01 Intelligenz

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Kapitel 1
Schizophrene Störungen – Eine Kurzbeschreibung von
Erkrankung und Verlauf
1.1 Beschreibung der Symptomatik
Das Störungsprofil schizophrener Erkrankungen ist
ausgesprochen vielgestaltig. Nicht zufällig sprach
Eugen Bleuler ja denn auch vor ca. 100 Jahre von
der „Gruppe der Schizophrenien“ (Bleuler, 1911),
um eben dieser Vielgestaltigkeit der klinischen
Ausprägung Rechnung zu tragen. Im Folgenden
werden wir die wichtigsten Symptome bei schizophrenen Störungen beschreiben, möchten aber
bzgl. der diagnostischen Leitlinien im Detail auf
das Kapitel 1.3 dieses Buches verweisen. Ebenso
erfolgt die Darstellung wichtiger kognitiver, sozial-kognitiver und emotionaler Verarbeitungsstörungen ausführlich in den Kapiteln 2.1 und 2.2
dieses Buches. Stimmenhören und wahnhafte
Symptomatik spielen im Beschwerdeprofil der
Patienten eine wichtige Rolle und sollen daher
zuvorderst dargestellt werden (Vauth & Stieglitz,
2007):
Halluzinationen:
– Wahrnehmungen ohne entsprechende Reizquelle.
– Akustische Halluzinationen etwa bei 50 %
aller Personen mit schizophrenen Erkrankungen, visuelle Halluzinationen bei 15 %
und haptische oder taktile bei 5 % (Cutting,
1995).
Die häufigste akustische Halluzination ist das
Stimmenhören. Andere akustische Sinnestäuschungen wie undifferenzierte Geräusche oder Knallen
(sog. Akoasmen) sind viel seltener. Die Stimmen
können laut und deutlich oder leise und verschwommen vernommen werden, aus der Nähe
oder aus der Ferne, aus der Außenwelt oder dem
eigenen Körper kommen. Häufig können die Patienten angeben, ob es sich um eine männliche
oder weibliche Stimme handelt, aber nicht, zu
wem diese gehört. Üblicherweise werden nur re-
lativ kurze Sätze oder einzelne Worte vernommen.
Bestimmte Formen des Stimmenhörens sind für
schizophrene Störungen so charakteristisch, um
die Diagnose einer schizophrenen Störung im
ICD-10 zu rechtfertigen. Sie wurden von Kurt
Schneider als sog. Symptome ersten Ranges bezeichnet (Schneider, 1992). Hierunter fasst man
sog. dialogische, kommentierende oder imperative Stimmen.
Dialogische, kommentierende und
imperative Stimmen:
– Dialogische Stimmen hört der Patient in
Form von Rede und Gegenrede. Andere
unterhalten sich über ihn: „Sie können sich
das nicht vorstellen, aber die Nachbarn
haben plötzlich mit dem lokalen Radiosender zusammen in der Nachbarswohnung
eine Sendung über mich gemacht; ich
konnte das direkt durch die Wand im meiner Wohnung hören.“
– Bei kommentierenden Stimmen berichten
die Patienten, dass die Stimmen die Ausführung von Alltagshandlungen kommentierten, wenn sie sich z. B. anziehen oder
wenn sie die Salatschüssel von der Küche
hinüber ins Esszimmer tragen: „Jetzt zieht
er sich an.“ oder „Jetzt trägt sie die Salatschüssel herüber.“
– Imperative Stimmen geben Anweisungen in
der Art: „Tu’ dies … Lass das …“.
Bei optischen Halluzinationen werden von den Patienten nicht alltägliche oder auch bizarre Bilder
geschildert. Beispiele hierfür, die Cutting (Cutting, 1995) in einer Übersicht aufführt sind etwa:
„Ein großes Tier wie ein Polyp“, „Etwas wie eine
Maus, die über den Flur läuft“, „Luftspiegelungen
in einer Wüste“ oder „Rattenschwanz, der aus dem
eigenen Gesäß kommt“. Beim Vorhandensein von
taktilen (leiblichen) Halluzinationen fühlen sich
die Patienten typischerweise am oder im Körper
10
Kapitel 1
elektrisch, magnetisch, durch Apparate, Strahlen
oder andere physikalische Vorgänge beeinflusst
oder verändert. Das Kriterium des „Gemachten“,
die Zurückführung auf äußere Einflüsse muss
dabei erfüllt sein. Ansonsten ist eher an das Vorliegen von Zoenästhesien (abnorme Leibgefühle
von seltsamem, bizarrem Charakter) zu denken.
Geruchs- und Geschmackshalluzinationen kommen bei schizophren Erkrankten relativ selten vor.
Wahn:
– Falsche Überzeugung, die auf nicht korrekten gedanklichen Prozessen über die äußere
Realität basiert. Diese wird auch fest aufrechterhalten, wenn eine unbestreitbar und
offensichtlich objektive Evidenz das Gegenteil belegt. Die Überzeugung wird nicht
von anderen Mitgliedern des Kulturkreises
oder einer Subkultur geteilt, ist also z. B.
nicht Ausdruck einer religiösen Überzeugung.
– Wahn tritt bei mehr als 90 % der schizophren Erkrankten im Verlaufe ihrer Erkrankung auf.
Unterschieden wird meist zwischen Wahngedanken und -wahrnehmungen, wobei es sich bei letzteren um die wahnhafte Interpretation realer
Wahrnehmungen handelt. Ein Beispiel für eine
Wahnwahrnehmung von Conrad (1992) ist, wenn
der Patient Tropfen sieht, die sich am Käse gebildet haben, und er dann denkt, dies sei so gemacht, um ihm zu verstehen zu geben, er müsse
schwitzen, d. h. sich mehr einsetzen und besser
bewähren. Wahngedanken und -wahrnehmungen
können mehr oder weniger stark durch Begründungen miteinander verbunden sein (systematisierter
Wahn). Wahninhalte können verschiedene Themen
umfassen. Am häufigsten anzutreffen sind Themen
der Beeinträchtigung durch Verfolgung oder Vergiftung, hypochondrische Befürchtungen (insbesondere der bevorstehende eigene Tod) sowie Größenideen in Form von besonderen Fähigkeiten,
politischer oder religiöser Berufung.
1.2 Epidemiologie und Verlauf
Über schizophrene Erkrankungen herrschen in der
Allgemeinbevölkerung viele Vorurteile, die bereits
in der langen Prodromalphase der Erkrankung von
in der Regel 3 bis 5 Jahren, (vgl. Haefner, an der
Heiden, Löffler, Maurer & Hamprecht, 1998) dazu
führen, dass Betroffene und Angehörige zu spät
professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Häufige
Vorurteile sind, dass es sich um eine sehr seltene
Erkrankung handelt, dass sie immer mit einer Gefährlichkeit einhergeht, die etwa dem Klischee des
Dr. Jekyll und Mr. Hyde folgt („gespaltene Persönlichkeit“), und dass sie zu einer lebenslangen
Lebensuntüchtigkeit führt. Epidemiologische
Daten über den Verlauf der Erkrankung und deren
Auftrittshäufigkeit machen klar, dass die Erkrankung durchaus nicht selten ist. Etwa 1 % der
Bevölkerung, d. h. z. B. in Deutschland etwa
800.000 Menschen, sind mindestens einmal in
ihrem Leben von einer schizophrenen Episode
betroffen. Das entspricht etwa der Einwohnerzahl
einer Stadt wie Köln und der Häufigkeit des Auftretens einer Zuckererkrankung. Hinsichtlich der
Gefährlichkeit ist zu sagen, dass keine erhöhte
Auftretenshäufigkeit für Gewalttaten besteht,
außer in den akuten Phasen der Erkrankung und
unter Einfluss von Alkohol. Auch hinsichtlich der
Lebensuntüchtigkeit muss man korrigierend feststellen, dass nur etwa 10 % der Erkrankten nicht
dauerhaft außerhalb von Kliniken leben können.
Und an die Stelle der Vorstellung von der gespaltenen Persönlichkeit tritt das VulnerabilitätsStress-Kompetenz-Modell als heuristisches Ätiologiekonzept (s. u.). Die Punktprävalenz der
Erkrankung beträgt 0,06 bis 0,83 % was in einem
Land von der Bevölkerungszahl der Bundesrepublik Deutschland etwa 48.000 bis 665.000 akut
erkrankten Patienten entspricht.
Die Neuerkrankungsrate zeigt in epidemiologischen Studien eine weite Spanne z. B. von 0,7 bis
1,4 neue Erkrankungsfälle pro Jahr auf 10.000
Einwohner, was bei einer Bevölkerungsgröße wie
in Deutschland 5.600 bis 12.000 Neuerkrankungen pro Jahr entspricht (Jablensky et al., 1992).
Männer und Frauen sind von der Erkrankung
nahezu gleich häufig betroffen. Das Ersterkrankungsalter unterscheidet sich jedoch je nach
Geschlecht: Während die Männer zwischen dem
15. und 35. Lebensjahr, also im Mittel um das
30. Lebensjahr erkranken, sind Frauen zwischen
dem 25. und 37. Lebensjahr, im Mittel um das
36. Lebensjahr von der Krankheit erstmalig betroffen (Haefner et al., 1998). Die Langzeitverläufe schizophrener Erkrankungen sind sehr unterschiedlich. So hat die International Study of
Schizophrenia (ISoS) der WHO (Moscarelli,
Schizophrene Störungen – Eine Kurzbeschreibung von Erkrankung und Verlauf
1994) über einen Zeitraum von 14 bis 25 Jahren
in 14 Ländern (Harrison et al., 2001) zeigen können, dass 50 % der Patienten einen eher günstigen
Verlauf aufweisen: mit einem Rollenfunktionsniveau über einen Cut off-Wert des Global Assessment of Functioning (GAF) von 60 und einen
Wert auf dem Disablement Assessment Schedule
(DAS) der WHO von 0 bis 2, dass heißt mit einer
sehr guten bis annehmbaren Rollenfunktionsfähigkeit bei keiner bis minimaler Symptomatologie. Ferner wurde in dieser Studie gezeigt, dass
16 % der Betroffenen, die im frühen Erkrankungsverlauf nur teilweise remittieren auch nach
Jahren noch einen günstigen Verlauf nehmen
können. Eine Vollremission zeigen jedoch lediglich 15 bis 25 % der Betroffenen im Langzeitverlauf. Nur 20 % der Patienten haben eine singuläre
psychotische Episode. Wenn man jedoch feinere
Kriterien einer passageren psychotischen Labilisierung heranzieht, haben bis zu 90 % der Betroffenen innerhalb des ersten Jahres nach einer
Ersterkrankung einen „minor relapse“ (Combs
et al., 2007). Unglücklicherweise kann man gegenwärtig die Patienten, die lediglich einmal erkranken oder nur „minor relapses“ im Intervall
aufweisen, nicht zuvor identifizieren. 80 % der
Betroffenen haben mehr als eine psychotische Episode (Ohmori, Ito, Abekawa & Koyama, 1999; Robinson, Woerner & Alvir, 1999; Wiersma, Nienhuis, Slooff & Giel, 1998). Aufgrund der hohen
Auftrittshäufigkeit sind die volkswirtschaftlichen
Kosten der Erkrankung enorm (Knapp, King, Pugner & Lapuerta, 2004; Moscarelli, 1994; Wiersma,
Kluiter, Nienhuis, Ruphan & Giel, 1995). Dies
liegt vor allem am frühen Erkrankungsausbruch,
an der hohen Rezidiv- und Chronifizierungsneigung, an den hohen Kosten durch Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitations- und Frühberentungsmaßnahmen. So stellen schizophrene Erkrankungen
eine der teuersten seelischen Störungen überhaupt
dar (Falloon, Coverdale & Brooker, 1996; Kissling, 1991; Penn, Van der Does, Spaulding & Garbin, 1993).
Einer der wohl wichtigsten Befunde der Forschungen der letzten 5 Jahre ist, erkannt zu haben,
dass Menschen mit schizophrenen Störungen häufig bereits 5 bis 7 Jahre vor der Ersthospitalisation
zunehmende Verhaltensauffälligkeiten und Rollenfunktionsstörungen entwickeln (Haefner et al.,
1998). Die initialen Beschwerden im Frühverlauf
der Erkrankung sind eher unspezifisch und werden vom Hausarzt, Schulpsychologen, Lehrern
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und Mitarbeitern in psychologischen und studentischen Beratungsstellen sowie in Erziehungsberatungsstellen häufig als Adoleszenzkrise verkannt. Typisch für das Risikoprofil sind eine
Tendenz zum sozialen Rückzug (soziale Anhedonie). Weiter sind kognitive Funktionseinschränkungen im Bereich der Aufmerksamkeit,
verbalen Merkfähigkeit, auch des abstrahierenden Denkens typisch. Dies führt zu Leistungsbeeinträchtigungen in der schulischen und beruflichen Ausbildung sowie im Studium. Weiter
sind Antriebs- und Initiativemangel charakteristisch, die vom sozialen Umfeld oft als Bruch mit
der Primärpersönlichkeit erlebt werden und die
nicht durch depressive Syndrome im Hintergrund erklärbar sind. Die Betroffenen selbst erleben häufig im Vorfeld der Ersterkrankung
einen Verlust der Steuerbarkeit des eigenen Gedankengangs und in späteren Stadien dieser Vorläuferperiode (Klosterkotter, Hellmich, Steinmeyer & Schultze-Lutter, 2001) zeigen sich
auch kleinere (meist nur stunden- oder tageweise auftretende) psychotische Episoden mit
halluzinatorischer oder wahnhafter Symptomatik (sog. BLIPS = brief limited psychotic episodes). Ein frühes Erkennen und damit eine frühe
optimale Behandlung trägt ganz wesentlich zu
einer Verbesserung des gesamten Erkrankungsverlaufes bei: Es konnte gezeigt werden, dass die
Dauer der unbehandelten Psychose (DUP) wesentlich dazu beiträgt, wie die Prognose der Erkrankung ist (Haley, Drake, Bentall & Lewis,
2003; Larsen et al., 2001; McGlashan, 1999).
Merke:
Die DUP sagt voraus, wie schnell Patienten
unter einer zielgerichteten Pharmakotherapie
eine Symptomremission erreichen, wie vollständig die Remission ist, wie stark die Rollenfunktionsbehinderung in der Folge der Erkrankung ist und sogar wie das Ansprechen auf
psychosoziale Intervention ist.
In den ersten 3 bis 5 Jahren des Erkrankungsverlaufes wird bzgl. der Behinderungen und der
Symptomatik ein Plateau erreicht. Man spricht
daher in diesem Zusammenhang auch von der
sog. „critical period“ (Birchwood & Spencer,
2001). Durch eine frühe optimierte Behandlung
wird versucht, dieses Plateau auf einem möglichst hohen Niveau zu stabilisieren.
12
Kapitel 1
1.3 Diagnostische Leitlinien
Die diagnostischen Leitlinien nach ICD-10 für
schizophrene Störungen sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Das ICD-10 unterscheidet dabei, diagnostische Symptome nach der Sicherheit mit
der diese Auffälligkeiten mit dem Vorliegen einer
schizophrenen Erkrankung verbunden sind (hohe
Sicherheit – nur ein Merkmal ist erforderlich, geringe Sicherheit – zwei Merkmale sind erforderlich).
Die diagnostische Terminologie wird im Folgenden nicht näher ausgeführt, da es dazu sehr gute
Glossare gibt, z. B. das AMDP-System (AMDP,
2007). Dagegen wird hier mehr Wert auf häufige
Fehlurteile in der diagnostischen Urteilsbildung
gelegt. Insbesondere der Hausarzt oder der Kliniker in einer Rehabilitationsklinik oder psychosomatischen Einrichtungen, der in seiner professionellen Ausbildung keine oder wenig praktische
Erfahrung im psychiatrischen Kernbereich hatte,
wird die Negativsymptomatik oder kognitive Stö-
rungen nicht hinreichend als therapeutische Zielsymptomatik erkennen oder umgekehrt vorschnell
aus wahnhafter oder halluzinatorischer Symptomatik auf das Vorliegen einer schizophrenen Störung schließen. Verkannt und damit unzureichend
behandelt werden dabei v. a. depressive, bipolaren und schizoaffektiven Störungen. Im Folgenden
sollen wichtige differenzierende Merkmale nebeneinandergestellt werden:
– Bei wahnhaften Syndromen verweist z. B. eine
Attribution des Verfolgtwerdens durch einen
äußeren „Feind“ eher auf eine schizophrene
Störung, eine Attribution auf Verfolgung wegen
eines vermeintlichen (moralischen) Vergehens
eher auf eine depressive Störung.
– Während der Depressive sich selbst gewissermaßen als „Täter“ sieht, sieht der schizophren
Erkrankte sich selbst eher als „Opfer“ einer
Verschwörung und Intrige, die ihm nach Leib
und Leben, Gesundheit oder anderem trachtet.
– Neben dem Thema Schuld/Versündigung ist
Verarmung ein wichtiges Thema wahnhafter
Depressionen.
Tabelle 1:
Klinisch-Diagnostische Leitlinien nach ICD-10
Zeitkriterium
Während der meisten Zeit innerhalb eines Zeitraumes von mindestens einem
Monat sollte die Symptomatik bestehen. Diese ist gekennzeichnet entweder
durch
mindestens
eines der
folgenden
Merkmale
a) Gedankenlautwerden, Gedankeneingebung, Gedankenentzug oder Gedankenausbreitung;
b) Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Gefühl des Gemachten, deutlich bezogen
auf Körper- oder Gliederbewegungen oder bestimmte Gedanken, Tätigkeiten
oder Empfindungen, Wahnwahrnehmung;
c) Kommentierende oder dialogische Stimmen, die über die Patienten reden oder
andere Stimmen, die aus bestimmten Körperstellen kommen;
d) Anhaltender, kulturell unangemessener, bizarrer Wahn, wie der, das Wetter
kontrollieren zu können oder mit Außerirdischen in Verbindung zu stehen;
oder durch
mindestens
zwei
Zusatzkriterien
– anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität, täglich während mindestens eines Monats, begleitet von flüchtigen oder undeutlich ausgebildeten
Wahngedanken ohne deutliche affektive Beteiligung oder begleitet von lang
anhaltenden überwertigen Ideen;
– Neologismen, Gedankenabreißen oder Einschiebungen in den Gedankenfluss,
was zu Zerfahrenheit oder Danebenreden führt;
– katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien oder wächserne
Biegsamkeit (Flexibilitas cerea), Negativismus, Mutismus und Stupor;
– „negative“ Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, verflachte
oder inadäquate Affekte (Es muss sichergestellt sein, dass diese Symptome
nicht durch eine Depression oder eine neuroleptische Medikation verursacht
werden).
Schizophrene Störungen – Eine Kurzbeschreibung von Erkrankung und Verlauf
– Bei manischen Syndromen (Antriebssteigerungen, Distanzlosigkeit, vermehrte Geldausgaben,
reduzierter Schlaf bei erhaltener oder gar gesteigerter Tagesfrische/Leistungsfähigkeit) sind
expansive Wahninhalte häufiger, bei denen der
Betroffene sich als Auserwählter im Rahmen
einer menschheitsretteden oder religiös inspirierten Mission fühlt.
– Ähnlich verhält es sich bei einer halluzinatorischen Symptomatik: Während der Depressive
meist kritisierende, abwertende oder beschimpfende Stimmen hört, sind für Schizophrenie
(Alltagshandlungs-)kommentierende, imperative Stimmen („Tu dies/Lass dass“) oder auch
dialogisierende Stimmen typisch (Stimmen unterhalten sich über den Betroffenen).
– Auch werden formale Denkstörungen und Negativsymptomatik (Antriebsinitiative, kognitive
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Funktionsstörungen) bei schizophrenen Störungen oft unzureichend als wichtige pathognomonische Krankheitszeichen (Erstrangsymptome)
gesehen (Vauth, 2003).
Zusammenfassend ist also festzuhalten, dass der
Kliniker sich in der diagnostischen Urteilsbildung
von formalen Denkstörungen, Ich-Störungen (Gedankenausbreitung, Gedankenentzug usw.), von
der An- und Abwesenheit gleichzeitiger manischer oder depressiver Symptome, von den Attributionen der wahnhaften Ängste (Wie erklärt sich
der Patient z. B., dass er verfolgt wird?) und den
Stimmeninhalten (s. o.) stärker leiten lassen sollte.
Dies ist differenzialdiagnostisch wichtiger als die
Frage, ob halluzinatorische oder wahnhafte Symptomatik vorliegt.
Kapitel 2
Behinderungsprofil – Kognitive Funktionseinschränkungen,
Beeinträchtigung der sozialen Kognition und der Emotionalität
Trotz der großen Fortschritte durch die Entwicklung von Antipsychotika der zweiten Generation
mit wesentlich günstigeren Wirkungs-/Nebenwirkungsprofilen (Keefe, Silva, Perkins & Lieberman,
1999; Meltzer & McGurk, 1999) und der zahlreichen neuen nicht nur störungs-, sondern auch
problemfokussierten kognitiv-verhaltenstherapeutischen Ansätzen in der Behandlung schizophrener Störungen (Heinssen, Liberman & Kopelowicz,
2000; Lehman et al., 2003; Penn, Waldheter, Perkins, Mueser & Lieberman, 2005) ist nach wie
vor das Ausmaß an funktionaler Restitution („recovery“) sehr begrenzt. So zeigte eine neuere prospektive Längsschnittstudie über fünf Jahre (Robinson, Woerner, McMeniman, Mendelowitz &
Bilder, 2004), dass in einer repräsentativen Stichprobe von Patienten mit schizophrenen und schizoaffektiven Störungen nach einer ersten Krankheitsepisode, doch immerhin ca. 50 % der Patienten
mindestens über zwei Jahre nahezu vollständig remittiert sind (remission, symptomatic recovery);
weiter konnte gezeigt werden, dass nur ca. 25 %
einer Berufstätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt
nachgehen (functional recovery) und beides lediglich 2,5 % der Patienten erreichen (full recovery). Rollenfunktionsdefizite im Alltag (Cook &
Razzano, 2000; Green, Kern, Braff & Mintz,
2000; Green & Nuechterlein, 1999) konnten als
weitgehend unabhängig von der Remission der
Positivsymptomatik nachgewiesen werden (Penn,
Corrigan, Bentall, Racenstein & Newman, 1997).
Daher hat man im letzten Jahrzehnt damit begonnen, Hindernisse für eine möglichst weitgehende
funktionale Restitution („recovery“) und eine
erfolgreiche Behandlung und Rehabilitation zu
identifizieren. Eine zunehmende Anzahl von
Übersichtsarbeiten belegt empirisch, dass sowohl
kognitive Funktionsstörungen, wie auch Defizite
im Bereich der Motivation (Antrieb, Initiative bei
Negativsymptomatik) als auch Störungen im Bereich der sozialen Kognitionen (Interpretieren und
Auffassen sozialer Stimuli) einen wesentlich größeren Einfluss auf die soziale und berufliche Integration von Menschen mit schizophrenen Störungen haben als die Positivsymptomatik (Green,
1996; Green et al., 2000; Green et al., 1999; Vauth,
Rüsch, Wirtz & Corrigan, 2004). Die therapeuti-
sche Fokussierung von Störungen der Kognitionen, der sozialen Kognitionen und der Emotionalität ist aber mit der Hoffnung verbunden, das
Rehabilitationspotenzial der Patienten auszuweiten, ja auch an Vulnerabilitätsaspekten der Störung selbst rezidivprophylaktisch anzusetzen. Vor
allem kognitive Defizite wie Beeinträchtigung in
Vigilanz, Gedächtnis und exekutiven Leistungen
(Hypothesenbildung und -testung, Arbeitsgedächtnis) und die Negativsymptome haben sich hier
als Haupthindernisse identifizieren lassen (Green,
1996; Green et al., 2000; Green et al., 1999). Diese
Forschungsergebnisse haben die Frage aufgeworfen, auf welche Weise kognitive Funktionsdefizite
mit möglichst weitgehender funktionaler Restitution und dem Ansprechen auf psychosoziale Interventionen verbunden sind.
2.1 Beeinträchtigungen der
Kognition als Behandlungshindernisse
Kognitive Funktionsstörungen sind bei schizophrenen Erkrankungen sehr häufig (Bilder et al.,
1995; Heaton, McAdams & Ku, 1994; Palmer,
Heaton & Paulsen, 1997; Velligan & Bow-Thomas, 1999). Sie bestehen relativ früh im Krankheitsverlauf, sind relativ stabil über die Zeit und
unabhängig von der Positivsymptomatik (Gold &
Harvey, 1993; Sharma & Harvey, 2000). Besonders
akzentuierte kognitive Defizite finden sich in den
Bereichen der verbalen Merkfähigkeit, der selektiven Aufmerksamkeit (Ablenkbarkeit: Unterscheiden von Wichtigem und Unwichtigem) und der
Daueraufmerksamkeit (den Spannungsbogen auch
über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten
können) sowie der Handlungsplanung und -organisation. Kognitive Funktionsstörungen sind die
wohl stärksten Negativprädiktoren für eine erfolgreiche soziale (Partnerschaft; Freundeskreis) und
berufliche Integration (Anstellung auf dem ersten
Arbeitsmarkt) sowie auch für das Ansprechen auf
psychosoziale Interventionen wie berufliche Rehabilitation, Symptommanagement und soziales
Kompetenztraining (Green, 1996; Green et al.,
Behinderungsprofil – Kognitive Funktionseinschränkungen
1999; Vauth, Dreher-Rudolph & Stieglitz, 1999).
Daher sollte auch bei der Behandlungs- und Rehabilitationsplanung eine neuropsychologische
Basisdiagnostik erfolgen. Dies wird leider oft
versäumt und stattdessen mit vorurteilbeladenen
Alltagskonzepten durch den Kliniker gearbeitet,
die zu einer systematischen Unter- bzw. Überschätzung der Leistungsfähigkeit des Patienten
führen können. Künftiges Funktionieren wird aus
der Zuordnung zur Erkrankungsgruppe abgeleitet: Dies hat eher mit „labeling“ und Stigmatisierung (Vauth, Kleim, Wirtz & Corrigan, 2007) als
mit einer rationalen Ableitung von Rehabilitationsempfehlungen zu tun. Auch lassen sich in der
Leistungsdiagnostik leistungsmotivationsrelevante
Verhaltensbeobachtungen machen: Wie geht der
15
Patient mit den Bedingungen Zeitdruck, Steigerung von Schwierigkeitsgrad und Frustration bei
Misserfolg um, wie verändern sich Leistungsparameter wie Bearbeitungsgeschwindigkeit bzw.
Fehlerrate als Reaktion darauf?
Im Hinblick auf die Akutbehandlung und vor allem
auch auf die berufliche Rehabilitation kommt der
Erfassung kognitiver Funktionen eine zentrale Bedeutung zu: Übersichtsarbeiten (z. B. Vauth et al.,
2000) weisen darauf hin, dass diese Variablen
(z. B. selektive Aufmerksamkeit, verbale Merkfähigkeit, exekutive Funktionen) häufig für die soziale Integration und berufliche Funktionsfähigkeit wichtigere Prädiktorvariablen darstellen als
die Symptomatik (Ausnahme: Postakut persistie-
Tabelle 2:
Neuropsychologische und leistungsdiagnostische Untersuchungsverfahren zur Erfassung des neurokognitiven
Behinderungsprofils schizophrener Patienten (in Anlehnung an Green, 1996; Naber, Lambert & Krausz, 1999)
Bereich
Aufmerksamkeit
selektive Aufmerksamkeit
Verfahren
– Continous Performance-Test (Sensitivitätsindex der
Degraded Stimulus Version)
– Zahlen-Symbol-Test aus dem HAWIE-R
– Stroop-Test
Vigilanz und Aufmerksamkeit
– Continuous-Performance-Test (Diskriminationsabfall
vom ersten bis zum letzten Drittel)
Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit
– Trail-Making-Test A (einfache Reiz-Reaktionsaufgaben)
Wortflüssigkeit (divergentes Denken)
– IST-Wortflüssigkeit
Exekutive Steuerungsfunktion (kognitive
Umstellfähigkeit, Planung)
– Wisconsin Card Sorting Test (WCST)
– Trail Making Test B (TMT-B)
Planung
– Labyrinth-Test
– Tower-Tests (z. B. Tower of Hanoi, Tower of London)
Gedächtnis
– Logical Memory in der WMS-R (Wechsler Memory
Scale-revised)
– Rey Auditory Verbal Learning Test (dt.: Verbaler
Lern- und Merkfähigkeitstest)
Phonological looping (working memory) – Zahlen nachsprechen – vorwärts (digits forward)
Arbeitsgedächtnis (working memory,
executive system)
– Letter Number Span
Raumverarbeitung
– Mosaik-Test aus dem HAWIE-R
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