Psychiatrie Vor 5 Schizophrenie Definition: Die schizophrenen Psychosen gehören zur Hauptgruppe der endogenen Psychosen. Bei diesen Erkrankungen kommt es zum Auftreten charakteristischer, symptomatisch oft sehr vielgestaltiger psychopathologischer Querschnittsbilder mit Wahn, Halluzinationen, formalen Denkstörungen, Ich-Störungen, Affektstörungen und psychomotorischen Störungen. Nachweisbare körperliche Ursachen fehlen. Die neueren Klassifikationssysteme verlangen eine bestimmte Mindesterkrankungsdauer. Bei den schizophrenen Psychosen werden anlagebedingte Faktoren als wichtige Teilursache angesehen. Hinsichtlich der Prognose handelt es sich um die schwerwiegendste psychische Erkrankung, wenn man von den organischen Erkrankungen absieht. Historisches: Kraepelin fasste 1898 die Erscheinungsbilder der Schizophrenie unter dem Krankheitsbegriff „Dementia praecox" (vorzeitige Verblödung) zusammen. Bleuler, der 1911 die Erkrankung als „Schizophrenie" (Bewusstseinsspaltung) bezeichnete, hat sich mit diesem Begriff stärker auf das psychopathologische Querschnittsbild bezogen. Das Konzept der Schizophrenie in den modernen Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-IV basiert im Wesentlichen auf diesen traditionellen Wurzeln (v. a. dem Ansatz von Kraepelin). Epidemiologie: Die Prävalenz der schizophrenen Psychosen liegt bei 0,5-1 %. Das Lebenszeitrisiko für Schizophrenie beträgt in der Durchschnittsbevölkerung ca. 1 %. Männer und Frauen sind gleich häufig betroffen. Das Haupterkrankungsalter liegt zwischen der Pubertät und dem 30. Lebensjahr. Männer erkranken früher als Frauen. Es gibt charakteristische Unterschiede im Prädilektionsalter für die einzelnen Subtypen. Schizophrene Patienten haben eine hohe Suizidrate, die in der Größenordnung von 10% angegeben wird. Das Risiko für Tötungsdelikte oder Gewaltdelikte liegt nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung. Atiopathogenese: Vermutlich multifaktorielle Entstehung. Es bestehen eindeutige Hinweise für eine genetische Teilverursachung. Bei Verwandten Schizophrener nimmt mit wachsendem Verwandtschaftsgrad das Erkrankungsrisiko zu. Die Konkordanzrate eineiiger Zwillinge liegt in der Größenordnung von über 50%. Die genetische Disposition wird heute als eine polygene Erbanlage interpretiert. Molekulargenetische Versuche, einen bestimmten Genort zu bestimmen, blieben erfolglos. Schädigungen im Mutterleib sowie perinatale Schädigungen können zur Erkrankung beitragen („Minimal Brain Dysfunction" infolge von perinatalen Schäden, viraler Infektion im Mutterleib u.a.). Neuropathologische Untersuchungen zeigten bei einem Teil der Schizophrenen strukturelle Abnormitäten. In einer Vielzahl von Studien konnte eine Erweiterung der Ventrikel (Seitenventrikel und 3. Ventrikel) festgestellt werden. Auch die äußeren Liquorräume sind bei einem Teil der Patienten erkennbar erweitert. Aus histomorphometrischen Untersuchungen ergaben sich Hinweise auf Schäden in zentralen limbischen Strukturen des Temporallappens (z.B. pathologische Zellanordnungen). Verfahren der funktionellen Bildgebung (PET- und SPECTTechnik) wiesen eine verminderte Durchblutung bzw. einen Hypometabolismus im Bereich des Frontalhirns nach, die sogenannte „Hypofrontalität". Die Denkstörungen und kognitiven Störungen Schizophrener sind möglicherweise Ausdruck von Störungen der Informationsverarbeitung (kognitive Basisstörungen). Sie werden als Folge einer primären ZNS-Entwicklungsstörung interpretiert. Als biochemisches Korrelat schizophrener Symptomatik gilt eine Überaktivität zentralnervöser dopaminerger Strukturen im mesolimbischen System. Die Dopaminhypothese der Schizophrenie ist auch heute noch nicht ausreichend bestätigt. Es gibt aber einige Bestätigungen für diese Hypothese (z.B. antidopaminerger Wirkmechanismus von Neuroleptika). Auch das glutamaterge und serotonerge System scheinen bei der Schizophrenie-Entstehung eine Rolle zu spielen. Verschiedene psychosoziale Faktoren wurden als ursächlich bzw. auslösend beschrieben. Die Forschungsergebnisse sind aber zum Teil kontrovers. Psychosoziale Faktoren scheinen eher für den Verlauf als für die Entstehung der Erkrankung bestimmend zu sein. Schizophrene, die in „High-expressed-emotions"-Familien leben, scheinen ein erhöhtes Rezidivrisiko zu haben. Diese Untersuchungen machen jedoch nur über das Rezidivrisiko eine Aussage, nicht über die Entstehung der Ersterkrankung. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Konflikten oder situativen Belastungen und dem Ausbruch der Erkrankung spricht für die ursächliche Mitwirkung psychosozialer Faktoren. Psychosozialer Stress induziert eher schizophrene Produktivsymptomatik, psychosoziale Unterstimulation führt zu Negativsymptomatik. Im Gegensatz zu früheren Auffassungen scheint die schizoide Persönlichkeit nicht mit der schizophrenen Erkrankung assoziiert zu sein. Aus psychoanalytischer Sicht besteht bei später an Schizophrenie Erkrankten schon in der Kindheit eine Ich-Schwäche. Verhaltensauffälligkeiten der Eltern können durchaus eine Rolle bei der Entstehung schizophrener Erkrankungen spielen (sog. Double-bindTheorie). Symptomatik und klinische Subtypen Symptomatik. Die schizophrenen Erkrankungen bieten ein sehr buntes und heterogenes Erscheinungsbild (Tab. 4.22). Die Symptomatik kann nach verschiedenen Gesichtspunkten gegliedert werden, z.B. nach Bleuler in Grundsymptome und akzessorische Symptome oder nach Schneider in Symptome 1. und 2. Ranges (Tab. 4.23). In letzter Zeit hat die Unterscheidung zwischen Positivsymptomatik und Negativsymptomatik an Bedeutung gewonnen. Positivsymptomatik: u.a. Wahn, Halluzinationen (Tab. 4.24) Negativsymptomatik u.a. Antriebsmangel, Affektarmut (Tab. 4.25). Es gibt keine eindeutig pathognomonischen Symptome der Schizophrenie, man kann aber charakteristische Symptombereiche hervorheben. Kennzeichen der schizophrenen Positivsymptomatik -Wahnvorstellungen -Halluzinationen, (z. B.:akustische, optische, den eigenen Körper betreffende (Zönästhesien) -Ich-Erlebnis-Störungen,(z.B.:Gedankeneingebung, Gedankenentzug Gedankenausbreitung) Kennzeichen der Negativsymptomatik -Alogie -Affektverflachung -Apathie -Anhedonie -Asozialität -Aufmerksamkeitsstörungen Zu den Ich-Störungen Schizophrener gehören u.a. Fremdbeeinflussung, Cedankeneingebung und Gedankenausbreitung, Depersonalisation und Derealisation. Im Sinne der „doppelten Buchführung" lebt der Kranke zugleich in der wirklichen und wahnhaften Welt. Bei voll ausgeprägtem Autismus kapselt er sich völlig von der Außenwelt ab. Typisch schizophrene Störungen des formalen Denkens sind Kontamination, Neologismus, Zerfahrenheit, Schizophasie, Vorbeireden, Sperrung, Paralogik, Konkretismus Auch affektiven Störungen treten bei Schizophrenen auf: Parathymie, Paramimie, läppischer Affekt, psychotische Ambivalenz, Affektarmut (vor allem beim schizophrenen Residualzustand). Zu den katatonen Symptomen gehören Stupor und Raptus, Katalepsie, Befehlsautomatie, Mutismus, Negativismus, Echolalie, Echopraxie, Bewegungsstereotypien, Haltungsstereotypien,Verbigerationen. Störungen des Antriebs- und Sozialverhaltens zeigen sich beim schizophrenen Residualsyndrom, u.a. in einem Mangel an Initiative, Interesse und Energie, was zu sozialem Rückzug führt. Klinische Subtypen: Man unterscheidet nach dem aktuellen Erscheinungsbild u.a. die folgenden Subtypen der Schizophrenie: Paranoid-halluzinatorischer Typ Wahn und Halluzinationen prägen das klinische Bild. Katatoner Typ Katatone Symptomatik beherrscht das Bild. Dieser Typ ist durch die Gefahr der Entgleisung in eine perniziöse Katatonie besonders risikoreich. Hebephrener Typ Im Vordergrund stehen Affektstörungen (läppische Grundstimmung, leere Heiterkeit) und formale Denkstörungen. Residualtyp Der Residualtyp tritt oft im Verlauf schizophrener Psychosen auf. Eine Persönlichkeitsänderung im Sinne von Antriebsmangel, Affektarmut, sozialem Rückzug prägt das Bild. Schizophrenia simplex Es kommt ohne Auftreten von Produktivsymptomatik (Wahn, Halluzination) zu einem Residualsyndrom. Diagnostik und Differenzialdiagnose Diagnostik: Die Untersuchung beinhaltet neben der Anamneseerhebung und Exploration die körperliche Untersuchung, laborchemische und apparative Diagnostik. Die Diagnose einer Schizophrenie ist dann zulässig, wenn verschiedene Kriterien erfüllt sind. Wahn und Halluzinationen sind allein nicht beweisend für eine Schizophrenie Die für die Diagnosestellung einer Schizophrenie erforderlichen Zeitkriterien unterscheiden sich in ICD-10 und DSM-IV Differenzialdiagnose: u.a. sind die folgenden Erkrankungen wichtig: -organisch bedingte (exogene) Psychosen, z.B. entzündliche, neoplastische, toxische oder andere (hirn-) organische Prozesse. -schizoaffektive und affektive Erkrankungen -schizophreniforme Erkrankungen -Persönlichkeitsstörungen vom schizotypischen, Borderline-, schizoiden oder paranoiden Typ Therapie Die mehrdimensionale Therapie verbindet pharmakologische, psycho- und soziotherapeutische Maßnahmen. Therapeutische Maßnahmen zur Vermeidung von schizophrener Produktivsymptomatik (Plussymptomatik) und schizophrener Negativsymptomatik (Minussymptomatik). In der akuten Krankheitsmanifestation steht die Psychopharmakotherapie zunächst ganz im Vordergrund. Psychopharmakotherapie: Sie wird mit Neuroleptika i.d.R. als Monotherapie durchgeführt. Üblicherweise erfolgt die Dosierung einschleichend unter Beachtung der individuellen Sensibilität für Nebenwirkungen. Bei akuten Schizophrenen wird sofort mit einer vollen Dosis begonnen. Zunehmend werden statt der klassischen Neuroleptika atypische Neuroleptika (z. B.Clozapin, Risperidon, Olanzapin, Zotepin, Amisulprid) verwendet, die den Vorteil haben, dass sie keine oder nur geringgradige extrapyramidalmotorische Störungen verursachen und eine stärkere Wirkung auf die Negativsymptomatik haben. Bei Therapieversagen (nach 4-6 Wochen): Wechsel des Neuroleptikums (z. B. Clozapin). Hochakute psychotische Zustände können mit 2-3 x 1 Ampulle Haloperidol i.m./die behandelt werden. Ggf. kann noch eine zusätzliche Sedierung mit Levomepromazin oder Diazepam erfolgen. Bei katatonem Stupor sollte, falls kein eindeutiger Therapieerfolg unter Neuroleptika auftritt, möglichst frühzeitig die Elektrokrampfbehandlung durchgeführt werden. Bei allen akut Schizophrenen sollte auf eine ausreichende Ein- und Ausfuhr geachtet werden Nach Abklingen der akuten Symptomatik muss die Neuroleptikatherapie im Sinne einer Erhaltungstherapie wenigstens über 6 Monate weitergeführt werden um ein Frührezidiv zu vermeiden. Zur Rezidivprophylaxe werden Neuroleptika in einer wesentlich niedrigeren Dosierung als in der Akutbehandlung gegeben. In der Langzeittherapie ist in besonderem Maße auf Geringhaltung der Nebenwirkungen zu achten. Bei mangelnder Compliance haben sich Depotneuroleptika bewährt. Atypische Neuroleptika sind in der Langzeitrezidivprophylaxe vorzuziehen wegen des geringen oder fehlenden Risikos von Spätdyskinesien. Chronisch-produktive Psychosen bedürfen der symptomsuppressiven Dauertherapie. Zur Behandlung der Negativsymptomatik des Residualsyndroms sind insbesondere atypische Neuroleptika indiziert, z. B. Clozapin. Die postpsychotische Depression spricht evtl. auf Reduktion der Neuroleptikadosis, Anticholinergika oder Antidepressiva an. Am wichtigsten sind die extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen, die durch die Blockade der postsynaptischen Dopamin-D2-Rezeptoren verursacht werden. Bei Verwendung atypischer Neuroleptika ist das Risiko der extrapyramidalen Nebenwirkungen wesentlich geringer.Von besonderer Relevanz bei der Therapie mit klassischen Neuroleptika sind die in etwa 20% der Fälle auftretenden Spätdyskinesien. Ein für die Patienten subjektiv besonders störendes Problem ist die Gewichtszunahme und metabolisches Syndrom unter der Langzeittherapie mit Neuroleptika. Psychotherapie: Im Zentrum steht die supportive Behandlung. Der Arzt muss dem Patienten in realistischer Weise Hoffnung und Mut vermitteln. Informationen über die Erkrankung, ihre Therapie und Behandlungsmöglichkeiten sowie über pathogene Einflussfaktoren sind von großer Wichtigkeit und fördern die Behandlungsmotivation (Psychoedukation). Probleme des täglichen Lebens müssen besprochen werden. Dem für schizophrene Patienten besonders wichtigen Problem der Über- (jede Form von Stress), aber auch der Unterstimulation (z. B. Unterforderung am Arbeitsplatz) ist bei der Beratung besonderes Gewicht beizumessen. Unter den psychotherapeutischen Maßnahmen bekommen verhaltenstherapeutische Ansätze eine zunehmende Bedeutung. Verfahren zur Reduktion kognitiver Defizite und zur Verbesserung der sozialen Kompetenz sowie familientherapeutische Ansätze stehen im Zentrum. Soziotherapie: Verschiedene Maßnahmen gehören zum Behandlungskonzept: -milieutherapeutische Maßnahmen -Arbeits- und Beschäftigungstherapie -rehabilitative Maßnahmen -teilstationäre Behandlungsangebote -Training sozialer Fertigkeiten Bei allen psychosozialen Therapiemaßnahmen muss die Förderung nach dem Prinzip der kleinen Schritte erfolgen. So kann z. B. die Beschäftigungstherapie durch wachsende Anforderungen bezüglich Aufgabenstellung und Kooperation mit den Mitpatienten abgestuft werden. Analog kann auch die Fähigkeit zum eigenständigen Wohnen und zur Selbstversorgung geübt werden. Nach dem vollstationären Aufenthalt erfolgt die weitere Behandlung teilstationär im Rahmen einer Tages- oder Nachtklinik. Von dort kann dann der Weg zu längerfristigen Rehabilitationseinrichtigungen führen (z. B. Wohnheime, beschützende Werkstätten). Bei der soziotherapeutischen Behandlung steht immer das Ziel im Vordergrund, den Patienten so weit wie möglich zu fördern und ihm ein eigenständiges Leben zu ermöglichen. Verlauf Dem Vollbild kann ein Stadium mit untypischen Symptomen vorausgehen (Prodromalstadium). Die akuten Manifestationen dauern Wochen bis Monate. Die Krankheit kann in Schüben (mit Ausbildung einer Restsymptomatik) oder in Phasen (mit völliger Remission) verlaufen. Bei einem geringen Prozentsatz bleibt die produktivschizophrene Symptomatik zeitlebens chronisch bestehen. Bei einem größeren Teil kommt es zu Residualzuständen. Während der akuten Erkrankung, in der Remission und im Residualzustand kann es zu suizidalen Krisen kommen. Nach akuten Erkrankungsepisoden können postpsychotische Depressionen bzw. postremissive Erschöpfungszustände auftreten. Aufgrund einer umfangreichen Katamneseforschung ist die Vielgestaltigkeit des Verlaufs schizophrener Erkrankungen bekannt. M. Bleuler unterscheidet z.B. mehr als 10 Verlaufstypen. Prognose Unter den heutigen Möglichkeiten mit Neuroleptika und verbesserten psychosozialen Therapiemaßnahmen hat sich die Gesamtprognose dieser Erkrankungen wesentlich gebessert. Mehr als 50% haben aber einen ungünstigen Verlauf mit Rezidiven und Residualsymptomatik. Obwohl eine Reihe von Prognosemerkmalen bekannt sind, lässt sich der Verlauf im Einzelfall nicht mit Sicherheit vorhersagen. Faustregel: Je akuter der Beginn, je deutlicher situative Auslöser, desto günstiger die Prognose. Komorbidität Bei Schizophrenen finden sich gehäuft Abhängigkeitserkrankungen (Nikotin-Drogenabhängigkeit; sog. Doppeldiagnose-Patienten).