Auswirkungen von HIV/AIDS und neuen Therapiemöglichkeiten auf Lebenszufriedenheit, Selbstwirksamkeit, subjektive Befindlichkeit und Depression HIV- positiver Frauen SPI Forschung gGmbH, Berlin, Germany E. Steffan, U. Herrmann und Viktoria Kerschl (2004) gefördert vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherheit Die Studie FrauenLeben II • Ergebnisse der qualitativen Studie FrauenLeben I (2003): Eine Diskrepanz zwischen einerseits neuen Therapiemöglichkeiten und der damit einher gehenden Verbesserung des Gesundheitszustandes und einer konstanten oder sich verschlechternden Lebenszufriedenheit und psychischen Befindlichkeit. • FrauenLeben II (2004) erhebt daher neben demographischen und psychosozialen Variablen psychometrische Skalen, um eine tieferes Verständnis für die Diskrepanzen zwischen körperlicher und psychischer Befindlichkeit und psychologischen Dimensionen wie Lebenszufriedenheit, Depression, Selbstwirksamkeit und körperlichen Beschwerden vor dem Hintergrund einer HIV-Infektion bei Frauen zu erlangen. Instrumente Moderierende Variablen / Items (siehe Vortrag E. Steffan): • Demographische Variablen (Bildung, Beruf, Alter, Wohnsituation) • Infektions- und Behandlungsvariablen, Compliance • Variablen zum sozialen Umfeld und Versorgungsnetzwerken • Variablen zu Sexualität und Partnerschaft, Kinderwunsch • Skala zur Allgemeinen Lebenszufriedenheit mit zehn Subskalen (Gesundheit, Arbeit, finanzielle Lage, Partnerschaft, Kindern, eigene Person, Sexualität, Wohnen, Freizeit und soziales Umfeld); FLZ; Fahrenberg et al. (2000) • Skala zur Generalisierten Selbstwirksamkeitserwartung; Schwarzer, 1994 • Skala zu Hoffnungslosigkeit (Depression); Krampen (1994) • Beschwerdenliste nach Zerssen (2000) Lebenszufriedenheit • Lebenszufriedenheit bezeichnet die subjektive Wahrnehmung der eigenen Lebenssituation, wobei kulturelle und gesellschaftliche Wertmaßstäbe ebenso eine Rolle spielen wie individuelle Ziele, Erwartungen, Standards und Präferenzen. Es handelt sich um einen weitgefächerten Begriff, der vielfältige Faktoren wie körperliche Gesundheit, psychische Verfassung, Entscheidungsfreiheit, soziale Beziehungen, persönliche Überzeugungen und spezifische Ausprägungen der jeweiligen Lebensumwelt erfasst. (WHO, 1997) Ausprägung der allgemeinen Lebenszufriedenheit (n= 117) • 60 unterdurchschnittlich • normal 50 überdruchschnittlich 53 40 30 53% weisen eine unterdurchschnittliche Lebenszufriedenheit auf. Der Mittelwert des Samples ist hochsignifikant niedriger als bei repräsentativen Bevölkerungsstichproben. • In den Subskalen Gesundheit, Arbeit, finanzielle Situation, Freizeit, eigene Person, Sexualität unterschiedet sich die Gruppe der HIV-positiven Frauen ebenso hochsignifikant von der weiblichen Bevölkerungsstichprobe • Größten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat die Subskala „Eigene Person“. Mit der Zufriedenheit mit der eigenen Person zeigen die Subskalen Gesundheit, Freizeit und finanzielle Situation den höchsten Zusammenhang 37,6 20 10 9,4 0 % Lebenszufriedenheit II • Die Nebenwirkungen von ART haben großen Einfluss auf die allgemeine Lebenszufriedenheit. Personen mit eine hohen Maß an Nebenwirkungen und HIV-spezifischen Beschwerden sind zu 85%/72,8% in der Gruppe mit unterdurchschnittlicher Lebenszufriedenheit und Zufriedenheit mit der eignen Person • Psychische Beeinträchtigungen und körperliche Beschwerden stellen vor dem Hintergrund der HIV- Infektion und deren psychophysischer Verarbeitung auch im Zeitalter von ART eine enorme Belastung für betroffene Frauen dar. • Compliance und Zufriedenheit mit der eigenen Person ergibt eine Relation: 65,3%, derjenigen, die in den letzten vier Wochen ihre Medikation vergessen hatten und 65,7% die ihre Ernährungsvorschriften nicht einhielten , waren unterdurchschnittlich mit der eigenen Person zufrieden. Signifikante Unterschiede in den Subskalen der Lebenszufriedenheit Skala Mittel Mittel repr. Stichprobe T-Wert Signifikanz (p) HIV-Sample Gesundheit 33,00 37,76 -6,393 .001** Arbeit/Beruf 31,65 34,52 -3,284 .001** Finanzielle Situation 27,78 34,06 -7,892 .001** Freizeit 32,86 36,05 -4,001 .001** Ehe/Partnerschaft 37,55 38,77 -1,167 .246 Beziehung zu eigenen Kindern Eigene Person 35,06 37,45 -2,092 .040* 35,06 38,32 -5,548 .001** Sexualität 30,56 34,28 -4,572 .001** Freunde/Bekannte 32,17 37,26 -8,262 .001** Wohnsituation 37,46 38,05 -1,014 .312 FLZ insgesamt (allg. FLZIndex) 229,40 255,79 -6,280 .001** Hoffnungslosigkeit (Krampen, 1994) • Das Thema Depression erhält zunehmend Relevanz im Zusammenhang mit HIV (vgl. Münchner AIDS Tage 2003). • Der Skala Hoffnungslosigkeit sind dysfunktionale Kognitionen zugeordnet. Es wird gegenständliche Hoffnung (erlebte Ereignisse) und Grundhoffnung, die in der individuellen Persönlichkeit verankert ist erfasst. • Hoffnungslosigkeit bedeutet auch, wenn eine Person in einem Kontext zu einem Zeitpunkt glaubt, dass etwas, was sie erreichen möchte, unerreichbar geworden ist und für immer unerreichbar bleiben wird, oder wenn etwas was sie erhalten möchte, unwiederbringlich verloren ist (Erickson, 1968; Krampen, 1994). Ausprägungen von Hoffnungslosigkeit (n=174) • • 45 40 35 43,1 40,2 30 25 20 15 10 • Beschwerden und Nebenwirkungen beeinflussen die Ausprägung von Hoffnung in hohem Maße negativ. Der Zusammenhang mit HIVspezifischen Beschwerden und Nebenwirkungen ist hochsignifikant (x²=20,6;p=.001; x²=19,1;p=.001) • Personen die erst seit kurzem wissen, dass sie infiziert sind und jene die es seit langem wissen weisen höhere Hoffnungslosigkeitswerte auf als jene, die ihr Testergebnis zwischen 1990 und 1995 sowie kurz nach 1996 erfahren haben > Hinweis auf medikamentöse Hilfe • Hoffnungslosigkeit beschreibt auch mit Compliance ein Wechselwirkung (x²=8,8;p=.012) z.B. mit de r Bereitschaft komplexe Therapieregimes einzuhalten unterdurchschnittlich normal überdruchschnittlich 16,7 5 0 % 43,1% liegen hinsichtlich Hoffnungslosigkeit im überdurchschnittlichen Bereich Im Vergleich zur Normalbevölkerung empfindet die Gruppe HIV-positiver Frauen hochsignifikant mehr Hoffnungslosigkeit (Mittel 29,37; t=3,95) Generalisierte Selbstwirksamkeitserwartung (Schwarzer,1994) • Selbstwirksamkeitserwartung bringt die subjektive Überzeugung zum Ausdruck, aufgrund eigenen Handelns schwierige Anforderungen bewältigen zu können. Hintergrund dieser Vorstellung ist, die eigene Person in Interaktion mit der Umwelt kontrollieren zu können, der Alltag leichter zu bewältigen ist. Je größer man den eigenen Handlungsspielraum zur Problemlösung einschätzt, desto größer ist die Motivation, dies auch durch aktives Handeln umzusetzen (Schwarzer, 1994) • Selbstwirksamkeit beschreibt einen großen Zusammenhang mit der Bewältigung chronischer Krankheiten. Aktive Bewältigungsmechanismen, die bei chronischen Erkrankungen der Beeinflussung des Ausmaßes eiern Krankheit nötig sind erfordern u. a. eine entsprechende Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1992). • Selbstwirksamkeit korreliert positiv mit Optimismus, internaler Kontrolle und Leistungsmotivation, negativ mit Ängstlichkeit, Depressivität und Neurotizismus (Schwarzer, 1994) Ausprägung der Selbstwirksamkeit (n=168) 70 • 62,5% der Befragten schätzt die eigenen Selbstwirksamkeit normal ein. Der Mittelwert (28,1) der Stichprobe unterscheidet sich nicht signifikant von der Normalbevölkerung (29). • HIV-spezifische Beschwerden zeigen eine hohen Zusammenhang mit der Ausprägung der Selbstwirksamkeitserwartung (x²=20,6; p=.001). Das Fortschreiten der Krankheit hat damit großen Einfluss auf das Zutrauen in die eigene Person. • Nebenwirkungen der ART haben ebenso einen signifikanten Einfluss auf die Selbstwirksamkeitserwartung (x²=12,9; p=.012). Mit Anstieg der Nebenwirkungen, steigt der Anteil der unterdurchschnittlichen Selbstwirksamkeit. • Möglicherweise bewirkt eine bereits lange vorliegende Infektion und die Auseinandersetzung mit Krankheit etc. eine Abnahme der Selbstwirksamkeit. unterdurchschnittlich 60 normal 62,5 überdurchschnittlich 50 40 30 20 23,2 10 14,3 0 % Beschwerdenliste (Zerssen, 2000) • Die Beschwerdenliste ist ein Instrument zur quantitativen Einschätzung subjektiver Beeinträchtigungen durch körperliche und seelische Allgemeinbeschwerden. Die Ergebnisse geben Aufschluss darüber, inwieweit eine Person sich beeinflusst sieht, ohne Aussagen über die Ursachen der Beschwerden zu machen. Es handelt sich um eine Zustandsdiagnose die anhand konkreter Beschwerden subjektives Empfinden versucht zu objektivieren und zu quantifizieren. Ausprägung subjektiv wahrgenommener Beschwerden (n=170) • 58% fühlen sich durch Beschwerden überdurchschnittlich belastet. Der Vergleich mit einer repräsentativen weiblichen Bevölkerungsstichprobe zeigt einen hochsignifikanten Unterschied. (Mittel=25,35; t=11,02;p=.001) • Der Vergleich mit klinischen Stichproben mit körperlichen Beschwerden zeigt eine ähnlich hohe Belastung beim Sample HIVpositiver Frauen (kein Mittelwertsunterschied) • Der Einfluss psychischer Faktoren der Itemliste hat hohen Einfluss auf die allgemeine Lebenszufriedenheit • Beschwerden korrelieren signifikant mit Selbstwirksamkeitserwartung x²=20,6; p=.001 • Die Skala zeigt hohe Zusammenhänge mit Variablen sozialer Aspekte (Einkommen, Cannabiskonsum, Partnerschaft in pos. und neg. Sinne, Unterstützung durch AIDSHilfe und andere HIV-positive Personen)) unterduchschnittlich 60 normal 58,2 50 überdurchschnittlich 40 30 32,9 20 10 8,1 0 % Signifikante Zusammenhänge der jeweiligen erhobenen psychometrischen Skalen innerhalb des Samples HIVpositiver Frauen (n=111 bis 165) Lebenszufriedenheit Selbstwirksamkeit Selbstwirksamkeit Hoffnungslosigkeit .580** .001 Hoffnungslosigkeit Beschwerden -.454** -.483** .001 .001 -.627** -.393** .445** .001 .001 .001 Schlussfolgerungen • Allgemeine Beschwerden und HIV- spezifische und sowie durch die ART bedingte Beschwerden beeinflussen in hohem Maße die Lebenszufriedenheit, Hoffnungslosigkeit und Selbstwirksamkeit • Angebote der psychosozialen Unterstützung und medizinischen Behandlung sollten sich dieser Dimensionen bewusst werden und zuwenden, um die eine Verbesserung der Lebenssituation HIV-positiver (mit und ohne ART) Frauen zu bewirken > Vernetzung von oder direkte interdisziplinär ausgerichtete Behandlungssettings, die die psychische Dimension einbeziehen und so positiv auf die Befindlichkeit der Patientinnen einwirken können. Die Berichte • FrauenLeben I • FrauenLeben II • Heterosexuelle Transmission des HIV können über bei SPI Forschung unter [email protected] bestellt werden.