DVR-Presseseminar Bonn 05.09.2006 Individuelle Mobilität? Kriterien zur Beurteilung der Fahreignung alkohol- und drogenauffälliger Fahrer 1 Wolfgang Schubert Unfallursache Ursachen für Unfälle mit Personenschaden Deutschland 2005 Mensch 94,1 Äußere Bedingungen 11,9 Fahrzeug 1,3 0,0 20,0 40,0 60,0 Prozent Quelle: Statistisches Bundesamt 2005, Fachserie 8, Reihe 7 (Mehrfachursachen eingeschlossen) 2 Wolfgang Schubert 80,0 100,0 BegutachtungsLeitlinien zur Kraftfahrereignung 3 Urteilsbildung in der medizinisch-psychologischen Fahreignungsdiagnostik – Beurteilungskriterien BegutachtungsLeitlinien zur Kraftfahrereignung - Kommentar Wolfgang Schubert Anforderungen an Träger von Begutachtungsstellen für Fahreignung Stand von Wissenschaft und Technik in der Begutachtung Definition: Anerkannte Regeln der Begutachtung zur Kraftfahrereignung sind verkehrsmedizinische, verkehrspsychologische und technische Grundsätze, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen als theoretisch richtig gelten, die sich in der Praxis über längere Zeit bewährt haben und von einschlägigen Fachkreisen allgemein anerkannt sind. = Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung = „Kommentar“ zu den Begutachtungs-Leitlinien = „Beurteilungskriterien“ = Anforderungen an zu akkreditierende Träger 4 Wolfgang Schubert Aufgaben der Beurteilungskriterien • Übersetzen der behördlichen Fragestellung in überprüfbare Hypothesen • Definition der Anforderungen für bestimmte „Fallgruppen“ - Kongruenz mit den Begutachtungs-Leitlinien • Feststellung der aktuellen Leistungsfähigkeit und des Gesundheitszustandes • Bewertung von Entwicklungen und Veränderungsprozessen • Bewertung prognostischer Perspektiven • Einräumen von Chancen zur Veränderung (Kurszuweisung) • Festlegungen zur Methodik der med.-psych. Untersuchung (neues Kapitel 7.1 Chemisch-toxikologische Untersuchungen) • „strukturelle Heimat“ für neue wissenschaftliche Erkenntnisse 5 Wolfgang Schubert Stellung der Beurteilungskriterien Verhaltensauffälligkeit StVG / FeV Fragestellung - Alkoholfahrt - Drogenmissbrauch - verkehrsrechtl. Verstöße Eignungszweifel? Anordnung von ärztlichen oder med.-psych. Gutachten Ist zu erwarten , dass...? Genügt Herr _ den Anforderungen? Leitsätze der Beurteilung Definition der Anforderungen Zuordnung der Einzelbefunde (empirische Erkenntnisse) (Beurteilungslogik) (Expertenwissen) • Anlage 4 FeV • Begutachtungs-Leitlinien • Beurteilungskriterien (Hypothesen) 6 • Begutachtungs-Leitlinien • Beurteilungskriterien (Kriterien) Wolfgang Schubert • Beurteilungskriterien (Indikatoren) Wandel in der Diagnostik klassische Diagnostik verhaltensbezogene Diagnostik (entlastungs- und ressourcenorientiert) 7 • Erkrankungen • Lernprozesse • Leistungsmängel • Einstellungswandel • Deliktbelastung • Bilden neuer Gewohnheiten • Persönlichkeit • Stabilisierung direkter Schluss auf Eignung Merkmale + Veränderungen Herstellung d. Eignung Merkmalsdiagnostik Prozessdiagnostik Wolfgang Schubert 3 Ebenen der Beurteilungskriterien 17 Hypothesen: • • • Werden durch die Fragestellung bestimmt Sind den Anlassgruppen zugeordnet Legen die Untersuchungsstrategie fest 76 Kriterien: • • • stellen die logische Entscheidungsstrategie hinsichtlich Beibehaltung oder Verwerfen einer Hypothese dar sind den gewählten Hypothese zugeordnet und sind jeweils vollständig zu bewerten können ggf. alleine die Entscheidung tragen 736 Indikatoren: • • • • 8 erlauben eine Zuordnung von Befunden zu Entscheidungskriterien müssen für den Einzelfall abgewogen und gewichtet werden können nicht vollständig und abschließend sein (Beispielcharakter) können alleine keine Entscheidung tragen Wolfgang Schubert Grundstruktur der 17 Hypothesen H0: Verwertbarkeit der Befunde AV-Kriterien D-Kriterien A1: Alkoholabhängigkeit D1: Drogenabhängigkeit A2: Alkoholverzicht D2: fortgeschrittene Drogenproblematik A3: reduzierter Konsum A4: Trennvermögen D3: Drogengefährdung D4: Trennvermögen bei gelegentlich THC V5: Verkehrsverhalten V6: Sozialanpassung AV7 / D5: keine eignungsausschließenden medizinischen Befunde AV8 / D6: keine verkehrsrelevante Leistungsbeeinträchtigung AV9 / D7: festgestellte Defizite durch Kurs (§70 FeV) beeinflussbar? 9 Wolfgang Schubert 3 Ebenen der Befundinterpretation Daten "Besuche freitags Stammkneipe" "Habe Alkohol für Besuch zu Hause" „Wenn ich doch mal wieder was trinke, lasse ich Auto stehen“ „Ich trinke nichts mehr, weil ich‘s nicht brauche“ Indikatoren 10 Feststellungen Klient bemüht sich nicht um rückfallvermindernde Maßnahmen keine konsequente Abstinenzmotivation u. „Krankheitseinsicht“ Kriterien Wolfgang Schubert Diagnose Alkoholabhängigkeit ist nicht ausreichend aufgearbeitet Hypothesen 3-dimensionale Hypothesenstruktur Problemausprägung H1: Alkoholabhängigkeit H2: fehlende Trinkkontrolle H3: Alkoholgewöhnung dauerhaft reduzierter Konsum Trinkkontrolle H4 Trennvermögen Motivation Veränderung Stabilität Veränderung 11 Wolfgang Schubert 3-dimensionale Hypothesenstruktur Problemausprägung H1: Alkoholabhängigkeit H2: fehlende Trinkkontrolle H3: Alkoholgewöhnung dauerhaft reduzierter Konsum Trinkkontrolle H4 Trennvermögen H7 :körp. u. seel.Gesundheit Motivation Veränderung Stabilität Veränderung H8: psycho-phys. Leistungsfähigkeit H0: Selbstreflexion / H9: Kurseignung Sieht Einschränkungen Kompensation Skills & Wills 12 Wolfgang Schubert Vorschlag für ein europäisches Modell zur Förderung, Erhaltung und Wiederherstellung der Kraftfahreignung Primäre Prävention (Vorschul- u. Schulerziehung, Fahrschulausbildung) Punktesystem Abbildung in Anlehnung an Steuerungsgruppe Verkehrspsychologie Andere Verstöße, Alkohol, Drogen etc. Sekundäre Prävention (Beratung, Schulung, Reha) Entziehung der Fahrerlaubnis Tertiäre Prävention „Obligatorische Beratung“ Zuweisungsdiagnostik / Assessment Einzeltherapie Gruppentherapie Begutachtung körperlicher und geistiger Eignung (FA-GA, med.-psych. GA Prognose) Behördliche Entscheidung Erhalt/Erteilung FE 13 Versagung FE Wolfgang Schubert Forschung z. B. Grundlagen, Ätiologie/Pathogenese, Veränderungswissen, Evaluation/Wirksamkeit, Epidemiologie, Methodenentwicklung, z. B. Testverfahren (Persönlichkeits- und Leistungstests), Laboranalyseverfahren, Grenzwertdiskussion, Rehabilitations- und Therapieverfahren Rollenkonfusion Gutachter vs. Therapeut • keine Betreuungspflicht, sondern – verbot • Tätigkeitsziel dient nicht primär der Erhaltung und Wiederherstellung von Gesundheit • Schutz der Allgemeinheit hat Vorrang – Schutzpflicht des Staates • keine freie Wahl des Sachverständigen • Grund für eine Begutachtung – weder objektive noch subjektive Therapieindikation, sondern ein verwaltungsrechtlich definierter Begutachtungsanlass • keine geschützte Vertrauensbeziehung • Abhängigkeitsverhältnis zwischen Therapeut und Klient 14 Wolfgang Schubert Rollenkonfusion Gutachter vs. Therapeut • totale Identifikation des Therapeuten mit dem Klienten • spezielle Pflichten des Therapeuten und Gutachters im jeweiligen Tätigkeitsfeld diametral gegenüberstehend • finanzielle Abhängigkeit • spezielle Fachkompetenz von Gutachtern (Ausbildung, Berufserfahrung, Beurteilungskriterien, akkreditierte Stelle) • Therapeut – Patienten – Verhältnis für Erfolg der Therapie entscheidend • wenn Therapeut = Gutachter – Verletzung des Prinzips der Unvoreingenommenheit, Befangenheit 15 Wolfgang Schubert Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. rer. nat. Wolfgang Schubert DEKRA Automobil GmbH Fachbereich Verkehrspsychologie Ferdinand-Schultze-Str. 65 13055 Berlin E-mail: [email protected] Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie 1. Vorsitzender des Vorstandes E-mail: [email protected] 16 Wolfgang Schubert