Psychiatrie Vor 14 Abhängigkeit und Sucht Definitionen: Sucht ist nach WHO ein Zustand periodischer oder chronischer Intoxikation, verursacht durch wiederholten Gebrauch einer natürlichen oder synthetischen Substanz, der für das Individuum und die Gemeinschaft schädlich ist. Psychische Abhängigkeit ist definiert als übermächtiges, unwiderstehliches Verlangen, eine bestimmte Substanz/Droge wieder einzunehmen (Lust-Erzeugung und/oder Unlust-Vermeidung). Physische (körperliche) Abhängigkeit ist charakterisiert durch Toleranzentwicklung (Dosissteigerung) sowie das Auftreten von Entzugserscheinungen. Abusus oder Missbrauch beinhaltet den unangemessenen Gebrauch einer Substanz/Droge, das heisst überhöhte Dosierung und/oder Einnahme ohne medizinische Indikation. Wiederholtes Einnehmen führt zur Gewöhnung, psychisch durch Konditionierung, körperlich in der Regel mit der Folge der Dosissteigerung. Unter Polytoxikomanie (polyvalente Sucht) wird eine Mehrfachabhängigkeit, also die gleichzeitige Einnahme verschiedener Suchtmittel, verstanden. Abhängigkeit oder Sucht kann charakterisiert werden als dominierendes Verlangen oder zwanghaftes Bedürfnis und Angewiesensein auf bestimmte Substanzen. Durch das Suchtverhalten bzw. Suchtmittel wird vorübergehend eine für unbefriedigend oder unerträglich gehaltene Situation scheinbar gebessert. Die sich anschließende „Ernüchterung" durch das Konfrontiertwerden mit der Realität (Kontrastphänomen) lässt einen Circulus vitiosus entstehen, dessen Hauptelemente das unbezwingbare Verlangen nach dem Suchtmittel und der Kontrollverlust sind. Süchtigem Verhalten wird eine selbstzerstörerische Komponente zugeschrieben („protrahierter Suizid"). Wachsende Bedeutung kommt auch den nichtstoffgebundenen Abhängigkeiten zu. Bei der Spielsucht kann der Spieldrang kaum kontrolliert werden und führt zu beruflichsozialem und familiärem Ruin. Häufigste Glücksspielform ist das Spielen am Geldautomaten. Historisches: Schon vor ca. 9000 Jahren waren die Sumerer in Mesopotamien mit der Zubereitung von Bier vertraut. Zur Verarbeitung von Weintrauben kam es bereits vor 8000 Jahren Im klassischen Griechenland war das Trinkgelage der Höhepunkt des Abends, Symposion genannt. Der Philosoph Epiktet (60-140 n. Chr.) stellte fest: „Der Weinstock trägt drei Trauben: die erste bringt die Sinneslust, die zweite den Rausch, die dritte das Verbrechen." Die Gründung geistlicher Orden und die Errichtung von Klöstern trugen wesentlich zur Verbreitung des Weinbaus bei. Das Mittelalter stufte den Wein als Gottesgabe ein, tadelte aber dessen unmäßigen Gebrauch. Das faster der Trunkenheit, vor allem des exzessiven, nötigenden Zutrinkens, wurde im Mittelalter durch zahlreiche Verbote angegangen. Immer wieder wurde durch Gesetze und staatliche Eingriffe versucht, das Problem des Alkoholismus einzudämmen. In den USA bestand zwischen 1817 und 1933 die Prohibition, das staatliche Verbot der Herstellung und des Verkaufs alkoholhaltiger Getränke. Das erste Trinkerasyl in Deutschland („Siloah") wurde 1851 im Rheinland gegründet. Mit der Industrialisierung entstanden die ersten Schnapsfabriken. 1968 wurde der Alkoholismus vom Bundessozialgericht als Krankheit anerkannt. Konflikthafte Ambivalenz: Alkoholkonsum zwischen Elend und Genuss, vom sinnvollen Bezug über riskanten Konsum zum schädlichen Gebrauch. Opium, der eingedickte Milchsaft aus den Samenkapseln des Schlafmohns, gehört zu den ältesten und am weitesten verbreiteten Drogen. Homer preist in der „Odyssee" die beruhigende Wirkung des Opiums, Paracelsus wandte die „Opium-Kur" zur Behandlung endogener Depressionen an. 1804 gelingt W. A. Sertürner die Isolierung des „schlafmachenden Prinzips" im Mohnsaft, das er Morphium nennt. Als weitere Rauschdrogen kommen bereits seit Jahrtausenden im arabischasiatischen Kulturkreis Haschisch (indischer Hanf, Cannabis), im mittelund südamerikanischen Raum Koka und andere Halluzinogene, Pilz- und Kakteenarten (Meskalin, Psilocybin) zur Anwendung. In den 20er Jahren pflegten die großstädtischen bürgerlichen Kreise Deutschlands den Konsum von Kokain, Morphin und Heroin. Bis nach dem Zweiten Weltkrieg experimentierten mit Haschisch nur einige Schriftsteller und Wissenschaftler. Mit den Protestbewegungen der 60er Jahre setzte dann ein regelmäßiger Konsum in bestimmten Bevölkerungsgruppen ein. Derzeit im Vormarsch sind Designer-Drogen wie Crack und Ecstasy. Ein fataler, aktueller Trend sind sog. „Alcopops" (Mixgetränke auf Basis von Limonade mit Rum oder Wodka). Klassifikation: Unterschieden werden stoffgebundene (Alkohol, Drogen, Medikamente und z. B. Genussmittel wie Nikotin) und nichtstoffgebundene Abhängigkeit, sowie legale und illegale Drogen. Prägnanz-Typen der Abhängigkeit (nach WHO): -Morphin-Typ -Barbiturat-Alkohol-Typ -Kokain-Typ -Cannabis-Typ -Amphetamin-Typ -Halluzinogen-Typ. Epidemiologie: Der Anteil der Abhängigen beträgt ca. 5-7% der deutschen Bevölkerung. Die bei weitem größte Bedeutung kommt der Alkoholabhängigkeit zu. Die Zahl der Betroffenen liegt in Deutschland bei 2,5 Millionen, die Zahl der Drogenabhängigen bei 150 000, die Zahl der Medikamentenabhängigen bei ca. 1 Million. Ca. 10 Millionen Deutsche sind nikotinabhängig. An den Folgen ihrer Alkoholerkrankung sterben in Deutschland jährlich ca. 40 000, aufgrund ihrer Drogenabhängigkeit ca. 1500 und infolge des Rauchens ca. 130 000 Menschen. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten z. B. der Alkoholabhängigkeit belaufen sich auf mindestens 20 Mrd. € jährlich. Ätiopathogenese: 3 Faktoren sind Bedingung: Droge, Individuum, soziales Umfeld. Die meisten Drogen steigern die Dopamin-Freisetzung und lösen so Euphorie aus. Auch Glutamat wird eine wesentliche Rolle für am „Suchtgedächtnis" beteiligte Lernprozesse zugeschrieben. Es steht heute fest, dass es eine genetische Vulnerabilität gibt. Durch Neuroadaptation entwickelt sich ein „Suchtgedächtnis". Typische Suchtmotive sind Lösung von Verstimmungszuständen, Leistungssteigerung, Einsamkeit, Langeweile, Erlebnissuche, Schmerzlinderung und Wunsch nach Betäubung. In der prämorbiden Persönlichkeit finden sich häufig verminderte Frustrationstoleranz, erhöhter Reizhunger, Stimmungslabilität, „Broken Home", fehlende Leitbilder, aber auch Verwöhnung als entwicklungsstörende Faktoren. Auch soziokulturelle Einflüsse (z. B. Konsumsitten, Werbung) und staatliche Restriktionen sind von Bedeutung. Lern- und Konditionierungsprozesse spielen ebenfalls eine Rolle. So können Drogen durch Vermittlung angenehmer Effekte als positive Verstärker süchtigen Verhaltens angesehen werden. Symptomatik: Es können verschiedene psychische, körperliche und soziale Folgen auftreten. Klinische Erscheinungsbilder sind: -Intoxikation -Missbrauch -Abhängigkeitssyndrom -Entzugssyndrom -induzierte psychotische Störung. Diagnostik: Die Diagnose ist in frühen Stadien schwierig. Bestimmte Laborwerte sind der beste Beweis für eine (aktuelle) Substanzaufnahme. Wegen der Dissimulationstendenz kommt fremdanamnestischen Angaben große Bedeutung zu. Nicht wenige Konsumenten nehmen mehrere Substanzen zu sich (Polytoxikomanie). Die Diagnose sollte nach dem wichtigsten Stoff gestellt werden. Therapie: Primäre Voraussetzung ist das Erreichen von Abstinenz. Die Behandlung gliedert sich in: -Kontakt- und Motivationsphase -Entgiftungsphase -Entwöhnungsbehandlung -Nachsorge- und Rehabilitationsphase, Rückfallprophylaxe. Nach wie vor besteht ein Missverhältnis vor allem zwischen der Zahl der Drogenabhängigen und den vorhandenen Therapieplätzen. Prävention: Die Primärprävention erfolgt durch Aufklärung der Allgemeinbevölkerung und entsprechender Zielgruppen (Lehrer, Erzieher, Psychologen, Ärzte). Wichtig sind sozialhygienische Maßnahmen („Lernen am Modell" = Vorbild, Erziehung, Freizeitverhalten). Neben der Öffentlichkeitsarbeit kommt der Sekundärprävention (Früherkennung und Frühbehandlung) entscheidende Bedeutung zu. (Früh-) Symptome werden häufig nicht erkannt oder nicht beachtet. Alkoholismus Definition: Unter Alkoholmissbrauch wird ein Alkoholkonsum verstanden, der gegenüber der soziokulturellen Norm überhöht ist bzw. zu unpassender Gelegenheit erfolgt. Dies geht mit vorübergehenden, deutlichen Veränderungen der psychischen und physischen Funktionen des Konsumenten einher. Alkoholabhängigkeit (chronischer Alkoholismus) ist definiert durch das Vorliegen von psychischer und/oder körperlicher Abhängigkeit vom Alkohol. Psychische Abhängigkeit ist durch das unwiderstehliche Verlangen nach Alkohol charakterisiert („craving") und wird häufig von Kontrollverlust begleitet. Körperliche Abhängigkeit ist durch Toleranzsteigerung mit nachfolgender Dosissteigerung und Entzugserscheinungen gekennzeichnet. Epidemiologie: Etwa 3-5 % der Bevölkerung sind alkoholabhängig. Rund 3 Millionen Alkoholkranke leben in Deutschland. Ca. 6 Mio. Menschen praktizieren einen „riskanten Konsum" (mehr als 20 g Alkohol bei Frauen und 40 g bei Männern täglich). Ca. 15% der Patienten in Allgemeinkrankenhäusern und 12% der Hausarzt-Patienten sind alkoholabhängig. Lt. WHO werden 2050% der Alkoholkrankheiten in der Arztpraxis nicht erkannt, die Dunkelziffer ist hoch. Männer sind häufiger betroffen als Frauen In psychiatrischen Kliniken stellen Alkoholkranke die größte Gruppe. Auf jeden Alkoholkranken kommen mindestens 2 Mitbetroffene („Co-Alkoholiker"). Ätiopathogenese: Alkoholismus hat eine multifaktorielle Genese. Für genetische Faktoren sprechen eine erhöhte Konkordanz bei eineiigen Zwillingen sowie individuelle und ethnische Unterschiede in der Alkoholtoleranz. Alkohol führt zu Veränderungen fast aller Transmittersysteme. Durch Neuroadaptation entwickelt sich ein „Suchtgedächtnis" vor allem im Bereich dopaminerger Neurone. Zu den psychologischen Faktoren zählen Broken-Home-Situationen sowie negative Identifikation. Aus psychodynamischer Sicht wird Alkoholabhängigkeit als Regression auf die orale Stufe interpretiert Eine typische „Suchtpersönlichkeit" scheint nicht zu existieren. Alkoholiker sollen sich durch ein erhöhtes Bedürfnis nach Stimulation auszeichnen. Die wichtigste Persönlichkeitsstörung bei Alkoholismus ist die antisoziale Persönlichkeitsstörung Lernpsychologische Suchttheorien sehen die Reduktion von z.B. Angst und Kontaktschwäche als wichtigsten Verstärker an. Soziokulturell von Bedeutung sind die ständige Verfügbarkeit, Einflüsse von Vorbildern, Werbung, Zeitgeist. Auch berufsbedingte Einflüsse können von Bedeutung sein (z.B. Tätigkeit in der Gastronomie). Geltungsbedürfnis oder Konformitätszwang können bei Jugendlichen ein Motiv sein. Auslöser sind meist aktuelle Konflikte, Belastungen und Einsamkeit. Symptomatik und klinische Subtypen Das klinische Bild kann sich aus internistischen, neurologischen und psychiatrischen Symptomen zusammensetzen. Probleme erscheinen durch den Alkohol erträglicher („Erleichterungstrinken").Psychisch kommt es häufig zu depressiver Verstimmung, Stimmungslabilität und Reizbarkeit. Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle führen nicht selten zu Suizidalität. Veränderungen der psychischen Leistungsfähigkeit zeigen sich u.a. in Form von Gedächtnislücken, Aufmerksamkeitsund Konzentrationsstörungen. Durch toxische Hirnschädigung kann es zur alkoholbedingten Wesensänderung kommen (organisches Psychosyndrom). Verdächtig auf Alkoholismus sind auch Symptome der Intoxikation (z.B. Ataxie, Foetor alcoholicus). Durch den Alkoholismus kommt es zu weitreichenden psychosozialen Folgen Die von Jellinek vorgeschlagene Typologie hat die weiteste Verbreitung gefunden. Die klinisch wichtigsten Formen sind der Gamma- und DeltaAlkoholismus. Eine weitere Unterscheidung ist die zwischen primärem (Abhängigkeit vor dem Auftreten anderer psychiatrischer Störungen) und sekundärem Alkoholismus (Abhängigkeit bei Vorliegen anderer psychischer Grunderkrankungen). Cloninger et al. haben aufgrund genetischer Studien eine weitere Typologie erarbeitet (Typ I und II). Basierend auf dem Alkoholgehalt verschiedener Getränke wird immer wieder versucht, Alkoholismus durch die Trinkmenge zu definieren. Akute Alkoholintoxikation Der Rausch ist eine vorübergehende akute organische Psychose. Unterschieden werden Alkoholrausch, komplizierter Rausch (intensiver ausgeprägt) und pathologischer Rausch. Letzter tritt relativ selten auf und unterscheidet sich vom einfachen Rausch durch psychotische Symptomatik (Desorientiertheit, Halluzinationen) und komplette Amnesie für den Zustand. Alkoholdelir (Delirium tremens) Das Aikoholdelir tritt meist als Entzugsdelir bei etwa 15% aller Alkoholabhängigen auf und dauert ca. 3-7 Tage. Prodromalerscheinungen (z.B. Unruhe, Zittern) werden als Prädelir oder vegetatives Entzugssyndrom bezeichnet. Leitsymptome des Delirs sind Desorientiertheit, motorische Unruhe, optische Halluzinationen und vegetative Entgleisung. Alkoholhalluzinose Typische Symptome sind akustische Halluzinationen beschimpfenden Charakters. Bewusstseinsstörung oder Desorientiertheit sind nicht vorhanden. Alkoholischer Eifersuchtswahn Entwickelt sich sehr selten. Hirnorganische Veränderungen Bei chronischem Alkoholismus dominiert die organische Persönlichkeitsveränderung bis zur Alkoholdemenz (hirnorganisches Psychosyndrom). Alkoholbedingte amnestische Störungen Wernicke-Enzephalopathie Auf Thiaminmangel beruhende Störung mit Trias Bewusstseinsstörung, Ataxie und Augenmuskelstörungen Korsakow-Syndrom: Leitsymptome sind Gedächtnisstörungen, Konfabulationen, evtl. Orientierungsstörungen sowie Polyneuropathie. Hepatische Enzephalopathie: Akuter oder chronischer Verlauf möglich. Alkohol-Embryopathie Die Alkohol-Embryopathie ist angesichts wachsenden Alkoholkonsums bei Frauen von zunehmender Bedeutung. Bei starker Schädigung finden sich charakteristische Zeichen (z.B. kleiner Kopf, Minderwuchs). Auch bei nur leicht geschädigten Kindern gibt es typische Beeinträchtigungen des Verhaltens, wie z.B. verstärkter Bewegungsdrang, gestörte Aufmerksamkeit und reduzierte Lern- und Denkfähigkeit. Diagnostik und Differenzialdiagnose Diagnostik: Die Diagnose stützt sich auf die Abschätzung des abnormen Trinkverhaltens, der alkoholbezogenen Schäden und der Alkoholabhängigkeit. Entscheidend ist eine psychische und/oder physische Abhängigkeit. Zur ersten groben Abklärung kann der CACE-Test eingesetzt werden. Zu den drei häufigsten Kriterien für Alkoholabhängigkeit zählen schädliche Folgen, Toleranzentwicklung und Verlangen (craving). Neben psychischen und sozialen Symptomen kommen typische körperliche Symptome und pathologische Laborparameter vor. Das CCT zeigt typischerweise eine diffuse kortikale und Kleinhirnatrophie. Testpsychologisch bewährt hat sich der Münchner Alkoholismus-Test Typische Symptome des (vegetativen) Alkoholentzugssyndroms („Prädelir") sind Tremor, Hyperhidrosis, Schlafstörungen, Depressivität und Unruhe. Differenzialdiagnose: Nicht selten setzen Depressive Alkohol im Sinne eines Behandlungsversuches ein. Stehen Konflikte im Vordergrund, muss an eine neurotische oder eine Persönlichkeitsstörung gedacht werden. Bei Orientierungs- und Gedächtnisstörungen sind hirnorganische Psychosyndrome anderer Ursachen abzuschließen. Außerdem müssen internistische und neurologische Grunderkrankungen ausgeschlossen werden. Therapie Folgende Therapieformen lassen sich unterscheiden: Kurzinterventionen in der hausärztlichen Praxis (Kontakt- und Motivierungsphase) Entzugsbehandlung (stationäre Entgiftung) Entwöhnungsbehandlung Nachsorge und Rehabilitationsphase (Suchtberatungsstellen, Selbsthilfeorganisationen). Verhaltensregeln zum Umgang mit Alkoholkranken: Arzt-Patient-Beziehung für Motivation zur Therapie entscheidend keine „Appelle an die Vernunft" Angehörige, Sozialdienst u.a. einbeziehen Etabliert ist heute die multiprofessionelle (multidisziplinäre) Therapiekonzeption. Nur etwa 1 % der Alkoholabhängigen unterziehen sich jedoch einer professionellen Entwöhnungsbehandlung, Das Ziel der absoluten Abstinenz ist der „Königsweg" in der Behandlung der Alkoholabhängigkeit. Als Behandlungsmethoden werden vor allem Verhaltens-, Gruppen- und Familientherapie-Programme angewandt. Alkoholiker-Selbsthilfegruppen sind bei der Therapie von eminenter Bedeutung. Die Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker vertreten das Prinzip, dass ein Alkoholiker lebenslang durch Alkohol gefährdet ist. Eine pharmakogestützte Rückfallprophylaxe besteht neuerdings durch sogenannte „Anticraving"-Medikamente (z.B. Acamprosat). Unter einer medikamentösen Behandlung mit Acamprosat kann die Abstinenzrate nach Entgiftung deutlich erhöht werden. Wegen der häufigen Komorbidität zwischen Alkoholabhängigkeit und affektiven Erkrankungen kann eine adjuvante Antidepressiva-Therapie notwendig sein. Evtl. kann ein medikamentöser Behandlungsversuch mit Disulfiram sinnvoll sein. Bei gravierenden Entzugssymptomen können während der Entgiftungsphase sedierende Antidepressiva oder Neuroleptika eingesetzt werden. Die Behandlung des Delirs erfolgt stationär v. a. mit Clomethiazol und Benzodiazepinen. Die Wernicke-Enzephalopathie wird mit Thiamin parenteral behandelt. Die Behandlung der Alkoholhalluzinose erfolgt mit hochpotenten Neuroleptika. Bei chronischem alkoholtoxisch bedingtem hirnorganischen Psychosyndrom ist eine symptomorientierte Therapie erforderlich. Verlauf Es gibt einen typischen Entwicklungsverlauf der Abhängigkeit: -präalkoholische Phase: Erleichterungstrinken -Prodromalphase: u.a. heimliches, gieriges Trinken, dauerndes Denken an Alkohol -kritische Phase: u.a. Kontrollverlust, körperliche Folgen -chronische Phase: u.a. morgendliches Trinken, sozialer Abstieg. Alkoholmissbrauch geht bei etwa jedem zweiten Patienten in eine manifeste Abhängigkeit über, die Zeitspanne dazwischen beträgt etwa 5-6 Jahre. Die Prognose wird u.a. determiniert durch die vorliegenden Organschäden und deren psychische Folgen. Häufig finden sich also Komorbidität, Angst-, Persönlichkeitsstörungen, Depressionen und andere Abhängigkeiten. Prognostisch günstig sind gute Schulund Berufsausbildung und Zusammenleben mit einem Partner, ungünstig ist das Vorliegen einer organischen Persönlichkeitsveränderung und ein hoher Neurotizismus-Score. Alkoholkranke Jugendliche sind ohne Milieuwechsel schwierig zu behandeln. Drogen- und Medikamentenabhängigkeit Definition: Als wesentliches Charakteristikum gilt das zwanghafte Bedürfnis, die betreffende(n) Substanz(en) zu konsumieren und sich diese unter allen Umständen zu beschaffen. Neben der psychischen besteht meist eine physische Abhängigkeit in Form von Toleranzentwicklung (Dosissteigerung) und Auftreten von Entzugserscheinungen. Nach ICD-10 bestehen zusätzlich Hinweise auf Kontrollverlust, eingeengtes Verhaltensmuster, zunehmende Vernachlässigung anderer Aktivitäten und Interessen. Epidemiologie: Ca. 0,6% (300 000) der deutschen Bevölkerung sind von illegalen Drogen abhängig. Cannabis ist die weitaus am häufigsten konsumierte illegale Droge. Die Zahl der Drogentoten liegt bei ca. 1500 jährlich. Illegale Drogen werden überwiegend von 14- bis 30-Jährigen konsumiert, Männer überwiegen etwa im Verhältnis 2:1. Ca. 3% der jugendlichen betreiben Drogenmissbrauch, etwa 7% der 18- bis 24-Jährigen haben bereits Erfahrungen mit Ecstasy gemacht. Die Zahl der Medikamentenabhängigen liegt bei etwa 1 Million, hiervon sind etwa 2/3 Frauen (v. a. Analgetika, Hypnotika, Tranquilizer, Antitussiva, Psychostimulanzien bzw. Appetitzügler, Laxanzien). Ätiopathogenese: Es existiert ein multifaktorielles Bedingungsgefüge Medikamentenmissbrauch entsteht meist durch die Behandlung von organischen oder funktionellen Beschwerden. Beim Drogenabusus spielen psychosoziale Faktoren wie Gruppenzwänge und „Neugier" eine bedeutende Rolle. Persönlichkeits- und lernpsychologische Modelle betonen die Bedeutung positiver Verstärkung, die Rolle der Konditionierung, eine verminderte Frustrationstoleranz, fehlende Entwicklung adäquater Konfliktbewältigungsstrategien, Reizhunger und eine neurotische Fehlentwicklung. Im Zentrum der neurobiologisch-pharmakologischen Theorien steht das mesolimbische Belohnungssystem des Gehirns („Sucht-Gedächtnis"). Der weitere Verlauf wird vor allem durch die Suchtpotenz der Substanz, biologischkonstitutionelle, sozioökonomische und lernpsychologische Faktoren bestimmt. Symptomatik und klinische Subtypen Die Symptome sind je nach Drogentyp unterschiedlich. Psychisch stehen ängstliche Unruhe und Spannung häufig im Vordergrund. Daneben bestehen als Zeichen der körperlichen Abhängigkeit vegetative Symptome (z. B. Tachykardie). Durch Einnahme immer höherer Dosen kommt es zur Toleranzentwicklung. Je nach Substanz kommt es früher oder später zu Veränderungen der Persönlichkeit (z.B. Einengung, Nivellierung). Die Kranken stumpfen ab, vernachlässigen Hygiene und Körperpflege. Eventuell kommt es zu dissozialem Verhalten. Als Prototyp der skizzierten Symptomatik gilt heute der Heroinabhängige. Das klinische Bild bei Konsum von Kokain und Amphetaminen sieht anders aus.Diese Substanzen können zum Teil als „ModeDrogen" künstlerischer und pseudointellektueller Kreise („Schickeria") angesehen werden. Morphin-Opiat-Typ Hierzu zählen Opium, Heroin, Methadon, Codein sowie stark wirksame Analgetika (z.B. Pethidin). Opiate und Opiode besitzen unter den Drogen das höchste Abhängigkeitspotenzial (psychische und physische Abhängigkeit). Alle Mittel dieser Gruppe bewirken eine ausgeprägte Schmerzstillung. Bei Missbrauch beherrscht Euphorie das Bild. Typischerweise entwickelt sich eine Wesensänderung. Heroinabhängige weisen zahlreiche somatische Symptome auf. Die Verwendung unsauberer Nadeln birgt die Gefahr einer Hepatitisund/oder HIV-Infektion. Die klinische Symptomatik einer Opiatintoxikation wird bestimmt durch die Trias: -Koma, -Atemdepression und -Miosis. Entzugssymptome treten bei Opiatabhängigkeit ca. 6-12 Stunden nach der letzten Einnahme auf und erreichen nach 24-48 Stunden ihren Höhepunkt. Sie klingen innerhalb von 10 Tagen ab. Neugeborene opiatsüchtiger Mütter zeigen ein neonatales Abstinenzsyndrom. Barbiturat-/Alkohol-Typ Barbiturate und ihre Analoga (Meprobamat, Diphenhydramin) haben ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial und beträchtliche Toxizität. Barbiturate sind als Hypnotika heute obsolet. Bei Missbrauch treten zahlreiche psychische (z. B. Sedierung, Affektlabilität) und körperliche Symptome (z. B. Ataxie) auf. Die längere Einnahme von Benzodiazepinen kann u.a. zu Dysphorie, Gleichgültigkeit, Leistungsminderung und paradoxen Reaktionen führen. Die Benzodiazepin-Abhängigkeit wird unterteilt in eine Hochdosis- und eine Niedrigdosis-Abhängigkeit. Abruptes Absetzen von Benzodiazepinen kann zu ReboundPhänomenen (Angst, Schlafstörungen) führen. Zu den Entzugssymptomen zählen u.a. vegetative Dysregulationen, Schlafstörungen, Tremor, Tachykardie, Desorientiertheit Kokain-Typ Hier findet sich eine starke psychische und keine physische Abhängigkeit. Akut kommt es zu einem euphorischen Glücksgefühl, Libidosteigerung, Abbau von Hemmungen, subjektiver Steigerung von Kreativität und Leistungsfähigkeit, reduziertem Hunger-, Durst- und Schlafgefühl (Kick). Im „Rauschstadium" treten Halluzinationen in den Vordergrund, anschließend „depressives Stadium". Bei chronischem Kokainkonsum finden sich taktile und akustische Halluzinationen, paranoid-halluzinatorische Psychosen sowie körperliche Symptome. Zu den Entzugssymptomen zählen Dysphorie und „Katerstimmung" Cannabis-Typ Es existieren zwei Formen: Haschisch und Marihuana. Diese sind häufig Einstiegsdroge für andere Suchterkrankungen. Cannabis-Konsum führt zu Euphorie und Gedächtnisstörungen. Körperliche Symptome sind Tachykardie, Konjunktivitis, Störungen der Feinmotorik und Bronchitis. Chronischer Konsum kann zu Teilnahmslosigkeit, Passivität und Apathie führen (Amotivations-Syndrom). Unter akuter stärkerer Substanzeinwirkung kann eine Intoxikationspsychose nach chronischem höherdosierten Konsum eine Cannabis-Psychose auftreten. Amphetamin-Typ Hierzu zählen die synthetisch hergestellten Amphetamine und amphetaminähnliche Substanzen (sog. Weckamine). Vollsynthetisch im Labor hergestellte Drogen werden als Designerdrogen bezeichnet. Hierzu gehören auch synthetische Halluzinogene wie z. B. „Angel's Dust" und „Speed„. Es entsteht psychische, keine körperliche Abhängigkeit. Der Missbrauch von Amphetaminen erfolgt zur Leistungssteigerung („Doping") sowie als „Appetitzügler". Psychische Symptome sind Unruhe, Enthemmung, Euphorie, Ideenflucht sowie paranoide Symptome. Körperlich kommt es neben der Appetitzügelung zu einem Blutdruckanstieg Unter den Designerdrogen ist Ecstasy (XTC) derzeit am weitesten verbreitet Hauptvertreter ist 3,4-Methylendioxymetamphetamin (MDMA). Es ruft eine amphetamintypische und halluzinogene Wirkung hervor. Gegenüber MDMA entwickelt sich schnell Toleranz und eine ausgeprägte psychische, jedoch keine körperliche Abhängigkeit. Neben psychiatrischen Komplikationen wie Panikstörungen, Depressivität und Psychosen können somatischneurologische Komplikationen wie Hyperthermie und Blutgerinnungsstörungen auftreten. Halluzinogen-(LSD-)Typ Typisch sind optische Halluzinationen und Wahrnehmungsverzerrungen, hervorgerufen durch z.B. LSD, Mescalin, Psilocybin, DOM sowie Phencyclidin (PCP, „Angel's Dust"). Zu den Phenycyclidin ähnlichen Substanzen zählt das Narkotikum Ketamin. Es besteht eine unterschiedlich starke psychische, aber keine physische Abhängigkeit. Der Halluzinogenrausch äußert sich in Gefühlsintensivierung, psychedelischen Effekten, optischen Halluzinationen, Ideenflucht und Veränderungen des Ich-Erlebens, Körpergefühls und Raum-Zeit-Erlebens. Das Bild wird entscheidend durch die psychische Ausgangsverfassung des Konsumenten geprägt. Anstieg von Herzfrequenz und RR, Hyperreflexie, Mydriasis, sind körperliche Symptome. 4 Phasen des Rauschverlaufs: Initialstadium, Rauschphase, Erholungsphase, Nachwirkungsphase. Relativ häufig kommt es zu einem atypischen Rauschverlauf mit Horrortrip und Flashback (Echopsychosen). Gelegentlich wird auch die Garten- und Zierpflanze Engelstrompete als halluzinogene Droge verwendet. Missbrauch von Lösungsmitteln (Schnüffelsucht) Rauschzustand durch Inhalation von Klebstoffen, Klebstoff- und Nitroverdünnern, Aceton sowie Lacken. Betroffen sind meist Jugendliche. Es entsteht eine ausgeprägte psychische, jedoch keine physische Abhängigkeit. Nach kurzem Erregungsstadium mit Reizung der oberen Atemwege tritt ein traumähnlicher Zustand mit Euphorie auf. Es kann zu deliranten Syndromen kommen. Als Komplikationen können Herzrhythmusstörungen, Polyneuropathien, Leberund Nierenschäden sowie Bronchopneumonien auftreten. Butan-Sniffer schießen sich mit Druck Feuerzeuggas in die Mundhöhle. Neben Euphorie treten Verwirrtheit und Halluzinationen auf. Polytoxikomanie (polyvalente Sucht) Viele Drogenabhängige weisen eine Mehrfachabhängigkeit auf und konsumieren zusätzlich z.B. Alkohol und Medikamente (v. a. Benzodiazepine, Kodein-Zubereitungen) als Ersatzstoffe gegen Entzugssymptomatik oder Befindlichkeitsstörungen Diagnostik und Differenzialdiagnose Diagnostik: Es gelten die in Tab. 4.97 (s. S. 314) zusammengefassten Kriterien. Daneben können auch „Indizien" wie z. B. Einstichmarken oder ein positiver Urintest Hinweise auf eine Drogensucht liefern. Hauptziel ist die Früherkennung drogenabhängiger Patienten Bei der klinischen Untersuchung fallen meist pathologische Laborwerte und ein positiver Drogennachweis im Urin auf. Medikamentenabhängige klagen häufig über chronische Schlaflosigkeit, Schmerzen und „Nervosität". Durch Blutentnahme und Urinkontrollen ist der Nachweis verschiedener Substanzen möglich. Differenzialdiagnose: primär Zuordnung des konsumierten Stoffs Differenzialdiagnostisch kommen Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis in Frage, aber auch affektive Störungen (z.B. Manie). Nachweismethoden: Drogen-Screening (im Urin) Haaranalyse Pupillometrie Therapie Die Behandlungskonzepte umfassen die medikamentöse Therapie, Psychotherapie, Soziotherapie und Selbsthilfegruppen (z.B. AA). Allgemeine Behandlungsprinzipien sind in Tab. 4.111 aufgeführt. Zielhierarchie der Suchtbehandlung s. Abb. 4.123. Behandlung der Opiat-Abhängigkeit: Bei Intoxikation wird Naloxon als Antidot eingesetzt (Tab. 4.112). Der Opiatentzug sollte am besten mit viel Zuwendung ohne medikamentöse Unterstützung („kalter Entzug"), evtl. mit Neuroleptika (antiemetisch, sedierend), Clonidin oder methadongestützt („warmer Entzug") durchgeführt werden. Behandlung der Barbiturat-/Benzodiazepin-Abhängigkeit s. Tab. 4.113. Behandlung der Kokain-Abhängigkeit s. Tab. 4.114. Behandlung der Amphetamin-Abhängigkeit s. Tab. 4.115. Ecstasy-Intoxikationen werden mit äußerer Abkühlung, Flüssigkeitszufuhr, Behandlung sonstiger Abhängigkeiten: Bei Cannabis-Intoxikation mit massiver Unruhe und zerebralen Krampfanfällen erfolgt die Gabe von Diazepam. Bei Intoxikationen mit Halluzinogenen Behandlung mit Haloperidol und/oder Diazepam. Bei Engelstrompeten-Intoxikation: Gabe von Physostigmin. Bei organischen Lösungsmitteln(Schnüffelsucht) stehen Kreislaufstützung und die Gabe von Diazepam im Vordergrund. Bei der Behandlung der Nikotinabhängigkeit (Raucherentwöhnung) hat sich die Kombination Nikotinsubstitution (Nikotinpflaster) mit Verhaltenstherapie (Selbstkontrolle) am besten bewährt. Der Schwerpunkt der Therapie liegt in der psychagogischpsychotherapeutisch orientierten Entwöhnungsbehandlung. Substitutions-Programme (Methadon) sind hinsichtlich ihrer Effektivität umstritten. Hierdurch wird vor allem ein Rückgang von Beschaffungskriminalität, Prostitution, HIV-Infektionen sowie eine beruflichsoziale Reintegration erhofft. Zugelassene Substanzen sind Methadon, Levomethadon und Buprenorphin. Verlauf Die Prognose beim Opiat-, Halluzinogen-und Amphetamin-Typ ist besonders ungünstig. Nur etwa Vi der Drogenabhängigen wird geheilt. Vi wird gebessert und sh der Betroffenen verelendet. Die Abstinenzraten nach Entwöhnungsbehandlung liegen zwischen 20 und 40%. Die Mortalität (z. B. durch Überdosis, Suizid) ist hoch.