmäßiger Plural ist besser)
Signifikante Unterschiede beim auditiven Entscheiden und
Nachsprechen  eigenständige Ebene für die morphologische
Verarbeitung von Komposita
 modalitätsspezifische Beeinträchtigung bei der rezeptiven
visuellen Verarbeitung  selektive Beeinträchtigung im
graphematischen Input-Lexikon
leichte selektive Störungen bei der Komposition und Derivation im
phonologischen Input-Lexikon
AGRAPHIEN (Blanken, 1991)
Ausgangsbeobachtung: korrekte Schreibleistungen trotz
gestörter mündlicher Wortformproduktion
---> 2 Lexika: phonologisches Ausgangslexikon
orthographisches Ausgangslexikon
und:
graphematisches Repräsentationen sind nicht identisch mit
motorischen Programmen (dieselben Störungen beim
Handschreiben oder mit der Maschine schreiben)
Bsp. für intakte Schreibleistungen bei gleichzeitiger Störung des
phonologischen Ausgangslexikons:
Aphasiker, dessen Spontansprache korrekt war, aber mit vielen
Wortfindungsstörungen, Umschreibungen, leeren
Stellvertreterwörtern; Fähigkeiten im mündlichen Benennen waren
nahezu aufgehoben, aber schriftliches Benennen war möglich
mdl: 1 korrekt benannt
20 Objekte:
schriftl. 15 korrekt*
* auch mit „conduite“ (Annäherung): „newspaper“ ---> READ,
NEWSPAPER
Typen von Agraphien
1. zentrale Agraphien
2. periphere Agraphien
ROUTEN
Semantisch-lexikalische Route
auditive Analyse, phonologisches Eingangslexikon, semantisches
System, orthographisches Ausgangslexikon, Graphem-Ebene
Lexikalisch nicht semantische Route
auditive Analyse, phonologisches Eingangslexikon, phonologisches
Ausgangslexikon, orthographisches Ausgangslexikon, GraphemEbene
Phonologische Route
auditive Analyse, Phonem-Ebene, Phonem-GraphemKonvertierungsmechanismus, Graphem-Ebene
ZENTRALE AGRAPHIEN
Lexikalisch-orthographische Agraphie/ Oberflächenagraphie/phonologisches Schreiben
Symptome (Schädigung: parieto-occipital)
• Schreiben nach Diktat von Nichtwörtern ist fehlerfrei: ziguno,
hozija
• Fehler bei Wörtern mit ambiger Orthographie: franz: /o:/
CHATEAU, CHATO CHATAU; CHATAUX;CHATOT
•
Regularisierungsfehler bei irregulärer Schreibweise (Graphie):
franz: fam <--femme; Fehler sind phonologisch plausibel: franz:
messieu <--- monsieur; erbe <--- herbe
• Fehler treten auch beim Spontanschreiben und schriftlichen
Benennen auf
• Schreiben ist „ökonomisch“: franz: patien <-- patient; o <-- eau
Modelltheoretisch
• gestörter Zugang zum orthographischen
Ausgangslexikon
Phonembezogene Agraphie
Symptome
Fehler beim Schreiben von Nichtwörtern (Neologismen)
Fehler auch bei mündlichen Aufgaben
• ungestörte Verarbeitung von realen Wörtern (auch in
der Spontansprache, im Benennen und beim
Nachsprechen)
Modelltheoretisch
• Ausfall der phonologischen nicht-lexikalischen
Schreibroute wegen Störungen im Phonem-Speicher
Phonologische Agraphie
Symptome
• die mündliche Sprachverarbeitung ist unbeeinflußt
• reale Wörter werden gut geschrieben
• das Schreiben von Nichtwörtern ist gestört
• die Fehler sind phonologisch unplausibel
Modelltheoretisch
• PGK-Route ist stark gestört oder fällt aus: das Innere der
PGK-Komponente ist betroffen
• Verschonung der semantischen und phonologischlexikalischen Route
• direkte Verbindung des semantischen Systems zum
orthographischen Ausgangslexikon und zur
Graphemebene
Graphembezogene Agraphie (Graphem-Speicher)
Symptome
•
nur die schriftliche Sprachproduktion ist gestört;
Störungen in allen Aufgaben (Spontanschreiben,
schriftliches Benennen,Diktat-schreiben)
• Störung nicht nur beim Schreiben mit der Hand
• Störungen bei Wörtern und Nichtwörtern
• Schreibfehler sind phonologisch nicht erklärbar
• Wortlänge korreliert mit Fehlerhäufigkeit
modelltheoretisch
• Störungen des Graphemspeichers
Störungen der lexikalischen nicht-semantischen Route
Symptome
• korrektes Schreiben regulärer und irregulärer Wörter
(YACHT, CIRCUIT)
• Fehler bei Homophonen, die sich graphisch unterscheiden
(Verwechseln von THEIR und THERE, SOLE und SOUL)
Modelltheoretisch
• erhaltener Zugang zum orthographischen Wissen
(Eingangs- und Ausgangslexikon)
• Auflösung der Verbindung zwischen dem
semantischen System und dem orthographischen
Ausgangslexikon
• semantisches Wissen selbst ist intakt
Tiefenagraphie
Symptome
• Wortklasseneffekte: konkret > abstrakt
Nomina > Verben > Funktionswörter
• semantische Paragraphien (CLOCK für TIME, TABLE für
CHAIR;MY für OUR)
• Lesen und nachsprechen aller Zielwörter ist fehlerfrei
• Fähigkeit des Diktatschreibens ist völlig aufgehoben
Modelltheoretisch
• Schädigung der phonologischen Schreibroute
• Verschonung der semantisch-lexikalischen Schreibroute
bei gleichzeitiger Beeinträchtigung des semantischen
Systems
PERIPHERE AGRAPHIEN
2 Typen sog. apraktischer Agraphien
a) Störung der Aktivierung graphisch-motorischer Muster
b) visuelle Vorstellung von Buchstaben („letter imagery“)
Afferente Agraphie
Linksneglect
Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit
Literatur
Bierwisch, M. (1972): Phonologie und Schriftstruktur. Probleme und Ergebnisse
der Psychologie 43, 21-44
Blanken, G. (1991): Die kognitive Neurolinguistik des Schreibens (darin
ausführliche Literaturhinweise zu den einzelnen Agraphieformen). In: Blanken,
G. (Hrsg.): Einführung in die linguistische Aphasiologie. Theorie und Praxis.
Trier: HochschulVerlag, 287-328
Celik, H., Kron, B. & Leuninger, H. (2000): Modellorientierte Neurolinguistik.
Frankfurter Linguistische Forschungen (wenige Exemplare noch erhältlich bei
uns, 3 Euro)
Cholewa, J. (1998): Die Verarbeitung polymorphematischer Wörter bei Aphasie.
Eine multiple Einzelfallstudie zum Logogenmodell. Freiburg:HochschulVerlag
Coltheart, M., Patterson, K. & Marshall, J. (1980)(Hrsg.): Deep dyslexia. London:
Routledge (darin auch Shallice & Warrington)
de Bleser, R. & Bayer, J. (1988): Morphological reading errors in a German case
of deep dyslexia. In: Nespoulos, J. & Villiard, P. (Hrsg.): Morphology,
phonology and aphasia. New York: Springer, 32-59
de Bleser, R. (1991): Formen und Erklärungsmodelle der erworbenen Dyslexien
(darin ausführliche Literaturhinweise zu den einzelnen Dyslexieformen). In:
Blanken, G. (Hrsg.): Einführung in die linguistische Aphasiologie. Theorie
und Praxis. Trier: HochschulVerlag, 329-348
de Langen, E.G. (1983): Wortkategorielle Aspekte und Fehlerspezifik der
Tiefenalexie auf Wort- und Satzebene. Diss: Universität München
Déjérine, J. (1892): Contribution à l’étude anatomo-clinique et clinique des
différentes variétés de cécité verbale. C.R.Soc.Biol. 4, 61-90
Frisby, J. (o.J.): Sehen. Optische Täuschungen. Gehirnfunktionen. Bildgedächtnis.
Gütersloh: Bertelsmann
Goldstein, K. (1948): Language and language disturbances. New York: Grune &
Stratton
Keller, J. & Leuninger, H. (2004): Grammatische Strukturen – kognitive Prozesse.
Tübingen: Narr Verlag
Kussmaul, A. (1877): Die Störungen der Sprache. Versuch einer Pathologie der
Sprache. Leipzig: Vogel
Leuninger, H. (1982): Eine psycholinguistische Interpretation gestörten
Sprechens. Papiere zur Linguistik, 26, 3-22
Marshall, J. & Newcombe, F. (1973): Patterns of paralexia: a psycholinguistic
approach. Journal of Psycholinguistic Research 2, 175-199
Morton, J. (1969): The interarction of information in word recognition.
Psychological Review 76, 165-178
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