Europahistoriographie

Werbung
Historiographiegeschichte
• Markus Völkel: Geschichtsschreibung,
Köln (UTB) 2006 („globale“
Historiographiegeschichte)
Europahistoriographie
Literatur
• Kurzüberblick: Wolfgang Schmale: Europa als
Topos der Geschichtsschreibung, in: Georg
Michels (Hg.): Auf der Suche nach einem
Phantom? Widerspiegelungen Europas in der
Geschichtswissenschaft, S. 45-67, BadenBaden 2003
• Handbuch: Heinz Duchhardt, Małgorzata
Morawiec, Wolfgang Schmale, Winfried Schulze
(Hg.): Europa-Historiker. Ein biographisches
Handbuch, 3 Bände, Göttingen 2006-2007
Europahistoriographie
• Was heißt „Europahistoriographie“?
• Seit wann gibt es innerhalb der
Geschichtsschreibung eine
„Europahistoriographie“?
– In der Antike?
– Im Mittelalter?
Europahistoriographie
Frühe Neuzeit
Pierfrancesco Giambullari (1495-1555):
Istoria d‘Europa (1546-1555 verfasst)
Erstdruck Venedig 1566
Umfasst Geschichte des 9./10. Jahrhunderts
in einer gegenwartsgeschichtlichen
Perspektive
Europahistoriographie
V. Reinhardt zu Pierfrancesco Giambullari:
„Europa und die Anderen. So sehr die Aufhebung
der Zivilisationsgrenze zwischen Romania und
Germania dem politischen Klima der Zeit
geschuldet ist, die wahre Funktion dieser
Annulierung zeigt sich darin, dass die Trennlinie
letztendlich nur verschoben ist – sie verläuft in
der Geschichte Europas zwischen den christlich
akkulturierten Völkern Europas und den ihre
Oikumene bedrohenden Heiden. Ihnen, d. h.
Europahistoriographie
V. Reinhardt zu Pierfrancesco Giambullari:
Ungarn, Sarazenen und Normannen (…), kommt
die für jede Geschichtsdarstellung der Zeit
weiterhin unverzichtbare Rolle der finsteren,
fundamentale Werte negierenden Gegenwelt zu.
Geradezu liebevoll grässlich zeichnet
Giambullari daher Sitten und Gebräuche der
Hunnen und ihrer Nachkommen, der wilden
Ungarn (…). Sie trinken als Stärkungsmittel in
der Schlacht das Blut ihrer Gegner (deren
grausam abgeschlachtete Leiber sie danach
zum Siegesschmaus verzehren)…“(in: EuropaHistoriker, Bd. 1, S. 13f.)
Europahistoriographie
Francesco Guicciardini (1483-1540): Die
Storia d‘Italia (1535-1540, unvollendet;
1561 erstmals gedruckt) als
Europahistoriographie
Europa = geographischer Begriff
Europa = Christianitas
Europa = Vernetzung der europäischen
„nazioni“, ‚systemischer‘ Zusammenhang
der europäischen Mächte, Gleichgewicht,
Bedeutung der Verflechtung der
Adelsfamilien
Europahistoriographie
Frühe Neuzeit
Sebastian Münster (1488-1552):
Kosmographey/Cosmographia Universalis
Erstdruck: Basel 1544
Übergang zwischen Heilsgeschichtsschreibung und Geschichtsschreibung
aufgrund von Quellen und empirischer
Forschung
Erste „Kulturgeschichte“ Europas
Europahistoriographie
Sebastian Münster (1488-1552)
Einbeziehung von „Moscowiterlandt“,
„Bulgarey und Walachei“ sowie „Türckey“
in den Europabegriff
Essentialistischer geographischer
Europabegriff
Europahistoriographie
Frühe Neuzeit
Matthäus Merian: Theatrum Europaeum, 1.
Band, Frankfurt/Main 1635; 21. und letzter
Band 1738
http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/europaqu
ellen/essays/merian_theatrum_europaeum.ht
m
Chronologisch-verflochtene, chronologischtransnationale, chronologisch-nationale
Darstellung
Europahistoriographie
18. Jahrhundert: Kulturgeschichte
Veränderung des Kulturbegriffs (Zitat Jörg Fisch):
„ Was dem Kulturbegriff seine Verbreitung sicherte und
zugleich zu seiner inhaltlichen Entfaltung führte, war
seine Verbindung mit dem historischen und
geschichtsphilosophischen Denken im weitesten Sinne.
Aus dem Bezug auf die individuelle Bildung und
Erziehung wurde eine Funktion der Geschichte des
Menschengeschlechts […].
Europahistoriographie
18. Jahrhundert: Kulturgeschichte
Veränderung des Kulturbegriffs (Fortsetzung Zitat Jörg
Fisch):
„ Durch das Bedürfnis, den Ablauf der Geschichte neu und
losgelöst von der theologischen Tradition zu denken und
mit Sinn zu erfüllen, ergab sich auch ein Bedürfnis nach
einem Ausdruck, mit dessen Hilfe die spezifisch
menschliche Leistung bei diesem Vorgang auf den
Begriff gebracht werden konnte. […] Um diese Funktion
erfüllen zu können, mußte der traditionelle Begriff neue
Akzente erhalten. Die erste und wichtigste Ausweitung
war die vom Individuum auf Kollektive, Völker und die
Europahistoriographie
18. Jahrhundert: Kulturgeschichte
Veränderung des Kulturbegriffs (Fortsetzung und Ende
Zitat Jörg Fisch):
„ Menschheit. Danach war der Übergang von einzelnen
Fähigkeiten oder Bereichen, wie Landwirtschaft,
Erziehung oder Wissenschaften, auf alle menschlichen
Hervorbringungen erforderlich. Der dritte Schritt, der am
zögerndsten vollzogen wurde, war der Übergang vom
Vorgang der Kultivierung des Menschen oder seiner
Umwelt zu den Resultaten, zunächst zum kultivierten
Menschen, und schließlich zu den Kulturprodukten.“
Jörg Fisch: Art. Zivilisation, Kultur, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 7, hg. v. Otto Brunner, Werner
Conze und Reinhard Koselleck, Stuttgart 1992, S. 679-774, hier Abschnitt VI, S. 707.
.
Europahistoriographie
Voltaire (d.i. François-Marie Arouet; 16941778):
Essai sur les mœurs et l’esprit des nations et
sur les principaux faits de l’histoire depuis
Charlemagne jusqu’à Louis XIII
(1741-1778)
Europahistoriographie
Europabegriff bei Voltaire:
Europa im Mittelalter = Christenheit
Ende Mittelalter = Christliche Republik
Frühe Neuzeit = politisches System
Europa = Gedächtnisraum
Europa = Zivilisation
Europahistoriographie
• Rousseau, Jean-Jacques: Discours sur les sciences et
les arts [1750]. Chronologie et introduction par Jacques
Roger, Paris 1971, Zitat:
• « L’Europe était retombée dans la barbarie des premiers
âges. […] Il fallait une révolution pour ramener les
hommes au sens commun; elle vint enfin du côté d’où on
l’aurait le moins attendue. Ce fut le stupide Musulman,
ce fut l’éternel fléau des lettres qui les fit renaître parmi
nous. La chute du trône de Constantin porta dans l’Italie
les débris de l’ancienne Grèce. La France s’enrichit à
son tour de ces précieuses dépouilles. Bientôt les
sciences suivirent les lettres; […] »
Europahistoriographie
• William Robertson (1721-1793): History of the Reign of
the Emperor Charles the Fifth (1769), hg. von William H.
Prescott, London 1902, Zitat:
• “Some boundary, then, ought to be fixed, in order to
separate these periods. An era should be pointed out,
prior to which each country, little connected with those
around it, may trace its own history apart; after which the
transactions of every considerable nation in Europe
become interesting and instructive to all. With this
intention I undertook to write the History of the Emperor
Charles the Fifth. It was during his administration that the
powers of Europe were formed into one great political
system […]”
Europahistoriographie
Johann Gottfried von Herder (1744-1803): Ideen
zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
[1784-85]:
Europa = Kultur, Vorrang vor anderen Kulturen in
der Welt
Einbettung in Menschheitsgeschichte
Enge Beziehung zwischen Geographie (Kontinent)
und den dort lebenden Menschen
Europa = „Abendland“ = „Nationen-Verein“ =
„Europäische Republik“
Europahistoriographie
Johann Gottfried von Herder (1744-1803): Ideen
zur Philosophie der Geschichte der Menschheit
[1784-85]:
Geschichte „bewegt“ sich ursprünglich von Ost
(Asien = „gebildete Vorwelt“) nach West
(Europa)
Mittelalter: „lichtbringender“ Einfluss der
arabischen Kultur
Gewaltgeschichte Europas, die
Menschheitsgeschichte mehrfach zurückwirft
Europahistoriographie
19. Jahrhundert
• François Guizot (1787-1874): Cours d’histoire
moderne : Histoire générale de la civilisation en
Europe, Paris 1828
• Deutsche Übersetzung: Allgemeine Geschichte
der europäischen Civilisation in vierzehn
akademischen Vorlesungen vorgetragen von Fr.
P. G. Guizot. Nach der fünften Auflage frei
übertragen von Dr. Carl Sachs, Stuttgart 1844
Europahistoriographie
19. Jahrhundert
Zitate aus François Guizot (deutsche Ausgabe):
„Nachdem die großen politischen Organisationsversuche im
Lauf des vierzehnten Jahrhunderts gescheitert waren,
entstand in Europa ein gewissermaßen instinktartiges
Streben nach Centralisation, welches den Charakter des
fünfzehnten Jahrhunderts bildet. Während dieses ganzen
Zeitraumes zielte Alles darauf hin, allgemeine Interessen
und eine öffentliche Meinung zu schaffen, den Geist der
Vereinzelung und Localität zu verdrängen, statt dessen
höhere und edlere Ansichten in Umlauf zu bringen und
Etwas, das bisher eigentlich nicht vorhanden gewesen war,
nämlich Völker und Regierungen, in’s Daseyn zu rufen. Der
Erfolg dieser Bestrebungen kam im sechszehnten
Jahrhundert zum Vorschein.
Europahistoriographie
19. Jahrhundert
Fortsetzung Zitate aus François Guizot (deutsche
Ausgabe):
Aus derselben Periode stammt eine andere Thatsache, die
in der politischen Geschichte Europa’s von hoher
Bedeutung war. Im fünfzehnten Jahrhundert entstand
zwischen den Regierungen der verschiedenen Länder
ein lebhafter, regelmäßiger und dauernder Verkehr.
Damals bildeten sich zuerst jene großen
Staatsbündnisse, die theils Erhaltung des Friedens,
theils gemeinsame Kriege zum Zweck hatten, und aus
denen in der Folge das System des Gleichgewichts
entstanden ist. […] Drei Jahrhunderte hindurch sind die
auswärtigen Angelegenheiten der europäischen Staaten
der Hauptgegenstand der Geschichte.
Europahistoriographie
19. Jahrhundert
Fortsetzung Zitate aus François Guizot (deutsche
Ausgabe):
„Ein viertes Beförderungsmittel der Civilisation, dessen
Wirksamkeit zwar nicht genau zu bestimmen, doch
keineswegs abzuleugnen ist, war endlich das Auftreten
großer Männer. Niemand ist im Stande zu sagen, warum
ein großer Mann in einer gewissen Epoche erschienen,
und wie viel er zur Entwickelung der Menschheit
beigetragen; dies ist das Geheimnis der Vorsehung, die
Thatsache ist darum nicht minder gewiß.
Die anderen drei „Beförderungsmittel waren: die christliche
Kirche, die römische Zivilisation, eine letztlich in der
Natur des Menschen verankerte „Sehnsucht nach
Civilisation“, die auch die „Barbaren“ (am Ende des
römischen Reichs) verspürten.“
Europahistoriographie
•
•
•
•
•
•
Leopold von Ranke (1795-1886)
Europäische und Nationalgeschichte
Quellen und Quellenkritik
„Völkereinheit“
Nord- u. Südamerika Europa mehr verbunden als
Russland
Unvollendetes Alterswerk „Weltgeschichte“, beginnt mit
„vorderasiatisch-europäischer Geschichte“ (E. Schulin)
„Fundament seines Geschichtsbilds das Modell Europas
als Einheit in der Vielheit“ (W. Hardtwig)
Europahistoriographie
20. Jahrhundert
Oskar Halecki: Europa. Grenzen und Gliederung seiner
Geschichte, Darmstadt 1957 (engl. 1950), Zitat:
„Als vorläufige Arbeitsdefinition wollen wir sagen,
europäische Geschichte ist die Geschichte aller
europäischen Nationen, die als ein Ganzes, als eine
Gemeinschaft betrachtet werden, welche klar von
jeder anderen geschieden ist. Außerdem ist nicht zu
leugnen, daß Europa von dem Augenblick an, da es
als eine derartige Gemeinschaft gebildet wurde,
tatsächlich eine einzigartige Stellung in der
Weltgeschichte einnahm, eine Stellung von
außergewöhnlicher und hervorragender Bedeutung.“
Europahistoriographie
20. Jahrhundert
Oskar Halecki: Europa. Grenzen und Gliederung seiner
Geschichte, Darmstadt 21957 (engl. 1950), Zitat:
„Doch zunächst mußten die europäischen Völker alle
bekehrt werden. Und diese Bekehrung, nicht mehr die
imperiale Eroberung, dehnte die geschichtlichen
Grenzen Europas aus, bis sie sich den geographischen
Grenzen des Kontinents näherten.“
„Europa ist die Gemeinschaft aller Nationen, die unter den
günstigen Bedingungen eines kleinen, aber von
Vielfältigkeit erfüllten Kontinents das durch das
Christentum umgewandelte und erhöhte Erbe der
griechisch-römischen Kultur übernahmen und
weiterentwickelten und so den freien Völkern außerhalb
des antiken Reiches Zugang zu den bleibenden Werten
der Vergangenheit gaben.“
Europahistoriographie
20. Jahrhundert
Oskar Halecki: Europa. Grenzen und Gliederung seiner
Geschichte, Darmstadt 21957 (engl. 1950), Zitat:
„Nicht minder gewiß ist es heute, daß die sogenannte
Zeitgeschichte zum größten Teil, wenn nicht ganz, nicht
mehr zum europäischen Zeitalter gehört. Die Geschichte
aller europäischen Nationen läuft natürlich weiter, aber
sie bildet nicht mehr eine von allen anderen Völkern so
sehr geschiedene Gemeinschaft, daß die europäische
Geschichte wie bisher einen „aus sich selbst
verständlichen Bereich der Forschung“ darstellen
könnte, der als Ganzes von jedem anderen getrennt
wäre. Auch nimmt die europäische Gruppe der Nationen
jetzt nicht mehr eine privilegierte, führende Stellung in
der Welt ein.“
Theodor Schieder, Hrsg.:
• Handbuch der europäischen Geschichte, 7
Bände 1968 bis 1987
• 1968: Band 4, 6
• 1976: Band 1
• 1987: Band 2
Europahistoriographie
Walter Lipgens (1925-1984):
Mitbegründer der Historischen Abteilung am
Europäischen Hochschulinstitut Florenz
Mitbegründer der Verbindungsgruppe der
Historiker bei der Europäischen
Kommission
Ideengeschichte der europäischen
Integration und Einigung im 20.
Jahrhundert
Herunterladen