Gesellschaft - Universität Bamberg

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Allgemeine Soziologie
Einführung
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Was ist Soziologie?
Der Begriff „Soziologie“ ist ein Kunstwort, das sich aus lat. „socius“
(der Gefährte, i.w.S.: Mitmensch) und gr. „logos“ (Wort, Wahrheit,
i.w.S.: Wissenschaft) zusammensetzt.
„Soziologie ist die Wissenschaft vom Sozialen, d. h. den verschiedenen
Formen der Vergemeinschaftung (z. B. Familie/Verwandtschaft/Sippe,
Nachbarschaft, soziale Gruppe) und der Vergesellschaftung (Organisation,
Gesellschaft, Staat) der Menschen.“ (Bernhard Schäfers, Grundbegriffe
der Soziologie)
„Soziologie soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln
deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen
ursächlich erklären will.“ (Max Weber)
Der Begriff „Soziologie“ wurde 1838 von Auguste Comte (1798-1857) geprägt,
jedoch sind viele Fragen der Soziologie sind so alt wie das Nachdenken über die
Bedingungen und Formen des menschlichen Zusammenlebens. Schon
in den Werken von Platon (427-347 v.Chr.), Aristoteles (384-322 v.Chr.)
Augustinus (354-430) oder Thomas von Aquin (1227-1274) sind grundlegende
Einsichten über das Soziale zu finden.
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Die Soziologie hat aber zum Sozialen eine andere Einstellung als diese
Vorläufer, sie hat kein vorgängiges Ordnungsbild mehr, sei dies philosophischer,
kosmologischer oder theologischer Natur. Sie ist eine strikt an der Erfahrung
ausgerichtete Einzelwissenschaft.
Vorbereitet war diese Einstellung bereits bei Macchiavelli (1469-1527) und seiner
Analyse des politischen Handelns, bei den Schottischen Moralphilosophen (v.a.
Adam Ferguson (1723-1816) und Adam Smith (1723-1790)) und den
Frühsozialisten (v.a. Claude Henri de Saint-Simon (1760-1825)).
Der Beitrag des Deutschen Idealismus (Kant, Hegel, Fichte, Schelling,
Schleiermacher) für die Theorie des menschlichen Handelns, die Fundierung einer
differenzierten Theorie der bürgerlichen Gesellschaft und des Staates ist bis heute
ein unverzichtbarer Bestandteil soziologischer Argumentation und
erkenntnisleitender Orientierung.
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Seit den 70er Jahren des 19. Jhs. setzte sich der Begriff „Soziologie“
allgemein durch, vor allem seit den grundlegenden Arbeiten der
„Gründergeneration“ dieser neuen Wissenschaft: Émile Durkheim (1858-1917),
Georg Simmel (1858-1918), Herber Spencer (1820-1903), Max Weber (18681920) und Ferdinand Tönnies (1855-1936).
Soziologie entstand als eine eigene, sich von den „Mutterwissenschaften“
(Philosophie, Ökonomie, Allgemeine Staatslehre, Völkerkunde) mehr und mehr
lösende Einzeldisziplin im Zusammenhang des größten Umbruchs der Grundlagen
und Formen menschlichen Zusammenlebens, der politischen Revolution (1789ff) und
der industriellen Revolution (1770ff).
In modernen Gesellschaften wird immer deutlicher, dass die Ausdifferenzierung des
Sozialen zu Strukturen und Strukturzusammenhängen (sozialen Systemen), die
über den Erfahrungs- und Erlebnisbereich des einzelnen Individuums hinausgehen
(das Individuum aber gleichwohl betreffen), an Bedeutung gewinnt.
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Den ersten Lehrstuhl für Soziologie gab es 1892 an der Universität Chicago. Bis zum
Ersten Weltkrieg wurde Soziologie in Deutschland nur durch Lehraufträge (v.a. von
Ökonomen und Philosophen) wahrgenommen. Nach dem Ersten Weltkrieg begann
ein rascher Ausbau, der jedoch durch die Entwicklung nach 1933 unterbrochen wurde.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Frankfurt, München, Hamburg, Köln, Kiel und
Göttingen erste Lehrstühle und Institute eingerichtet. Der breite Ausbau der Soziologie
erfolgte aber erst mit der allgemeinen Bildungs- und Hochschulexpansion seit Beginn
der 50er Jahre.
Fachverbände der Soziologie in Deutschland:
Deutsche Gesellschaft für Soziologie (DGS), gegr. 1909, reiner WissenschaftlerVerband
Berufsverband Deutscher Soziologen e.V. (BDS), gegr. 1975.
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Die Aufgabe der Soziologie besteht darin, das Soziale als eigene Realität
herauszuarbeiten und in seinen Strukturen zu verdeutlichen. Die Strukturen des
Sozialen reichen von den täglichen Umgangsformen, wie den Sitten und Bräuchen,
bis hin zu komplexen sozialen Tatsachen, wie bestimmte Organisationen, Institutionen,
nationale Gesellschaften und der Weltgesellschaft.
Die Soziologie gehört zu den empirischen Sozialwissenschaften, sie untersucht die
Strukturen des Zusammenlebens sowohl aus der Perspektive des einzelnen
Handelnden wie auch aus der Perspektive sozialer Organisationen, Institutionen und
der Gesamtgesellschaft.
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Entsprechend werden mikro-, meso- und makrosoziologische Ebenen
unterschieden.
• Mikro: z.B. das Handeln zwischen mehreren Individuen
• Meso: z.B. das Handeln zwischen mehreren Gruppen oder Organisationen
• Makro: z.B. die Struktur der Gesellschaft und ihre verschiedenen Institutionen,
die Formen der Arbeitsteilung, sozialer Differenzierung und Schichtung.
Das Ideal der soziologischen Analyse besteht darin, alle Ebenen zu verbinden.
Nur so ist es möglich, das Soziale und gesellschaftlich Bedingte im einzelnen
Handeln aufzuzeigen und an den sozialen Gebilden und sozialen Prozessen
nachzuweisen, wie sie durch die besondere Form individuellen Handelns
mitbestimmt sind.
Weitere Systematiken soziologischer Theorie:
1) Inhaltlich:
• Systemtheorien
• Gesellschaftstheorien
• Verhaltens- und Handlungstheorien
2) Methodologisch:
• ontologisch-normativ (objektive Erkenntnis des „Wesens“ der Realität)
• empirisch-nomologisch (Entwicklung von Gesetzmäßigkeiten und Überprüfung
an der Realität -> Mainstream)
• kritisch-dialektisch (Theorie muss von der Bedeutung der Phänomene in
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einem historisch-gesellschaftlichen Prozess ausgehen, Betonung der Kritik)
Systematik der Soziologie:
Allgemeine Soziologie: Gesellschaftstheorie, Theorien des sozialen Handelns,
soziologische Grundbegriffe, Institutionslehre, soziale Gruppenstrukturen,
sozialer Wandel, soziale Mobilität und Sozialstrukturen sowie Fachgeschichte
und Methodenlehre.
Spezielle Soziologien (auch materielle oder Bindestrich-Soziologien genannt):
diese werden nach dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand benannt, z. B.
Stadtsoziologie, Wirtschaftssoziologie, Familiensoziologie, Politische Soziologie,
Techniksoziologie, Kultursoziologie etc.
Soziologische Forschungsmethoden: quantitative (statistische) und qualitative
Methoden (z. B. interpretative Analyse von Texten oder Handlungen)
Datenerhebung: Befragung, Interview, teilnehmende Beobachtung,
Inhaltsanalyse.
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Wertfreiheit der Wissenschaft:
wissenschaftstheoretische Position, nach der normative Sätze beziehungsweise
Werturteile (die vorschreiben, was sein soll) nicht zum wissenschaftlichen
Gegenstands- beziehungsweise Objektbereich (in dem es um deskriptive Sätze,
die beschreiben, was ist, geht), gehören.
Soziologische Analysen beziehen sich also auf das, was ist (Sein), nicht auf das,
was sein soll (Sollen). Dennoch trägt die Soziologie mit ihren Analysen dazu bei,
herauszufinden, was die Menschen in einer Gesellschaft wollen und sollen.
Die Soziologie hat sich zwar im sogenannten Werturteilsstreit (1909) mit dem
Bekenntnis zur WERTFREIHEIT davon distanziert, eine normative Wissenschaft zu sein,
aber sie bestreitet nicht, dass Wertgesichtspunkte die Auswahl des
Gegenstandsbereichs wesentlich mitbestimmen (WERTGEBUNDENHEIT).
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Das Kontinuum sozialwissenschaftlichen Denkens
zunehmende Generalisierung
metaphysische
Umwelt
der Wissenschaft
zunehmende Spezifikation
physikalische
Umwelt
der Wissenschaft
Klassifikationen
Gesetze
Definitionen
Begriffe
Modelle
Ideologie
Voraussetzungen
komplexe +
einfache
Aussagen
methodolog.
Annahmen
Beobachtungsaussagen
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Die Fragestellungen der Soziologie hängen zwar eng mit den sich ändernden
Lebensbedingungen und den allgemeinen Problemen des gesellschaftlichen
Wandels zusammen, gleichwohl lassen sich zwei grundlegende und zentrale
Themen der Soziologie benennen: das Problem des HANDELNS und das
Problem SOZIALER ORDNUNG.
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Diese Leitfragen sind in allen konkreteren Untersuchungsfragen enthalten, z. B.
• Was ermöglicht die wechselseitige Orientierung des sozialen Handelns
verschiedener Individuen?
• Welche soziale Differenzierung zeigen einzelne Gruppen, Organisationen,
Institutionen bzw. Gesellschaften?
• Wie wird diese Differenzierung bewertet und wie entstehen daraus die
unterschiedlichen Formen sozialer Ungleichheit (Stände, Klassen, Kasten,
Schichten)?
• Welche Macht- und Autoritätsgefälle gibt es in sozialen Gebilden und welche
Formen der Herrschaftsausübung und ihrer Legitimation gibt es?
• Was lässt sich über das Verhältnis der Individuen zu den Institutionen, zum
Staat und zur Gesellschaft sagen?
• Wie wird die Gesellschaft durch ihre Kultur geprägt und welche Bedeutung
haben Symbole für die Handlungsorientierung?
• Welchen Einfluss haben die jeweiligen Produktions- und Eigentumsstrukturen
auf die Formen des menschlichen Zusammenlebens?
• Wie entsteht sozialer Wandel und wie verläuft er?
• Wie wird in Gesellschaften das Problem der Integration gelöst?
• Wie entstehen soziale Konflikte und wie werden sie gelöst?
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Gesellschaft I
Gesellschaft bedeutet dem Wortursprung
nach dem „Inbegriff räumlich vereint
G
lebender oder vorübergehend auf eeinem Raum vereinter Personen“ (Th. Geiger).
s
Von dieser Definition ausgehend ist
e Gesellschaft:
1) Bezeichnung für die Tatsache der
l Verbundenheit von Lebewesen (Menschen,
Tiere, Pflanzen)
l
2) Als menschliche Gesellschaft eine
s Vereinigung zur Befriedigung und Sicherstellung
gemeinsamer Bedürfnisse
c
3) i.e.S. jene Form des menschlichen
h Zusammenlebens, die seit der frühen Neuzeit als
bürgerliche, dann zugleich als nationale
und industrielle G. einen die individuelle
a
Erfahrungswelt weit übersteigenden
f Handlungsrahmen entwickelte und in einem
immer stärkeren Gegensatz zu den
t gemeinschaftlichen Formen des Zusammenlebens
geriet. Dies ist das soziologische Verständnis von G.
4) Eine größere Gruppe, deren spezifischer Zweck mit dem Begriff G. hervorgehoben
wird, z. B. Abendgesellschaft, Reisegesellschaft etc.; in der Form einer organisierten
Zweckvereinigung und rechtsförmig ausgestaltet als z. B. Aktiengesellschaft,
Gesellschaft der Wissenschaften etc.
5) Systemtheoretisch alle Interaktions-Systeme mit Steuerungsfunktion für
gesellschaftliche Teilsysteme (Familie, Wirtschaft, Politik etc.). Dies ist ebenfalls ein
soziologisches Verständnis von G.
6) Bezeichnung für tonangebende Kreise, z. B. High Society, gute Gesellschaft
7) In wortursprünglicher Verwandtschaft mit Geselligkeit das gesellige Beisammensein
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ganz allgemein.
Gesellschaft II
In der Soziologie wird unter Gesellschaft entsprechend der Definition 3 allgemein
das Zusammenleben von Menschen verstanden. Der Begriff wird auch für Gruppen
von Menschen verwandt, z. B. für ein Volk, oder für einen strukturierten, räumlich
abgegrenzten Zusammenhang zwischen Menschen (z. B. "die deutsche Gesellschaft"),
oder für ein sonst durch die Dichte und Multiplexität sozialer Interaktionen
abgrenzbares Knäuel im Netzwerk der Menschheit.
Die soziologische Systemtheorie bestimmt den Begriff „Gesellschaft“ im Sinne der
Definition 5.
Analytisch eingeführt wurde der Begriff „Gesellschaft“ in die deutsche Soziologie
durch den Soziologen Ferdinand Tönnies (1855-1936) 1887 in seinem
Werk Gemeinschaft und Gesellschaft. Er stellt hier dem Begriff der Gemeinschaft,
welche sich durch gegenseitiges Vertrauen, emotionale Anbindung und Homogenität
auszeichnet, den Begriff der Gesellschaft gegenüber, derer sich die Akteure mit je
und je individuellen Zielen bedienen, und mit welchen sie dementsprechend nur lose
verknüpft sind. Beide, Gemeinschaft und Gesellschaft, sind für ihn der gemeinsame
Gegenstand der Soziologie. An ihn lehnt sich auch Max Weber an, der jedoch den
Begriff „Vergesellschaftung" benutzt.
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Gesellschaft III
Differenzierung der Gesellschaft
1) segmentär
Gleichartigkeit der Einheiten
2) funktional
nach funktionalen Erfordernissen, Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion
etc.
Die funktionale Differenzierung ist eines der wichtigsten Merkmale moderner
Gesellschaften.
3) vertikal
Stände
Klassen
Schichten
4) horizontal
Lebenslagen
Milieus
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Gesellschaft IV
Funktionale Differenzierung der Gesellschaft als Soziales System
Nach Talcott Parsons muss jedes Soziale System vier funktionale Erfordernisse
erfüllen (Anpassung, Zielrealisierung, Integration und latente Strukturerhaltung).
Die Gesellschaft als Soziales System (dessen Umwelten das kulturelle System,
das psychische System und das organische System bilden) differenziert sich
dementsprechend in folgende Subsysteme:
• Anpassung (adaptation): ökonomisches System
• Zielrealisierung (goal attainment): politisches System
• Integration (integration): System der Sozialen Gemeinschaft
• Latente Strukturerhaltung (latent pattern maintenance): sozio-kulturelles System
Jedes dieser gesellschaftlichen Subsysteme differenziert sich wiederum intern in
weitere Subsysteme, z. B. das ökonomische System in Markt, Unternehmen etc.,
das politische System in Regierung, Verwaltung etc., das System der sozialen
Gemeinschaft z. B. in verschiedene zivilgesellschaftliche Assoziationen und das
sozio-kulturelle System in den Wissenschafts-, Bildungs- und Kunstbetrieb etc.
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Ebenen/Schichten des Sozialen
Weltgesellschaft
nationale Gesellschaft
Weltgesellschaft
nationale
Gesellschaft
Institutionen
Organisationen
Institutionen
Gruppen
soziale
Organisationen
soziales
Handeln
soziale Gruppen
Interaktionen
soziale Interaktionen
soziales Handeln
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Anthropologische Grundlagen
Naturwesen
(Natur)
Mensch
(Dualismus
der
menschlichen
Natur)
Instinktarmut
geistiges Wesen
(Kultur)
Weltoffenheit
Soziale Institutionen
(normative Arrangements)
Handeln
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Werte und Normen I
Werte: Konzeptionen des Wünschenswerten in einer Gesellschaft
Wertmuster der okzidentalen Kultur:
• Rationalismus (Betonung von Verstand und Vernunft; „vom Mythos zum Logos“)
• Individualismus (Wert jedes Einzelnen, individuelle Freiheit)
• Aktivismus (aktive Gestaltung der Welt)
• Universalismus (alle Menschen haben gleiche Rechte und Pflichten, die
allgemeine Geltung besitzen)
Werte können das Handeln nicht durch bloße „Ausstrahlungskraft“ steuern. Ihre
Institutionalisierung erfordert eine Spezifikation in einer abgestuften Folge von
Funktionen und situativen Erfordernissen.
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Werte und Normen II
Normen (drücken ein „Sollen“ aus), sie können als Spezifikationen allgemeiner
kultureller Werte aufgefasst werden und sind durch Sanktionen abgesichert.
Normen bewirken eine gewisse Regelmäßigkeit und Gleichförmigkeit sozialer
Handlungsabläufe und entlasten von der Notwendigkeit, ständig neue situationsgerechte Handlungsweisen zu entwerfen.
Normen sind der Bezugspunkt für die Bestimmung konformen wie auch
abweichenden Verhaltens
Institutionalisierung von Werten und Normen: verbindliche Geltung in einer
Gesellschaft, allgemeine Anerkennung
Internalisierung von Werten und Normen: Verinnerlichung, so dass sie
aus eigenen Antrieben heraus erfüllt werden -> Sozialisation
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Werte und Normen III
Differenzierung von Normen
1) Imperative Form
• hypothetische Normen (bedingt: wenn Du y willst, tue x)
• kategorische Normen (unbedingt: tue x!)
5) Verwirklichung
• Ideal-Normen
• Praktische Normen
2) Geltungsanspruch
• Objektive Gültigkeit (je mehr eine Norm ordnungsstiftende
Kraft für das Handeln in der Gesellschaft hat, um so
objektiv gültiger ist sie)
• Soziale Geltung (eine Norm ist innerhalb einer
Gesellschaft institutionalisiert)
6) Herkunft
• Profane Normen
• Religiöse Normen
3) Sozialer Geltungsanspruch
• allgemeine Normen
• partikulare Normen
7) Verbindlichkeit
• Kann-Normen
• Soll-Normen
• Muss-Normen
4) Grad der Institutionalisierung
• formelle Normen
• informelle Normen
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Werte und Normen IV
Nicht alle Regelhaftigkeiten menschlichen Verhaltens sind ein Resultat der
Wirksamkeit sozialer Normen.
Gewohnheiten
Entstehen durch einen Prozess der Gewöhnung, es handelt sich um regelmäßige,
gleichartige und selbstverständlich auftretende Verhaltensweisen.
Habitualisierungen
Werden Gewohnheiten automatisiert, spricht man von Habitualisierung.
Brauch
Gewohnheiten, die in einem Kollektiv verbreitet und anerkannt sind, deren
Abweichungen aber nicht sanktioniert werden.
Sitte
Verhaltensweisen, die zwar nicht strafrechtlich abgesichert sind, deren Einhaltung
aber durch die öffentliche Meinung gefordert wird und bei denen im Falle von
Normverletzungen faktisch jedermann Sanktionen verhängen kann.
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Institution I
Def.: Normatives Arrangement, das auf Dauer bestimmt, was innerhalb eines
bestimmten Handlungsbereichs getan werden muss.
Indem die Institutionen die Beliebigkeit und Willkür des sozialen Handelns
beschränken, üben sie eine normative Wirkung aus.
Dabei leisten sie eine Doppelfunktion: einmal für den Menschen, dessen
Bedürfnisse sie formen, zum anderen für die Gesellschaft, deren Strukturen und
Bestand sie sichern.
Institutionen regeln Vollzüge von strategischer sozialer Relevanz:
• die generative Reproduktion (Familie, Verwandtschaftsverband)
• Vermittlung spezifischer Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse
(Einrichtungen der Erziehung, Bildung und Ausbildung)
• Nahrungsvorsorge und Versorgung mit Gütern (Wirtschaft)
• Aufrechterhaltung einer bestimmten gesellschaftlichen Ordnung nach innen
und außen (Herrschaft, Politik)
• Verpflichtung des Handelns im Rahmen von Werteziehungen (Kultur)
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Institutionen II
Institutionen können als Mechanismen beschrieben werden, die „Spannungen“
stabilisieren. Sie sind sowohl Resultanten als auch Steuerungsfunktionen des
Handelns; sie sind auf die Bedürfnisse der Handelnden als auch auf die
Erfordernisse der von ihnen gebildeten sozialen Systeme der Gesellschaft
bezogen.
• Erste gegensätzliche Kräfte, die durch Institutionen vermittelt werden, sind
einerseits objektive gesellschaftliche Funktionen (z. B. in Wirtschaft, Politik,
Recht, Kultur), zum anderen subjektive, der Bedürfnisnatur des Menschen
entsprechende Größen.
• Obwohl Institutionen einerseits funktional differenziert sind, sind sie doch
andererseits auch „Funktionssynthesen“, d. h. sie stellen elastische,
polyfunktionale Mechanismen dar (z. B. können Familien in Wirtschaftskrisen
primär ökonomische Leistungen entfalten)
• Institutionen befreien den Menschen vom Druck unmittelbarer „chaotischer“
Bedürfnisse durch soziokulturelle Führung und entlasten das Alltagshandeln
(Entlastungsfunktion).
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Institutionen III
Institutionen können auch ins negative Umschlagen:
Totale Institutionen: z. B. Sekten, Gefängnisse, Intensivstationen. Sie
übermächtigen nicht nur die von ihnen erfassten Individuen, sondern verhindern
auch soziale Entwicklungen.
Merkmale (nach Goffman):
Totale Institutionen sind allumfassend. Das Leben aller Mitglieder findet nur an dieser
einzigen Stelle statt und sie sind einer einzigen zentralen Autorität unterworfen.
Die Mitglieder der Institution führen ihre alltägliche Arbeit in unmittelbarer (formeller)
Gesellschaft und (informaler) Gemeinschaft ihrer Schicksalsgefährten aus.
Alle Tätigkeiten und sonstigen Lebensäußerungen sind exakt geplant und ihre
Abfolge wird durch explizite Regeln und durch einen Stab von Funktionären
vorgeschrieben. Die verschiedenen Tätigkeiten und Lebensäußerungen sind in einem
einzigen rationalen Plan vereinigt, der dazu dient, die offiziellen Ziele der Institution zu
erreichen.
Institutionelle Permissivität: abnehmender sozial-normativer Kraft stehen
Überkapazitäten der Güterproduktion, freilaufende Verteilermechanismen,
überhöhte Konsumansprüche gegenüber. Für das Gesamtsystem besteht dann
die Gefahr einer De-Institutionalisisrung, für die Individuen die des Zurückfallens auf
primitivere, regressive Verhaltensweisen.
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bloßes Verhalten:
Reiz-Reaktion
Handeln:
Orientierung an Sinn (kognitiv, expressiv,
normativ, konstitutiv)
soziales Handeln:
Orientierung an Sinn + an Andere
(Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft)
soziale Interaktion:
Sinn + wechselseitige Orientierung
Soziales System:
von der Umwelt abgegrenzte interdependente
Interaktionen
Interdependenz des Handelns
X3
X2
X4
X5
X1
X6
Xn
Das gesellschaftliche Handeln ist nicht aus biologischen und psychischen Eigenarten
der Individuen oder aus dem Wirken eines „objektiven Geistes“ heraus erklärbar,
sondern nur aus den faktischen Wechselwirkungen sozialer Interaktionen.
Die Interdependenz der Handeln führt nicht immer zu beabsichtigten und geplanten
Ergebnissen, sondern auch zu nicht-intendierten Effekten.
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Elemente des Handelns
Definition der Situation & Standards der Selektion
(kognitiv, expressiv, normativ, konstitutiv)
Akteur
Mittel
Ziele
Zeit & Energie
SITUATION
physikalisch
organisch
sozial
kulturell
metaphysisch
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Soziologische Erklärungen des Handelns
positivistische Theorien:
Handeln als rationale oder
zufällige Anpassung an die
Situation
Orientierung an Methoden der
Naturwissenschaften
(-> Kausalzusammenhänge)
idealistische Theorien:
Handeln als rationale oder
traditionale Realisierung
von Werten und Normen
Orientierung an Methoden der
Kulturwissenschaften
(-> Sinnzusammenhänge)
umfassende Theorien
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Handlungstypen & Handlungsprinzipien
instrumentell: rational an Mitteln orientiert zur Verwirklichung von Zielen
Leitendes Prinzip: Nutzenprinzip
Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das ökonomische Handeln
strategisch: rational an Zieldurchsetzung orientiert
Leitendes Prinzip: Effektivitätsprinzip
Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das politische Handeln
traditional: „gewohnheitsmäßig“ an eingelebten Normen, Sitten
und Bräuchen orientiert
Leitendes Prinzip: Kohärenz- bzw. Solidaritätsprinzip
Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das Gemeinschaftshandeln
wertrational / kommunikativ: rational an Sinn, Bedeutungen und Gründen bzw.
an symbolischer Verständigung orientiert
Leitendes Prinzip: Konsistenzprinzip
Dieser Handlungstyp repräsentiert analytisch das kulturelle bzw. diskursive Handeln
expressiv (affektiv): Ausdruck von Gefühlslagen/Affekten
Leitendes Prinzip: Angemessenheit von Expressionen
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Soziale Interaktionen I
Def.: Jede Art von wechselseitigen Beziehungen zwischen zwei oder mehreren
Personen oder Gruppen.
Die Handlungsorientierung eines Akteurs enthält immer auch Erwartungen
hinsichtlich der Gratifikation und Deprivation, nicht nur hinsichtlich gegenwärtiger
Objekte (soziale und nicht-soziale), sondern auch hinsichtlich zukünftiger Situationen.
Wenn Alternativen in gegenwärtigen und zukünftigen Situationen gegeben sind,
braucht der Handelnde ein Bewertungskriterium.
Werden solche Bewertungskriterien durch normative Standards bereitgestellt,
erhöht dies die Stabilität sozialer Interaktionen.
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Soziale Interaktion IV
Dies wird am sogenannten „Gefangenen-Dilemma“ deutlich:
B
gesteht
gesteht nicht
gesteht
5; 5
0; 10
gesteht
nicht
10; 0
1; 1
A
32
Soziale Interaktionen II
In der Interaktion sind die Erwartungen Egos sowohl am Spielraum der
Handlungsalternativen Alters orientiert als auch an Alters Selektion, die
wiederum davon abhängt, was Ego tut. Das gleiche gilt umgekehrt für
Alter.
Dies nennt man die KOMPLEMENTARITÄT VON ERWARTUNGEN,
was nicht heißt, dass die beiden Erwartungen identisch sind, sondern
dass die Handlung eines Jeden an den Erwartungen des Anderen
Orientiert ist.
Erwartungen können kognitiv (z. B. was der Andere tun wird) und
normativ (was soll der Andere entsprechend den Normen tun soll) sein.
Eine Erwartungs-Enttäuschung liegt dann vor, wenn die Erwartung nicht
eintritt.
Die kontingente Reaktion Alters auf Egos Handlung nennt man SANKTION.
Sanktionen können positiv (Belohnung) oder negativ sein (Bestrafung).
Doppelte Kontingenz: Egos Gratifikation ist kontingent hinsichtlich seiner
Wahl von Alternativen, umgekehrt ist Alters Reaktion kontingent hinsichtlich
Egos Wahl und resultiert aus einer komplementären Wahl Alters.
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Soziale Interaktionen III
Normen und Werte
Erwartungs-Erwartung
Erwartung
Ego
Interaktion
Alter
Erwartung
Erwartungs-Erwartung
Ein gemeinsam geteiltes Normen- und Wertesystem reduziert die doppelte
Kontingenz und stabilisiert das Interaktionssystem.
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Soziale Interaktionen V
Arten der Orientierung an einem normativen Standard
Instrumentell/Strategisch
(Konformität oder Nicht-Konformität
ist eine Funktion des
instrumentellen/strategischen Interesses
des Akteurs)
Internalisierung der
Standards
(wird zu einer BedürfnisDisposition des Akteurs,
relativ unabhängig von
irgendwelchen instrumentell
oder strategisch
signifikanten Konsequenzen
dieser Konformität)
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Soziale Interaktionen VI
Sanktionen: Reaktionen auf das Handeln Anderer
positiv
(Belohnung)
negativ
(Bestrafung)
Beide Formen dienen als Mittel der Verhaltenssteuerung dem Zweck, Konformität
zu erzielen.
Arten der Sanktion:
• Formale/informale S.: Bei einer formalen S. ist festgelegt, wer reagiert, worauf
Reagiert wird, welchen Inhalt die Reaktion hat und wie beim Vollzug der S. zu
verfahren ist. Bei der informalen S. bleibt die Reaktion dem Betroffenen überlassen.
• Repressive/restitutive S.: Im Falle repressiver S. (z. B. Verstöße gegen strafrechtliche
Normen) wird dem Normbrecher ein Gut (z. B. Freiheit) entzogen; im Falle
Restitutiver S. werden die gestörten Verhältnisse wiederhergestellt (z. B. Zivil-,
Handels- und Verwaltungsrecht).
• Spezifische/verdeckt-spezifische/unspezifische S.: spezifische S. werden offen und
direkt am Normbrecher vollzogen; bei verdeckt-spezifischen S. kann der
Sanktionierende im Konfliktfall den Rückzug antreten (z.B. das war nicht so gemeint);
Unspezifische S. sind diffus, können überall vorkommen und sind schwer
berechenbar.
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Soziale Interaktionen VII
Die negative Sanktionierung von Normverstößen kann unterschiedliche
gesellschaftliche Funktionen erfüllen. Zentrale Verhaltensregeln werden
immer von neuem in das öffentliche Bewusstsein gehoben, wobei je nach
Art und Ausmaß der Sanktionen die Bedeutung dieser Regeln bekräftigt
wird (Normverdeutlichung).
Darüber hinaus schaffen die Verfolgung bedeutsamer Normbrüche, die
Symbolik dieses Aktes und die verhängte Strafe ein allgemeines Bewusstsein
der Sicherheit und Verlässlichkeit und stärken über die Solidarisierung der
Gesellschaftsmitglieder die gesellschaftliche Integration.
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Soziale Rolle I
Position/Status: Platz des Akteurs in einem Sozialsystem
Prestige: Wertschätzung einer sozialen Position/eines Status in einem Sozialsystem
Rolle: was ein Akteur in seinen Beziehungen mit anderen „tut“; Rolle kommt
zustande durch die normativen Erwartungen von einer Bezugsgruppe
oder mehreren Bezugsgruppen an den Inhaber einer Position.
Rollenerwartungen können sich auf Eigenschaften und Merkmale des Trägers
(Rollenattribute) oder auf sein äußeres Verhalten richten (Rollenverhalten).
Nach dem Ausmaß der Institutionalisierung und der Schärfe der Sanktionen
wird unterschieden sich Muss-Erwartungen (gesetzlich geregelt), SollErwartungen (die in Satzungen niedergelegt sind) und den nicht-kodifizierten
Kann-Erwartungen.
Rollen können zugeschrieben (z. B. Kind) oder erworben (z. B. Berufsrolle) sein.
38
Soziale Rolle II
Rollensatz: Gesamtheit aller sich ergänzender Teilrollen, die mit einer
bestimmten Position verbunden sind.
Alternativ hierzu werden die mit einer Position verbundenen RollenBeziehungen zu verschiedenen Bezugsgruppen auch als Rollen-Segmente
oder Rollen-Sektoren einer einzigen Rolle bezeichnet.
Rollenkonflikte
Intra-Rollenkonflikt
(Widersprüche zwischen den
Erwartungen verschiedener
Bezugsgruppen an den Inhaber
einer Rolle)
Inter-Rollenkonflikt
(Widersprüche zwischen
den verschiedenen
Positionen, die eine
Person innehat)
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Soziale Rolle III
Role-Taking (Rollenübernahme): sich in einen anderen hineinversetzen können
um dessen Verhalten zu antizipieren und in den eigenen Handlungsentwürfen
zu berücksichtigen.
Play: Das Individuum versetzt sich (spielerisch) in die Rolle eines bestimmten
Anderen und erlernt so eine bestimmte Rolle.
Game: Das Individuum versetzt sich in die Rolle eines generalisierten Anderen
und lernt so, was „man“ in einer Gesellschaft tut.
Role-Making (Rollengestaltung): verweist auf das individuelle, spontane,
kreative Moment im Rollenhandeln.
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Soziale Rolle IV
Orientierungsmuster in sozialen Rollen
universalistisch
Typen von Wertorientierungen
affektiv-neutral
partikularistisch
affektiv
Disziplin-Gratifikation-Dilemma
leistungsorientiert
askriptiv (Qualität)
Modalitäten des sozialen Objekts:
was „tut“ oder was „ist“ der Andere
spezifisch
diffus
Bereich der Interessen an Objekten
z. B. Berufsrolle
z. B. Mutter- oder Vaterrolle
41
Soziales System
Soziales System ist zentraler Begriff der soziologischen Systemtheorie. Mit ihm
wird eine Grenze markiert zum Ökosystem, zum physikalischen System,
zum Organismus, zu psychischen Systemen sowie zu Maschinen. Sie alle bilden
die Umwelt sozialer Systeme.
Mindestvoraussetzung für ein soziales System ist die Interaktion/Kommunikation
mindestens zweier Rollenhandelnder.
Innerhalb der soziologischen Systemtheorie besteht eine Kontroverse darüber,
aus welchen Elementen soziale Systeme bestehen. Nach Talcott Parsons sind es
Handlungen, Niklas Luhmann zufolge sind es dagegen Kommunikationen, die
soziale Systeme konstituieren. Die ist nicht einfach nur ein Streit um
Worte, sondern aus der Wahl des Grundbegriffs ergeben sich weitreichende
theoretische und empirische Konsequenzen.
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Mechanismen der Handlungskoordinierung
positiv
Einstellung
Situation
Überredung
Einfluss
Anreize
Geld
negativ
Appell an Werte
Wertverpflichtungen
Einschüchterung
Macht
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Tausch I
3 Hauptformen:
1) Gaben-Tausch: direkteste Form des Tausches, erfolgt zwischen Einheiten
Derselben Art, wie z. B. Individuen, Haushalten, Verwandtschaftsgruppen. Diese als
Reziprozität bezeichnete Tauschform dient nicht dem Gewinn, sondern der
Bestätigung bereits bestehender Beziehungen. Die Reziprozität kann direkt (der Gabe
Entspricht eine äquivalente Gegengabe), generalisiert (bei der keine gleichwertige
Gegengabe erwartet wird, aber Ansehen, Prestige und Verpflichtung) oder negativ
(bei der jeder versucht, straflos etwas für nichts zu bekommen) sein.
2) Redistribution: Güter und Dienstleistungen werden bei einer zentralen Stelle (z. B.
Staat) abgeliefert, die von dieser wieder ausgeteilt werden. Diese Form findet sich
in der Geldwirtschaft (Steuern) und in vorkapitalistischen Gesellschaften (Umverteilung
von Gaben durch den Häuptling).
3) Markttausch ist die typische Austauschform kapitalistischer Gesellschaften, die auf
dem Prinzip von Angebot und Nachfrage beruht und sich an Geld als Maßstab
orientiert.
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Tausch II
Alle 3 Formen können in modernen Gesellschaften nebeneinander existieren,
doch ordnet man den Gaben-Tausch eher Jäger- und Sammlergesellschaften
zu, Redistributionen den Bauern und Hirtennomaden. Den Markttausch findet
man in fortgeschrittenen Ackerbau- und Industriegesellschaften.
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Markt
Der Tausch ist das Grundprinzip der Institution „Markt“.
Der Begriff Markt bezeichnet in der Ökonomie den realen oder virtuellen Ort des
Zusammentreffens von Angebot und Nachfrage.
Der Mindestmarkt besteht aus einem Nachfrager, einem Anbieter und einem
Handelsgut (Ware oder Dienstleistung).
Der Marktpreis (Tagespreis) ist im Handel der unter den momentanen
Marktverhältnissen ausgehandelte Preis eines Gutes. Durch Verwendung eines
allgemein anerkannten Tauschmittels (z. B. Geld) kann der Tausch der Güter gegen
Geld (der Leistungsaustausch) zeitlich voneinander getrennt werden. Wenn dieser
Marktmechanismus nicht funktioniert, dann spricht man von Marktversagen.
46
Geld
Geld ist zunächst ein allgemeiner Maßstab, mit dem die Werte von Lieferungen
und Leistungen verglichen werden können. Durch Verbriefung dieser Werte in
gegenständlicher Form (z. B. Geldschein oder Münzen) oder dokumentarischer
Form (gespeicherte Daten über Bankkonten) kann daraus ein in seinem
Verbreitungsraum von einer Gemeinschaft anerkanntes Zahlungsmittel werden.
Historisch erlangten bestimmte begehrte Güter wie Gold, Silber oder Muscheln
Geldfunktion, indem sie als Zwischentauschmittel eingesetzt wurden. Als
Zahlungsmittel kann man es auch als Vermittler ansehen, der den einstufigen,
suchintensiven direkten Tausch von Waren und Dienstleistungen in einen
zweistufigen Tausch umwandelt.
In der soziologischen Systemtheorie ist Geld ein symbolisch generalisiertes
Interaktionsmedium.
47
Macht und Herrschaft I
Nach Max Weber ist Macht "jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung
den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf
diese Chance beruht." (Wirtschaft und Gesellschaft). Diese Definition abstrahiert
von den Quellen der Macht, sieht also etwa von einer Legitimiertheit der Macht
völlig ab.
In der soziologischen Systemtheorie ist Macht ein symbolisch generalisiertes
Interaktionsmedium.
Herrschaft ist nach Max Weber wie folgt definiert: "Herrschaft soll heißen die
Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam
zu finden". Im Unterschied zu seiner Definition der Macht setzt Herrschaft ein
bestimmtes Maß an Dauerhaftigkeit voraus; sie ist eine institutionalisierte Form von
Über- und Unterordnung (Subordination).
Nach Weber kann der Gehorsam als konstitutives Element der Herrschaft rein affektuell,
aber auch ideell (wertrational) oder materiell (zweckrational) begründet sein. Rein ideelle
oder rein materielle Motive des bzw. der Gehorchenden (z. B. des Verwaltungsstabes)
begründen jedoch eine lediglich labile Herrschaft, zu der ein weiteres, sie
stabilisierendes Element hinzukommt: der Legitimitätsglaube.
48
Macht und Herrschaft II
Weber unterscheidet nun drei Idealtypen legitimer Herrschaft nach der Art ihrer
Legitimation:
• rationale / legale Herrschaft, die auf dem Glauben der an die Legalität gesetzter
Ordnungen (zum Beispiel Gesetze) ruht, Beispiel: Bürokratie
• traditionale Herrschaft, die auf dem Alltagsglauben an die Heiligkeit von jeher
geltender Traditionen und der Legitimität der durch sie Berufenen ruht,
Beispiel: Patriarchat, Feudalismus
• charismatische Herrschaft, die auf der außeralltäglichen Hingabe an die Heiligkeit
oder Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie geschaffenen
Ordnung ruht. Sie versachlicht sich stets in eine rationale oder traditionale Herrschaft,
Beispiel: Prophet
Der Begriff der Herrschaft wird heute in der von Weber durchgesetzten Bedeutung des
legitimierten (personalen) Machtverhältnisses verstanden
49
Sozialer Konflikt I
Sozialer Konflikt ist ein universell vorfindbarer Prozess der Auseinandersetzung,
der auf unterschiedlichen Interessen sozialer Gruppierungen beruht und der in
unterschiedlicher Weise institutionalisiert ist und ausgetragen wird.
Der Konflikt hat vielfältige Erscheinungsformen: Krieg,Kampf, Streiks, Aussperrungen,
Verteilungs-, Macht-, Status- und Tarifauseinandersetzungen.
Als Auseinandersetzung, Spannung, Gegnerschaft, Gegensätzlichkeit kann der Konflikt
zwischen Individuen, Individuen und Gruppen, Gruppen und Gruppen, Verbänden,
Gesellschaften, Staaten und allen gesellschaftlichen Vereinigungen stattfinden.
Für die Form der Konfliktaustragung sind Intensität, Ausmaß des Einsatzes von Macht
und Gewalt sowie Art, Umfang und Verbindlichkeit von Konfliktregelungen von
Interesse.
50
Sozialer Konflikt II
Funktion von Konflikten
• Negative Funktion (Dysfunktion): Konflikte sind Abweichungen vom Normalzustand
einer Gesellschaft; Störung des „Gleichgewichts“
• Positive Funktion: Konflikt führt zur Anpassung bzw. Neuschaffung sozialer Normen,
dadurch entstehen neue soziale Strukturen und im Konfliktgeschehen werden die
Beteiligten sich dieser Normen bewusst.
Erscheinungsform von Konflikten:
• manifest: gewollte Auseinandersetzung
• latent: unterschwelliger Konflikt
• umgeleitet: die Auseinandersetzung spielt sich in anderen Bereichen und Handlungsweisen ab als denen, die für der Konflikt ursächlich sind.
51
Gemeinschaft I
Die kleinste Gemeinschaft ist die Familie ungeachtet ihres rechtlichen Rahmens.
An ihr wird bereits deutlich, dass Gemeinschaften aufgrund freier Willensentscheidung
entstehen können (Ehepartner). Andererseits kann man ohne freie Willensentscheidung
in eine Gemeinschaft hineingeboren werden (Kinder).
Neben den Extremen der freien Willensentscheidung und des hinein geboren Werdens
gibt es in der Praxis viele Gemeinschaften, bei denen die freie Willensentscheidung so
eingeschränkt ist, dass sie kaum wahrnehmbar ist, ohne dass man hineingeboren wird.
Ein Beispiel hierfür ist die Klassengemeinschaft in der Schule. Aber auch
Schicksalsgemeinschaften zählen zu den Gemeinschaften.
Eine Gemeinschaft entwickelt ein Eigeninteresse, welches sich an den alltäglichen
Zielsetzungen der Lebensführung der Mitglieder bemisst und entsprechend auf vielerlei
Weise miteinander verflochten ist. Nicht selten fällt deshalb der Austritt aus der
Gemeinschaft leichter oder schwerer, wird auch behindert oder moralisch diskreditiert.
52
Gemeinschaft II
Kriterien für Gemeinschaften sind:
• Klare Festlegung der Zugehörigkeit und damit Abgrenzung zum "Rest der Welt„
• freiwillige Solidarität der Gemeinschaftsangehörigen untereinander
(Primat des Gemeinschaftsinteresses vor dem jeweiligen Individualinteresse)
• Emotionale Bindungskräfte (Wir-Gefühl)
• Nicht nur kurzzeitige Existenz der Gemeinschaft
• Vertrautheit der Gemeinschaftsangehörigen (gilt auch für anonyme
Großgemeinschaften wie Völker)
Die klare Zugehörigkeit muss für Außenstehende nicht zwingend
erkennbar sein. Es muss sich auch nicht um objektiv eindeutige Kriterien handeln.
Wesentlich ist, dass die Gemeinschaftsmitglieder "wissen" (oftmals mehr spüren),
wer dazu gehört und wer nicht. Grundsätzlich drücken Gemeinschaften mehr
Zusammengehörigkeit aus als bloße Gesellschaften.
53
Gemeinschaft III
In der soziologischen Systemtheorie ist Einfluss als Mittel der „Überredung“
ein symbolisch generalisiertes Interaktionsmedium, das in der Solidarität einer
gesellschaftlichen Gemeinschaft verankert ist.
54
Wertverpflichtungen (value commitments)
Wertverpflichtungen (value commitments) sind moralische Verpflichtungen der
Akteure eines Interaktionssystems, die die Integrität einer Wertstruktur erhalten
und zusammen mit anderen Faktoren zu ihrer Verwirklichung im Handeln führen.
Wertverpflichtungen als moralische Verpflichtungen schreiben jedoch keine
detaillierten Handlungsabläufe vor, wenn die Notwendigkeit zur Implementation
in der konkreten Situation entsteht. Die Implementation erfordert daher, dass
die Wertverpflichtungen mit anderen Faktoren (Einfluss, Macht, Geld) kombiniert
werden.
Wenn wir davon sprechen, dass Ego die Wertverpflichtungen eines anderen (Alter)
Aktiviert, so ist damit gemeint, dass Ego Alter durch symbolische Kommunikation
hilft, „die Situation zu definieren“.
Wertverpflichtungen sind in der Kultur eines Sozialsystems verankert und werden
in der soziologischen Systemtheorie als symbolisch generalisiertes Interaktionsmedium konzipiert.
55
Diskurs I
Jürgen Habermas bezeichnet in seiner Theorie des kommunikativen Handelns
mit „Diskurs“ den Prozess einer Aushandlung von Geltungsansprüchen. Ein Merkmal
der Sprache ist die ihr innewohnende Rationalität. Die Ergebnisse einer Kommunikation
- wenn sie frei ist von Verzerrungen durch Macht oder Hierarchien - sind zwangsläufig
rational. Die beste Versicherung für wahre Erkenntnisse, richtige Normen und
wahrhafte Gefühle ist somit der herrschaftsfreie Diskurs.
Diskurs
Grundlegend für die Diskurstheorie ist ein bestimmtes Verständnis von Sprache und
Verständigung, wie es Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns
entwickelt hat.
Danach wird zwischen kommunikativem Handeln (verständigungsorientierte
Äußerungen, sog. Sprechakte) und instrumentellem bzw. strategischem Handeln
unterschieden. Nach diesem Verständnis verhält sich das strategische Handeln zum
kommunikativen Handeln parasitär, das den Originalmodus des Sprechens darstellt.
56
Diskurs II
Im kommunikativen Handeln erhebt ein Sprecher regelmäßig Geltungsansprüche,
die je nach Aussage als solche der (propositionalen) Wahrheit, der (normativen)
Richtigkeit und der (subjektiven) Wahrhaftigkeit erscheinen und auf das Einverständnis
seines Gegenübers abzielen. Wird dieses Ziel verfehlt, wird also kein Einverständnis
erreicht, so ist dies Ausgangspunkt für den (theoretischen, praktischen oder explikativen)
Diskurs, der die einerseits erhobenen und andererseits kritisierten Geltungsansprüche
problematisiert und "als Berufungsinstanz des kommunikativen Handelns" fungiert.
Der Diskurs gewährleistet die Möglichkeit eines Konsenses durch die ihn
konstituierenden Bedingungen, die von jedem der Teilnehmer anerkannt werden.
Sie wurden versuchsweise in "Diskursregeln" formuliert und zielen auf die Herstellung
einer "idealen Sprechsituation" ab, in der nichts weiter herrscht als "der Zwang des
besseren Arguments und das Motiv der kooperativen Wahrheitssuche".
Im Unterschied zum alltäglichen kommunikativen Handeln, in dem die Geltung von
Sinnzusammenhängen naiv vorausgesetzt wird, um Informationen auszutauschen,
zeichnen sich also Diskurse durch eine Virtualisierung von Geltungsansprüchen aus,
d. h. problematisierte Geltungsansprüche werden zum Thema gemacht (also kein
bloßer Informationsaustausch) und das problematisierte Einverständnis soll durch
rationale Begründung wieder hergestellt werden.
57
Diskurs III
Diskursregeln (ideale Sprechsituation)
Jeder, der über Sprachkompetenz verfügt, darf teilnehmen.
Alle Motive außer einer kooperativen Verständigungsbereitschaft sollen außer
Kraft gesetzt werden.
Jeder darf Behauptungen einbringen und Behauptungen in Frage stellen.
Der Gegenstand des Diskurses ist dahingehend begrenzt, dass er einen möglichen
Konsens zulassen muss, die Einführung eines neuen Gegenstandes bedarf der
Rechtfertigung.
Niemand darf durch äußere oder innere Zwänge am Sprechen gehindert werden.
Zwang des besseren Arguments.
58
Soziale Gruppe I
Def.: eine bestimmte Zahl von Mitgliedern, die zur Erreichung eines gemeinsamen
Ziels über längere Zeit (dauerhaft) unmittelbar in einem relativ kontinuierlichen und
diffusen Kommunikations- und Interaktionsprozess stehen und ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl) entwickeln.
Zur Erreichung des Gruppenziels und zur Stabilisierung der Gruppenidentität ist ein
System gemeinsamer Normen und eine Verteilung der Aufgaben erforderlich.
Gruppen sind zwischen Interaktionen einerseits und Organisationen andererseits
verortet.
Unterschied zur Organisation: Unmittelbarkeit und Diffusheit der Mitgliederbeziehungen
Unterschied zur Interaktion: zeitlich weniger limitiert, erschöpfen sich nicht in singulärer
Interaktion, Wir-Gefühl
59
Soziale Gruppe II
Tragendes Prinzip ist die Zusammengehörigkeit (Wir-Gefühl, Gruppenidentität), bei
der sich folgende Sinnkomponenten unterscheiden lassen:
• sie bezieht sich auf einen bestimmten, unverwechselbaren Kreis von Personen
• die Personen stehen in einem besonderen Verhältnis zueinander, sie grenzen
sich von der Umwelt (Nicht-Mitglieder) ab
• sie beruht auf einem Prozess der Vergemeinschaftung
• sie akzentuiert Dauer, Bestand
• sie drängt auf Interaktion
• Abwesenheit fällt auf.
Jemand gehört einer Gruppe an, wenn er sich der Gruppe zugehörig fühlt und
dies von der Gruppe nicht dementiert wird.
60
Soziale Gruppe III
Klassifikation sozialer Gruppen:
1) Quantität
• Dyade (Zweier-Gruppe), Sonderform der Gruppe, hohe Intensität und Vielseitigkeit
der Interaktion
• Klein-Gruppe (etwa bis 25 Mitglieder, face-to-face Kontakte)
• Groß-Gruppe (über 25 Mitglieder)
2) Qualität
• Primär-Gruppe (hohe Bedeutung für Sozialisation, Wertbindung und Identitätsbildung,
beeinflussen die Orientierungen der Mitglieder grundlegend und prägend)
• Bezugs-Gruppe (hohe Bedeutung für die Orientierung einer Person)
• Eigen-Gruppe (in-group) (Mitgliedschaft)
• Fremd-Gruppe (out-group)
• Gleichaltrigen-Gruppe (peer group)
3) Form
• Formelle Gruppe (z. B. Arbeitsgruppe im Betrieb)
• Informelle Gruppe
61
Sozialisation I
Die Sozialisation bezeichnet die Entwicklung der Persönlichkeit aufgrund ihrer
Interaktion mit einer spezifischen materiellen und sozialen Umwelt. Durch sie
wird ein Individuum zu einem vollwertigen Teil der Gesellschaft.
Wenn die Sozialisation erfolgreich verläuft, verinnerlicht das Individuum die
Sozialen Normen und Werte aber auch z. B. die sozialen Rollen
seiner gesellschaftlichen und kulturellen Umgebung.
Der umgedrehte Prozess, in dem ein Mensch zu sich findet, heißt Individuation.
62
Sozialisation II
Sozialisation ist ein Prozess, der nie abgeschlossen wird. Im Zentrum steht die
Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit. Zur Persönlichkeit gehört einerseits
die Individualität, die den Einzelnen von allen Anderen unterscheidet, andererseits
der Sozialcharakter, den die Mitglieder einer Gesellschaft oder Gemeinschaft
miteinander teilen (Werte, Normen, soziale Rollen, usw.)
Primäre Sozialisation
Die primäre Sozialisation findet in der Familie statt und wird mit der Herausbildung
einer individuellen Identität des Individuums abgeschlossen. Die in dieser Phase
verinnerlichten Normen, Werte und Verhaltensweisen gelten als stabil, können sich aber
in einer sekundären Sozialisation noch ändern (z. B. bei Kontakt mit anderen
Wertegemeinschaften). Diese gilt bis zum dritten Lebensjahr.
Sekundäre Sozialisation
Die sekundäre Sozialisation bereitet das Individuum auf seine Rolle in der Gesellschaft
vor und findet hauptsächlich in der Familie, Schule oder Altersgruppe statt. Diese gilt ab
dem dritten Lebensjahr.
63
Sozialisation III
Tertiäre Sozialisation
Die tertiäre Sozialisation findet im Erwachsenenalter statt und bezeichnet die
Anpassungen, die das Individuum in Interaktion mit seiner sozialen Umwelt ständig
vornimmt.
Da Sozialisation als ein lebenslanger Prozess des Lernens und der Anpassung
verstanden werden muss, kann schließlich auch im beruflichen Bereich (berufliche
Sozialisation) und darüber hinaus von einer tertiären Sozialisation gesprochen werden.
Humanisation
Der Sozialanthropologe Dieter Claessgens stellt in "Familie und Wertsystem" heraus,
dass eine 'gelingende' "Sozialisation" einer vorauf gehenden gelungenen Humanisation
bedürfe, in der das Neugeborene im ersten Lebensjahr ("post-uterinen Frühjahr")
überhaupt ein Urvertrauen gewönne (oder eben nicht gewönne), soziale Lehren für
sich zu akzeptieren.
Unterschied zwischen Sozialisation und Erziehung
Während die Erziehung mit dem Ende der Jugendphase, dem volljährig und
somit auch mündig Werden ihr Ende findet, ist die Sozialisation (wie schon oben
erwähnt) ein lebenslanger Prozess. Wenn wir jemanden erziehen, so versuchen
wir die Persönlichkeitsentwicklung der erzogenen Person positiv zu beeinflussen.
Sie erfolgt aktiver als die Sozialisation und folgt in der Regel gesellschaftlichen
Aufträgen. Erziehung ist somit eine Teildimension des Sozialisationsprozesses.
64
Sozialisation IV
Stufen der moralischen Entwicklung (Piaget/Kohlberg)
Vorkonventionelles Niveau
Hedonistische Orientierung an externen Handlungskonsequenzen
Konventionelles Niveau
Orientierung an wichtigen Partnern in Primärgruppen oder an den tradierten
Normen und Werten einer Gesellschaft
Postkonventionelles Niveau
Orientierung an universellen Prinzipien (z. B. Kants kategorischer Imperativ)
65
Sozialstruktur I
Sozialstruktur bezeichnet die Struktur einer Gesellschaft bzw. eines sozialen
Systems nach - je nach Theorieansatz sehr unterschiedlichen - sozialen Merkmalen.
Allgemein kann man unter "Sozialstruktur" die Gruppierung des sozialen
Beziehungsgefüges einer Gesamtgesellschaft nach Ähnlichkeiten und
Verschiedenheiten in mehreren Dimensionen fassen, so dass sich die dauerhaften
sozialen Wechselwirkungen dieser Gruppierungen untereinander erklären und
verstehen lassen.
Als wichtige und durch Ähnlichkeiten strukturgebende Gruppierungen werden je nach
der zu Grunde liegenden Theorie folgende Begriffe und Konzepte gebraucht:
Gruppierungen vorwiegend nach ‚Oben' und ‚Unten' (vertikal)
"Kaste "
historisch: "Stand", gegenwärtig: "Sozialer Status"
"Klasse"
"Soziale Schicht", bzw. besondere Einzelmerkmale der Schichtung ("Stratifikation")
wie etwa „Beruf“, „Ausbildung“ u. a.
66
Sozialstruktur II
Gruppierungen mit deutlichem Einbezug des ‚Nebeneinander' (horizontal)
• "Soziales Milieu"; teilweise wird auch dem "Lebensstil" sozialstrukturelle Relevanz
zugesprochen; insbesondere auch Gruppierungen nach dem Konsumverhalten und
Randgruppen
• Religionsgemeinschaften
• Ethnien, Sprachgruppen
•Heiratskreise, Clans, u. ä.
• sowie die Zugehörigkeit zu in dieser Gesellschaft besonders relevanten
Gruppierungen, wie etwa sesshafte und mobile (z. B. nomadische) Gruppierungen,
Stadt- und Landbevölkerung, Bünde (z. B. Arbeiterbünde), Alteingesessene und
Zugewanderte, Wähler unterschiedlicher Parteien .
Untersuchungen über die Sozialstruktur interessieren sich zum einen für den
sozialen Wandel, also für die Veränderung der Sozialstruktur einer Gesellschaft über
die Zeit, zum anderen für den Vergleich der Sozialstrukturen mehrerer Gesellschaften
(und die damit verbundenen Einflussfaktoren).
Wichtige Beziehungen der Sozialstruktur bestehen zur – nach anderen Merkmalen
ordnenden – demografisch-statistisch erhobenen Bevölkerungsstruktur und zur
volkswirtschaftlich orientierten Wirtschaftsstruktur.
67
Sozialstruktur III
Kaste
Der Begriff "Kaste" wird in erster Linie mit einem aus Indien bekannten sozialen
Phänomen assoziiert. Der soziologische Bezug wird durch die lebenspraktischen
Auswirkungen auf formelle Umgangsrestriktionen deutlich. Der Begriff wird aber auch
umgangssprachlich oder soziologisch allgemein benutzt und auf einzelne Gruppierungen
anderer und sogar moderner Gesellschaften angewandt. Eine bedeutende Rolle beim
"Kasten"-Begriff spielt hier seine hohe, da auch religiös verfestigte Starrheit, die noch
diejenige der Ständeordnung übertrifft. Doch ist auch hier sozialer Aufstieg möglich
(z. B. oft durch Aufspaltung einer Kaste), was in der indischen Soziologie als
sanscritization bezeichnet wird.
Auch die Kastenzugehörigkeit des Individuums wird, ähnlich der Ständeordnung durch
die Geburt bestimmt, wobei Ein- oder Austritt theoretisch ebenfalls nicht möglich sind
(es sei denn, man verließe die hinduistische Religion und werde z. B. Buddhist oder
Christ). Die soziale Mobilität innerhalb der Kasten ist tatsächlich jedoch existent. So kann
in der Praxis ein Mitglied aus seiner Kaste ausgeschlossen werden, was in etwa der
mittelalterlichen Exkommunikation im christlichen Abendland entspricht. Ebenso sinkt
ein Mitglied in die Kaste eines niedrigeren Ehepartners ab, und zwar unabhängig davon,
ob es sich um den Mann oder die Frau handelt.
Das Kastenwesen ist insbesondere in Indien, auf Ceylon, in Nepal und auf Bali, aber
auch bei den kurdischen Jesiden verbreitet. Vorwiegend durch Kasten geprägte
Gesellschaften sind zudem bei einigen Stämmen im übertragenen Sinne anzunehmen,
68
in der Neuzeit sonst nicht mehr vorhanden.
Sozialstruktur IV
Stand
Die mittelalterliche und frühneuzeitliche Gesellschaft Europas gliederten sich in mehrere
Stände. Das Ständesystem war seinerzeit ein gesellschaftliches mindestens ebenso
selbstverständliches Ordnungsmodell, wie es für spätere Zeiten die von Marx
beschriebenen Klassen oder die von Helmut Schelsky, Karl Martin Bolte und anderen
in die Gesellschaftslehre eingeführten sozialen Schichten wurden.
Verbreitet war die Drei-Stände-Ordnung, wie sie insbesondere für Frankreich
charakteristisch war:
Der 1. Stand umfasste die Gruppe aller Geistlichen, d. h. Angehörige der hohen
Geistlichkeit wie des niederen Klerus.
Im 2. Stand wurde der Adel zusammengefasst. Auch hier spielte es keine Rolle, ob
man aus einer höheren Adelsschicht oder aus einer niederen kam und etwa dem oft
verarmten Landadel angehörte.
Der 3. Stand umfasste nominell alle Stadtbürger, gelegentlich auch die freien Bauern,
jedoch nicht den 'Rest' der Bevölkerung.
Denn unterhalb der Stände gab es sehr kopfreiche unterständische Gruppieren der
halb- und unfreien Bauern, des Haus-, Hof-, Klostergesindes, die unehrlichen Berufe
(z. B. die Müller), das Fahrende Volk, Verarmte, Entlaufene, abgedankte Söldner und
Räuber; auch Minderheitenangehörige (Juden, Zigeuner) usf.
69
Sozialstruktur V
Stand Forts.
Das ständische System galt den Menschen des Mittelalters und der frühen Neuzeit als
feste gottgegebene Ordnung, in der jeder seinen unveränderlichen Platz habe. In
seinen Stand wurde man hinein geboren. Ein Aufstieg war in der Regel nicht möglich.
Verdienst oder Reichtum hatten nur wenig Einfluss darauf, welchem Stand man
angehörte. So konnte etwa ein Bürger, der als Kaufmann zu großem Vermögen
gekommen war, wesentlich reicher sein als ein armer Adliger. Das ständische System
ist ein statisches Gesellschaftsmodell.
Die politisch berechtigten Stände (oder Landstände) waren eng mit den
gesellschaftlichen Ständen verknüpft, ja letztere waren die Voraussetzung für deren
Existenz. Die politische und militärische Macht konzentrierte sich im Mittelalter
keineswegs in der Hand des Landesherren bzw. Königs. Vielmehr war dieser bei seiner
Herrschaft auf die Mitwirkung der gesellschaftlichen Eliten (Vasallen) angewiesen.
Zunächst brauchte er die militärische Leistung seiner adeligen Vasallen, dann finanzielle
Abgaben, die er aber nur mit Zustimmung der Grundherren - also den Adligen oder
den Klöstern und Stiftern - erheben lassen konnte. Der Höhepunkt ständischer Macht
lag in den meisten europäischen Ländern in der Zeit vom 15. bis zum 17. Jahrhundert.
70
Sozialstruktur VI
Milieu
Als Soziales Milieu wird nach Émile Durkheim die soziale Umgebung beschrieben,
in der ein Individuum aufwächst und lebt. Durkheim unterscheidet zwischen innerem
und äußerem sozialen Milieu. Rainer Lepsius hat den Begriff später aufgegriffen um
Wahlverhalten zu erklären, er unterscheidet innerhalb der Weimarer Republik drei
große sozial-moralisches-Milieus, in welchen die Personen "von der Wiege bis zur Bahre„
umgeben waren, nämlich
das liberal-protestantische Milieu,
das sozial-demokratische Milieu.
das katholische Milieu.
In der Lebensstil- und Ungleichheitsforschung wurde in den 1980er Jahren der
"Milieu"-Begriff ausdifferenziert und eine Unterscheidung zwischen sozialer Lage,
Lebenszielen und Lebensstilen getroffen, die Handlungsmuster zur Erreichung von
Lebenszielen beschreiben. Der "Milieu"-Begriff geht davon aus, dass der Lebensstil
von Menschen nicht nur auf Grund äußerer Umstände sondern auch von inneren
Werthaltungen geprägt wird. Der Begriff soziales Milieu bezieht sich damit auf Gruppen
von Individuen mit ähnlichen Lebenszielen und Lebensstilen und umfasst Mentalität und
Gesinnung der Personen. Durch die zunehmende Pluralisierung der Gesellschaften und
die Individualisierung der Lebensstile wird die vormals enge Verknüpfung zwischen
sozialer Lage und Milieus entkoppelt, auch wenn soziale Milieus weiterhin nach Status
71
und Einkommen hierarchisch eingeordnet werden können.
Sozialstruktur VII
Klasse
Nach der ursprünglichen Definition von Karl Marx sind "Klassen" durch die Stellung der
ihr Angehörigen im Produktionsprozess definiert. Er unterscheidet für jedes historisches
Produktionsverhältnis zwei dominierende Klassen: die Nichtbesitzer und die Besitzer
der vorwiegenden Produktionsmittel. Für die kapitalistische Produktionsweise sind das
die Proletarier und Kapitalisten, in der antiken "Sklavenhaltergesellschaft" aber z. B. sind
dies die Sklaven und die Sklavenhalter.
Aus der Analyse der ökonomischen Verhältnisse wird deutlich, so Marx, dass die
Mitglieder der kapitalistischen Gesellschaft, die rechtlich frei sind, jedoch einzig ihre
Arbeitskraft zu verkaufen haben, kontradiktorisch andere Interessen haben müssen als
diejenigen, die über Produktionsmittel verfügen und Arbeitskräfte einstellen. Die Einen
wollen beispielsweise ihre Arbeitskraft möglichst teuer verkaufen und möglichst wenig
dafür tun, die anderen die Arbeitskraft billigst einkaufen und möglichst lange und intensiv
schaffen lassen.
In der Volkswirtschaftslehre ist dies als das sog. "MiniMax-Prinzip" bekannt, wonach
beide Seiten einander ebenfalls kontradiktorisch gegenüber stehen. Dieser
grundsätzliche Antagonismus bestehe unabhängig von den Vorstellungen der Menschen
über ihre eigene Lage.
72
Sozialstruktur VIII
Sobald Mitglieder einer Klasse die Gemeinsamkeit ihrer Interessen erkennen und
danach zu handeln beginnen, spricht Marx von einem Übergang von der "Klasse an sich"
(d. h. einer Klasse, die nur begrifflich durch die Stellung im Produktionsprozess
gekennzeichnet ist) zur "Klasse für sich", also zu einer Klasse, die sich ihrer selbst
bewusst und willens wird, für ihre Interessen gemeinsam zu kämpfen. Bewusst oder
unbewusst befänden sich demnach die beiden analytisch bestimmbaren Klassen
"Lohnarbeit" und "Kapital" in einem permanenten Streit, dem sog. Klassenkampf.
Der Begriff der sozialen Klasse wurde innerhalb der Soziologie von Max Weber
differenziert und ausgeweitet. Er definierte "Klasse" als die
Typische Chance ..., welche aus Maß und Art der Verfügungsgewalt (oder des
Fehlens solcher) über Güter und Leistungsqualifikationen und aus der gegebenen
Art ihrer Verwertbarkeit für die Erzielung von Einkommen und Einkünften innerhalb
einer gegebenen Wirtschaftsordnung folgt.
Weber unterscheidet im folgenden drei Formen von Klassen:
• die Besitzklassen (sie werden durch den Besitz bestimmt),
• die Erwerbsklassen (sie werden durch die Erwerbschancen bestimmt) und
• die soziale Klassen (sie werden durch ihre Chancen/Risiken des sozialen Auf- und
Abstiegs bestimmt).
73
Sozialstruktur IX
Nach Ralf Dahrendorf sind "Klassen" nicht nur durch Besitz bzw. Nichtbesitz speziell
von "Produktionsmitteln", sondern schlechthin von Machtmitteln zu definieren.
Damit sind z. B. sogar Gewaltmittel einbezogen.
Obwohl Macht überall wirkt, führen bei Dahrendorf ihre Antagonismen doch nicht
zu einem universalen Bürgerkrieg, da alle sozialen Akteure unterschiedliche
soziale Rollen inne haben und in jeder Rolle in einem anderen Klassen-Antagonismus
stehen können. Dies erklärt, warum sie sich ggf. nirgends 100prozentig engagieren,
und warum auch ihre Klassengegner innerhalb eines Machtverhältnisses
(z. B. im Betrieb) Antagonisten, innerhalb eines anderen (z. B. in der
Kirchengemeinde oder Partei) dagegen ihre Machtverbündeten sind, was die
Gewaltsamkeit und Intensität sozialer Konflikte mildert.
74
Sozialstruktur X
Nach Pierre Bourdieu gibt es drei große Klassenlagen: das Großbürgertum/Bourgeoisie,
das Kleinbürgertum und die Arbeiterschaft. Diese verteilen sich im sozialen Raum
entlang einer "vertikalen" Achse, auf der mehr oder weniger die Herrschaftsverhältnisse
abgebildet sind. Die Klassen differieren unter anderem durch das Distinktionsvermögen
ihrer Angehörigen.
Innerhalb der einzelnen Klassen unterscheidet Bourdieu - auf einer "horizontalen"
Achse - Klassenfraktionen mit einer je spezifischen Position und symbolischen
Auseinandersetzungen im Raum der Lebensstile, etwa das Besitzbürgertum
(Unternehmer; an Tradition und Luxus orientiert), die neue Bourgeoisie (leitende
Angestellte; an Fortschritt orientiert) und das Bildungsbürgertum (Intellektuelle,
Lehrkräfte an Universitäten; an Bohème oder (erzwungener) Askese orientiert). Die
einzelnen Klassenfraktionen grenzt Bourdieu an Hand der Struktur ihres gesamten
Kapitals gegeneinander ab. Dabei unterscheidet Bourdieu ökonomisches Kapital von
kulturellem Kapital und sozialem Kapital. So ist etwa beim
Bildungsbürgertum ein hohes "kulturelles Kapital", aber nur ein relativ gering
ausgeprägtes "ökonomisches Kapital" vorzufinden. Die verschiedenen Klassenfraktionen
werden zum Teil auch als Milieus bezeichnet.
Die Bedingungen der sozialen Lage, also der Verortung im sozialen Raum, determinieren
einen jeweils unterschiedlichen „Habitus“, während die Handlungsstrategien einen
gewissen individuellen Freiheitsspielraum bieten. Der Habitus prägt den spezifischen
Geschmack, aber auch die Praxisformen, also die jeweils ausgeübten und präferierten
sozialen Praktiken (d. h.: den Lebensstil). Zugleich ermöglicht der Habitus eine
75
Unterscheidung zwischen der Eigengruppe und Fremdgruppen.
Sozialstruktur XI
Kategorien der Sozialstruktur:
Rollen: Prozess strukturierter, d. h. normativ gesteuerter, Teilnahme einer Person
an einem konkreten Prozess sozialer Interaktion mit bestimmten konkreten
Rollenpartnern.
Die Rollenkomponente ist das normative Element, das die Teilnahme einzelner
Personen an Kollektiven steuert.
Kollektive: Systeme solcher Interaktionen einer Vielzahl von Rollenträgern, soweit
sie normativ gesteuert sind.
Die Kollektivkomponente ist das normative Arrangement, das die Werte, Normen,
Zielorientierungen und Rollenordnung für ein konkretes Interaktionssystem
bestimmbarer Personen definiert.
76
Sozialstruktur XII
Kategorien Sozialstruktur Forts.
Normen: normative Komponente, die sich spezifisch auf bestimmte Rollen oder
Kollektive bezieht. Normen sind innerhalb ihres relevanten Universums universalistisch
und funktionsspezifisch.
Die Normkomponente ist die Menge von Regeln, die Erwartungen für das Rollenverhalten
von Klassen differenzierter Einheiten eines Systems – Kollektive oder Rollen – definiert.
Werte: Ausdruck für die gemeinsame normative Komponente, sie sind universalistisch
und nicht funktionsspezifisch.
Die Wertkomponente ist das normative Muster, das in universalistischer Fassung das
Muster wünschenswerter Orientierung für das Gesamtsystem bestimmt, unabhängig
von der Spezifikation der Situation oder der differenzierten Funktionen innerhalb des
Gesamtsystems.
77
Soziale Ungleichheit I
Jener Zustand der sozialen Differenzierung, in dem die ungleiche Verteilung von
gesellschaftlichen Ressourcen, sozialen Positionen und Rängen als ungerecht
angesehen wird.
Soziale Ungleichheit hängt mit dem Tatbestand zusammen, dass es in einer
Gesellschaft besonders begehrte, knappe Güter (Belohnungen) gibt. Diese werden in
einer Gesellschaft systematisch und langfristig ungleich auf die einzelnen Mitglieder
verteilt. Soziale Ungleichheit ist somit ein zentrales, jede Gesellschaft hierarchisch
Strukturierendes Ordnungsprinzip.
Die Bedeutung der sozialen Ungleichheit ergibt sich aus einer Universalität in
dreifacher Hinsicht:
• Soziale Ungleichheit erscheint in jeder Gesellschaft.
• Überall werden Konflikte um die Verteilung knapper Güter ausgetragen.
• Grundlagen der Verteilungskonflikte sind die Auseinandersetzungen über den richtigen
oder gerechten Maßstab zur Beurteilung der Notwendigkeit, der Form und des
Ausmaßes von sozialer Ungleichheit.
78
Soziale Ungleichheit II
Mit dem Begriff der sozialen Ungleichheit sind einige andere Grundphänomene des
Sozialen eng verknüpft:
• die mit den als ungleich bewerteten sozialen Positionen und Rängen gegebenen
unterschiedlichen Möglichkeiten der Ausübung von Macht und Herrschaft und der
Aneignung von Ressourcen;
• die unterschiedliche Ausprägung der sozialen Ungleichheit in den einzelnen
Gesellschaften, ihre Institutionalisierung z. B. als Kaste oder Stand bzw. ihre
Verfestigung als Klasse und Schicht.
Die Feststellung sozialer Ungleichheit sagt noch nichts über ihre gesellschaftliche
Akzeptanz bzw. Ablehnung. Folgende Grundpositionen sind denkbar:
•Soziale Ungleichheit wird als naturgegeben oder als gottgewollt angesehen;
•Soziale Ungleichheit wird als Form der sozialen Differenzierung akteptiert, solange
Toleranzgrenzen nicht überschritten werden;
•Soziale Ungleichheit ist ein völlig inakzeptabler gesellschaftlicher Zustand.
79
Soziale Ungleichheit III
Die Chancengleichheit ist die heute dominierende gesellschaftspolitische
Zielvorstellung. In diesem Begriff drückt sich aus, was heute als gerecht empfunden
wird.
Chancengleichheit bedeutet, dass jeder seine soziale Stellung ausschließlich seiner
persönlichen Leistungsfähigkeit und – bereitschaft verdankt. Die Leistung wird dabei
nicht durch Gründe (mit)verursacht, die außerhalb der Menschen wirken. Der Erwerb
einer hohen sozialen Stellung z. B. darf nicht dadurch verursacht sein, dass jemand
in einer reichen Familie aufgewachsen ist.
Die Ungleichheitsforschung hat gezeigt, dass das Aufwachsen in einem bestimmten
sozialen Milieu die spätere soziale Stellung eines Kindes – unabhängig von seinen
Fähigkeiten – entscheidend beeinflusst. Gerecht ist aber nur jener Teil sozialer
Ungleichheit, der ausschließlich die in den Menschen verankerten Fähigkeiten
widerspiegelt.
80
Soziale Ungleichheit IV
Einschränkend ist zu sagen, dass Chancengleichheit nur im Rahmen eines
Menschenwürdigen Daseins gelten soll. Ab wann ein Dasein als menschenwürdig
bezeichnet werden kann, ist Gegenstand immer neuer Auseinandersetzungen.
Diese Einschränkung bedeutet, das ein umfangmäßig umstrittener Teil der
Gesellschaftlichen Belohnung nicht nach dem Leistungsprinzip, sondern nach dem
Gleichheitsprinzip verteilt wird.
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Soziale Mobilität
Unter sozialer Mobilität versteht man die Bewegung der Einzelpersonen zwischen
den Klassen und Schichten und innerhalb dieser bei Veränderung des Berufs und
der beruflichen Stellung, also Bewegung und Veränderung im sozialen
Beziehungsraum; zumeist als Auf- oder Abstieg (vertikale Mobilität).
Demgegenüber bedeutet räumliche Mobilität (auch als territoriale Mobilität bezeichnet)
die Bewegung der Einzelpersonen im geographischen Raum (Wanderung,
Auswanderung).
Horizontale Mobilität ist die Veränderung des Berufs oder der Tätigkeit, ohne dass
sich dabei die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht ändert.
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Soziale Mobilität II
Intragenerationenmobilität
Die Intragenerationenmobilität, die Karriere, erfolgt innerhalb eines Menschenlebens.
Zu ihr gehören Veränderung der sozialen Stellung einer Person durch Ausbildung,
durch Beförderung, oft auch durch Erbschaft von Vater und Schwiegervater oder
durch wirtschaftliche Strukturveränderungen, nicht selten verbunden mit
räumlicher Mobilität.
Intergenerationenmobilität
Unter Intergenerationenmobilität, der sozialen Mobilität im engeren Sinne, versteht
man den Wechsel der sozialen Stellung, der sich von einer Generation zur anderen
vollzieht. Soziale Mobilität, deshalb oft im gleichen Sinne wie soziale Herkunft
(oder mit sozialem Aufstieg und Abstieg bei einem Schichtenmodell) gebraucht,
wurde von der Sozialforschung, oft nur als Vater-Sohn-Mobilität verstanden, weil
die Frauen früher keinen eigenen Beruf hatten.
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Soziale Ordnung I
Ziel: Verknüpfung von individueller Handlungsautonomie und sozialer Ordnung
Genese einer Ordnung der Gesellschaft
spontan (zufällig)
individuelle
Nutzenkalkulationen
geplant
harmonisierende
Nutzenkalkulationen
Macht
diskursive
Verständigung
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Soziale Ordnung II
Typen sozialer Ordnung
Zufällige Ordnung (Nutzenkalkulationen) : relativ instabil
Zwangsordnung (Macht): relativ instabil
Konformistische Ordnung (Vergemeinschaftung) : überstabil
Ideelle Wertordnung (Kultur): mangelnde Handlungsanleitung
Voluntaristische Ordnung (Verknüpfung der normativen und konditionalen Sphären
des Handelns, d.h. von moralischen Regeln und faktischen Interessen der Akteure):
höchste Stabilität
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Sozialer Wandel I
Der Soziale Wandel beschreibt die Veränderungen, die innerhalb einer Gesellschaft
über einen bestimmten Zeitraum vor sich gehen.
Zur Beschreibung dieser Entwicklung wurden verschiedene Begriffe wie
Entwicklung, Fortschritt, Modernisierung oder Evolution benutzt. Allerdings haben
sich viele von ihnen als problematisch erwiesen, da hier einerseits der Eindruck von
einem unabdingbar notwendigen Geschehen entstehen kann und andererseits eine
Veränderung hin zu einer höheren Ebene suggeriert wird. Um einen neutraleren
Begriff zu verwenden, wurde von Ogburn der Begriff des "sozialen Wandels" in
die Soziologie eingeführt.
Ralf Dahrendorf definiert besonders rapiden und radikalen sozialen Wandel
als "Revolution", Lars Clausen besonders rapiden, radikalen und magisierten
(dämonisierten) (= 'krassen') sozialen Wandel als "Katastrophe".
Die Ursachenbestimmung von sozialem Wandel ist recht komplex. Versuche,
den Wandel monokausal durch einen einzelnen Faktor zu erklären (z. B. durch
technische Entwicklung, ökonomische Dynamisierung, Kultur, Religion etc.), gelten
unter vielen Wissenschaftlern als ungeeignet. Man geht vielmehr von einer
weitreichenden Interdependenz der sozialen Handlungsfelder und Bereiche aus,
wobei einzelne Bereiche anderen Bereichen vorauseilen können. Damit ist der
soziale Wandel in eine Gleichzeitigkeit von Veränderung und Statik eingebettet.
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Sozialer Wandel II
Sozialer Wandel kann exogen oder endogen verursacht sein, und er kann
innerhalb eines Gesellschaftssystems stattfinden oder das Gesellschaftssystem
selbst verändern.
Die Wirkung von Veränderungen hängt von mindestens 5 Variablen ab:
1) Von der Größe der „Störung“
2) Von dem Anteil der sozialen Einheiten auf der betroffenen sozialen Ebene
3) Von der Wichtigkeit des funktionalen Beitrags der betreffenden Einheiten für
die Gesellschaft (z. B. Arbeitnehmer/Unternehmer)
4) Dem Ort der „Störung“, bezogen auf die Strukturkomponenten (Rollen,
Kollektive, Normen, Werte)
5) Dem Grad der Resistenz gegenüber den Veränderungseffekten.
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