Lehren für die ärztliche Standesvertretung Dr. med. Günther Jonitz

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Leitlinien im Spannungsfeld Ärztin/Arzt, Sozialversicherung
und Patientin/Patient – eine Herausforderung auch für die
ärztliche Standesvertretung
Österreichische Ärztekammer, Billrothhaus
9. Oktober 2006
Erfahrungsbericht der deutschen
Ärztinnen und Ärzte mit Leitlinien
– Lehren für die ärztliche
Standesvertretung
Dr. med. Günther Jonitz
Ärztekammer Berlin
Die bloße Mahnung an die Ärzte,
nach bestem Wissen und Gewissen
zu urteilen, genügt nicht.
Es müssten auch Vorschriften erlassen werden,
wie klein das Wissen und
wie groß das Gewissen sein darf.
Frei nach Karl Kraus (1874-1936), österr. Schriftsteller
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
„Epidemiologists love hard data. They want to know, wether people are dead or
alive. They can count that with confidence.
Doctors are less demanding, but still like to see evidence of objective improvement
in their patients:
Indeed, they may be happy when a hypertensive patient‘s blood pressure is coming
down even if he or she is feeling worse.
Patients, on the other hand, are much concerned with such things as how they feel,
how well the doctor communicates, and wether they have confidence in their
doctors – things that are annoyingly hard to measure.
Epidemiologists, doctors, and patients may thus all reach different conclusions
about wether a medical activity is worth while.
BMJ Vol 312, 2 March 1996, Editor‘s choice
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Was hat sich geändert?
Leistungsfähigkeit der Medizin:
Tumorbehandlung
Chronische Krankheiten (Diabetes mellitus)
Herz-Kreislaufkrankheiten (Herzinfarkt, Schlaganfall)
Infektionskrankheiten (HIV, Pneumonie)
Risikogruppen (Frühgeborene, Alte Menschen)
Zugänglichkeit, Erreichbarkeit
Schriftliche Erfolgsbilanz???
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Was hat sich geändert?
Demographischer Wandel
Durchschnittsalter in Klinik und Praxis steigt
Multimorbidität steigt
Belastbarkeit sinkt (m. E.)
„Gesellschaft des langen Lebens“
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Was hat sich geändert?
Externe Krise
Finanzierungskrise
Führungskrise (Politik)
Vertrauenskrise
Steigende juristische Ansprüche
Steigende Ansprüche der Patienten
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Was hat sich NICHT geändert?
Organisationsmuster
Verhaltensmuster
„Fließbandprinzip“
Ziele der Akteure unterschiedlich/gegensätzlich
Ergebnisse unklar
Beteiligte in Konkurrenz (Kassen, ambulant/stationär, Politik)
Primat der personellen Führung
Fehlende Zusammenarbeit und Kommunikation der Akteure
Fehlende gemeinsame Verantwortung
„Schwarzer-Peter-Prinzip“
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Summe des Eigennutzes der
Beteiligten führt nicht zum
Gesamtnutzen des Systems.
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
„Knowledge
is the
enemy of the disease.“
Sir John Muir Gray, UK
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Sind unsere klassischen Muster zur
Gewinnung und Verbreitung von
Wissen noch tauglich?
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Welt am Sonntag – Nr. 4 Seite 39 (Kurzfassung:)
Weniger Diabetes und Schlaganfall
Glasgow – Das Medikament Pravastatin zur
Cholesterinsenkung reduziert deutlich das Risiko für
Diabetes und Schlaganfall. Dies geht aus einer
Langzeitstudie an der University of Glasgow hervor.
Die Forscher hatten die Auswirkung von Pravastatin aus
der Wirkstoffklasse der Statine bei 6000 Männern
zwischen 45 und 63 Jahren untersucht. Ihr Risiko, an
Diabetes zu erkranken, sank demnach um 30 Prozent,
ihr Schlaganfallrisiko um 20 Prozent.
Quelle: Circulation
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Nach der West-of-Scotland-Studie beträgt das 5-Jahres-Risiko für Tod aus
kardiovaskulärer Ursache unter Placebo 2,3%, unter Pravastatin 1,6%.
Es kann auch gelten:
1.
Pravastatin reduziert das Risiko für alle kardiovaskulär verursachten
Todesfälle gegenüber einer Placebo-behandelten Kontrollgruppe um 30%
(das 95% Konfidenzintervall reicht nach Angaben der Autoren von 3 bis 53%).
2.
Werden 1000 Männer mit Hypercholesterinämie (Alter 45 bis 64 Jahre)
über 5 Jahre mit Pravastatin behandelt, werden statt 23 (unter Placebo) 16
einen kardiovaskulär verursachten Tod sterben.
3.
Unter Pravastatin überleben 984, unter Placebo sind es 977.
4.
Um einen solchen Todesfall zu verhindern, müssen 143 Personen behandelt werden.
5.
Nach Skolbekken (1998) erfordert dies die Einnahme von rund 350.000
Pravastatin-Tabletten.
Wenn Sie jetzt leise anfangen, nachdenklich zu werden, sind Sie richtig..
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Einflussnahme Dritter auf die medizinische Forschung
•
Test von Medikamenten an Patienten, die jünger sind, als die
Zielgruppe. Durch geringere Ko-Morbidität geringere Nebenwirkungen, scheinbar höherer Nutzen.
•
Vergleich des Präparates mit einem Konkurrenzpräparat in zu
niedriger Dosierung.
•
Wahl von „Surrogatendpunkten“ („Laborkosmetik“).
•
Auswertung von Rohdaten nur durch Financier der Studie, nicht
durch den Autor.
•
Verzögerung der Publikation.
•
Verschweigen von negativen Studienergebnissen.
Th. Bodenheimer NEJM 2000; 342:1539- 1544
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Einflussnahme Dritter auf die ärztliche Fortbildung
„Im Inhaltsverzeichnis der August-Ausgabe der Zeitschrift für
Allgemeinmedizin (die erst am 10. September ausgeliefert wurde) wird ein
Artikel über Protonenpumpeninhibitoren angekündigt, der auf den
angegebenen Seiten gar nicht erscheint.
Der Grund für diesen eigentümlichen "Fehler" ist, dass der Thieme-Verlag
die bereits fertig gedruckte August-Ausgabe der Zeitschrift kurzerhand
eingestampft hat, weil er Verluste im Anzeigengeschäft mit der
pharmazeutischen Industrie befürchtete. Bei der Herstellung der "neuen“
Ausgabe hat er sich dann durch fehlende Sorgfalt selbst ein Bein gestellt:
Die Inhaltsangabe blieb unangetastet, der Artikel aber verschwand“.
Prof. Dr. Kochen, Präsident der DEGAM, 18. September 2006
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Im Thieme Verlag erscheinen knapp 90
deutschsprachige medizinische Fachzeitschriften,
darunter die
„Deutsche Medizinische Wochenschrift“,
„Geburtshilfe und Frauenheilkunde“,
„Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für
Chirurgie“ u.v.a.m
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Das Programm für Nationale VersorgungsLeitlinien
(NVL-Programm) ist eine
gemeinsame Initiative der
Bundesärztekammer,
der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften (AWMF)
und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
zu Gunsten von Qualität und Transparenz in der Medizin.
Nationale VersorgungsLeitlinien (NVL) sind
ärztliche Entscheidungshilfen für die strukturierte medizinische Versorgung
auf der Grundlage der besten verfügbaren Evidenz.
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Derzeit existieren Nationale VersorgungsLeitlinien oder entsprechende
Entwürfe zu den Themen Asthma, Typ-2 Diabetes, COPD, Koronare
Herzkrankheit. Zu den Themen Depression, Herzinsuffizienz und
Rückenschmerz sind NVL in Arbeit.
Praxishilfen, wie z. B. Formulare und Checklisten, die die Anwendung der NVLEmpfehlungen in Praxis und Klinik unterstützen können, finden Sie ebenfalls bei den
jeweiligen NVL-Themen.
Zertifizierte Fortbildungsangebote zu den NVL-Themen finden Sie unter
NVL-Fortbildung.
Die Beteiligung von Patienten an der NVL-Erstellung und -Nutzung erfolgt in
Abstimmung mit dem Patientenforum bei der Bundesärztekammer. In diesem
Rahmen erstellt das Patientenforum Patientenleitlinien zu den NVL-Themen.
Ihre Kommentare und Anfragen zu den Nationalen
VersorgungsLeitlinien sind uns sehr willkommen!
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Ziele von Leitlinien:
Transfer von Evidenz aus Forschung und Praxis
in Empfehlungen über optimale Gesundheitsversorgung
Medizinische Forschung
Klinische Studien
Versorgungs-Forschung (Outcomes, Effectiveness)
Evidenzbasierte Informationen
Leitlinien
Qualitäts-Indikatoren
QualitätsSicherung
Qualitätsförderung
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
nach J. Slutsky, US Guideline Clearinghouse,
09.10.06 2002 www.cpg2002.de
Genauere Infos zum
Nationalen Programm für VersorgungsLeitlinien,
zu den Inhalten, Ergebnissen und zur Methodik
unter
www.versorgungsleitlinien.de
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Wer – wenn nicht wir?
Wenn wir es nicht selbst regeln, regeln es andere.
Methodik (evidenzbasierte Medizin, DELBI),
politisch-inhaltliches Netzwerk (Guidelines
International Network GIN) und Umsetzung unter
Organisation/Mitgestaltung der Ärzteschaft.
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Was?
Nachfrage sehr gut. Asthma-Leitlinie meistgefragte LL im
deutschen Internet.
Wie?
Weniger ist mehr.
„In der Ruhe liegt die Kraft“.
Ziel nicht aus den Augen verlieren (Versorgungsdefizite?).
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
Politische Bewertung:
Der Prozess der Systematisierung und Optimierung des Themas
„Wissen“ durch die Standesvertretung bietet die Chance, auf
solider methodischer Grundlage praxisrelevante und umsetzbare
Leitlinien zur Förderung ärztlicher Tätigkeit zu erarbeiten.
Die Führung dieses Prozesses durch die Standesvertretung
bringt unterschiedliche Gruppen und Verbände zusammen.
Common sense und „Clinical Governance“ werden
gewährleistet.
Ansehen und Vertrauen in die Standesvertretung steigen.
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
„Ein empathischer und respektvoller, von hohem
Sachverstand getragener ärztlicher Paternalismus würde
dem viel beklagten Schwund der Menschlichkeit in der
Medizin mehr entgegenwirken als jeder noch so gut
gemeinte Versuch, Autonomie und Rechte der Patienten
aufzuwerten.“
Klaus Dörner, Das Gesundheitsdilemma, Berlin 2004
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
WISSENSCHAFTLICHE MEDIZIN
Dr. med. Günther Jonitz, Wien
09.10.06
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