Probleme mit unbehandelten Kontrollgruppen

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Seminar Forschungsmethoden
Psychotherapieforschung
Frühlingssemester 2014
Einführung
Peter Wilhelm
Universität Fribourg, CH
Übersicht
Warum
Kurze
Evaluation von Psychotherapie?
historische Übersicht:



Entwicklung von Hauptströmungen der
Psychotherapie
Wichtige Etappen der PT-Forschung
Gesetzliche Regelung von PT
Warum
Evaluation von Psychotherapie?
Warum sollen therapeutische Interventionen
evaluiert werden?
(in Anlehnung an Baumann & Reinecker-Hecht, 2006)

Wissenschaftliche Begründung


Gesundheitspolitische Begründung



Anspruch: Therapie ist wissenschaftlich begründetes Handeln ->
basiert primär auf technologischem Wissen ->
Effektivitätskriterium
>550 Interventionen für Kinder u. Jugendliche
T. ist Massnahme im Rahmen der Gesundheitsversorgung ->
Legitimation gegenüber Gesellschaft/Kostenträger/Patient
Ethische Begründung

T. beeinflusst Verhalten u. Erleben des Patienten, dessen Urteilsu. Handlungfähigkeit z.T. eingeschränkt ist (besonders bei
Kindern).
Eindringen in die Intimsphäre, Aktivierung von negativen
Zuständen u. Eingriff in die Selbstbestimmung können durch
Wirksamkeit der Intervention legitimiert werden
Historische Übersicht:
Hauptströmungen der Psychothereapie
Historische Übersicht
Ausgangspunkt: Psychoanalyse




Psychotherapie gibt es seit über 100 Jahren
Bis in die 60er Jahre ist PT= Psychoanalyse
Bis zu seinem Tod 1939 von Freud massgeblich geprägt, von seinen
Ex-Schülern modifiziert (Adler, Jung, Reich, Sullivan, Horney u.a.)
Theoretische Grundannahmen:




Theorieentwicklung basiert im wesentlichen auf Selbsterfahrung und
Klinischer Beobachtung


Unterdrückte Konflikte
unbewusste Motive
Bedeutung früher Lebenserfahrungen
In retrospektiven Falldarstellungen wird die Gültigkeit der theoretischen
Annahmen demonstriert
Klassische Psychoanalyse ist langwieriger Prozess:


tägliche Liegungen über Jahre hinweg
Symptome werden nicht direkt behandelt, sondern die unbewussten
Konflikte werden bearbeitet
Historische Übersicht
Klientenzentrierte Ansätze

Rogers formuliert 1942 die theoretischen
Grundpositionen:






Hinterfragen die Expertenrolle des Therapeuten
Begegnung und Beziehung zwischen Klient und Therapeut ist
zentral
Wachstumspotential des Klienten
Therapeutischer Fortschritt durch bedingungslose Wertschätzung
(unconditional regard) Empathie und Echtheit des Therapeuten
Kurze Behandlungszeit
Betonung empirischer Forschung zur Weiterentwicklung
der Therapie: („The facts are friendly“, Rogers)

Z.B. Aufzeichnung von Therapiegesprächen auf Schallplatte
Detaillierte Analyse der Gespräche
Historische Übersicht
Verhaltenstherapie



Behavioristische Ansätze: Bereits in 20er und 30er Jahren
(Fallstudie: „Little Albert“; Watson & Rayner, 1920; Klingelmatte zur
Behandlung d. Enuresis; Mowrer & Mowrer, 1938)
Durchbruch mit Wolpe (1958): “Psychotherapy by reciprocal
inhibition” (Überwindung von Vermeidungsverhalten durch
Konfrontation in vivo und sensu)
Theoretische Grundannahmen:





Im Zentrum steht das problematische Verhalten
Analyse situative Kontingenzen, die Verhalten auslösen und
aufrechterhalten
Direktive Rolle des Therapeuten
Kurze auf die Hauptsymptomatik konzentrierte Behandlung (Wochen)
Wissenschaftliche Evaluation der Ergebnisse
Historische Übersicht
Kognitive Therapien
Grundannahmen:

Menschen reagieren auf die kognitive Repräsentation ihrer Umwelt und nicht auf die
Umwelt selbst.

Kognitive Repräsentationen der Umwelt stehen in einer funktionalen Beziehung zu
den Lernprozessen.

Gedanken, Gefühle und Verhalten sind interaktiv und bedingen einander.

Ansatzpunkt: Analyse und Bearbeitung dysfunktionaler Gedanken -> Veränderung
von Emotionen und Verhalten

Rational emotive-Therapie (Ellis, 1962)
Kognitive Therapie der Depression (Beck, 1967)

Veränderung der Thereapeutenrolle: Hilfe zur Selbsthilfe



Modelllernen, Selbstwirksamkeit, Selbstregulation (Bandura > 1962)
Selbstinstruktionstraining (Meichenbaum, 1975); Selbstmanagement (Kanfer > 1970)
Historische Übersicht
VT und Kognitive Therapien
Wechselseitige Abgrenzung Kognitiver und
Behaviouraler Therapieansätze
1995 in Kopenhagen:
1. World Congress of Behavioural and
Cognitive Therapies
Historische Übersicht
3. Welle: Von der Kognition zur
Emotion
Achtsamkeitsbasierte Verfahren

Adaptation buddhistischer Philosophie und Meditationstechniken:
Entwicklung einer achtsamen, nichtwertenden, akzeptierenden
Grundhaltung



Mindfulness-Based Stress-Reduction MBSR/ (Kabat-Zinn, 1990)
Acceptance and Commitment Therapie ACT (Hayes, 1999)
Dialektisch-Behaviorale Therapie DBT (Linehan, 1972, 1993)
Schematherapie (Young > 1990)
„Heilung“ früh erworbener Schemata, die angemessene Befriedigung der
Grundbedürfnisse verhindern
Emotionsfokussierte Therapie (Greenberg, 2002, 2005)

Inspiriert von humanistischer PT und Emotionspsychologie: Emotionen
zulassen, bewusst wahrnehmen, ihren Sinn verstehen, um sie anzunehmen
zu regulieren ggf. umzuwandeln
Historische Übersicht:
Wichtige Etappen der PT-Forschung
Historische Übersicht
Gesellschaftliche Faktoren nach
dem 2. Weltkrieg

Viele Kriegsveteranen leiden an psychischen Störungen


Evaluation der Versorgung psychischer Kranker in den USA durch die
Mental Health Commission Mitte der 50er Jahre
Festgestellt werden erhebliche Versorgungsdefizite:






Mangelversorgung, Mangel an Psychiatern –> Verändert Rolle der
Klinischen Psychologen -> Versorgung und Therapie werden zentrale
Aufgabengebiete
Unterversorgung
Fehlversorgung
Mangel an Krisenintervention
Mangel an Hilfe für Unterprivilegierte
Mangel an Prävention
Beschleunigt Entwicklung von Kurzzeittherapien
Historische Übersicht
Kritik von Eysenck (1952)

Review von 24 Psychotherapiestudien
(Psychoanalyse)




Keinen gesicherten Hinweis auf Effektivität
von Psychotherapie
Psychoanalyse ist sogar weniger wirksam als
keine Therapie
Alternativerklärung: Spontanremission
Forderung nach „properly planned and
executed experimental studies”
Historische Übersicht
Wirksamkeitsforschung


Eysencks Kritik stimuliert systematischen
Wirksamkeitsforschung
Folgende Fragestellungen werden in den
nachfolgenden Jahren u. Jahrzehnten
bearbeitet:



Ist ein spezifisches Treatment wirksamer als
Kontrollbedingung?
Für welche Störung ist ein spezifisches Treatment
wirksam?
Welche Komponenten eines Treatments sind wirksam?
Mögliche Kontrollbedingungen
•
•
•
Gruppe ohne Behandlung
Warteliste-Kontrollgruppe
„Therapie-Plazebo“
z. B. Diskussionsgruppen, unsystematische Entspannung,
Lesen v. Therapiebüchern
•
Addition / Subtraktion v. spez. Elementen
(dismantled comparison)
z.B. kognitive VT mit Entspannung (TG) vs kognitive VT ohne
Entspannung (KG)
•
•
Standard/Routine-Behandlung
Bewährte Behandlung
PT oder Medikamente, die Wirksamkeit demonstriert
haben
Probleme mit unbehandelten
Kontrollgruppen
•
•
•
•
•
Demoralisierung
Patienten brechen Studienteilnahme ab
Patienten suchen anderes Treatment
Problem, wenn Patient in Krise gerät
ethisch nicht vertretbar Patient wirksame
Behandlung vorzuenthalten
Placebo-Konzept ist nicht auf
Psychotherapieforschung übertragbar
Pharmakologische Placebo
(Scheinmedikament)
•
•
•
•
Verum u. Placebo äusserlich
identisch
Unterschied nur in der
pharmakol. Wirkung
Substanz u. Prozedur der
Verabreichung sind trennbar
Erwartungseffekte
kontrolliert (Doppelblind)
„Psychotherapie Placebo“
(geringe Behandlung)
•
•
•
•
deutl. Unterschied zwischen
Intervention u. Placebo
-> Glaubwürdigkeit?
Beide wirken auf Erleben u.
Verhalten
Technik u. Verabreichung
sind untrennbar verwoben
Therapeut weiss um
Wirksamkeit ->
Erwartungseffekte
Probleme von
„Psychotherapieplacebos“
•
PT-Placebo ohne Wirkung ist nicht realisierbar
•
•
•
•
•
Behandlung muss plausibel sein für Patient u. Therapeut
Enthält viele unspezifische Komponenten: Kontakt mit T. ,
Wertschätzung, Erwartung einer Besserung, Optimismus
Ethisch Problematisch: Patient wird vermutlich effektive
Behandlung vorenthalten
PT-Placebo = Kontrollbedingung mit geringer
Behandlung
Unterschied, um so geringer, je ähnlicher PT-Placebo u.
PT sind
Historische Übersicht
Problem: Integration der Einzelbefunde





Bis Ende der 70er Jahre gibt es bereits mehrere
Hundert Wirksamkeitsstudien
Problem: Wie lassen sich die vielen
Einzelbefunde integrieren?
Erste Meta-Analyse:
„The Benefits of Psychotherapy“ Smith, Glass &
Miller, (1980
Frage welche Therapierichtung wirksamer ist
bleibt weiter offen
Resultate sind umstritten
Historische Übersicht
Integration der Einzelbefunde
Im deutschen Sprachraum:
 Meta-Analyse von Grawe Donati & Bernauer
(1994) „Psychotherapie im Wandel. Von der
Konfession zur Profession“


Grawe et al. leiten aus den Ergebnissen
Schlussfolgerungen ab, die heftige Diskussionen
auslösen
Versuch, empirisch bewährte Ansätze und
Techniken in eine Schulen übergreifende
„Allgemeine Psychotherapie“ bzw.
„Psychologische Psychotherapie“ zu integrieren
Historische Übersicht
Consumer Report Study (Seligman, 1995)


Amerikanische Verbraucherorganisation befragt ehemalige
Therapiepatienten nach Therapiezufriedenheit und subjektivem
Therapieerfolg
Ergebnisse:




Professionelle Behandlung wirkt
Keine Unterschiede zwischen Therapieformen
Langzeittherapien sind wirksamer
Seligman löst Kontroverse aus:

Kritisiert Efficacy Studies (randomisiert u. kontrollierte Therapiestudien)
„wrong mehtod for emprically validtating psychotherapy“ als nicht
praxisrelevant:




Untersuchte Therapien werden in der Praxis so nicht durchgeführt
Patienten in der Praxis unterscheiden sich von Forschungsteilnehmern (z.B.
Komorbidität)
Patienten können Therapie selbst wählen
Er Propagiert Effectiveness Studies: Möglichst repräsentative Studien in
denen Wirksamkeit unter realen Praxisbedingungen erfasst würde
Historische Übersicht
Kriterien für evidenzbasierte Therapien

Ergebnisse der Therapieforschung beeinflussen die therapeutische
Praxis wenig

1994 Bericht der APA (Arbeitsgruppe zur Förderung und Verbreitung
psychologischer Verfahren)

Arbeitsgruppe erstellt Kriterien, um empirisch untermauerte (empirically
supported), evidenzbasierte Treatments identifizieren und für die
Versorgung propagieren zu können

Löst heftige Diskussion aus

In der Medizin auch bei Psychiatern findet parallele Diskussion statt:

Entwicklung von Guidelines, Leitlinien, Evidence based Medicine,
Evidence based Psychotherapy
Aktuelle Themen

Evidenzbasierte psychologische Praxis (APA, 2006)

Wie, wann und warum kommt es zu therapeutischen Veränderungen
(Veränderungsmechanismen)? (Kazdin, 2008, 2008)?

Was sind Basismechanismen therapeutischen Wandels?
(Kazdin, 2004; Kazdin, 2008; Grawe, 1997)

Von welchen Charakteristika des Patienten, Therapeuten u. d.
Rahmenbedingungen hängt die Wirksamkeit einer spezif. PT ab?
(Moderatorvariablen)?


Welche Eigenschaften haben Patienten, die von Treatment profitieren
können?
Wie kann Treatment für nicht-erfolgreiche Patienten verbessert werden?
Gesetzliche Regelung von PT
1998 Psychotherapiegesetzes in
Deutschland



Psychologen können selbstständig Indikation zur
Therapie stellen
Krankenkassen übernehmen die Kosten
In die Regelversorgung aufgenommen, werden
nur Verfahren, die ihre Wirksamkeit
wissenschaftlich nachgewiesen haben:


Verhaltenstherapeutische Verfahren
Psychodynamische Verfahren
Gesetzliche Regelung in der
Schweiz
Ambulante Versorgung

Im ambulanten Bereich gibt es 3'000 Fachärztinnen und -ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie in eigener
Praxis

4'000 psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten



Seit 1.4.2013 ist Psychologieberufegesetz (PsyG) gültig
Schutz der Berufsbezeichnung „Psychologe“
Vereinheitlichung der kantonalen Bestimmungen zur Psychotherapie

Wer in der Schweiz fachlich selbständig Psychotherapie anbietet, muss zusätzlich zum Hochschulabschluss in Psychologie eine
zugelassene psychotherapeutische Weiterbildung mit anerkanntem Abschluss vorweisen

Das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) legt für die Weiterbildungsgänge in den Fachbereichen nach
Artikel 8 PsyG die Dauer oder den Umfang der zu erbringenden Weiterbildungsleistung fest

Das EDI legt die Einzelheiten des Akkreditierungsverfahrens nach Artikel 14-21 PsyG fest

Bis 31. März 2018 gilt provisorische Akkreditierung


http://www.law-news.ch/2013/03/bundesgesetz-ueber-die-psychologieberufe-psyg
Gesetzliche Regelung in der Schweiz:
Verfahren, die von provisorisch akkreditierten
Ausbildungsinstituten gelehrt werden


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
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

Psychoanalytischer Psychotherapie für Erwachsene, Kinder und Jugendliche
Psychoanalytisch- und schicksalsanalytische Psychotherapie
Verhaltenstherapie mit Schwerpunkt Kinder und Jugendliche
kognitive Verhaltenstherapie und Verhaltensmedizin
klientenzentrierter Psychotherapie (focusing- und körperorientiert) / Klientenzentrierte Gesprächs- und
Körperpsychotherapie GFK
Bioenergetischer Analyse und Therapie / Tiefenpsychologisch fundierte Körperpsychotherapie
klinischer Gestalttherapie
Integrative Gestalttherapie
Klinische Musik-Psychotherapie
Lösungsorientierte Therapie und Beratung
Systemischer Psychotherapie
Ökologisch-systemische Therapie
Phasische Paar- und Familientherapie
Tiefenpsychologische Psychotherapie mit Schwerpunkt in Katathym Imaginativer Psychotherapie
«Integrative Therapie», mit Schwerpunkt Gestaltpsychotherapie, Psychodrama und integrativer
körperorientierter Psychotherapie
http://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20120363/index.html
Literaturhinweise

Lambert, M. J., Bergin, A. E. & Garfield, S. L. (2004).
Introduction and historical overview. In J. Lambert (Ed.), Bergin
and Garfield’s handbook of psychotherapy and behavior change


(5th ed., pp. 3-15). New York, NY: Wiley.
Lambert, M. J. (2013). Introduction and historical overview. In J.
Lambert (Ed.), Bergin and Garfield’s handbook of psychotherapy
and behavior change (6th ed., pp. 3-20). Hoboken, NJ: Wiley.
Margraf, J. (2009). Hintergründe und Entwicklung. In J. Margraf
& S. Schneider (2009) (Hrsg). Lehrbuch der Verhaltenstherapie
(Vol. 1) (3. überarb. Aufl.). (S. 3-45). Heidelberg: Springer.
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