Allgemeine Soziologie Einführung 1 Was ist Soziologie? Der Begriff „Soziologie“ ist ein Kunstwort, das sich aus lat. „socius“ (der Gefährte, i.w.S.: Mitmensch) und gr. „logos“ (Wort, Wahrheit, i.w.S.: Wissenschaft) zusammensetzt. „Soziologie ist die Wissenschaft vom Sozialen, d. h. den verschiedenen Formen der Vergemeinschaftung (z. B. Familie/Verwandtschaft/Sippe, Nachbarschaft, soziale Gruppe) und der Vergesellschaftung (Organisation, Gesellschaft, Staat) der Menschen.“ (Bernhard Schäfers, Grundbegriffe der Soziologie) „Soziologie soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ (Max Weber) Der Begriff „Soziologie“ wurde 1838 von Auguste Comte (1798-1857) geprägt, jedoch sind viele Fragen der Soziologie sind so alt wie das Nachdenken über die Bedingungen und Formen des menschlichen Zusammenlebens. Schon in den Werken von Platon (427-347 v.Chr.), Aristoteles (384-322 v.Chr.) Augustinus (354-430) oder Thomas von Aquin (1227-1274) sind grundlegende Einsichten über das Soziale zu finden. 2 Die Soziologie hat aber zum Sozialen eine andere Einstellung als diese Vorläufer, sie hat kein vorgängiges Ordnungsbild mehr, sei dies philosophischer, kosmologischer oder theologischer Natur. Sie ist eine strikt an der Erfahrung ausgerichtete Einzelwissenschaft. Vorbereitet war diese Einstellung bereits bei Macchiavelli (1469-1527) und seiner Analyse des politischen Handelns, bei den Schottischen Moralphilosophen (v.a. Adam Ferguson (1723-1816) und Adam Smith (1723-1790)) und den Frühsozialisten (v.a. Claude Henri de Saint-Simon (1760-1825)). Der Beitrag des Deutschen Idealismus (Kant, Hegel, Fichte, Schelling, Schleiermacher) für die Theorie des menschlichen Handelns, die Fundierung einer differenzierten Theorie der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates ist bis heute ein unverzichtbarer Bestandteil soziologischer Argumentation und erkenntnisleitender Orientierung. 3 Seit den 70er Jahren des 19. Jhs. setzte sich der Begriff „Soziologie“ allgemein durch, vor allem seit den grundlegenden Arbeiten der „Gründergeneration“ dieser neuen Wissenschaft: Émile Durkheim (1858-1917), Georg Simmel (1858-1918), Herber Spencer (1820-1903), Max Weber (18681920) und Ferdinand Tönnies (1855-1936). Soziologie entstand als eine eigene, sich von den „Mutterwissenschaften“ (Philosophie, Ökonomie, Allgemeine Staatslehre, Völkerkunde) mehr und mehr lösende Einzeldisziplin im Zusammenhang des größten Umbruchs der Grundlagen und Formen menschlichen Zusammenlebens, der politischen Revolution (1789ff) und der industriellen Revolution (1770ff). In modernen Gesellschaften wird immer deutlicher, dass die Ausdifferenzierung des Sozialen zu Strukturen und Strukturzusammenhängen (sozialen Systemen), die über den Erfahrungs- und Erlebnisbereich des einzelnen Individuums hinausgehen (das Individuum aber gleichwohl betreffen), an Bedeutung gewinnt. 4 Den ersten Lehrstuhl für Soziologie gab es 1892 an der Universität Chicago. Bis zum Ersten Weltkrieg wurde Soziologie in Deutschland nur durch Lehraufträge (v.a. von Ökonomen und Philosophen) wahrgenommen. Nach dem Ersten Weltkrieg begann ein rascher Ausbau, der jedoch durch die Entwicklung nach 1933 unterbrochen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Frankfurt, München, Hamburg, Köln, Kiel und Göttingen erste Lehrstühle und Institute eingerichtet. Der breite Ausbau der Soziologie erfolgte aber erst mit der allgemeinen Bildungs- und Hochschulexpansion seit Beginn der 50er Jahre. Fachverbände der Soziologie in Deutschland: Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), gegr. 1909, reiner WissenschaftlerVerband Berufsverband Deutscher Soziologen e.V. (BDS), gegr. 1975. 5 Die Aufgabe der Soziologie besteht darin, das Soziale als eigene Realität herauszuarbeiten und in seinen Strukturen zu verdeutlichen. Die Strukturen des Sozialen reichen von den täglichen Umgangsformen, wie den Sitten und Bräuchen, bis hin zu komplexen sozialen Tatsachen, wie bestimmte Organisationen, Institutionen, nationale Gesellschaften und der Weltgesellschaft. Die Soziologie gehört zu den empirischen Sozialwissenschaften, sie untersucht die Strukturen des Zusammenlebens sowohl aus der Perspektive des einzelnen Handelnden wie auch aus der Perspektive sozialer Organisationen, Institutionen und der Gesamtgesellschaft. 6 Entsprechend werden mikro-, meso- und makrosoziologische Ebenen unterschieden. • Mikro: z.B. das Handeln zwischen mehreren Individuen • Meso: z.B. das Handeln zwischen mehreren Gruppen oder Organisationen • Makro: z.B. die Struktur der Gesellschaft und ihre verschiedenen Institutionen, die Formen der Arbeitsteilung, sozialer Differenzierung und Schichtung. Das Ideal der soziologischen Analyse besteht darin, alle Ebenen zu verbinden. Nur so ist es möglich, das Soziale und gesellschaftlich Bedingte im einzelnen Handeln aufzuzeigen und an den sozialen Gebilden und sozialen Prozessen nachzuweisen, wie sie durch die besondere Form individuellen Handelns mitbestimmt sind. Weitere Systematiken soziologischer Theorie: 1) Inhaltlich: • Systemtheorien • Gesellschaftstheorien • Verhaltens- und Handlungstheorien 2) Methodologisch: • ontologisch-normativ (objektive Erkenntnis des „Wesens“ der Realität) • empirisch-nomologisch (Entwicklung von Gesetzmäßigkeiten und Überprüfung an der Realität -> Mainstream) • kritisch-dialektisch (Theorie muss von der Bedeutung der Phänomene in 7 einem historisch-gesellschaftlichen Prozess ausgehen, Betonung der Kritik) Systematik der Soziologie: Allgemeine Soziologie: Gesellschaftstheorie, Theorien des sozialen Handelns, soziologische Grundbegriffe, Institutionslehre, soziale Gruppenstrukturen, sozialer Wandel, soziale Mobilität und Sozialstrukturen sowie Fachgeschichte und Methodenlehre. Spezielle Soziologien (auch materielle oder Bindestrich-Soziologien genannt): diese werden nach dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand benannt, z. B. Stadtsoziologie, Wirtschaftssoziologie, Familiensoziologie, Politische Soziologie, Techniksoziologie, Kultursoziologie etc. Soziologische Forschungsmethoden: quantitative (statistische) und qualitative Methoden (z. B. interpretative Analyse von Texten oder Handlungen) Datenerhebung: Befragung, Interview, teilnehmende Beobachtung, Inhaltsanalyse. 8 Wertfreiheit der Wissenschaft: wissenschaftstheoretische Position, nach der normative Sätze beziehungsweise Werturteile (die vorschreiben, was sein soll) nicht zum wissenschaftlichen Gegenstands- beziehungsweise Objektbereich (in dem es um deskriptive Sätze, die beschreiben, was ist, geht), gehören. Soziologische Analysen beziehen sich also auf das, was ist (Sein), nicht auf das, was sein soll (Sollen). Dennoch trägt die Soziologie mit ihren Analysen dazu bei, herauszufinden, was die Menschen in einer Gesellschaft wollen und sollen. Die Soziologie hat sich zwar im sogenannten Werturteilsstreit (1909) mit dem Bekenntnis zur WERTFREIHEIT davon distanziert, eine normative Wissenschaft zu sein, aber sie bestreitet nicht, dass Wertgesichtspunkte die Auswahl des Gegenstandsbereichs wesentlich mitbestimmen (WERTGEBUNDENHEIT). 9 Das Kontinuum sozialwissenschaftlichen Denkens zunehmende Generalisierung metaphysische Umwelt der Wissenschaft zunehmende Spezifikation physikalische Umwelt der Wissenschaft Klassifikationen Gesetze Definitionen Begriffe Modelle Ideologie Voraussetzungen komplexe + einfache Aussagen methodolog. Annahmen Beobachtungsaussagen 10 Die Fragestellungen der Soziologie hängen zwar eng mit den sich ändernden Lebensbedingungen und den allgemeinen Problemen des gesellschaftlichen Wandels zusammen, gleichwohl lassen sich zwei grundlegende und zentrale Themen der Soziologie benennen: das Problem des HANDELNS und das Problem SOZIALER ORDNUNG. 11 Diese Leitfragen sind in allen konkreteren Untersuchungsfragen enthalten, z. B. • Was ermöglicht die wechselseitige Orientierung des sozialen Handelns verschiedener Individuen? • Welche soziale Differenzierung zeigen einzelne Gruppen, Organisationen, Institutionen bzw. Gesellschaften? • Wie wird diese Differenzierung bewertet und wie entstehen daraus die unterschiedlichen Formen sozialer Ungleichheit (Stände, Klassen, Kasten, Schichten)? • Welche Macht- und Autoritätsgefälle gibt es in sozialen Gebilden und welche Formen der Herrschaftsausübung und ihrer Legitimation gibt es? • Was lässt sich über das Verhältnis der Individuen zu den Institutionen, zum Staat und zur Gesellschaft sagen? • Wie wird die Gesellschaft durch ihre Kultur geprägt und welche Bedeutung haben Symbole für die Handlungsorientierung? • Welchen Einfluss haben die jeweiligen Produktions- und Eigentumsstrukturen auf die Formen des menschlichen Zusammenlebens? • Wie entsteht sozialer Wandel und wie verläuft er? • Wie wird in Gesellschaften das Problem der Integration gelöst? • Wie entstehen soziale Konflikte und wie werden sie gelöst? 12 Gesellschaft I Gesellschaft bedeutet dem Wortursprung nach dem „Inbegriff räumlich vereint G lebender oder vorübergehend auf eeinem Raum vereinter Personen“ (Th. Geiger). s Von dieser Definition ausgehend ist e Gesellschaft: 1) Bezeichnung für die Tatsache der l Verbundenheit von Lebewesen (Menschen, Tiere, Pflanzen) l 2) Als menschliche Gesellschaft eine s Vereinigung zur Befriedigung und Sicherstellung gemeinsamer Bedürfnisse c 3) i.e.S. jene Form des menschlichen h Zusammenlebens, die seit der frühen Neuzeit als bürgerliche, dann zugleich als nationale und industrielle G. einen die individuelle a Erfahrungswelt weit übersteigenden f Handlungsrahmen entwickelte und in einem immer stärkeren Gegensatz zu den t gemeinschaftlichen Formen des Zusammenlebens geriet. Dies ist das soziologische Verständnis von G. 4) Eine größere Gruppe, deren spezifischer Zweck mit dem Begriff G. hervorgehoben wird, z. B. Abendgesellschaft, Reisegesellschaft etc.; in der Form einer organisierten Zweckvereinigung und rechtsförmig ausgestaltet als z. B. Aktiengesellschaft, Gesellschaft der Wissenschaften etc. 5) Systemtheoretisch alle Interaktions-Systeme mit Steuerungsfunktion für gesellschaftliche Teilsysteme (Familie, Wirtschaft, Politik etc.). Dies ist ebenfalls ein soziologisches Verständnis von G. 6) Bezeichnung für tonangebende Kreise, z. B. High Society, gute Gesellschaft 7) In wortursprünglicher Verwandtschaft mit Geselligkeit das gesellige Beisammensein 13 ganz allgemein. Gesellschaft II In der Soziologie wird unter Gesellschaft entsprechend der Definition 3 allgemein das Zusammenleben von Menschen verstanden. Der Begriff wird auch für Gruppen von Menschen verwandt, z. B. für ein Volk, oder für einen strukturierten, räumlich abgegrenzten Zusammenhang zwischen Menschen (z. B. "die deutsche Gesellschaft"), oder für ein sonst durch die Dichte und Multiplexität sozialer Interaktionen abgrenzbares Knäuel im Netzwerk der Menschheit. Die soziologische Systemtheorie bestimmt den Begriff „Gesellschaft“ im Sinne der Definition 5. Analytisch eingeführt wurde der Begriff „Gesellschaft“ in die deutsche Soziologie durch den Soziologen Ferdinand Tönnies (1855-1936) 1887 in seinem Werk Gemeinschaft und Gesellschaft. Er stellt hier dem Begriff der Gemeinschaft, welche sich durch gegenseitiges Vertrauen, emotionale Anbindung und Homogenität auszeichnet, den Begriff der Gesellschaft gegenüber, derer sich die Akteure mit je und je individuellen Zielen bedienen, und mit welchen sie dementsprechend nur lose verknüpft sind. Beide, Gemeinschaft und Gesellschaft, sind für ihn der gemeinsame Gegenstand der Soziologie. An ihn lehnt sich auch Max Weber an, der jedoch den Begriff „Vergesellschaftung" benutzt. 14 Gesellschaft III Differenzierung der Gesellschaft 1) segmentär Gleichartigkeit der Einheiten 2) funktional nach funktionalen Erfordernissen, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion etc. Die funktionale Differenzierung ist eines der wichtigsten Merkmale moderner Gesellschaften. 3) vertikal Stände Klassen Schichten 4) horizontal Lebenslagen Milieus 15 Gesellschaft IV Funktionale Differenzierung der Gesellschaft als Soziales System Nach Talcott Parsons muss jedes Soziale System vier funktionale Erfordernisse erfüllen (Anpassung, Zielrealisierung, Integration und latente Strukturerhaltung). Die Gesellschaft als Soziales System (dessen Umwelten das kulturelle System, das psychische System und das organische System bilden) differenziert sich dementsprechend in folgende Subsysteme: • Anpassung (adaptation): ökonomisches System • Zielrealisierung (goal attainment): politisches System • Integration (integration): System der Sozialen Gemeinschaft • Latente Strukturerhaltung (latent pattern maintenance): sozio-kulturelles System Jedes dieser gesellschaftlichen Subsysteme differenziert sich wiederum intern in weitere Subsysteme, z. B. das ökonomische System in Markt, Unternehmen etc., das politische System in Regierung, Verwaltung etc., das System der sozialen Gemeinschaft z. B. in verschiedene zivilgesellschaftliche Assoziationen und das sozio-kulturelle System in den Wissenschafts-, Bildungs- und Kunstbetrieb etc. 16 Ebenen/Schichten des Sozialen Weltgesellschaft nationale Gesellschaft Weltgesellschaft nationale Gesellschaft Institutionen Organisationen Institutionen Gruppen soziale Organisationen soziales Handeln soziale Gruppen Interaktionen soziale Interaktionen soziales Handeln 17 Anthropologische Grundlagen Naturwesen (Natur) Mensch (Dualismus der menschlichen Natur) Instinktarmut geistiges Wesen (Kultur) Weltoffenheit Soziale Institutionen (normative Arrangements) Handeln 18 Werte und Normen I Werte: Konzeptionen des Wünschenswerten in einer Gesellschaft Wertmuster der okzidentalen Kultur: • Rationalismus (Betonung von Verstand und Vernunft; „vom Mythos zum Logos“) • Individualismus (Wert jedes Einzelnen, individuelle Freiheit) • Aktivismus (aktive Gestaltung der Welt) • Universalismus (alle Menschen haben gleiche Rechte und Pflichten, die allgemeine Geltung besitzen) Werte können das Handeln nicht durch bloße „Ausstrahlungskraft“ steuern. Ihre Institutionalisierung erfordert eine Spezifikation in einer abgestuften Folge von Funktionen und situativen Erfordernissen. 19 Werte und Normen II Normen (drücken ein „Sollen“ aus), sie können als Spezifikationen allgemeiner kultureller Werte aufgefasst werden und sind durch Sanktionen abgesichert. Normen bewirken eine gewisse Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit sozialer Handlungsabläufe und entlasten von der Notwendigkeit, ständig neue situationsgerechte Handlungsweisen zu entwerfen. Normen sind der Bezugspunkt für die Bestimmung konformen wie auch abweichenden Verhaltens Institutionalisierung von Werten und Normen: verbindliche Geltung in einer Gesellschaft, allgemeine Anerkennung Internalisierung von Werten und Normen: Verinnerlichung, so dass sie aus eigenen Antrieben heraus erfüllt werden -> Sozialisation 20 Werte und Normen III Differenzierung von Normen 1) Imperative Form • hypothetische Normen (bedingt: wenn Du y willst, tue x) • kategorische Normen (unbedingt: tue x!) 5) Verwirklichung • Ideal-Normen • Praktische Normen 2) Geltungsanspruch • Objektive Gültigkeit (je mehr eine Norm ordnungsstiftende Kraft für das Handeln in der Gesellschaft hat, um so objektiv gültiger ist sie) • Soziale Geltung (eine Norm ist innerhalb einer Gesellschaft institutionalisiert) 6) Herkunft • Profane Normen • Religiöse Normen 3) Sozialer Geltungsanspruch • allgemeine Normen • partikulare Normen 7) Verbindlichkeit • Kann-Normen • Soll-Normen • Muss-Normen 4) Grad der Institutionalisierung • formelle Normen • informelle Normen 21 Werte und Normen IV Nicht alle Regelhaftigkeiten menschlichen Verhaltens sind ein Resultat der Wirksamkeit sozialer Normen. Gewohnheiten Entstehen durch einen Prozess der Gewöhnung, es handelt sich um regelmäßige, gleichartige und selbstverständlich auftretende Verhaltensweisen. Habitualisierungen Werden Gewohnheiten automatisiert, spricht man von Habitualisierung. Brauch Gewohnheiten, die in einem Kollektiv verbreitet und anerkannt sind, deren Abweichungen aber nicht sanktioniert werden. Sitte Verhaltensweisen, die zwar nicht strafrechtlich abgesichert sind, deren Einhaltung aber durch die öffentliche Meinung gefordert wird und bei denen im Falle von Normverletzungen faktisch jedermann Sanktionen verhängen kann. 22 Institution I Def.: Normatives Arrangement, das auf Dauer bestimmt, was innerhalb eines bestimmten Handlungsbereichs getan werden muss. Indem die Institutionen die Beliebigkeit und Willkür des sozialen Handelns beschränken, üben sie eine normative Wirkung aus. Dabei leisten sie eine Doppelfunktion: einmal für den Menschen, dessen Bedürfnisse sie formen, zum anderen für die Gesellschaft, deren Strukturen und Bestand sie sichern. Institutionen regeln Vollzüge von strategischer sozialer Relevanz: • die generative Reproduktion (Familie, Verwandtschaftsverband) • Vermittlung spezifischer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse (Einrichtungen der Erziehung, Bildung und Ausbildung) • Nahrungsvorsorge und Versorgung mit Gütern (Wirtschaft) • Aufrechterhaltung einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung nach innen und außen (Herrschaft, Politik) • Verpflichtung des Handelns im Rahmen von Werteziehungen (Kultur) 23 Institutionen II Institutionen können als Mechanismen beschrieben werden, die „Spannungen“ stabilisieren. Sie sind sowohl Resultanten als auch Steuerungsfunktionen des Handelns; sie sind auf die Bedürfnisse der Handelnden als auch auf die Erfordernisse der von ihnen gebildeten sozialen Systeme der Gesellschaft bezogen. • Erste gegensätzliche Kräfte, die durch Institutionen vermittelt werden, sind einerseits objektive gesellschaftliche Funktionen (z. B. in Wirtschaft, Politik, Recht, Kultur), zum anderen subjektive, der Bedürfnisnatur des Menschen entsprechende Größen. • Obwohl Institutionen einerseits funktional differenziert sind, sind sie doch andererseits auch „Funktionssynthesen“, d. h. sie stellen elastische, polyfunktionale Mechanismen dar (z. B. können Familien in Wirtschaftskrisen primär ökonomische Leistungen entfalten) • Institutionen befreien den Menschen vom Druck unmittelbarer „chaotischer“ Bedürfnisse durch soziokulturelle Führung und entlasten das Alltagshandeln (Entlastungsfunktion). 24 Institutionen III Institutionen können auch ins negative Umschlagen: Totale Institutionen: z. B. Sekten, Gefängnisse, Intensivstationen. Sie übermächtigen nicht nur die von ihnen erfassten Individuen, sondern verhindern auch soziale Entwicklungen. Merkmale (nach Goffman): Totale Institutionen sind allumfassend. Das Leben aller Mitglieder findet nur an dieser einzigen Stelle statt und sie sind einer einzigen zentralen Autorität unterworfen. Die Mitglieder der Institution führen ihre alltägliche Arbeit in unmittelbarer (formeller) Gesellschaft und (informaler) Gemeinschaft ihrer Schicksalsgefährten aus. Alle Tätigkeiten und sonstigen Lebensäußerungen sind exakt geplant und ihre Abfolge wird durch explizite Regeln und durch einen Stab von Funktionären vorgeschrieben. Die verschiedenen Tätigkeiten und Lebensäußerungen sind in einem einzigen rationalen Plan vereinigt, der dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu erreichen. Institutionelle Permissivität: abnehmender sozial-normativer Kraft stehen Überkapazitäten der Güterproduktion, freilaufende Verteilermechanismen, überhöhte Konsumansprüche gegenüber. Für das Gesamtsystem besteht dann die Gefahr einer De-Institutionalisisrung, für die Individuen die des Zurückfallens auf primitivere, regressive Verhaltensweisen. 25 bloßes Verhalten: Reiz-Reaktion Handeln: Orientierung an Sinn (kognitiv, expressiv, normativ, konstitutiv) soziales Handeln: Orientierung an Sinn + an Andere (Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft) soziale Interaktion: Sinn + wechselseitige Orientierung Soziales System: von der Umwelt abgegrenzte interdependente Interaktionen Interdependenz des Handelns X3 X2 X4 X5 X1 X6 Xn Das gesellschaftliche Handeln ist nicht aus biologischen und psychischen Eigenarten der Individuen oder aus dem Wirken eines „objektiven Geistes“ heraus erklärbar, sondern nur aus den faktischen Wechselwirkungen sozialer Interaktionen. Die Interdependenz der Handeln führt nicht immer zu beabsichtigten und geplanten Ergebnissen, sondern auch zu nicht-intendierten Effekten. 27 Elemente des Handelns Definition der Situation & Standards der Selektion (kognitiv, expressiv, normativ, konstitutiv) Akteur Mittel Ziele Zeit & Energie SITUATION physikalisch organisch sozial kulturell metaphysisch 28 Soziologische Erklärungen des Handelns positivistische Theorien: Handeln als rationale oder zufällige Anpassung an die Situation Orientierung an Methoden der Naturwissenschaften (-> Kausalzusammenhänge) idealistische Theorien: Handeln als rationale oder traditionale Realisierung von Werten und Normen Orientierung an Methoden der Kulturwissenschaften (-> Sinnzusammenhänge) umfassende Theorien 29 Handlungstypen & Handlungsprinzipien instrumentell: rational an Mitteln orientiert zur Verwirklichung von Zielen Leitendes Prinzip: Nutzenprinzip Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das ökonomische Handeln strategisch: rational an Zieldurchsetzung orientiert Leitendes Prinzip: Effektivitätsprinzip Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das politische Handeln traditional: „gewohnheitsmäßig“ an eingelebten Normen, Sitten und Bräuchen orientiert Leitendes Prinzip: Kohärenz- bzw. Solidaritätsprinzip Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das Gemeinschaftshandeln wertrational / kommunikativ: rational an Sinn, Bedeutungen und Gründen bzw. an symbolischer Verständigung orientiert Leitendes Prinzip: Konsistenzprinzip Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das kulturelle bzw. diskursive Handeln expressiv (affektiv): Ausdruck von Gefühlslagen/Affekten Leitendes Prinzip: Angemessenheit von Expressionen 30 Soziale Interaktionen I Def.: Jede Art von wechselseitigen Beziehungen zwischen zwei oder mehreren Personen oder Gruppen. Die Handlungsorientierung eines Akteurs enthält immer auch Erwartungen hinsichtlich der Gratifikation und Deprivation, nicht nur hinsichtlich gegenwärtiger Objekte (soziale und nicht-soziale), sondern auch hinsichtlich zukünftiger Situationen. Wenn Alternativen in gegenwärtigen und zukünftigen Situationen gegeben sind, braucht der Handelnde ein Bewertungskriterium. Werden solche Bewertungskriterien durch normative Standards bereitgestellt, erhöht dies die Stabilität sozialer Interaktionen. 31 Soziale Interaktion IV Dies wird am sogenannten „Gefangenen-Dilemma“ deutlich: B gesteht gesteht nicht gesteht 5; 5 0; 10 gesteht nicht 10; 0 1; 1 A 32 Soziale Interaktionen II In der Interaktion sind die Erwartungen Egos sowohl am Spielraum der Handlungsalternativen Alters orientiert als auch an Alters Selektion, die wiederum davon abhängt, was Ego tut. Das gleiche gilt umgekehrt für Alter. Dies nennt man die KOMPLEMENTARITÄT VON ERWARTUNGEN, was nicht heißt, dass die beiden Erwartungen identisch sind, sondern dass die Handlung eines Jeden an den Erwartungen des Anderen Orientiert ist. Erwartungen können kognitiv (z. B. was der Andere tun wird) und normativ (was soll der Andere entsprechend den Normen tun soll) sein. Eine Erwartungs-Enttäuschung liegt dann vor, wenn die Erwartung nicht eintritt. Die kontingente Reaktion Alters auf Egos Handlung nennt man SANKTION. Sanktionen können positiv (Belohnung) oder negativ sein (Bestrafung). Doppelte Kontingenz: Egos Gratifikation ist kontingent hinsichtlich seiner Wahl von Alternativen, umgekehrt ist Alters Reaktion kontingent hinsichtlich Egos Wahl und resultiert aus einer komplementären Wahl Alters. 33 Soziale Interaktionen III Normen und Werte Erwartungs-Erwartung Erwartung Ego Interaktion Alter Erwartung Erwartungs-Erwartung Ein gemeinsam geteiltes Normen- und Wertesystem reduziert die doppelte Kontingenz und stabilisiert das Interaktionssystem. 34 Soziale Interaktionen V Arten der Orientierung an einem normativen Standard Instrumentell/Strategisch (Konformität oder Nicht-Konformität ist eine Funktion des instrumentellen/strategischen Interesses des Akteurs) Internalisierung der Standards (wird zu einer BedürfnisDisposition des Akteurs, relativ unabhängig von irgendwelchen instrumentell oder strategisch signifikanten Konsequenzen dieser Konformität) 35 Soziale Interaktionen VI Sanktionen: Reaktionen auf das Handeln Anderer positiv (Belohnung) negativ (Bestrafung) Beide Formen dienen als Mittel der Verhaltenssteuerung dem Zweck, Konformität zu erzielen. Arten der Sanktion: • Formale/informale S.: Bei einer formalen S. ist festgelegt, wer reagiert, worauf Reagiert wird, welchen Inhalt die Reaktion hat und wie beim Vollzug der S. zu verfahren ist. Bei der informalen S. bleibt die Reaktion dem Betroffenen überlassen. • Repressive/restitutive S.: Im Falle repressiver S. (z. B. Verstöße gegen strafrechtliche Normen) wird dem Normbrecher ein Gut (z. B. Freiheit) entzogen; im Falle Restitutiver S. werden die gestörten Verhältnisse wiederhergestellt (z. B. Zivil-, Handels- und Verwaltungsrecht). • Spezifische/verdeckt-spezifische/unspezifische S.: spezifische S. werden offen und direkt am Normbrecher vollzogen; bei verdeckt-spezifischen S. kann der Sanktionierende im Konfliktfall den Rückzug antreten (z.B. das war nicht so gemeint); Unspezifische S. sind diffus, können überall vorkommen und sind schwer berechenbar. 36 Soziale Interaktionen VII Die negative Sanktionierung von Normverstößen kann unterschiedliche gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Zentrale Verhaltensregeln werden immer von neuem in das öffentliche Bewusstsein gehoben, wobei je nach Art und Ausmaß der Sanktionen die Bedeutung dieser Regeln bekräftigt wird (Normverdeutlichung). Darüber hinaus schaffen die Verfolgung bedeutsamer Normbrüche, die Symbolik dieses Aktes und die verhängte Strafe ein allgemeines Bewusstsein der Sicherheit und Verlässlichkeit und stärken über die Solidarisierung der Gesellschaftsmitglieder die gesellschaftliche Integration. 37 Soziale Rolle I Position/Status: Platz des Akteurs in einem Sozialsystem Prestige: Wertschätzung einer sozialen Position/eines Status in einem Sozialsystem Rolle: was ein Akteur in seinen Beziehungen mit anderen „tut“; Rolle kommt zustande durch die normativen Erwartungen von einer Bezugsgruppe oder mehreren Bezugsgruppen an den Inhaber einer Position. Rollenerwartungen können sich auf Eigenschaften und Merkmale des Trägers (Rollenattribute) oder auf sein äußeres Verhalten richten (Rollenverhalten). Nach dem Ausmaß der Institutionalisierung und der Schärfe der Sanktionen wird unterschieden sich Muss-Erwartungen (gesetzlich geregelt), SollErwartungen (die in Satzungen niedergelegt sind) und den nicht-kodifizierten Kann-Erwartungen. Rollen können zugeschrieben (z. B. Kind) oder erworben (z. B. Berufsrolle) sein. 38 Soziale Rolle II Rollensatz: Gesamtheit aller sich ergänzender Teilrollen, die mit einer bestimmten Position verbunden sind. Alternativ hierzu werden die mit einer Position verbundenen RollenBeziehungen zu verschiedenen Bezugsgruppen auch als Rollen-Segmente oder Rollen-Sektoren einer einzigen Rolle bezeichnet. Rollenkonflikte Intra-Rollenkonflikt (Widersprüche zwischen den Erwartungen verschiedener Bezugsgruppen an den Inhaber einer Rolle) Inter-Rollenkonflikt (Widersprüche zwischen den verschiedenen Positionen, die eine Person innehat) 39 Soziale Rolle III Role-Taking (Rollenübernahme): sich in einen anderen hineinversetzen können um dessen Verhalten zu antizipieren und in den eigenen Handlungsentwürfen zu berücksichtigen. Play: Das Individuum versetzt sich (spielerisch) in die Rolle eines bestimmten Anderen und erlernt so eine bestimmte Rolle. Game: Das Individuum versetzt sich in die Rolle eines generalisierten Anderen und lernt so, was „man“ in einer Gesellschaft tut. Role-Making (Rollengestaltung): verweist auf das individuelle, spontane, kreative Moment im Rollenhandeln. 40 Soziale Rolle IV Orientierungsmuster in sozialen Rollen universalistisch Typen von Wertorientierungen affektiv-neutral partikularistisch affektiv Disziplin-Gratifikation-Dilemma leistungsorientiert askriptiv (Qualität) Modalitäten des sozialen Objekts: was „tut“ oder was „ist“ der Andere spezifisch diffus Bereich der Interessen an Objekten z. B. Berufsrolle z. B. Mutter- oder Vaterrolle 41 Soziales System Soziales System ist zentraler Begriff der soziologischen Systemtheorie. Mit ihm wird eine Grenze markiert zum Ökosystem, zum physikalischen System, zum Organismus, zu psychischen Systemen sowie zu Maschinen. Sie alle bilden die Umwelt sozialer Systeme. Mindestvoraussetzung für ein soziales System ist die Interaktion/Kommunikation mindestens zweier Rollenhandelnder. Innerhalb der soziologischen Systemtheorie besteht eine Kontroverse darüber, aus welchen Elementen soziale Systeme bestehen. Nach Talcott Parsons sind es Handlungen, Niklas Luhmann zufolge sind es dagegen Kommunikationen, die soziale Systeme konstituieren. Die ist nicht einfach nur ein Streit um Worte, sondern aus der Wahl des Grundbegriffs ergeben sich weitreichende theoretische und empirische Konsequenzen. 42 Mechanismen der Handlungskoordinierung positiv Einstellung Situation Überredung Einfluss Anreize Geld negativ Appell an Werte Wertverpflichtungen Einschüchterung Macht 43 Tausch I 3 Hauptformen: 1) Gaben-Tausch: direkteste Form des Tausches, erfolgt zwischen Einheiten Derselben Art, wie z. B. Individuen, Haushalten, Verwandtschaftsgruppen. Diese als Reziprozität bezeichnete Tauschform dient nicht dem Gewinn, sondern der Bestätigung bereits bestehender Beziehungen. Die Reziprozität kann direkt (der Gabe Entspricht eine äquivalente Gegengabe), generalisiert (bei der keine gleichwertige Gegengabe erwartet wird, aber Ansehen, Prestige und Verpflichtung) oder negativ (bei der jeder versucht, straflos etwas für nichts zu bekommen) sein. 2) Redistribution: Güter und Dienstleistungen werden bei einer zentralen Stelle (z. B. Staat) abgeliefert, die von dieser wieder ausgeteilt werden. Diese Form findet sich in der Geldwirtschaft (Steuern) und in vorkapitalistischen Gesellschaften (Umverteilung von Gaben durch den Häuptling). 3) Markttausch ist die typische Austauschform kapitalistischer Gesellschaften, die auf dem Prinzip von Angebot und Nachfrage beruht und sich an Geld als Maßstab orientiert. 44 Tausch II Alle 3 Formen können in modernen Gesellschaften nebeneinander existieren, doch ordnet man den Gaben-Tausch eher Jäger- und Sammlergesellschaften zu, Redistributionen den Bauern und Hirtennomaden. Den Markttausch findet man in fortgeschrittenen Ackerbau- und Industriegesellschaften. 45 Markt Der Tausch ist das Grundprinzip der Institution „Markt“. Der Begriff Markt bezeichnet in der Ökonomie den realen oder virtuellen Ort des Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage. Der Mindestmarkt besteht aus einem Nachfrager, einem Anbieter und einem Handelsgut (Ware oder Dienstleistung). Der Marktpreis (Tagespreis) ist im Handel der unter den momentanen Marktverhältnissen ausgehandelte Preis eines Gutes. Durch Verwendung eines allgemein anerkannten Tauschmittels (z. B. Geld) kann der Tausch der Güter gegen Geld (der Leistungsaustausch) zeitlich voneinander getrennt werden. Wenn dieser Marktmechanismus nicht funktioniert, dann spricht man von Marktversagen. 46 Geld Geld ist zunächst ein allgemeiner Maßstab, mit dem die Werte von Lieferungen und Leistungen verglichen werden können. Durch Verbriefung dieser Werte in gegenständlicher Form (z. B. Geldschein oder Münzen) oder dokumentarischer Form (gespeicherte Daten über Bankkonten) kann daraus ein in seinem Verbreitungsraum von einer Gemeinschaft anerkanntes Zahlungsmittel werden. Historisch erlangten bestimmte begehrte Güter wie Gold, Silber oder Muscheln Geldfunktion, indem sie als Zwischentauschmittel eingesetzt wurden. Als Zahlungsmittel kann man es auch als Vermittler ansehen, der den einstufigen, suchintensiven direkten Tausch von Waren und Dienstleistungen in einen zweistufigen Tausch umwandelt. In der soziologischen Systemtheorie ist Geld ein symbolisch generalisiertes Interaktionsmedium. 47 Macht und Herrschaft I Nach Max Weber ist Macht "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht." (Wirtschaft und Gesellschaft). Diese Definition abstrahiert von den Quellen der Macht, sieht also etwa von einer Legitimiertheit der Macht völlig ab. In der soziologischen Systemtheorie ist Macht ein symbolisch generalisiertes Interaktionsmedium. Herrschaft ist nach Max Weber wie folgt definiert: "Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden". Im Unterschied zu seiner Definition der Macht setzt Herrschaft ein bestimmtes Maß an Dauerhaftigkeit voraus; sie ist eine institutionalisierte Form von Über- und Unterordnung (Subordination). Nach Weber kann der Gehorsam als konstitutives Element der Herrschaft rein affektuell, aber auch ideell (wertrational) oder materiell (zweckrational) begründet sein. Rein ideelle oder rein materielle Motive des bzw. der Gehorchenden (z. B. des Verwaltungsstabes) begründen jedoch eine lediglich labile Herrschaft, zu der ein weiteres, sie stabilisierendes Element hinzukommt: der Legitimitätsglaube. 48 Macht und Herrschaft II Weber unterscheidet nun drei Idealtypen legitimer Herrschaft nach der Art ihrer Legitimation: • rationale / legale Herrschaft, die auf dem Glauben der an die Legalität gesetzter Ordnungen (zum Beispiel Gesetze) ruht, Beispiel: Bürokratie • traditionale Herrschaft, die auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher geltender Traditionen und der Legitimität der durch sie Berufenen ruht, Beispiel: Patriarchat, Feudalismus • charismatische Herrschaft, die auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit oder Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie geschaffenen Ordnung ruht. Sie versachlicht sich stets in eine rationale oder traditionale Herrschaft, Beispiel: Prophet Der Begriff der Herrschaft wird heute in der von Weber durchgesetzten Bedeutung des legitimierten (personalen) Machtverhältnisses verstanden 49 Sozialer Konflikt I Sozialer Konflikt ist ein universell vorfindbarer Prozess der Auseinandersetzung, der auf unterschiedlichen Interessen sozialer Gruppierungen beruht und der in unterschiedlicher Weise institutionalisiert ist und ausgetragen wird. Der Konflikt hat vielfältige Erscheinungsformen: Krieg,Kampf, Streiks, Aussperrungen, Verteilungs-, Macht-, Status- und Tarifauseinandersetzungen. Als Auseinandersetzung, Spannung, Gegnerschaft, Gegensätzlichkeit kann der Konflikt zwischen Individuen, Individuen und Gruppen, Gruppen und Gruppen, Verbänden, Gesellschaften, Staaten und allen gesellschaftlichen Vereinigungen stattfinden. Für die Form der Konfliktaustragung sind Intensität, Ausmaß des Einsatzes von Macht und Gewalt sowie Art, Umfang und Verbindlichkeit von Konfliktregelungen von Interesse. 50 Sozialer Konflikt II Funktion von Konflikten • Negative Funktion (Dysfunktion): Konflikte sind Abweichungen vom Normalzustand einer Gesellschaft; Störung des „Gleichgewichts“ • Positive Funktion: Konflikt führt zur Anpassung bzw. Neuschaffung sozialer Normen, dadurch entstehen neue soziale Strukturen und im Konfliktgeschehen werden die Beteiligten sich dieser Normen bewusst. Erscheinungsform von Konflikten: • manifest: gewollte Auseinandersetzung • latent: unterschwelliger Konflikt • umgeleitet: die Auseinandersetzung spielt sich in anderen Bereichen und Handlungsweisen ab als denen, die für der Konflikt ursächlich sind. 51 Gemeinschaft I Die kleinste Gemeinschaft ist die Familie ungeachtet ihres rechtlichen Rahmens. An ihr wird bereits deutlich, dass Gemeinschaften aufgrund freier Willensentscheidung entstehen können (Ehepartner). Andererseits kann man ohne freie Willensentscheidung in eine Gemeinschaft hineingeboren werden (Kinder). Neben den Extremen der freien Willensentscheidung und des hinein geboren Werdens gibt es in der Praxis viele Gemeinschaften, bei denen die freie Willensentscheidung so eingeschränkt ist, dass sie kaum wahrnehmbar ist, ohne dass man hineingeboren wird. Ein Beispiel hierfür ist die Klassengemeinschaft in der Schule. Aber auch Schicksalsgemeinschaften zählen zu den Gemeinschaften. Eine Gemeinschaft entwickelt ein Eigeninteresse, welches sich an den alltäglichen Zielsetzungen der Lebensführung der Mitglieder bemisst und entsprechend auf vielerlei Weise miteinander verflochten ist. Nicht selten fällt deshalb der Austritt aus der Gemeinschaft leichter oder schwerer, wird auch behindert oder moralisch diskreditiert. 52 Gemeinschaft II Kriterien für Gemeinschaften sind: • Klare Festlegung der Zugehörigkeit und damit Abgrenzung zum "Rest der Welt„ • freiwillige Solidarität der Gemeinschaftsangehörigen untereinander (Primat des Gemeinschaftsinteresses vor dem jeweiligen Individualinteresse) • Emotionale Bindungskräfte (Wir-Gefühl) • Nicht nur kurzzeitige Existenz der Gemeinschaft • Vertrautheit der Gemeinschaftsangehörigen (gilt auch für anonyme Großgemeinschaften wie Völker) Die klare Zugehörigkeit muss für Außenstehende nicht zwingend erkennbar sein. Es muss sich auch nicht um objektiv eindeutige Kriterien handeln. Wesentlich ist, dass die Gemeinschaftsmitglieder "wissen" (oftmals mehr spüren), wer dazu gehört und wer nicht. Grundsätzlich drücken Gemeinschaften mehr Zusammengehörigkeit aus als bloße Gesellschaften. 53 Gemeinschaft III In der soziologischen Systemtheorie ist Einfluss als Mittel der „Überredung“ ein symbolisch generalisiertes Interaktionsmedium, das in der Solidarität einer gesellschaftlichen Gemeinschaft verankert ist. 54 Wertverpflichtungen (value commitments) Wertverpflichtungen (value commitments) sind moralische Verpflichtungen der Akteure eines Interaktionssystems, die die Integrität einer Wertstruktur erhalten und zusammen mit anderen Faktoren zu ihrer Verwirklichung im Handeln führen. Wertverpflichtungen als moralische Verpflichtungen schreiben jedoch keine detaillierten Handlungsabläufe vor, wenn die Notwendigkeit zur Implementation in der konkreten Situation entsteht. Die Implementation erfordert daher, dass die Wertverpflichtungen mit anderen Faktoren (Einfluss, Macht, Geld) kombiniert werden. Wenn wir davon sprechen, dass Ego die Wertverpflichtungen eines anderen (Alter) Aktiviert, so ist damit gemeint, dass Ego Alter durch symbolische Kommunikation hilft, „die Situation zu definieren“. Wertverpflichtungen sind in der Kultur eines Sozialsystems verankert und werden in der soziologischen Systemtheorie als symbolisch generalisiertes Interaktionsmedium konzipiert. 55 Diskurs I Jürgen Habermas bezeichnet in seiner Theorie des kommunikativen Handelns mit „Diskurs“ den Prozess einer Aushandlung von Geltungsansprüchen. Ein Merkmal der Sprache ist die ihr innewohnende Rationalität. Die Ergebnisse einer Kommunikation - wenn sie frei ist von Verzerrungen durch Macht oder Hierarchien - sind zwangsläufig rational. Die beste Versicherung für wahre Erkenntnisse, richtige Normen und wahrhafte Gefühle ist somit der herrschaftsfreie Diskurs. Diskurs Grundlegend für die Diskurstheorie ist ein bestimmtes Verständnis von Sprache und Verständigung, wie es Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns entwickelt hat. Danach wird zwischen kommunikativem Handeln (verständigungsorientierte Äußerungen, sog. Sprechakte) und instrumentellem bzw. strategischem Handeln unterschieden. Nach diesem Verständnis verhält sich das strategische Handeln zum kommunikativen Handeln parasitär, das den Originalmodus des Sprechens darstellt. 56 Diskurs II Im kommunikativen Handeln erhebt ein Sprecher regelmäßig Geltungsansprüche, die je nach Aussage als solche der (propositionalen) Wahrheit, der (normativen) Richtigkeit und der (subjektiven) Wahrhaftigkeit erscheinen und auf das Einverständnis seines Gegenübers abzielen. Wird dieses Ziel verfehlt, wird also kein Einverständnis erreicht, so ist dies Ausgangspunkt für den (theoretischen, praktischen oder explikativen) Diskurs, der die einerseits erhobenen und andererseits kritisierten Geltungsansprüche problematisiert und "als Berufungsinstanz des kommunikativen Handelns" fungiert. Der Diskurs gewährleistet die Möglichkeit eines Konsenses durch die ihn konstituierenden Bedingungen, die von jedem der Teilnehmer anerkannt werden. Sie wurden versuchsweise in "Diskursregeln" formuliert und zielen auf die Herstellung einer "idealen Sprechsituation" ab, in der nichts weiter herrscht als "der Zwang des besseren Arguments und das Motiv der kooperativen Wahrheitssuche". Im Unterschied zum alltäglichen kommunikativen Handeln, in dem die Geltung von Sinnzusammenhängen naiv vorausgesetzt wird, um Informationen auszutauschen, zeichnen sich also Diskurse durch eine Virtualisierung von Geltungsansprüchen aus, d. h. problematisierte Geltungsansprüche werden zum Thema gemacht (also kein bloßer Informationsaustausch) und das problematisierte Einverständnis soll durch rationale Begründung wieder hergestellt werden. 57 Diskurs III Diskursregeln (ideale Sprechsituation) Jeder, der über Sprachkompetenz verfügt, darf teilnehmen. Alle Motive außer einer kooperativen Verständigungsbereitschaft sollen außer Kraft gesetzt werden. Jeder darf Behauptungen einbringen und Behauptungen in Frage stellen. Der Gegenstand des Diskurses ist dahingehend begrenzt, dass er einen möglichen Konsens zulassen muss, die Einführung eines neuen Gegenstandes bedarf der Rechtfertigung. Niemand darf durch äußere oder innere Zwänge am Sprechen gehindert werden. Zwang des besseren Arguments. 58 Soziale Gruppe I Def.: eine bestimmte Zahl von Mitgliedern, die zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels über längere Zeit (dauerhaft) unmittelbar in einem relativ kontinuierlichen und diffusen Kommunikations- und Interaktionsprozess stehen und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl) entwickeln. Zur Erreichung des Gruppenziels und zur Stabilisierung der Gruppenidentität ist ein System gemeinsamer Normen und eine Verteilung der Aufgaben erforderlich. Gruppen sind zwischen Interaktionen einerseits und Organisationen andererseits verortet. Unterschied zur Organisation: Unmittelbarkeit und Diffusheit der Mitgliederbeziehungen Unterschied zur Interaktion: zeitlich weniger limitiert, erschöpfen sich nicht in singulärer Interaktion, Wir-Gefühl 59 Soziale Gruppe II Tragendes Prinzip ist die Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl, Gruppenidentität), bei der sich folgende Sinnkomponenten unterscheiden lassen: • sie bezieht sich auf einen bestimmten, unverwechselbaren Kreis von Personen • die Personen stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander, sie grenzen sich von der Umwelt (Nicht-Mitglieder) ab • sie beruht auf einem Prozess der Vergemeinschaftung • sie akzentuiert Dauer, Bestand • sie drängt auf Interaktion • Abwesenheit fällt auf. Jemand gehört einer Gruppe an, wenn er sich der Gruppe zugehörig fühlt und dies von der Gruppe nicht dementiert wird. 60 Soziale Gruppe III Klassifikation sozialer Gruppen: 1) Quantität • Dyade (Zweier-Gruppe), Sonderform der Gruppe, hohe Intensität und Vielseitigkeit der Interaktion • Klein-Gruppe (etwa bis 25 Mitglieder, face-to-face Kontakte) • Groß-Gruppe (über 25 Mitglieder) 2) Qualität • Primär-Gruppe (hohe Bedeutung für Sozialisation, Wertbindung und Identitätsbildung, beeinflussen die Orientierungen der Mitglieder grundlegend und prägend) • Bezugs-Gruppe (hohe Bedeutung für die Orientierung einer Person) • Eigen-Gruppe (in-group) (Mitgliedschaft) • Fremd-Gruppe (out-group) • Gleichaltrigen-Gruppe (peer group) 3) Form • Formelle Gruppe (z. B. Arbeitsgruppe im Betrieb) • Informelle Gruppe 61 Sozialisation I Die Sozialisation bezeichnet die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer Interaktion mit einer spezifischen materiellen und sozialen Umwelt. Durch sie wird ein Individuum zu einem vollwertigen Teil der Gesellschaft. Wenn die Sozialisation erfolgreich verläuft, verinnerlicht das Individuum die Sozialen Normen und Werte aber auch z. B. die sozialen Rollen seiner gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung. Der umgedrehte Prozess, in dem ein Mensch zu sich findet, heißt Individuation. 62 Sozialisation II Sozialisation ist ein Prozess, der nie abgeschlossen wird. Im Zentrum steht die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit. Zur Persönlichkeit gehört einerseits die Individualität, die den Einzelnen von allen Anderen unterscheidet, andererseits der Sozialcharakter, den die Mitglieder einer Gesellschaft oder Gemeinschaft miteinander teilen (Werte, Normen, soziale Rollen, usw.) Primäre Sozialisation Die primäre Sozialisation findet in der Familie statt und wird mit der Herausbildung einer individuellen Identität des Individuums abgeschlossen. Die in dieser Phase verinnerlichten Normen, Werte und Verhaltensweisen gelten als stabil, können sich aber in einer sekundären Sozialisation noch ändern (z. B. bei Kontakt mit anderen Wertegemeinschaften). Diese gilt bis zum dritten Lebensjahr. Sekundäre Sozialisation Die sekundäre Sozialisation bereitet das Individuum auf seine Rolle in der Gesellschaft vor und findet hauptsächlich in der Familie, Schule oder Altersgruppe statt. Diese gilt ab dem dritten Lebensjahr. 63 Sozialisation III Tertiäre Sozialisation Die tertiäre Sozialisation findet im Erwachsenenalter statt und bezeichnet die Anpassungen, die das Individuum in Interaktion mit seiner sozialen Umwelt ständig vornimmt. Da Sozialisation als ein lebenslanger Prozess des Lernens und der Anpassung verstanden werden muss, kann schließlich auch im beruflichen Bereich (berufliche Sozialisation) und darüber hinaus von einer tertiären Sozialisation gesprochen werden. Humanisation Der Sozialanthropologe Dieter Claessgens stellt in "Familie und Wertsystem" heraus, dass eine 'gelingende' "Sozialisation" einer vorauf gehenden gelungenen Humanisation bedürfe, in der das Neugeborene im ersten Lebensjahr ("post-uterinen Frühjahr") überhaupt ein Urvertrauen gewönne (oder eben nicht gewönne), soziale Lehren für sich zu akzeptieren. Unterschied zwischen Sozialisation und Erziehung Während die Erziehung mit dem Ende der Jugendphase, dem volljährig und somit auch mündig Werden ihr Ende findet, ist die Sozialisation (wie schon oben erwähnt) ein lebenslanger Prozess. Wenn wir jemanden erziehen, so versuchen wir die Persönlichkeitsentwicklung der erzogenen Person positiv zu beeinflussen. Sie erfolgt aktiver als die Sozialisation und folgt in der Regel gesellschaftlichen Aufträgen. Erziehung ist somit eine Teildimension des Sozialisationsprozesses. 64 Sozialisation IV Stufen der moralischen Entwicklung (Piaget/Kohlberg) Vorkonventionelles Niveau Hedonistische Orientierung an externen Handlungskonsequenzen Konventionelles Niveau Orientierung an wichtigen Partnern in Primärgruppen oder an den tradierten Normen und Werten einer Gesellschaft Postkonventionelles Niveau Orientierung an universellen Prinzipien (z. B. Kants kategorischer Imperativ) 65 Sozialstruktur I Sozialstruktur bezeichnet die Struktur einer Gesellschaft bzw. eines sozialen Systems nach - je nach Theorieansatz sehr unterschiedlichen - sozialen Merkmalen. Allgemein kann man unter "Sozialstruktur" die Gruppierung des sozialen Beziehungsgefüges einer Gesamtgesellschaft nach Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten in mehreren Dimensionen fassen, so dass sich die dauerhaften sozialen Wechselwirkungen dieser Gruppierungen untereinander erklären und verstehen lassen. Als wichtige und durch Ähnlichkeiten strukturgebende Gruppierungen werden je nach der zu Grunde liegenden Theorie folgende Begriffe und Konzepte gebraucht: Gruppierungen vorwiegend nach ‚Oben' und ‚Unten' (vertikal) "Kaste " historisch: "Stand", gegenwärtig: "Sozialer Status" "Klasse" "Soziale Schicht", bzw. besondere Einzelmerkmale der Schichtung ("Stratifikation") wie etwa „Beruf“, „Ausbildung“ u. a. 66 Sozialstruktur II Gruppierungen mit deutlichem Einbezug des ‚Nebeneinander' (horizontal) • "Soziales Milieu"; teilweise wird auch dem "Lebensstil" sozialstrukturelle Relevanz zugesprochen; insbesondere auch Gruppierungen nach dem Konsumverhalten und Randgruppen • Religionsgemeinschaften • Ethnien, Sprachgruppen •Heiratskreise, Clans, u. ä. • sowie die Zugehörigkeit zu in dieser Gesellschaft besonders relevanten Gruppierungen, wie etwa sesshafte und mobile (z. B. nomadische) Gruppierungen, Stadt- und Landbevölkerung, Bünde (z. B. Arbeiterbünde), Alteingesessene und Zugewanderte, Wähler unterschiedlicher Parteien . Untersuchungen über die Sozialstruktur interessieren sich zum einen für den sozialen Wandel, also für die Veränderung der Sozialstruktur einer Gesellschaft über die Zeit, zum anderen für den Vergleich der Sozialstrukturen mehrerer Gesellschaften (und die damit verbundenen Einflussfaktoren). Wichtige Beziehungen der Sozialstruktur bestehen zur – nach anderen Merkmalen ordnenden – demografisch-statistisch erhobenen Bevölkerungsstruktur und zur volkswirtschaftlich orientierten Wirtschaftsstruktur. 67 Sozialstruktur III Kaste Der Begriff "Kaste" wird in erster Linie mit einem aus Indien bekannten sozialen Phänomen assoziiert. Der soziologische Bezug wird durch die lebenspraktischen Auswirkungen auf formelle Umgangsrestriktionen deutlich. Der Begriff wird aber auch umgangssprachlich oder soziologisch allgemein benutzt und auf einzelne Gruppierungen anderer und sogar moderner Gesellschaften angewandt. Eine bedeutende Rolle beim "Kasten"-Begriff spielt hier seine hohe, da auch religiös verfestigte Starrheit, die noch diejenige der Ständeordnung übertrifft. Doch ist auch hier sozialer Aufstieg möglich (z. B. oft durch Aufspaltung einer Kaste), was in der indischen Soziologie als sanscritization bezeichnet wird. Auch die Kastenzugehörigkeit des Individuums wird, ähnlich der Ständeordnung durch die Geburt bestimmt, wobei Ein- oder Austritt theoretisch ebenfalls nicht möglich sind (es sei denn, man verließe die hinduistische Religion und werde z. B. Buddhist oder Christ). Die soziale Mobilität innerhalb der Kasten ist tatsächlich jedoch existent. So kann in der Praxis ein Mitglied aus seiner Kaste ausgeschlossen werden, was in etwa der mittelalterlichen Exkommunikation im christlichen Abendland entspricht. Ebenso sinkt ein Mitglied in die Kaste eines niedrigeren Ehepartners ab, und zwar unabhängig davon, ob es sich um den Mann oder die Frau handelt. Das Kastenwesen ist insbesondere in Indien, auf Ceylon, in Nepal und auf Bali, aber auch bei den kurdischen Jesiden verbreitet. Vorwiegend durch Kasten geprägte Gesellschaften sind zudem bei einigen Stämmen im übertragenen Sinne anzunehmen, 68 in der Neuzeit sonst nicht mehr vorhanden. Sozialstruktur IV Stand Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaft Europas gliederten sich in mehrere Stände. Das Ständesystem war seinerzeit ein gesellschaftliches mindestens ebenso selbstverständliches Ordnungsmodell, wie es für spätere Zeiten die von Marx beschriebenen Klassen oder die von Helmut Schelsky, Karl Martin Bolte und anderen in die Gesellschaftslehre eingeführten sozialen Schichten wurden. Verbreitet war die Drei-Stände-Ordnung, wie sie insbesondere für Frankreich charakteristisch war: Der 1. Stand umfasste die Gruppe aller Geistlichen, d. h. Angehörige der hohen Geistlichkeit wie des niederen Klerus. Im 2. Stand wurde der Adel zusammengefasst. Auch hier spielte es keine Rolle, ob man aus einer höheren Adelsschicht oder aus einer niederen kam und etwa dem oft verarmten Landadel angehörte. Der 3. Stand umfasste nominell alle Stadtbürger, gelegentlich auch die freien Bauern, jedoch nicht den 'Rest' der Bevölkerung. Denn unterhalb der Stände gab es sehr kopfreiche unterständische Gruppieren der halb- und unfreien Bauern, des Haus-, Hof-, Klostergesindes, die unehrlichen Berufe (z. B. die Müller), das Fahrende Volk, Verarmte, Entlaufene, abgedankte Söldner und Räuber; auch Minderheitenangehörige (Juden, Zigeuner) usf. 69 Sozialstruktur V Stand Forts. Das ständische System galt den Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit als feste gottgegebene Ordnung, in der jeder seinen unveränderlichen Platz habe. In seinen Stand wurde man hinein geboren. Ein Aufstieg war in der Regel nicht möglich. Verdienst oder Reichtum hatten nur wenig Einfluss darauf, welchem Stand man angehörte. So konnte etwa ein Bürger, der als Kaufmann zu großem Vermögen gekommen war, wesentlich reicher sein als ein armer Adliger. Das ständische System ist ein statisches Gesellschaftsmodell. Die politisch berechtigten Stände (oder Landstände) waren eng mit den gesellschaftlichen Ständen verknüpft, ja letztere waren die Voraussetzung für deren Existenz. Die politische und militärische Macht konzentrierte sich im Mittelalter keineswegs in der Hand des Landesherren bzw. Königs. Vielmehr war dieser bei seiner Herrschaft auf die Mitwirkung der gesellschaftlichen Eliten (Vasallen) angewiesen. Zunächst brauchte er die militärische Leistung seiner adeligen Vasallen, dann finanzielle Abgaben, die er aber nur mit Zustimmung der Grundherren - also den Adligen oder den Klöstern und Stiftern - erheben lassen konnte. Der Höhepunkt ständischer Macht lag in den meisten europäischen Ländern in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. 70 Sozialstruktur VI Milieu Als Soziales Milieu wird nach Émile Durkheim die soziale Umgebung beschrieben, in der ein Individuum aufwächst und lebt. Durkheim unterscheidet zwischen innerem und äußerem sozialen Milieu. Rainer Lepsius hat den Begriff später aufgegriffen um Wahlverhalten zu erklären, er unterscheidet innerhalb der Weimarer Republik drei große sozial-moralisches-Milieus, in welchen die Personen "von der Wiege bis zur Bahre„ umgeben waren, nämlich das liberal-protestantische Milieu, das sozial-demokratische Milieu. das katholische Milieu. In der Lebensstil- und Ungleichheitsforschung wurde in den 1980er Jahren der "Milieu"-Begriff ausdifferenziert und eine Unterscheidung zwischen sozialer Lage, Lebenszielen und Lebensstilen getroffen, die Handlungsmuster zur Erreichung von Lebenszielen beschreiben. Der "Milieu"-Begriff geht davon aus, dass der Lebensstil von Menschen nicht nur auf Grund äußerer Umstände sondern auch von inneren Werthaltungen geprägt wird. Der Begriff soziales Milieu bezieht sich damit auf Gruppen von Individuen mit ähnlichen Lebenszielen und Lebensstilen und umfasst Mentalität und Gesinnung der Personen. Durch die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaften und die Individualisierung der Lebensstile wird die vormals enge Verknüpfung zwischen sozialer Lage und Milieus entkoppelt, auch wenn soziale Milieus weiterhin nach Status 71 und Einkommen hierarchisch eingeordnet werden können. Sozialstruktur VII Klasse Nach der ursprünglichen Definition von Karl Marx sind "Klassen" durch die Stellung der ihr Angehörigen im Produktionsprozess definiert. Er unterscheidet für jedes historisches Produktionsverhältnis zwei dominierende Klassen: die Nichtbesitzer und die Besitzer der vorwiegenden Produktionsmittel. Für die kapitalistische Produktionsweise sind das die Proletarier und Kapitalisten, in der antiken "Sklavenhaltergesellschaft" aber z. B. sind dies die Sklaven und die Sklavenhalter. Aus der Analyse der ökonomischen Verhältnisse wird deutlich, so Marx, dass die Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft, die rechtlich frei sind, jedoch einzig ihre Arbeitskraft zu verkaufen haben, kontradiktorisch andere Interessen haben müssen als diejenigen, die über Produktionsmittel verfügen und Arbeitskräfte einstellen. Die Einen wollen beispielsweise ihre Arbeitskraft möglichst teuer verkaufen und möglichst wenig dafür tun, die anderen die Arbeitskraft billigst einkaufen und möglichst lange und intensiv schaffen lassen. In der Volkswirtschaftslehre ist dies als das sog. "MiniMax-Prinzip" bekannt, wonach beide Seiten einander ebenfalls kontradiktorisch gegenüber stehen. Dieser grundsätzliche Antagonismus bestehe unabhängig von den Vorstellungen der Menschen über ihre eigene Lage. 72 Sozialstruktur VIII Sobald Mitglieder einer Klasse die Gemeinsamkeit ihrer Interessen erkennen und danach zu handeln beginnen, spricht Marx von einem Übergang von der "Klasse an sich" (d. h. einer Klasse, die nur begrifflich durch die Stellung im Produktionsprozess gekennzeichnet ist) zur "Klasse für sich", also zu einer Klasse, die sich ihrer selbst bewusst und willens wird, für ihre Interessen gemeinsam zu kämpfen. Bewusst oder unbewusst befänden sich demnach die beiden analytisch bestimmbaren Klassen "Lohnarbeit" und "Kapital" in einem permanenten Streit, dem sog. Klassenkampf. Der Begriff der sozialen Klasse wurde innerhalb der Soziologie von Max Weber differenziert und ausgeweitet. Er definierte "Klasse" als die Typische Chance ..., welche aus Maß und Art der Verfügungsgewalt (oder des Fehlens solcher) über Güter und Leistungsqualifikationen und aus der gegebenen Art ihrer Verwertbarkeit für die Erzielung von Einkommen und Einkünften innerhalb einer gegebenen Wirtschaftsordnung folgt. Weber unterscheidet im folgenden drei Formen von Klassen: • die Besitzklassen (sie werden durch den Besitz bestimmt), • die Erwerbsklassen (sie werden durch die Erwerbschancen bestimmt) und • die soziale Klassen (sie werden durch ihre Chancen/Risiken des sozialen Auf- und Abstiegs bestimmt). 73 Sozialstruktur IX Nach Ralf Dahrendorf sind "Klassen" nicht nur durch Besitz bzw. Nichtbesitz speziell von "Produktionsmitteln", sondern schlechthin von Machtmitteln zu definieren. Damit sind z. B. sogar Gewaltmittel einbezogen. Obwohl Macht überall wirkt, führen bei Dahrendorf ihre Antagonismen doch nicht zu einem universalen Bürgerkrieg, da alle sozialen Akteure unterschiedliche soziale Rollen inne haben und in jeder Rolle in einem anderen Klassen-Antagonismus stehen können. Dies erklärt, warum sie sich ggf. nirgends 100prozentig engagieren, und warum auch ihre Klassengegner innerhalb eines Machtverhältnisses (z. B. im Betrieb) Antagonisten, innerhalb eines anderen (z. B. in der Kirchengemeinde oder Partei) dagegen ihre Machtverbündeten sind, was die Gewaltsamkeit und Intensität sozialer Konflikte mildert. 74 Sozialstruktur X Nach Pierre Bourdieu gibt es drei große Klassenlagen: das Großbürgertum/Bourgeoisie, das Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft. Diese verteilen sich im sozialen Raum entlang einer "vertikalen" Achse, auf der mehr oder weniger die Herrschaftsverhältnisse abgebildet sind. Die Klassen differieren unter anderem durch das Distinktionsvermögen ihrer Angehörigen. Innerhalb der einzelnen Klassen unterscheidet Bourdieu - auf einer "horizontalen" Achse - Klassenfraktionen mit einer je spezifischen Position und symbolischen Auseinandersetzungen im Raum der Lebensstile, etwa das Besitzbürgertum (Unternehmer; an Tradition und Luxus orientiert), die neue Bourgeoisie (leitende Angestellte; an Fortschritt orientiert) und das Bildungsbürgertum (Intellektuelle, Lehrkräfte an Universitäten; an Bohème oder (erzwungener) Askese orientiert). Die einzelnen Klassenfraktionen grenzt Bourdieu an Hand der Struktur ihres gesamten Kapitals gegeneinander ab. Dabei unterscheidet Bourdieu ökonomisches Kapital von kulturellem Kapital und sozialem Kapital. So ist etwa beim Bildungsbürgertum ein hohes "kulturelles Kapital", aber nur ein relativ gering ausgeprägtes "ökonomisches Kapital" vorzufinden. Die verschiedenen Klassenfraktionen werden zum Teil auch als Milieus bezeichnet. Die Bedingungen der sozialen Lage, also der Verortung im sozialen Raum, determinieren einen jeweils unterschiedlichen „Habitus“, während die Handlungsstrategien einen gewissen individuellen Freiheitsspielraum bieten. Der Habitus prägt den spezifischen Geschmack, aber auch die Praxisformen, also die jeweils ausgeübten und präferierten sozialen Praktiken (d. h.: den Lebensstil). Zugleich ermöglicht der Habitus eine 75 Unterscheidung zwischen der Eigengruppe und Fremdgruppen. Sozialstruktur XI Kategorien der Sozialstruktur: Rollen: Prozess strukturierter, d. h. normativ gesteuerter, Teilnahme einer Person an einem konkreten Prozess sozialer Interaktion mit bestimmten konkreten Rollenpartnern. Die Rollenkomponente ist das normative Element, das die Teilnahme einzelner Personen an Kollektiven steuert. Kollektive: Systeme solcher Interaktionen einer Vielzahl von Rollenträgern, soweit sie normativ gesteuert sind. Die Kollektivkomponente ist das normative Arrangement, das die Werte, Normen, Zielorientierungen und Rollenordnung für ein konkretes Interaktionssystem bestimmbarer Personen definiert. 76 Sozialstruktur XII Kategorien Sozialstruktur Forts. Normen: normative Komponente, die sich spezifisch auf bestimmte Rollen oder Kollektive bezieht. Normen sind innerhalb ihres relevanten Universums universalistisch und funktionsspezifisch. Die Normkomponente ist die Menge von Regeln, die Erwartungen für das Rollenverhalten von Klassen differenzierter Einheiten eines Systems – Kollektive oder Rollen – definiert. Werte: Ausdruck für die gemeinsame normative Komponente, sie sind universalistisch und nicht funktionsspezifisch. Die Wertkomponente ist das normative Muster, das in universalistischer Fassung das Muster wünschenswerter Orientierung für das Gesamtsystem bestimmt, unabhängig von der Spezifikation der Situation oder der differenzierten Funktionen innerhalb des Gesamtsystems. 77 Soziale Ungleichheit I Jener Zustand der sozialen Differenzierung, in dem die ungleiche Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen, sozialen Positionen und Rängen als ungerecht angesehen wird. Soziale Ungleichheit hängt mit dem Tatbestand zusammen, dass es in einer Gesellschaft besonders begehrte, knappe Güter (Belohnungen) gibt. Diese werden in einer Gesellschaft systematisch und langfristig ungleich auf die einzelnen Mitglieder verteilt. Soziale Ungleichheit ist somit ein zentrales, jede Gesellschaft hierarchisch Strukturierendes Ordnungsprinzip. Die Bedeutung der sozialen Ungleichheit ergibt sich aus einer Universalität in dreifacher Hinsicht: • Soziale Ungleichheit erscheint in jeder Gesellschaft. • Überall werden Konflikte um die Verteilung knapper Güter ausgetragen. • Grundlagen der Verteilungskonflikte sind die Auseinandersetzungen über den richtigen oder gerechten Maßstab zur Beurteilung der Notwendigkeit, der Form und des Ausmaßes von sozialer Ungleichheit. 78 Soziale Ungleichheit II Mit dem Begriff der sozialen Ungleichheit sind einige andere Grundphänomene des Sozialen eng verknüpft: • die mit den als ungleich bewerteten sozialen Positionen und Rängen gegebenen unterschiedlichen Möglichkeiten der Ausübung von Macht und Herrschaft und der Aneignung von Ressourcen; • die unterschiedliche Ausprägung der sozialen Ungleichheit in den einzelnen Gesellschaften, ihre Institutionalisierung z. B. als Kaste oder Stand bzw. ihre Verfestigung als Klasse und Schicht. Die Feststellung sozialer Ungleichheit sagt noch nichts über ihre gesellschaftliche Akzeptanz bzw. Ablehnung. Folgende Grundpositionen sind denkbar: •Soziale Ungleichheit wird als naturgegeben oder als gottgewollt angesehen; •Soziale Ungleichheit wird als Form der sozialen Differenzierung akteptiert, solange Toleranzgrenzen nicht überschritten werden; •Soziale Ungleichheit ist ein völlig inakzeptabler gesellschaftlicher Zustand. 79 Soziale Ungleichheit III Die Chancengleichheit ist die heute dominierende gesellschaftspolitische Zielvorstellung. In diesem Begriff drückt sich aus, was heute als gerecht empfunden wird. Chancengleichheit bedeutet, dass jeder seine soziale Stellung ausschließlich seiner persönlichen Leistungsfähigkeit und – bereitschaft verdankt. Die Leistung wird dabei nicht durch Gründe (mit)verursacht, die außerhalb der Menschen wirken. Der Erwerb einer hohen sozialen Stellung z. B. darf nicht dadurch verursacht sein, dass jemand in einer reichen Familie aufgewachsen ist. Die Ungleichheitsforschung hat gezeigt, dass das Aufwachsen in einem bestimmten sozialen Milieu die spätere soziale Stellung eines Kindes – unabhängig von seinen Fähigkeiten – entscheidend beeinflusst. Gerecht ist aber nur jener Teil sozialer Ungleichheit, der ausschließlich die in den Menschen verankerten Fähigkeiten widerspiegelt. 80 Soziale Ungleichheit IV Einschränkend ist zu sagen, dass Chancengleichheit nur im Rahmen eines Menschenwürdigen Daseins gelten soll. Ab wann ein Dasein als menschenwürdig bezeichnet werden kann, ist Gegenstand immer neuer Auseinandersetzungen. Diese Einschränkung bedeutet, das ein umfangmäßig umstrittener Teil der Gesellschaftlichen Belohnung nicht nach dem Leistungsprinzip, sondern nach dem Gleichheitsprinzip verteilt wird. 81 Soziale Mobilität Unter sozialer Mobilität versteht man die Bewegung der Einzelpersonen zwischen den Klassen und Schichten und innerhalb dieser bei Veränderung des Berufs und der beruflichen Stellung, also Bewegung und Veränderung im sozialen Beziehungsraum; zumeist als Auf- oder Abstieg (vertikale Mobilität). Demgegenüber bedeutet räumliche Mobilität (auch als territoriale Mobilität bezeichnet) die Bewegung der Einzelpersonen im geographischen Raum (Wanderung, Auswanderung). Horizontale Mobilität ist die Veränderung des Berufs oder der Tätigkeit, ohne dass sich dabei die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ändert. 82 Soziale Mobilität II Intragenerationenmobilität Die Intragenerationenmobilität, die Karriere, erfolgt innerhalb eines Menschenlebens. Zu ihr gehören Veränderung der sozialen Stellung einer Person durch Ausbildung, durch Beförderung, oft auch durch Erbschaft von Vater und Schwiegervater oder durch wirtschaftliche Strukturveränderungen, nicht selten verbunden mit räumlicher Mobilität. Intergenerationenmobilität Unter Intergenerationenmobilität, der sozialen Mobilität im engeren Sinne, versteht man den Wechsel der sozialen Stellung, der sich von einer Generation zur anderen vollzieht. Soziale Mobilität, deshalb oft im gleichen Sinne wie soziale Herkunft (oder mit sozialem Aufstieg und Abstieg bei einem Schichtenmodell) gebraucht, wurde von der Sozialforschung, oft nur als Vater-Sohn-Mobilität verstanden, weil die Frauen früher keinen eigenen Beruf hatten. 83 Soziale Ordnung I Ziel: Verknüpfung von individueller Handlungsautonomie und sozialer Ordnung Genese einer Ordnung der Gesellschaft spontan (zufällig) individuelle Nutzenkalkulationen geplant harmonisierende Nutzenkalkulationen Macht diskursive Verständigung 84 Soziale Ordnung II Typen sozialer Ordnung Zufällige Ordnung (Nutzenkalkulationen) : relativ instabil Zwangsordnung (Macht): relativ instabil Konformistische Ordnung (Vergemeinschaftung) : überstabil Ideelle Wertordnung (Kultur): mangelnde Handlungsanleitung Voluntaristische Ordnung (Verknüpfung der normativen und konditionalen Sphären des Handelns, d.h. von moralischen Regeln und faktischen Interessen der Akteure): höchste Stabilität 85 Sozialer Wandel I Der Soziale Wandel beschreibt die Veränderungen, die innerhalb einer Gesellschaft über einen bestimmten Zeitraum vor sich gehen. Zur Beschreibung dieser Entwicklung wurden verschiedene Begriffe wie Entwicklung, Fortschritt, Modernisierung oder Evolution benutzt. Allerdings haben sich viele von ihnen als problematisch erwiesen, da hier einerseits der Eindruck von einem unabdingbar notwendigen Geschehen entstehen kann und andererseits eine Veränderung hin zu einer höheren Ebene suggeriert wird. Um einen neutraleren Begriff zu verwenden, wurde von Ogburn der Begriff des "sozialen Wandels" in die Soziologie eingeführt. Ralf Dahrendorf definiert besonders rapiden und radikalen sozialen Wandel als "Revolution", Lars Clausen besonders rapiden, radikalen und magisierten (dämonisierten) (= 'krassen') sozialen Wandel als "Katastrophe". Die Ursachenbestimmung von sozialem Wandel ist recht komplex. Versuche, den Wandel monokausal durch einen einzelnen Faktor zu erklären (z. B. durch technische Entwicklung, ökonomische Dynamisierung, Kultur, Religion etc.), gelten unter vielen Wissenschaftlern als ungeeignet. Man geht vielmehr von einer weitreichenden Interdependenz der sozialen Handlungsfelder und Bereiche aus, wobei einzelne Bereiche anderen Bereichen vorauseilen können. Damit ist der soziale Wandel in eine Gleichzeitigkeit von Veränderung und Statik eingebettet. 86 Sozialer Wandel II Sozialer Wandel kann exogen oder endogen verursacht sein, und er kann innerhalb eines Gesellschaftssystems stattfinden oder das Gesellschaftssystem selbst verändern. Die Wirkung von Veränderungen hängt von mindestens 5 Variablen ab: 1) Von der Größe der „Störung“ 2) Von dem Anteil der sozialen Einheiten auf der betroffenen sozialen Ebene 3) Von der Wichtigkeit des funktionalen Beitrags der betreffenden Einheiten für die Gesellschaft (z. B. Arbeitnehmer/Unternehmer) 4) Dem Ort der „Störung“, bezogen auf die Strukturkomponenten (Rollen, Kollektive, Normen, Werte) 5) Dem Grad der Resistenz gegenüber den Veränderungseffekten. 87