Zertifizierte(r) Betreuer/-in/ Curator de jure Technische Hochschule Deggendorf Modul Psychologie & Krankheitsbilder Deggendorf, September 2015 Claudia Heuschneider Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Ausgewählte psychische Erkrankungen: - Affektive Erkrankungen (Dr. Simmerl) Schizophrene Psychosen Persönlichkeitsstörungen Suchterkrankungen Demenzen Psychiatrische Diagnostik Schwierigkeit: - Die Ätiologie ist meist nicht zweifelsfrei geklärt - Die Ursachen sind meist multifaktoriell - Es gibt keine objektiv messbaren Parameter wie bei körperlichen Erkrankungen (Labor, CCT) Deskriptive und multidimensionale Befunderhebung und Diagnostik nach der International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, ICD 10 - Die ICD bietet eine genaue symptomatische Beschreibung von Krankheitsbildern und festgelegte Symptom- und Zeitkriterien - „Operationalisierte“ Diagnosestellung - Neben Anamnese und Fremdanamnese sind Labor- und andere auch apparative diagnostische Maßnahmen erforderlich, um körperliche Ursachen ausschließen zu können Schizophrene Psychosen Epidemiologie: - Lebenszeitrisiko 1% - Ca. 240.000 Menschen leiden aktuell an einer schizophrenen Erkrankung - Erkrankungsalter meist um das 20. Lebensjahr, bei Frauen 2. Gipfel nach dem 40. Lebensjahr - Frau zu Mann 1 : 1, Frauen erkranken häufig einige Jahre später - Weltweites Risiko gleich Geschichte: - Eugen Bleuler (1857 – 1939): Gruppe von Schizophrenien - Emil Kraepelin (1865 – 1925): Dementia präcox, sehr ungünstige Prognose - Kurt Schneider (1888 – 1967): Symptome 1. und 2. Ranges, Grundlage für die Einteilung in der ICD, trug viel zum Verständnis ätiologischer Faktoren bei Ätiologie: - Multifaktorielle Genese kann angenommen werden Ätiologische Faktoren: Genetik: - Persönliches Risiko steigt, wenn die Erkrankung in der Familie aufgetreten ist - 1 % Risiko für die Allgemeinbevölkerung, bei einem Angehörigen 1. Grades steigt es auf 10 %, bei zwei betroffenen Elternteilen auf 50 % - Konkordanzrate bei eineiigen Zwillingen 50 %, bei zweieiigen Zwillingen 15 % (höher als bei Geschwistern) - Risiko in Adoptionsfamilien orientiert sich an der Herkunftsfamilie des Adoptivkindes - Einzelne Hinweise auf Genregionen, die Besonderheiten aufweisen, das „Schizophreniegen“ gibt es aber nicht Biochemische Modelle: - Dopaminhypothese der Schizophrenie -- dopaminerge Überaktivierung in bestimmten Hirnregionen führt zu Positivsymptomen -- Dopaminmangel in bestimmten Hirnregionen führt zur Negativsymptomatik - Auch andere Transmittersysteme sind an der Pathogenese beteiligt Hirnmorphologie: - Störungen bei der Ausdifferenzierung der Gehirnhälften im Sinne einer neuronalen Entwicklungsstörung - Möglicherweise Einflüsse auf die Gehirnentwicklung im 2. Schwangerschaftsdrittel - Häufiger finden sich in der Bildgebung „leichte Auffälligkeiten“, wie z.B. leicht vergrößerte Hirnwasserkammern Psychosoziale Belastungsfaktoren: - In unteren sozialen Schichten häufiger - Aber: kein Unterschied bei den Herkunftsfamilien - „Drift-Hypothese“: Durch frühen Erkrankungsbeginn Statusverlust - Stress durch „normale“ Lebensereignisse, der bei entsprechender Vulnerabilität den Erkrankungsbeginn bedingen kann Schizophrenogene Mutter? und ähnliche Hypothesen Familiärer Kommunikationsstil: „high expressed emotions“ oder „double bind“? Es gibt keinen Hinweis, dass bestimmte Kommunikationsstile in der Familie oder der Mutter für die schizophrene Erkrankung eines Kindes verantwortlich sind! "Schuldzuweisende" Hypothesen erscheinen wenig hilfreich Konzept des „Vulnerabilitäts-Stress-Modells“ Vererbt wird nicht die Krankheit, sondern eine höhere Empfindlichkeit (Vulnerabilität) , eine schizophrene Erkrankung zu entwickeln, im Zusammenhang mit anderen Umwelteinflüssen (Stress), die als Auslöser fungieren können Wichtigste Formen der Schizophrenien 1. 2. 3. 4. Paranoide Schizophrenie Hebephrene Schizophrenie Katatone Schizophrenie Schizophrenes Residuum Diagnostik: Eines der unten genannten Symptome (eindeutig vorhanden) 1. Gedankenlautwerden, - eingebung, -entzug, - ausbreitung 2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn oder das Gefühl des Gemachten 3. Kommentierende oder dialogisierende Stimmen 4. Anhaltender, kulturell unangemessener, unrealistischer Wahn Zeitkriterium: länger als 1 Monat bzw. mindestens 2 der folgenden Symptome: 5. Anhaltende Halluzinationen 6. Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss 7. Katatone Symptome 8. Apathie, Sprachverarmung, verflachte oder inadäquate Affekte, nicht auf Depressivität zurückzuführen oder Nebenwirkungen einer Medikation. Erhebliche und anhaltende Veränderungen in einigen Aspekten des persönlichen Verhaltens Paranoide Schizophrenie: Häufigste Form der Schizophrenie. Im Vordergrund stehen die oft dauerhaft vorhandenen paranoiden Wahnvorstellungen, häufig begleitet von akustischen Halluzinationen. Häufige Themen des Wahns: Verfolgung, Beziehung- und Beeinträchtigung, Abstammung, Sendung- und Bestimmung, Eifersucht, Zönästhesien Akustische Halluzinationen: Lautwerden der eigenen Gedanken, kommentierende und dialogisierende Stimmen, beschimpfende und despektierliche Stimmen, imperative Stimmen. Akoasmen: unbestimmte Lautäußerungen, wie Pfeifen, Brummen, Knacken oder auch Lachen, häufig negativ konnotiert oder mit Bedeutungszuweisung Häufig außerdem: Geruchs- und Geschmackshalluzinationen, sexuelle oder andere Körperhalluzinationen, optische Halluzinationen sind möglich, aber nicht das halluzinatorische Bild bestimmend. Formale Denkstörungen wie inkohärentes Denken, Gedankenabbrüche oder Störungen des Affekts Verlauf: - Häufig im Vorfeld unspezifische Symptome, wie Änderung des Befindens, Irritierbarkeit, verminderte Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen - Häufig geht dieses Stadium der ersten Episode Jahre voraus - Häufig episodisch - Ca. 20 % der Betroffenen remittieren vollständig und dauerhaft - Ca. 1/3 der Betroffenen haben einen einigermaßen günstigen Verlauf mit Episoden und gutem Funktionsniveau im Intervall - Ca. 25 % der Betroffenen zeigen Episoden mit überdauernder leichterer Symptomatik im Intervall, die eine soziale Integration erlauben - Ca. 25 % zeigen einen ungünstigen chronischen Verlauf mit rascher Invalidisierung Günstigere Prognose bei: - Weiblichem Geschlecht - Stabiler Partnerschaft - Guter prämorbider Anpassung mit späterem Erkrankungsbeginn - Akuter Erstmanifestation mit vorwiegender Postitivsymptomatik - Rascher und weitgehender Remission Hebephrene Schizophrenie: Im Vordergrund stehen die Störungen von Affekt und eine Desorganisation des Denkens, weniger die wahnhafte paranoide Symptomatik, wobei diese flüchtig und bruchstückhaft vorhanden sein kann. Charakteristisch: - Inadäquat läppisch gehobene Grundstimmung, leerekritiklose Heiterkeit - Formale Denkstörungen in Form von desorganisiertem Denkablauf - Flapsig anmutendes, unberechenbares, verantwortungslos anmutendes Verhalten, Affektverflachung - Sprache oft weitschweifig und zerfahren, manieristisch - Verlust des zielgerichteten Antriebs - Früher Erkrankungsbeginn - Schlechte Prognose (Kraepelins „Dementia präcox“) Katatone Schizophrenie Wird heute in den Industrieländern viel seltener gesehen als in wenig entwickelten Gesellschaften oder auch früher bei uns. Ein schwerer katatoner Zustand ist ein psychiatrischer Notfall! Vor der Möglichkeit der medikamentösen Behandlung starben schizophrene Patienten nicht so selten im Rahmen von katatonen Zuständen. Symptomatik: - Stupor (Bewegungsstarre bei wachem Bewußtsein) - Stuporöse Zustände verhindern Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme - Rigor (Starre) der Muskulatur - Kataleptische Phänomene, Flexibilitas cerea (wächserne Biegsamkeit) - Befehlsautomatismen, Echolalie, Echopraxie - Umschlagen von der Starre in einen katatonen Erregungszustand möglich - Entwicklung einer febrilen Katatonie möglich mit Fieber, Muskelanspannung, Schwitzen und schnellem Herzschlag Schizophrenes Residuum Im Verlauf einer schizophrenen Erkrankung auftretender Zustand mit Verflachung und Apathie, Verlangsamung des Gedankenganges und Verlust von Interessen und Antrieb, kognitiven Beeinträchtigungen und autistischem Rückzug - Reines Residuum: Gekennzeichnet durch die Negativsymptomatik ohne nennenswerte produktive Symptomatik - Gemischtes Residuum: Negativsymptomatik mit Restwahn und anderer wenig drängender schizophrener Symptomatik Diagnosestellung der schizophrenen Erkrankungen: Klinische Diagnose anhand der typischen Symptomatik Differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden müssen: - Organische Psychosen, z.B. hirneigene Schädigungen, Infektionen (früher die progressive Paralyse), Allgemeinerkrankungen mit Auswirkungen auf das Gehirn (z.B. Tumorerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen) - Substanzmißbrauch, insbesondere Amphetamine und Halluzinogene (Kokain, Crack, Crystal-Meth, aber auch Cannabis) Behandlung - Medikamentös Psychotherapie Soziotherapie Angehörigenarbeit Elektrokrampftherapie Medikamentöse Behandlung: - Neuroleptika, „Antipsychotika“ - Benzodiazepine zur Angstlösung Neuroleptika / Antipsychotika: - Typische Neuroleptika: z.B. Haldol, Glianimon, Fluanxol, Atosil, Neurocil : ältere Substanzen mit hoher Wirksamkeit, aber auch hohem Nebenwirkungspotential - Das erste Neuroleptikum Chlorpromazin (1950): Eigentlich auf der Suche nach einem Antiallergikum wurde die Substanz an psychiatrischen Patienten getestet. Die antiallergische Wirkung war nicht so ausgeprägt, es zeigte sich jedoch, dass schizophrene Patienten ruhiger und weniger wahnhaft wurden. Es wurde als „Largactil“ (in Amerika „Thorazine“) zugelassen und zeigte eine ähnlich gute Wirkung wie die damals bei schizophrenen Erkrankungen durchgeführte Lobotomie. - Andere Behandlungsmöglichkeiten damals in Deutschland: Eisbäder, Insulinschocks, Elektrokrampftherapie Nebenwirkungen von typischen Neuroleptika - Extrapyramidale Nebenwirkungen, wie ein induziertes Parkinsonoid mit Muskelsteifigkeit, Zittern und Bewegungsarmut, Sitzunruhe (Akathisie) - Frühdyskinesien, wie Zungen-Schlund-Krämpfe mit der Unmöglichkeit zu schlucken, Versteifung und Verdrehen der Nacken- und Schultermuskulatur, sehr gut behandelbar mit Akineton (Biperiden) - Spätdyskinesien: unwillkürliche Bewegungen, meist im Mundbereich oder der Finger nach längerer Therapie mit Neuroleptika Atypische Neuroleptika: Neuere Substanzen, entwickelt in den letzten 20 Jahren mit deutlich weniger extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen, allerdings auch mit geringerer neuroleptischer Potenz, die teilweise auch erhebliche andere Nebenwirkungen besitzen. Beispiele: Risperidon, Olanzapin, Ziprasidon, Aripiprazol (Abilify). Problematische Nebenwirkungen: Gewichtszunahme, Entwicklung eines Diabetes, Verlängerung von Herzzeiten Besonderes atypisches Neuroleptikum: Clozapin - eigentlich als Antidepressivum entwickelt - Mitte der 60-er Jahre bei schizophrenen Patienten getestet, hier zeigte sich eine gute antipsychotische Wirkung ohne extrapyramidale Nebenwirkungen - 1972 als Leponex zugelassen Leponex (Clozapin): - 1975 Finnische Epidemie: 16 Patienten entwickelten innerhalb kurzer Zeit eine schwere Verminderung der weißen Blutkörperchen, 8 von ihnen starben - Verbot der Substanz in Finnland, Zulassung in USA erst 1990 - In Deutschland kein Verbot, aber seither müssen besondere Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden Vorsichtsmaßnahmen unter Leponex: - Verwendung, wenn 2 andere Neuroleptika keine ausreichende Wirkung zeigten oder nicht tolerable Nebenwirkungen - Aufklärung des Patienten oder bei einwilligungsunfähigen Patienten des Betreuers - In den ersten 18 Wochen wöchentliche Kontrolle des Differentialblutbildes - Absetzen bei Entwicklung einer Leukopenie - 1 % der Patienten entwickeln eine Leukopenie, wahrscheinlich bei einer bestimmten genetischen Konstellation - Bei regelmäßiger Kontrolle kann die Entwicklung einer Leukopenie rechtzeitig erkannt werden, nach Absetzen von Leponex sind die Blutbildveränderungen meist in wenigen Tagen rückläufig - Bei Weiterverordnung besteht die Gefahr, dass der Patient verstirbt - Besonders kritisch sind die 7. bis 10. Behandlungswoche, prinzipiell ist die Entwicklung eine Leukopenie aber auch nach Jahren guter Verträglichkeit möglich Weitere medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten: Benzodiazepine: - z.B. Valium (Diazepam), Tavor (Lorazepam), Tranxilium (Chlorazepat) - „Tranquilizer“, wirken beruhigend und angstlösend - Haben ein Abhängigkeitspotential bei längerer unkritischer Anwendung - Sehr gut und schnell wirksam bei psychotischer Angst und Unruhe, schlaffördernd und beruhigend, sind ein Segen für akut psychotische Patienten! - Sehr gute Wirksamkeit bei katatonen Patienten, Patienten können z.B. nach Tavorgabe oft wieder sprechen, trinken und essen! Medikamentöse Behandlung der Schizophrenie: - Akutbehandlung oft mit höheren Dosen von nebenwirkungsreicheren Präparaten notwendig. Akutnebenwirkungen sind gut behandelbar. - Im Intervall Rezidivprophylaxe mit besser verträglichen Präparaten angestrebt - Durch Rezidivprophylaxe lassen sich Rückfälle vermeiden, bzw. treten diese seltener auf, auftretende Episoden verlaufen milder, benötigen nicht immer eine stationäre Aufnahme - Weniger Rückfälle senken das Risiko von residualen Entwicklungen und kognitiven Defiziten Empfehlung zur Rezidivprophylaxe: - Nach einer ersten Episode 2 Jahre medikamentöse Rezidivprophylaxe empfohlen, danach langsames Absetzen der Medikation verantwortbar. Unter Berücksichtigung der individuellen Umstände (familiäre Erkrankungen, lange, schwer behandelbare erste Episode, andere Belastungsfaktoren) evt. längere Behandlungsdauer - Nach einer zweiten Episode 5 Jahre Rezidivprophylaxe empfohlen - Bei mehr als 2 Episoden ist eine langfristige Behandlung empfohlen Psychotherapie bei schizophrenen Psychosen: - In der Akutphase stehen medikamentöse Behandlung, Beruhigung und Schutz des Patienten im Vordergrund - Keine „aufdeckenden“ oder psychoanalytischen Verfahren - Herstellung einer vertrauensvollen Beziehung - Psychoeduktion - Orientierung an der aktuellen Problematik, Hilfe bei der Krankheitsverarbeitung, Training der Alltagsfähigkeiten - Bei persistierender Positivsymptomatik Hilfe bei der Entwicklung von Kompetenzen zum Umgang mit der Restsymptomatik Soziotherapie: - Hilfe bei der Wiedereingliederung - Rehabilitative Verfahren, insbesondere berufliche Rehabilitation - Angehörigenarbeit Elektrokrampftherapie als besondere Therapieform: - In Deutschland seltene Indikationsstellung bei schizophrenen Psychosen - Bei therapieresistenter Katatonie - Bei therapieresistenter Schizophrenie - Durchführung in einzelnen Kliniken, z.B. Klinikum Ingolstadt, LMU München - Kurzer Stromimpuls unter Narkose, der Betroffene verspürt keine Schmerzen - Risiko ergibt sich im wesentlichen aus dem Narkoserisiko (kurze Narkose ohne Intubation) - Durchführung i.d.R. 3 x wöchentlich über einige Wochen, bei guter Wirksamkeit sind Erhaltungs-EKTs möglich (zunächst 1 x wchtl, dann seltener) - Auch bei nicht eintretender Sofortwirkung sprechen die Patienten nach der EKT manchmal wieder besser auf Medikamente an - Nebenwirkung: Konzentrationsstörungen und vorübergehende kognitive Störungen Akut bedrohliche Nebenwirkungen einer neuroleptischen Medikation: - Kardiale Nebenwirkungen - Malignes neuroleptisches Syndrom Malignes neuroleptisches Syndrom - Selten (bei weniger als 0,1 % der mit Neuroleptika Behandelten) - Fieber, Muskelsteifigkeit, Bewußtseinstrübung, Blutdruckschwankungen, Herzrhythmusstörungen - Schwierigkeit: Symptomatik ist der bei der katatonen Schizophrenie sehr ähnlich - Bei Katatonie: Hochdosierte Gabe von Neuroleptika - Bei MNS: Absetzen der Neuroleptika! Besondere Probleme der Erkrankung: - „Teure“ Erkrankung aufgrund der Manifestation im jungen Erwachsenenalter mit häufiger Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit, Krankenhausaufnahmen, lange stationäre Behandlungen - Im Verlauf nicht selten Notwendigkeit von beschützenden Wohnformen und Einrichtung einer Betreuung - Hohes Suizidrisiko (15 % der Erkrankten sterben durch Suizid) - Komorbiditäten durch Depressionen und Suchterkrankungen - Komorbiditäten somatischer Erkrankungen, wie Diabetes, Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebserkrankungen, die Lebensjahre kosten Sonstige wahnhafte und psychotische Störungen nichtorganischer Genese: - Schizoaffektive Störungen - Akute schizophreniforme Störung - Akute polymorphe psychotische Störung mit und ohne Symptome einer Schizophrenie - Anhaltende wahnhafte Störung Schizoaffektive Störungen Affektive Symptome (depressiv oder manisch) vor dem Hintergrund einer typisch schizophrenen Symptomatik Diagnose, die in den letzten Jahrzehnten unterschiedlich häufig gestellt wurde. Affektive Symptome sind innerhalb der Gruppe der schizophrenen Psychosen häufig. Ca. 10 – 20 % sind der Psychosen mit schizophrener Symptomatik sind (wahrscheinlich) den schizoaffektiven Störungen zuzuordnen. Nach ICD 10 charakterisiert als episodische Störung, bei der affektive und psychotische Symptome gleichzeitig auftreten. Es sollten eindeutige schizophrene und eindeutige affektive Symptome vorhanden sein. In der psychiatrischen Literatur wurde der schizoaffektiven Störung eine günstigere Prognose, als den schizophrenen Psychosen zugeschrieben bezüglich der Ausbildung einer residualen Symptomatik. Nach langem Krankheitsverlauf zeigen sich aber doch nicht so selten residuale Zustände und eine Verschiebung hin zu schizophrener Symptomatik. Therapie: - Medikamentös sind neben den Neuroleptika häufig Gaben von Antidepressiva erforderlich - Stimmungsstabilisierer Lithium oder Antikonvulsiva sind empfohlen (Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotrigin) Akute polymorphe psychotische Störung mit oder ohne Symptome einer Schizophrenie Symptomatik: - Rascher Beginn, oft aus der Gesundheit heraus - Sehr wechselnde (polymorphe) Symptomatik mit starker emotionaler Beteiligung (alter Begriff „Angst-GlücksPsychose“) - Von Beginn bis zum Ende der Symptomatik ist das Zeitkriterium 1 Monat, mit und ohne Behandlung Erfordernisse: - Bei ausgeprägter Symptomatik Krankenhauseinweisung zum Schutz des Betroffenen erforderlich - Häufig kein Krankheitsgefühl, so dass trotz der günstigen Prognose manchmal vorläufige Betreuungen notwendig werden - Symptomatische medikamentöse Behandlung - Rezidivprophylaxe empfohlen, da zwar die Prognose gut ist, aber ein Rezidivrisiko besteht Anhaltende wahnhafte Störung Symptomatik: - Anhaltende Wahnbildung - Keine sonstigen schizophrenen Symptome, wie formale Denkstörungen oder Störungn des Ich-Erlebens oder halluzinatorische Wahrnehmungen - Bei längerem Bestehen verdichten sich die Wahnideen und können die gesamte Lebens- und Erfahrungswelt bestimmen Besondere Problematik: - Oft über lange Zeit gute Alltagsfunktion trotz der Wahnideen - Häufig im langen Verlauf aber Beeinträchtigung der sozialen Bezüge und zunehmende Verdichtung der Wahnideen - Häufig haben die Wahnideen den Inhalt von der Umwelt beeinträchtigt zu werden. Hier ergibt sich die Gefahr von Aggressionen und Gewalttätigkeiten gegenüber unbeteiligten Dritten Therapie: - Schwierig! Häufig chronifiziert und manchmal jahrzehntelang unbehandelt - Versuch mit Neuroleptika (hochdosiert) trotzdem angezeigt - Manchmal gelingt es mit dem Betroffenen einen für ihn akzeptablen Behandlungsgrund zu finden. „Ich bin zwar nicht krank, aber ich habe soviel Stress, dass mir die Medikamente dabei helfen, diesen verkraften zu können“. Schizophrene und schizoaffektive Psychosen: Besonderheiten im Umgang: Akute Phase: - Kurz und klar Anliegen und Angebot ansprechen, nicht zu viele Wahlmöglichkeiten bieten - Akzeptanz, wenn Betroffener Unterbrechungen möchte - Nicht über die Wahnideen diskutieren - Bei logorrhoischen Betroffenen ist es legitim, das Gespräch zu beenden - Eventuelle Beleidigungen nicht persönlich nehmen, sie entspringen zu 98 % der Erkrankung des Betroffenen Bei gebessertem Zustand: Beziehung herstellen, die der Betroffene akzeptieren kann Ruhige Umgebung suchen, Störungen vermeiden Konkrete Anliegen klar ansprechen, Lösungen anbieten Gesprächsinhalte zusammenfassen, eventuelle kognitive Defizite beachten - Gespräch vorbereiten, um bei noch vorliegenden Denkstörungen den Gesprächsablauf strukturieren zu können, mehr konkrete Fragen stellen, auf die der Betroffene kurz antworten kann - Organische psychiatrische Störungen - Demenzen - Organisch amnestisches Syndrom (M. Korsakow) - Psychische Störungen oder Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen aufgrund der Schädigung des Gehirns Demenzen: - Demenz vom Alzheimer Typ - Vaskuläre Demenz - Andere Demenzformen -- Demenz bei Pick-Krankheit -- Demenz bei Chorea Huntington -- Demenz bei HIV Erkrankung Epidemiologie: - 200.000 Neuerkrankungen pro Jahr - Frau : Mann 2 : 1 - Häufigste Demenzform: Alzheimer Demenz Definition: - Nachlassen der Gedächtnisleistung Beeinträchtigung des Denkvermögens Abnahme der Urteilsfähigkeit Verlangsamte Informationsverarbeitung Fehlende Bewußtseinsstörung Zeitkriterium: mindestens 6 Monate Was im Alltag neben den Gedächtnisstörungen auffällt: - Aphasie: Sprachstörung, z.B. Wortfindung gestört - Akalkulie: Rechenstörung (konnte Betroffener vorher) - Apraxie: Störung von Handlungs- und Bewegungsabläufen (z.B. zuerst den Kaffee in die Maschine, dann den Filter) - Störung der visuell-räumlichen Integration: Störung der räumlichen Orientierung, z.B. kann eine Uhrzeit nicht mehr eingetragen werden Diagnostik: - Klinische Diagnostik mit Testung, Kurztest Mini-Mental-State - Bildgebung (CCT, MRT) des Gehirns Alzheimer Demenz - Häufigste Demenzform: 60 – 80 % - Langsam fortschreitende neurodegenerative Erkrankung - Nichtlösliche Amyloid-Plaques und Neurofibrillen lagern sich im Gehirn ab, Zellen in der Umgebung sterben ab - Dadurch Hirnsubstanzminderung, aber auch fehlende Transmitterproduktion (Acetylcholin), die für Gedächnisund andere kognitive Funktionen erforderlich ist - Ursache für die Bildung der unlöslichen Plaques nicht sicher geklärt - Selten: autosomal dominante Genmutation mit tragischen, sehr früh beginnenden Verläufen - Meist vereinzeltes Auftreten von Demenzerkrankungen nach dem 65. Lebensjahr, auch hier familiäre Häufungen - Schleichender Beginn - Stetige Verschlechterung Risikofaktoren: - Hohes Alter - Leichte kognitive Störungen im Vorfeld - Dementielle Erkrankungen bei Verwandten 1. Grades Therapie: - Training von Kognition, Realitätsorientierung, Psychoedukation, Hilfe bei der Akzeptanz unter Einbeziehung der Angehörigen - Mediakamentös: Antidementiva mit Aufklärung über die Grenzen der Medikation - Behandlung von Depressivität, Aggressivität und anderen Verhaltensstörungen - Hilfen in der Alltagsbewältigung Verlauf: - Zwischen 65 und 80 Jahren Dauer von der Diagnose der ersten kognitiven Störungen bis zu Tod im Durchschnitt 8 Jahre - Interindividuell verschieden, intelligente und gebildete Betroffene bauen langsamer ab Vaskuläre Demenz - Dementielle Entwicklung aufgrund von Erkrankungen der Hirngefäße, oft als Folge von Herz-Kreislauf-Erkrankungen - Häufig viele kleine Infarkte im Gehirn, deren Anzahl irgendwann eine kritische Grenze überschreitet - Manchmal akuter Beginn nach einem größeren Schlaganfall - zweithäufigste Form der Demenz - Mehr Männer als Frauen betroffen - Häufiger plötzlicher Beginn, stufenartige Verschlechterungen Therapie: - Eher in der Vorbeugung, z.B. Blutdruckeinstellung, Diabetesbehandlung - Versuch mit Antidementiva Frontotemporale Demenz, Morbus Pick - 5 bis 20 % aller Demenzen - Nach der Alzheimer Demenz zweithäufigste Ursache für eine präsenile Demenz - Wahrscheinlich genetische Mitbeteiligung, genauer Genort nicht bekannt - Bildung von spezifischen Strukturen in frontotemporalen Hirnregionen Symptomatik: - Vor den Gedächtnisstörungen Wesensänderung mit Verhaltensstörungen - Insbesondere Enthemmung (auch sexuell), gestörte Impulskontrolle, manchmal asoziales, stereotypes oder ritualistisches Verhalten - Oder auch Beginn eher mit Apathie, Passivität, Indifferenz, Antriebsstörung und sozialem Rückzug, manchmal auch Wechsel zwischen den beiden Extremen - Früher Beginn vor dem 65. Lebensjahr häufig - Keine Krankheitseinsicht - Kritiklosigkeit, Sturheit, Neigung zum „Witzeln“, hypomanische Züge - Emotionale Verarmung, manchmal Verrohung - Verlust von persönlicher Hygiene und Kleidungsgewohnheiten - Veränderung von Essgewohnheiten, manchmal kritikloses Essen - Manchmal Halluzinationen oder Depressivität - Im Verlauf zunehmende Gedächtnisstörungen und Verlust der kognitiven Fähigkeiten Diagnostik: - Klinisch - Typische bildgebende Befunde Therapie, Verlauf, Prognose: - Keine Therapiemöglichkeiten - Chronisch fortschreitender Verlauf - Tod ca. 8 Jahre nach Diagnosestellung Demenz bei Chorea Huntington - Chorea Huntington ist eine autosomal dominant vererbte Erkrankung. Trägt man die Genmutation erkrankt man mit 100 %-iger Sicherheit! - Die Wahrscheinlichkeit, die Mutation an die Nachkommen weiterzugeben liegt bei 50 % - Häufigkeit 2 bis 7 /100.000 Einwohner - Erkrankungsbeginn in der Regel nach dem 40. Lebensjahr - In den folgenden Generationen manchmal Vorverlegung des Ersterkrankungsalters Symptomatik: - Schleudernde Bewegungsstörungen, v. a. der Arme und Beine, im Verlauf langsamere gleitende Bewegungsunruhe - Häufig frühe Persönlichkeitsveränderungen , die der neurologischen und dementiellen Symptomatik um Jahre vorausgegen wollen: Betroffene können reizbar und misstrauisch werden, Verwahrlosungstendenz - Häufig psychiatrische Auffälligkeiten im früherem Verlauf: Depressionen, maniforme Episoden, schizophrenieforme Ausprägungen, Neigung zur Aggressivität Therapie, Verlauf und Prognose: - Keine Therapiemöglichkeiten Hilfen bei der Krankheitsverarbeitung, Angehörigenarbeit Medikamentöse Therapie der Begleiterkrankungen Verlauf individuell unterschiedlich, im Schnitt 10 bis 12 Jahre von der Diagnosestellung bis zu Tod Demenz bei HIV-Erkrankung - Wird insgesamt seltener aufgrund der besseren Therapiemöglichkeiten der HIV-Infektion - In späten Stadien einer HIV-Infektion kann es zu einem direkten Befall von Hirnzellen durch das HI-Virus kommen, die zu neurologischen Ausfällen und dementiellen Syndromen führen können Besonderheiten im Umgang mit Demenzpatienten: - Ruhige Umgebung, Störungen vermeiden - Vorbereitung auf das Gespräch, klare Formulierung der Anliegen - Eher kurze Gesprächsdauer mit wenigen Anliegen, Ermüdung beachten - Angehörige, oder auch vertraute Pflegekräfte mit einbeziehen. Vorsicht vor der „guten Fassade“ der Betroffenen. Ausgewählte Persönlichkeitsstörungen - Dissoziale Persönlichkeitsstörung - Borderline-Persönlichkeitsstörung Persönlichkeitsstörung - Tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster, die starre und unflexible Reaktionen begründen - Deutliche Abweichung im Vergleich zur Mehrheit der Bevölkerung im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in Beziehungen zu anderen - Gehen häufig mit Leiden und gestörter Funktions- und Leistungsfähigkeit einher - Beginn: i.d.R. in Kindheit und Jugend Leitlinien für Persönlichkeitsstörungen: 1. Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken, sowie in Beziehungen zu anderen 2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheit begrenzt 3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend 4. Die Störungen beginnen immer in Kindheit und Jugend und manifestieren sich überdauernd im Erwachsenenalter 5. Die Störung führt zu deutlichem subjektivem Leiden (oder Leiden der Umwelt), manchmal erst im späteren Leben 6. Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden Dissoziale Persönlichkeitsstörung 1. Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer 2. Deutliche und andauernde Verantwortungslosigkeit und Mißachtung sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen 3. Unvermögen zur Beibehaltung längerfristiger Beziehungen, aber keine Schwierigkeiten Beziehungen einzugehen 4. Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, auch gewalttätiges Verhalten 5. Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewußtsein oder zum Lernen aus Erfahrung, insbesondere aus Bestrafung 6. Neigung andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisierungen für das eigene Verhalten anzubieten, durch welches die Person in Konflikt mit der Gesellschaft geraten ist - Häufig bei Straftätern in Gefängnissen und Forensischem Vollzug anzutreffen - Besonders problematisch bei Betroffenen mit psychopathischen Zügen: • trickreich sprachgewandte Blender mit oberflächlichem Charme • erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl • pathologisches Lügen (Pseudologie) • betrügerisch-manipulatives Verhalten • Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein • oberflächliche Gefühle • Gefühlskälte, Mangel an Empathie • mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsive Typ: - emotionale Instabilität - mangelnde Impulskontrolle - Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten, vor allem bei Kritik Emotional instabile Persönlichkeitsstörung Vom Borderline-Typ: Emotionale Instabilität, zusätzlich Schwere Störung des Selbstbildes Chronisches Gefühl der inneren Leere Neigung zu intensiven, aber unbeständigen Beziehungen, was zu immer wieder zu emotionalen Krisen führt - Intensive Anstrengungen nicht verlassen zu werden - Häufige Suiziddrohungen, suizidalen Handlungen und Selbstverletzungen - Verlauf und besondere Problematik - Bei schwerem Verlauf erhebliches Leiden mit reduzierter Lebenserwartung durch Suizide und Komorbiditäten - Am häufigsten Komorbidität durch depressive Erkrankungen (70 %) - Häufig, ca. 30 % Substanzmißbrauch (manchmal als Ausdruck von Selbstverletzung) - Zu 30 % posttraumatische Belastungsstörung nach frühen Traumatisierungen - Manchmal Übergang in bipolare Störungen und psychotische Dekompensationen Besonderheiten im Umgang mit Persönlichkeitsstörungen: Dissoziale Persönlichkeitsstörung: - Wissen um den möglichen „dissozialen Charme“!, immer die notwendige Abgrenzung beachten - Hilfe zur Selbsthilfe - Wissen um die Neigung, andere verantwortlich zu machen Borderline-Persönlichkeitsstörung: - Klare Beziehungsgestaltung mit klar definierter Abgrenzung (z.B. wer ist Ansprechpartner im Notfall, z.B. in suizidalen Krisen, nach Selbstverletzungen ) - Wertschätzender Umgang, insbesondere in Krisensituationen - Positive Rückmeldung bei passendem Sozialverhalten, oder wie eine stressige Situation gemeistert wurde Suchterkrankungen 1. Störungen durch Alkohol 2. Störungen durch Opioide 3. Störungen durch Cannabinoide 4. Störungen durch Hypnotika und Sedativa 5. Störungen durch Kokain 6. Störungen durch Stimulanzien einschließlich Koffein 7. Störungen durch Halluzinogene 8. Störungen durch Tabak 9. Störungen durch flüchtige Lösungsmittel 10. Störungen durch multiplen Substanzgebrauch und Konsum anderer psychotroper Substanzen Abhängigkeitskriterien: 1. Ein starker Wunsch oder Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren 2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des Konsums 3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Verringerung des Konsums 4. Toleranzentwicklung gegenüber einer Substanz, d.h. um die gleiche Wirkung hervorzurufen, muss eine höhere Dosierung konsumiert werden 5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügungen und Interessen zugunsten des Substanzkonsums, hoher (Zeit-)Aufwand zur Substanzbeschaffung oder –konsum 6. Anhaltender Konsum trotz schon bereits eingetretener Schäden Drei der Kriterien lagen im Verlauf des letzten Jahres den überwiegenden Teil der Zeit vor. Abhängigkeit von Alkohol Epidemiologie: - Derzeit ca. 1,6 Millionen mit einer Alkoholabhängigkeit - Ca. 2,7 Millionen betreiben einen schädlichen Gebrauch - Durchschnittliche Trinkmenge pro Jahr ca. 10 Liter reiner Alkohol (ein Bier enthält ca. 18 bis 20 g Alkohol) - Ca. 42 000 Todesfälle als alkoholbedingter Folgeschaden - Ca. 20 Milliarden € als Folgekosten alkoholassozieerter Erkrankungen Ursachen: - Multifaktoriell Soziale Ursachen Psychische Begleit- und Vorerkrankungen Familiäre Umstände, „Vorbildfunktion“ Genetische Grundlagen Genetische Mitbeteiligung: - Relativ hoch: adoptierte Kinder alkoholkranker leiblicher Eltern nehmen ein 4-fach erhöhtes Risiko der Entwicklung einer Suchterkrankung mit in die Adoptivfamilie - Genetisch: Gute Alkoholtoleranz! Andersrum: Eine schlechte Verträglichkeit von Alkohol schützt vor der Abhängigkeitsentwicklung - Eine typische „Alkoholikerpersönlichkeit“ gibt es aber nicht Folgeschäden: - Neurologisch: -- Polyneuropathie (Kribbeln und Schmerzen, vor allem in den Beinen und Waden) -- Myopathien (Muskelschmerzen- und Muskelzerfall) -- Kleinhirnatrophie (breitbeiniges, unsicheres Gangbild) -- Entwicklung von Krampfanfällen, anfangs im Entzug -- spezifische Hirnschädigungen mit daraus folgenden Verhaltensauffälligkeiten und im Verlauf dementieller Entwicklung, z.B. Wernicke-Korsakow-Syndrom Wernicke-Korsakow-Syndrom - Augenbewegungsstörungen, Ataxie, Bewusstseinsstörungen - Ursache: Vitamin-B1-Mangel führt zur Hirnschädigung, die zu einem akuten, lebensbedrohlichem Zustand führen kann - Bei rechtzeitiger Erkennung und Therapie kann der Tod verhindert werden - Häufig aber Übergang in ein Korsakow-Syndrom mit -- weitgehendem Verlust des Altgedächtnisses -- schwere Merkfähigkeitsstörung -- Verwirrtheit -- Erinnerungslücken werden durch Konfabulationen gefüllt (sich einen Umstand einfach nach 10 Minuten noch einmal berichten lassen) -- manchmal kann in der Pflegeeinrichtung eine gute Fassade entstehen Alkoholentzugssyndrom: - Zittern, Schwitzen, Tachykardie, Blutdruckschwankungen - Schmerzen, Durchfälle, Übelkeit - Behandlung mit Clomethiazol (Distraneurin) oder Benzodiazepinen - Clomethiazol und Benzodiazepin sind selbst suchterzeugend, daher Behandlung damit nur stationär - Bei stärkerer Abhängigkeit Entgiftung stationär empfohlen wegen Risiko von Krampfanfällen im Entzug und Gefahr eines Delirs Alkoholentzugsdelir: - Kurz dauernd, aber lebensbedrohlich bei weniger als 5 % der Entgiftungen - Bewußtseinsstörungen mit Desorientiertheit, psychomotorischer Unruhe, optischen und akustischen Halluzinationen, Schlaflosigkeit - Übererregbarkeit des Herz-Kreislauf-Systems - Elektrolyt- und Zuckerentgleisungen - Behandlung auf einer Intensivstation mit sedierenden und antipsychotischen Medikamenten - Häufig Fixierungsmaßnahmen erforderlich Behandlung: - Entwöhnungstherapien in Fachkliniken Abstinenzrate im 4-Jahres-Verlauf ca. 46 %! Rückfälle sind häufig, gehören zur Erkrankung Konsequente Nachsorge Eventuelle pharmakologisch gestützte Rückfallprophylaxe (Campral, Naltrexon, Antabus, Selincro) Drogen- und Medikamentenabhängigkeit - Allgemeine Suchtkriterien ähnlich wie bei Alkohol Heute auch häufig Komorbidität mit Alkohol Komorbidität mit einer Reihe psychiatrischer Störungen Bei Drogenabhängigkeit, z.B. Heroin entstehen die Folgeschäden nicht durch die Substanz, sondern die Umstände der Drogenbeschaffung, sozialer Veränderungen Herausforderungen von heute: - Probleme durch die „Legal highs“ - Heutige Cannabispflanzen enthalten viel mehr THC als vor 20 Jahren! - Billiges Crystal Meth im Grenzgebiet zu Tschechien, Crystal ist direkt neurotoxisch! Besonderheiten im Umgang mit Suchtpatienten Alleine wegen einer Suchterkrankung erfolgt in der Regel keine Betreuerbestellung. Eine Betreuung kann eingerichtet werden, wenn alkoholassoziierte Folgeerkrankungen eingetreten sind, die einen Hilfebedarf bedingen. Besonderheiten im Umgang mit Suchtpatienten - Wertschätzender Umgang - Bewußtsein darüber, dass Rückfälle und oberflächliche Krankheitseinsicht zur Krankheit gehören - Keine Übernahme von Verantwortung für einen Rückfall des Betroffenen - Cave: Co-Abhängigkeit - Co-Abhängigkeit: Durch ihr Tun oder Nicht-Tun fördern Angehörigen oder Behandler die Suchterkrankung, lassen sich übermäßig in die Erkrankung einbinden und leiden selber darunter - Suchtkranke sind häufig (unbeabsichtigt) manipulativ, machen den Helfer zu ihrem Mittelpunkt - Angehörige werden zu Beschützern, in der Hoffnung dem Kranken bei der Überwindung der Sucht zu helfen (Anruf beim Arbeitgeber, „Ich bin ans Auto des Nachbarn gefahren“ etc.) - Angehörige werden zu Kontrolleuren, verdecken damit Defizite des Betroffenen