ADDITIONAL SLIDE KIT NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN Autoren: Dr. med. Lara Chilver-Stainer, Bern Supervision: Prof. Dr. med. Matthias Sturzenegger, Bern Zur Verfügung gestellt durch:* CSL Behring AG Letzte Aktualisierung: 11. Juli 2012 * Dieses Additional Slide Kit wurde von einem unabhängigen Team von Neurologen erstellt und dient ausschliesslich Informationszwecken. Vorwort Noch ist eine Vielzahl von Aspekten in der Funktion der motorischen Endplatte, dem Ort wo die elektrischen Nervenimpulse in mechanische muskuläre Antwort umgewandelt werden, ungeklärt. Dennoch hat die Forschung insbesondere im Bereich der Neurophysiologie, Molekulargenetik und und Immunologie der letzten wenigen Jahre zu einer dramatischen Verbesserung der diagnostischen und, glücklicherweise auch der therapeutischen Möglichkeiten dieser mittlerweile klar definierten Krankheiten geführt. Das Flaggschiff der neuromuskulären Übertragungsstörungen, die Myasthenia gravis, gilt mittlerweile als die am besten definierte und erforschte Autoimmunkrankheit des Menschen überhaupt. Dennoch dauert es im Mittel mehr als 2 Jahre bis die korrekte Diagnose gestellt wird und die effiziente Behandlung eingeleitet werden kann. Dies liegt im wesentlichen an der sehr facettenreichen klinischen Symptomatik, hinter der sich die Myasthenie verstecken kann. Daran denken ist die halbe Miete. Aber wann? Drei Kernsymptome sollten stets erinnert bleiben: rein motorische Symptome; Fluktuation im tageszeitlichen und auch im Langzeitverlauf; belastungsabhängige Symptomintensivierung. Die therapeutischen Optionen nehmen laufend zu und beschränken sich nicht mehr auf die Kortikosteroide - auch wenn diese in vielen Fällen immer noch unverzichtbar sind. Oft muss eine lebenslange Immunsuppression erfolgen, deren Gestaltung vom Arzt viel Fingerspitzengefühl, aber auch Detailkenntnisse verlangt. Prof. Dr. med. Matthias Sturzenegger, Inselspital Bern NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 2 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 3 Gebrauchshinweise Ansichtsoptionen des Slide Kits Folien Bildschirmansicht: Klicken Sie im Menü ‚Ansicht‘ auf ‚Normalansicht‘. Folien und Notizenseiten mit Hintergrundinformationen Bildschirmansicht: Klicken Sie im Menü ‚Ansicht‘ auf ‚Notizenseite‘. NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 4 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 5 1. Definition Neuromuskuläre Übertragungsstörungen Die neuromuskuläre Übertragungsstelle (motorische Endplatte) ist eine sehr komplex aufgebaute Synapse, welche eine hocheffiziente Transmission von Signalen zwischen Nerv und Muskel erlaubt (Nervenaktionspotential Muskelkontraktion). Neuromuskuläre Übertragungsstörungen sind Erkrankungen, die über verschiedene Mechanismen die Informationsübertragung vom Nerven auf den Muskel beeinträchtigen. Das Fehlen einer Blut-Nervenschranke in diesem Bereich macht die neuromuskuläre Endplatte für autoimmune und toxische Attacken anfällig. Die neuromuskuläre Übertragungsstelle [angelehnt an Farrugia, 2010] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 6 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 7 2. Klassifikation Neuromuskuläre Übertragungsstörungen (Beispiele) Präsynaptische Störung Postsynaptische Störung • Lambert Eaton Myasthenes Syndrom, (LEMS) • Myasthenia gravis • (rein) okuläre Myasthenie • Kongenitale Myasthenie • generalisierte Myasthenie leichter/mittlerer/schwerer Ausprägung • Botulismus • Schlangengifte • „paraneoplastische“ Myasthenie beim Vorhandensein eines Thymoms • Kongenitale Myasthenie Synaptische Störung • Muskelrelaxantien • Organophosphate (irreversible Cholinesteraseinhibitoren) • Mutationen der Acetylcholinesterase NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 8 2. Klassifikation Neuromuskuläre Übertragungsstörungen (Beispiele) Myasthenia gravis Lambert-Eaton Syndrom Autoantikörper gegen den postsynaptischen Acetylcholin-Rezeptor (AchR) Autoantikörper gegen den präsynaptischen spannungsabhängigen Calcium-Kanal (VGCC=Voltage Gated Calcium Channel) NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 9 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 10 3. Pathophysiologie Physiologische Grundlagen der neuromuskulären Impulsübertragung 1. Nervenaktionspotential Aktivierung spannungsabhängiger Ca-Kanäle Erhöhung der präsynaptischen Ca-Konzentration Freisetzung von Acetylcholin (Ach)-Quanten Die neuromuskuläre Übertragungsstelle 2. Interaktion Ach - AchR an der postsynaptischen Membran 3. Lokale Depolarisation = Miniaturendplattenpotential (MEPP) – wird nicht fortgeleitet 4. Fortgeleitete Erregung (MuskelfasermembranAktionspotential): zeitliche Synchronisation der MEPP, bei Willkürinnervation, oder Imitation (elektrisch evozierte Depolarisation) 5. Ach-Esterase, Dissoziation, spannungsabhängige CaKanäle schliessen [colorado.edu] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 11 3. Pathophysiologie Pathophysiologie Neuromuskuläre Übertragungsstörungen, Beispiele Präsynaptische Störung Lambert-Eaton Myasthenes Syndrom (LEMS) Antikörper gegen präsynaptische spannungsabhängige Ca-Kanäle (VGCC) Kongenitale Myasthenie z.B. kleinere Acetylcholinvesikel, reduzierte Freisetzung von AchQuanten Botulismus, Botulinumtoxin Hemmung der Acetylcholinausschüttung Schlangengifte z.B. Hemmung der Acetylcholinfreisetzung NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 12 3. Pathophysiologie Pathophysiologie Neuromuskuläre Übertragungsstörungen, Beispiele Synaptische Störung Organophosphate irreversible Cholinesteraseinhibitoren Postsynaptische Störung Myasthenia gravis Antikörper (AK) gegen den Ach-Rezeptor, Anti-MuSK-AK, weitere (unbekannte) AK ? Kongenitale Myasthenie u.a. Ach-Rezeptormangel, Veränderung der kinetischen Eigenschaften des AChR-Ionenkanals Muskelrelaxantien z.B. Curare: Blockade des Ach-Rezeptors Schlangengifte z.B. Bungarusarten (Giftnattern): Blockade des AchRezeptors NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 13 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 14 4. Myasthenia gravis: Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie Epidemiologie Myasthenia gravis Anti-Ach-Rez. pos. Myasthenia gravis • Prävalenz: 20/100‘000 (bis 50/100`000), 15-25% davon rein okuläre Myasthenia gravis • Inzidenz: 1.7-10.4/Mio., abhängig von Lokalisation/Breitengrad • Häufigkeitsverteilung zweigipflig : • 20-30 Jahre: Männer : Frauen = 1:3 • 60-70 Jahre: Männer : Frauen = 3:2 • Beginn im Kindesalter <10-15% [Matthew 2009, DGN 2008] MuSK-AK-positive MG (MuSK = postsynapt. muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase) • Prävalenz höher in Nähe des Äquators, Prävalenz ca. 5% der Myasthenia gravis = 1/100`000 • Symptombeginn meist Mitte 30, vorwiegend Frauen [Jeffrey 2010] Seronegative MG • Prävalenz bis zu 5% d. MG = 1/100`000 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN [Jeffrey 2010; Zohar 2011] 15 4. Myasthenia gravis: Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie Immunpathogenese der Myasthenia gravis Erfüllt alle Kriterien einer autoimmunen Erkrankung • AK-Nachweis am Ort der vermuteten Pathologie, AK-Transfer im Tiermodell, Immunisierung mit Target-AG, Entfernung der AK (Plasmapherese) wirkt Verlust funktionaler Acetylcholinrezeptoren • Komplementvermittelte Destruktion der Muskelendplatte mit Verlust spannungsabhängiger Na-Kanäle • Beschleunigter Abbau von AchR (AchR-Cross-linking durch bivalente AchR-AK Internalisierung und Degradation der AchR) • Direkte Rezeptor-Blockade (selten) Thymus Initierung der Autoimmunpathogenese • Myoide Zellen AchR, Störung der Toleranzinduktion • 50-70% lymphofollikuläre Hyperplasie (Thymitis) • In 10-15% Thymom (paraneoplast. Syndrom), fast immer pos. AchR-Ak und andere AutoAK (anti-Titin, anti-quergestreifte Muskulatur) [Matthew 2008; Bufler 2007] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 16 4. Myasthenia gravis: Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie Immunpathogenese der Myasthenia gravis Anti-Ach-Rezeptor AK • In ca. 70 % der generalisierten und ca. 50 % der okulären MG Patienten nachweisbar Anti-MuSK-AK • In ca. 40-60% der Anti-AchR-AK negativen Patienten nachweisbar • Postsynaptische muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase Agrin-abhängiges Protein, das eine wichtige Rolle im Clustering von Ach-Rezeptoren spielt • Rolle des Thymus in der Pathogenese noch unklar, meist normaler Thymus oder minimale follikuläre Hyperplasie, selten Thymom [Jeffrey 2010; Matthew 2009] Seronegative MG • In ca. 40-60% der Anti-Ach-Rez-AK neg. Patienten keine AK nachweisbar • heisst nicht, dass keine AK vorhanden, sondern • Antigen (Ag) (noch) nicht bekannt • „Low affinity“ AchR-AK • Nur geringe AK-Menge oder alle am Ag gebunden [Zohar 2011; Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 17 4. Myasthenia gravis: Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie Immunologische Einteilung Myasthenia gravis [Matthew, 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 18 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 19 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Klinik : Myasthenia Gravis, Anti-Acetylcholinrezeptor pos. Leitsymptom Belastungsabhängige, schmerzlose, abnorme Ermüdbarkeit der Muskulatur mit spontanen Remissionen und krisenhaften Verschlechterungen sämtliche quer gestreiften Muskelgruppen können betroffen sein. Häufige Erstsymptome • 85% okuläre Symptome (Doppelbilder, Ptosis) • 15% bulbäre Symptome (Schluck-, Kauschwäche, näselnde Sprache) • 14-27% Extremitätenschwäche, proximal > distal Verschlechterung oder Auslösung myasthener Symptome durch • Infektionserkrankungen • Metabolische Erkrankungen (Schilddrüse) • Traumata, Operationen • Nach Narkose und Einnahme bestimmter Medikamente (u.a. Aminoglykoside, Muskelrelaxantien)(siehe „Verschiedenes“, Folie 69) NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 20 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Klinik : Myasthenia Gravis, Anti-Acetylcholinrezeptor pos. Schweregradeinteilung z.B. Klassifikation nach Ossermann oder nach der Myasthenia Gravis Foundation of America: Clinical Classification of Myasthenia Gravis Verlaufsbeurteilung z.B. Myasthenie Score nach Besinger und Toyka klinische Untersuchung muss Ermüdbarkeit der Muskulatur erfassen! Assoziierte Erkrankungen Koinzidenz mit verschiedenen Autoimmunerkrankungen (Thyreoiditis, Hypo-, Hyperthyreose); Perniziöse Anämie; Kollagenosen/ Sarkoidose) NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 21 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Klinik : Myasthenia Gravis, Anti-Acetylcholinrezeptor pos. Wichtige klinische Manifestationsformen: Okuläre Myasthenia gravis Schwäche der äußeren Augenmuskeln einschließlich des M. levator palpebrae (Ptose und Doppelbilder) • Doppelbilder: können transient sein, im Tagesverlauf fluktuieren, folgen keinem neurogenen Muster Konjugierte Blickparesen sprechen gegen eine Myasthenie • Doppelbild-Belastungstest (Seitblick über mindestens 1 Minute) • Ptose: Simpsontest: anhaltender Blick nach oben über eine Minute: latente Störungen nachweisbar, bestehende Symptome verstärken sich, nach Erholung mit Lidschluss -> Remission [Toyka 2006] • Cogan-Zeichen: unmittelbar nach kurzem Abwärts- und anschließendem Aufwärtsblick auftretende transiente Lidzuckung (überschiessende Lidhebung) „lid twitch“ • „ice pack Test“: ice pack während 2-5 min auf Augen legen Verbesserung der Ptose • Nur bei 10-20% der Patienten bleibt die Schwäche im weiteren Verlauf auf die Augenmuskeln beschränkt; nach ca. 2 Jahre rein okulärer Symptomatik tritt kaum mehr eine Generalisierung ein. NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 22 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Klinik : Myasthenia Gravis, Anti-Acetylcholinrezeptor pos. Generalisierte Myasthenia gravis • Jegliche Mitbeteiligung von Gesichts-, Schlund-, Hals/Nacken- und Skelettmuskulatur, unabhängig von Verteilung und relativer Ausprägung Belastungstests, Score • Stammnahe Schultergürtelmuskulatur und Halsmuskulatur besonders betroffen • Bulbäre Symptome: Verwaschene, klossige Sprache, aphone Stimme, Dysphagie Belastungstests • Respiratorische Symptome Vitalkapazitätsmessung (Handspirometer) • Patienten mit einer Beteiligung der Schlund- und Atemmuskulatur sind stärker gefährdet, eine kritische Verschlechterung im Sinn einer myasthenen Krise zu erleiden. • Im Langzeitverlauf kann eine Atrophie der betroffenen Muskulatur eintreten. NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 23 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Myasthenie-Score, modifiziert nach Besinger und Toyka Der Score eignet sich zur Verlaufskontrolle. Er errechnet sich aus der Summe der Punkte, dividiert durch die Zahl der Tests (Siehe Notizen). Test-Items Keine = 0 Leicht = 1 Mittel = 2 Schwer = 3 Armhalteversuch (90°, stehend/sitzend, dominanter Arm) > 180 s 61-180 s 11-60 s 0-10 s Beinhalteversuch (45°, Rückenlage) > 45 s 31-45 s 6-30 s 0-5 s Kopfhalteversuch (45°, liegend) > 90 s 31-90 s 6-30 s 0-5s Vitalkapazität (L) Frauen/Männer > 3.0 L > 4.0 L > 2.0-3.0 L > 2.5-4.0 L > 1.2-2.0 L > 1.5-2.5 L < 1.2 L < 1.5 L Kauen/Schlucken Normal Leichte Störungen bei festen Speisen Nur Flüssigkeiten, z.T. Regurgitation Magensonde Gesichtsmuskulatur (Lidschluss) Normal kräftiger Lidschluss Leichte Schwäche beim vollständigen Lidschluss Unvollständiger Lidschluss Kein mimischer Ausdruck Doppelbilder (Blick zur Seite) > 60 s 11-60 s 1-10 s Spontan Ptose (Blick nach oben) > 60 s 11-60 s 1-10 s Spontane Ptose NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN Muskelschwäche Punktezahl [Toyka 2007] 24 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Klinik Besonderheiten je nach AK MuSK-AK-positiv • Schwere facio-pharyngeale Schwäche, oft mit Atrophie der betroffenen Muskeln, gelegentlich isolierte Nackenextensoren- oder respiratorische Muskelschwäche, selten Beteiligung der okulären Muskeln, Extremitätenschwäche meist mild • 46% im Verlauf myasthene Krise • CAVE: 70 % schlechtes Ansprechen auf Ach-Esterasehemmer oder sogar Verschlechterung Seronegative MG, bis zu 5% • Polymorphe Klinik • 7.3% im Verlauf myasthene Krise [Jeffrey, 2010] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 25 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Myasthene Krise/1 Definition • Krisenhafte Verschlechterung einer generalisierten MG mit vitaler Gefährdung durch Ateminsuffizienz und/oder Aspirationsgefahr wegen einer manifesten Schluckstörung, oft mit Speichelsee im Mund • Die myasthene Krise trifft meist Patienten mit bereits diagnostizierter, aber ungenügend behandelter generalisierter MG, selten ist sie Erstmanifestation einer MG. • Tritt bei 20% der Myastheniepatienten im Verlauf der Erkrankung auf, meist im ersten Jahr. Häufige Ursachen • Nicht ausreichend wirksame Immunsuppression • Infektionen • Perioperativer Stress • Ärztliche Therapiefehler bei der Immunsuppression (z.B. zu hohe initiale Cortisondosis) oder Verabreichung myasthenieverstärkender Medikamente (s. „Verschiedenes“, Folie 69) bei instabilen MG-Patienten bzw. ungenügende Therapiecompliance der Patienten. [Müllges 2010; Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 26 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Myasthene Krise/2 Vorboten und Warnzeichen einer myasthenen Krise Kurzfristig (Tage, Stunden) • Progrediente Dysarthrie, Hypophonie • Verschlucken, häufiges Hüsteln, Speichelsee im Mund • Dyspnoe, Kurzatmigkeit, Orthopnoe, Schaukelatmung, Stakkatosprechen • paO2 <70 mmHg, SaO2 <85−90% Mittelfristig (Wochen, Tage) • Rasch fluktuierende Symptome • Stetige Steigerung der Gesamtdosis von Cholinesterasehemmern, auch häufiger Dosiswechsel • Körperlicher Leistungsabfall über Tage bis Wochen, Gewichtsverlust infolge Schluckschwäche mit verminderter Nahrungsaufnahme – Kopfhalteschwäche (v.a. Nackenstrecker bedeutsam) [Müllges 2010; Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 27 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Myasthene Krise/3 Differentialdiagnosen Cholinerge Krise • Durch Überangebot von Acetylcholin akute Muskelschwäche mit zusätzlich muskarinergen (Miosis, Bradykardie, gerötete und warme Haut, Bronchorrhoe, Diarrhoe, Emesis, Salivation, Lacrimation) und cholinergen (Paresen, Faszikulationen, Muskelkrämpfe) Nebenwirkungen DD im Zweifelsfall mit Tensilon-Test Beachte: Plasmapherese hilft in beiden Krisensituationen [Müllges 2010; Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 28 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Diagnostische Tests bei Myasthenia gravis, Übersicht Antikörper Elektrophysiologie Bedside Tests Generalisierte / okuläre Myasthenie Sensitivität Spezifität Edrophonium-Test 88% / 92% 97% «Ice on the eyes» (Bei Ptose: Ice pack während 2-5 min auf Augen legen - Verbesserung?) 82% / 94% 96 / 97% Repetitive, supramaximale 3-Hz-Nervenstimulation (je nach verwendetem Muskel und Anzahl Tests) 79% (47-100) / 10- 29% * 97-100 / 94-100% Single-fibre-EMG 95-99% Nicht spezifisch AchR-AK 90% / 66% 99% Anti-MUSK-AK 40-60% der AchR neg. generalis. MG Low affinity anti AchR 66% der AchR und MUSK neg. gen. MG Anti-Titin-AK 95% MG mit Thymom/ 50% ohne Thymom Alters-MG ohne Thymom Simpson-Test, Belastungstest (siehe Score nach Besinger und Toyka), Vitalkapazitätsmessung * Sensitivität der repetitiven Stimulation bei (okulärer) Myasthenia gravis niedrig ! NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN [Benatar 2006; Toyka 2007; DGN 2008, AAEM 2001, Zinman 2006] 29 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Zusatzuntersuchungen Andere Untersuchungen • Hochauflösendes Thorax-CT oder –MRT Bei allen Patienten nach Diagnosestellung um Ausschluss eines Thymoms (10-15% bei generalisierter MG) (ggf. Mediastinoskopie + Probeentnahme, Szintigraphie, SPECT, FDG-PET oder PETCT bei unklarem Mediastinaltumor oder Frage nach Thymomrezidiv) • Schädel-MRT: bei rein okulären oder okulopharyngealen Symptomen zum Ausschluss einer Raumforderung/Läsion intrakraniell bzw. im Hirnstamm • Weitere Labordiagnostik (assoziierte Autoimmunerkrankung?) Im Einzelfall, aus differentialdiagnostischen Gründen, erforderlich • Liquor-Untersuchung: Ausschluss entzündlicher ZNS-Erkrankung • Lungenfunktionstestung • EMG zur Differenzialdiagnose gegen andere Diagnosen (LEMS) • Muskelbiopsie: bei Frage nach einer Myopathie oder einer Mitochondriopathie • Molekulargenetische Diagnostik bei Verdacht auf ein kongenitales myasthenes Syndrom [Benatar 2006; Toyka 2007; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 30 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Zusatzuntersuchungen Elektrophysiologie: repetitive Nervenstimulation (niederfrequent, 3-5 Hz) Praktische Bedeutung Bei prä-/postsynaptischer Störungen: von Reiz zu Reiz in zunehmender Zahl von Muskelfasern kein überschwelliges Endplattenpotential (Abb. A) mehr generiert motorisches Summenpotential nimmt fortlaufend ab • Pathologisch: > 12-15 % Amplituden-, > 10% Flächendekrement des Potentials (Abb. B) • Stopp der Cholinesterasehemmer 12 h vor Test Geeignete Nerven (Stimulationsort) - Muskel (Ableitung) -Kombinationen • N. facialis M. orbicularis oculi, M. nasalis • N. accessorius M. trapezius • N. ulnaris M. abductor digiti minimi • (N. axillaris M. deltoideus) [Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 31 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Zusatzuntersuchungen/1 Edrophonium Test (kurz wirksamer Acetylcholinesterasehemmer, PHWZ = 2 Min.) • Nur sinnvoll bei objektivierbaren bzw. messbaren Symptomen oder pathologischem Dekrement in der repetitiven Nervenstimulation. • Beatmungsbeutel und Atropinsulfat (aufgezogen !) müssen griffbereit sein. Test immer mit zwei Personen (Pflegefachfrau/Student + Arzt) durchführen • Beim erwachsenen Patienten werden zunächst 1-2 mg i.v. verabreicht unter Herzfrequenzund Atmungskontrolle (CAVE: sehr unterschiedliche individuelle Empfindlichkeit auf AchEHemmer, die im voraus nicht bekannt ist. Gegebenenfalls 10 mg mit 9 ml NACL verdünnen oder „Insulinspritze“ verwenden) • Nach einer Minute werden bei ausbleibender Wirkung und Fehlen von Nebenwirkungen weitere 8 mg unter Bereithaltung von Atropinsulfat (0.5-1 mg iv) zur Antagonisierung von möglichen muskarinergen Nebenwirkungen (Asthmaanfall, Bradykardie) verabreicht. • Die Wirkung hält bis zu 3-5 min an. Bei Risikopatienten zunächst Testung mit Pyridostigmin oral. [Matthew, 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 32 5. Myasthenie, Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen Zusatzuntersuchungen/2 • Kontraindikationen Edrophoniumtest : symptomatische bradykarde Herzrhythmusstörungen, Asthma bronchiale, ausgeprägte Hypotonie, laufende Therapie mit atrioventrikulär blockierenden Medikamenten (u.a. Betarezeptorblocker). Patienten mit Neigung zu Orthostase und Bradykardie bereits vor dem Test Atropin i.v. verabreichen (genaue Anleitung DGN 2008, Schumm 2011). [Matthew, 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 33 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 34 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose Differentialdiagnose Myasthenia gravis (Auswahl)/1 Diagnose Differenzierende Merkmale Kommentar Lambert-Eaton Myasthenes Syndrom Relative Aussparung der Augenmuskeln, Hyporeflexie, trockener Mund VGCC, niedrigamplitudiges Muskelsummenpotential (MSAP), Inkrement bei repetitiver Stimulation Kongenitale Myasthenie Syndrome Beginn in der Kindheit, kein Ansprechen auf Immunmodulation Repetitive Stimulation Motoneuronerkrankung Kortikospinale oder kortikobulbäre Merkmale, Krämpfe, Faszikulationen Neurographie, Nadelmyographie, motorisch evozierte Potentiale Botulismus Rasch absteigende Paresen, Pupillen mitbeteiligt, autonome Beteiligung Niedrigamplitudiges MSAP Mitochondriopathien Allmählicher Beginn, keine Fluktuationen, oft keine Doppelbilder trotz Ophthalmoplegie Muskelbiopsie [adaptiert nach Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 35 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose Differentialdiagnose Myasthenia gravis (Auswahl)/2 Diagnose Differenzierende Merkmale Kommentar Polymyositis, Dermatomyositis Erhöhte CK, Schmerz, Schwellung, keine Fluktuationen Nadelmyographie, Muskelbiopsie GBS und Varianten Keine Fluktuation, sensible Symptome, Areflexie, akuter Beginn Neurographie, Liquor Endokrine Ophthalmopathie (Schilddrüse) Proptosis MRI: verdickte extraokuläre Muskeln, Schilddrüsenantikörper ZNS-Erkrankungen mit Hirnnervenbeteiligung Plötzlicher Beginn, Bewusstseinsstörung, Koordination und Sensibilität ev. betroffen, Pareseverteilung gemäss einzelnem Nerv MRI Schädel & Rückenmark, Liquor, Visuell evozierte Potentiale [adaptiert nach Matthew 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 36 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 37 7. Myasthenie: Therapie Therapie der Myasthenia Gravis Prinzipien der Myastheniebehandlung 1. Verbesserung der neuromuskulären Übertragung durch Acetylcholinesterasehemmer rein symptomatische Massnahme ohne Einfluss auf Verlauf 2. Immunsuppressive Therapie greift am entzündlichen Mechanismus an, verlaufsbeeinflussend 3. Interventionelle Therapiemassnahmen zur Behandlung akuter Verschlechterungen (Plasmapherese, Immunadsorption, iv-Immunglobuline) 4. Thymektomie Allgemeine Massnahmen • Notfallausweis abgeben • Auslösende/myasthenieverstärkende Situationen oder Medikamente vermeiden • Bei Atem- und oder Schluckproblemen rechtzeitige Intubation NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 38 7. Myasthenie: Therapie Therapieoptionen – evidence based • Ach-Esterase-Inhibitoren Evidenz Klasse 1 • Corticosteroide Evidenz Klasse 1 • Immunsuppressiva • Azathioprin Evidenz Klasse 1 • Cyclosporin Evidenz Klasse 1 • Mycophenolat mofetil 2 negative Studien ! • Methotrexat off label, Fallstudien • Cyclophosphamid off label, Fallstudien • Tacrolimus off label wenig Exp. • Rituximab off label wenig Exp. • Immunmodulatoren • Plasmapherese • iv Immunoglobuline • Thymektomie • Kombinationen NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 39 Studiendaten (RCT‘s) sind spärlich ! 7. Myasthenie: Therapie Stufenschema der medikamentösen Behandlung der Myasthenia gravis/1 1. Ach-Esterase-Hemmer (Basis-Dauertherapie) Alleine selten genügend ( z.B. bei sehr milden Formen, rein okulär) Pyridostigmin oral: Wirkeintritt nach 15-45 Min, Maximale Wirkung nach 2-4h, (max.600mg/d), langsame Eindosierung wegen nikotinergen und muskarinergen Nebenwirkungen, Einnahmeintervall 3-5 h • Okuläre Myasthenie: Pyridostigmin 3-4x/d 20-30 mg (Beginn z.B. mit 3x10mg, Steigerung um 10mg pro Dosis pro Tag je nach Verträglichkeit; ev. bis 180mg/d), • General. Myasthenie: Pyridostigmin 4-6x/d 30-60 mg (Beginn z.B. mit 4x30 mg), ev. bis 300-500mg, 90–180 mg retard zur Nacht bei deutlichen morgendlichen Symptomen • CAVE: anti-MUSK positive Patienten: oft hypersensitiv auf AchE-Hemmer. [Henze 2010; DGN 2008; Sieb 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 40 7. Myasthenie: Therapie Stufenschema der medikamentösen Behandlung der Myasthenia gravis/2 2. Glukokortikosteroide (keine RCT‘s !) Wirkeintritt nach Tagen bis Wochen, initiale Verschlechterung möglich! Stationäre Einleitung bei oropharyngealer Schwäche. Es gibt unterschiedliche Eindosierungsschemata: Prednisolon z.B. Beginn mit 10-20 mg/d mit Steigerung (sobald Pyridostigmin eindosiert) um 5 mg alle 7 Tage im ambulanten Setting oder alle 3 Tage im stationären Setting bis 1mg/kg KG. • Okuläre Myasthenie: ev. nur 10-25 mg/d nötig. Dosis 2-3 Mt. beibehalten, dann reduzieren je nach Klinik • General. Myasthenie: Zieldosis je nach Ansprechen, evtl. bis 80 mg/d, bei Einsetzen der Azathioprinwirkung nach 6-9 Monaten Steroidmedikation sukzessive abdosieren. [Henze 2010; DGN 2008; Sieb 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 41 7. Myasthenie: Therapie Stufenschema der medikamentösen Behandlung der Myasthenia gravis/3 3. Immunsuppressive Langzeit-Therapie Azathioprin, (keine RCT‘s !) Wirkeintritt nach 6-9 Monaten, Testdosis 50 mg über einige Tage (Unverträglichkeit durch angeborenen Thiopurinmethyltransferasemangel), dann 1.5-3mg/kg in 2-3 Dosen, (regelmässige Kontrollen Blutbild, Leberwerte ggf. Dosisreduktion oder Therapieende, siehe Kompendium, Interaktion mit Allopurinol!), bei stabilem Verlauf Dosisreduktion auf 1 mg/kg möglich • Okuläre Myasthenie: selten Azathioprin indiziert • General. Myasthenie: Bei stabiler Situation über 2-3 Jahre ev. langsame Abdosierung in 25 mg-Schritten über 12-18 Mt. Bei vielen Myastheniepatienten lebenslange Immunsuppression notwendig. Alternative Immunsuppressiva: bei unbefriedigender Stabilisierung unter Steroiden und Azathioprin oder Unverträglichkeit zu prüfen: Cyclosporin A, (2 RCT‘s) Mycophenolat mofetil, (2 negative, schlechte, Studien) Methotrexat, Cyclophosphamid, Tacrolimus, Rituximab, Einzelfällen vorbehalten [Henze 2010; DGN 2008; Sieb 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 42 7. Myasthenie: Therapie Therapie Myasthenia gravis : Thymektomie/1 Thymektomie Thymom = Malignom, bei 10-20% der Myastheniepatienten ( paraneoplastische Myasthenia gravis): • Unabhängig von Myasthenietyp: Operationsindikation (alternativ bei älteren multimorbiden Patienten palliative Bestrahlung) • Je nach Stadium (l-lV) nach interdisziplinärem Konzept, zudem Bestrahlung und/oder adjuvante Chemotherapie [DGN 2008, Skeie et al. EFNS 2010] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 43 7. Myasthenie: Therapie Therapie Myasthenia gravis : Thymektomie/2 Ohne Thymom: • Es existieren keine randomisierten kontrollierten Studien (aktuell multinationales Thymektomie-Trial am laufen: Thymectomy Trial in Non-Thymomatous Myasthenia Gravis Patients Receiving Prednisone Therapy) • Beginn einer postoperativen Verbesserung nach Monaten-Jahren • AchR-AK positive Patienten mit einer generalisierten Myasthenie, Alter zwischen 15-50 Jahren profitieren am meisten (wenn innerhalb von 1-2 Jahren durchgeführt) – Altersgrenzen willkürlich • Mild betroffene profitierten nicht im vgl. zu stark betroffenen. • Bei kürzlich erkrankten Patienten mit rein okulärer Symptomatik ist die Thymektomie bei Entwicklung klinisch erkennbarer Generalisierung angezeigt (bei hohen AK-Titern und unzureichender medikamentöser Therapie ev. früher). • Anti-MUSK-AK pos. Myasthenia gravis aktuell keine Thymektomie empfohlen • Allgemein: • Elektive Operation erst bei stabilen klinischen Verhältnissen • Ziel: maximale Thymektomie, neu auch computerassistiert endoskopisch • Verläufe unabhängig von chirurgischer Technik wahrscheinlich gleich. [Meyer et al., 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 44 7. Myasthenie: Therapie Therapie myasthene Krise/1 Drohende Krise Bedarf intensivmedizinischer Überwachung und Therapie. Umstellung Pyridostigmin/Neostigmin auf iv Verabreichung (gesicherte Resorbtion), am besten via Perfusor. Pyridostigmin: 0.5-1 mg iv = 30 mg po., 1-3 mg iv als Bolus, dann 0.2-0.8mg/h, max. 1224mg/24h Prostigmin: 1mg iv = 30mg po., Bolus 1 mg iv, dann 4-8mg/24h. Ev. Atropin (0.25-0.5 mg in 3-6 Gaben pro Tag) bei starken cholinergen Nebenwirkungen. Sekretolytika und Flüssigkeit bei starker Verschleimung Ev. Methylprednisolon 60mg/d mit Steigerung um 20mg/d bis zur klinischen Besserung bis maximal 100mg/d, anschliessend stufenweise Reduktion auf erforderliche Erhaltungsdosis – ev. Kombination mit Plasmapherese, um Auftreten einer möglichen glukokortikoidbedingten Verschlechterung (nach 3-4 Tagen, Effekt oft erst nach 2-3 Wochen) zu vermeiden [Köhler 2007]. [Müllges 2010; Köhler 2007; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 45 7. Myasthenie: Therapie Therapie myasthene Krise/2 Unkomplizierte Krise Sofort Plasmapherese oder alternativ Immunadsorption (evtl. im Wechsel), zunächst 4-6 mal, jeden 2. Tag Sofort Glukokortikoide, z.B. 5 Tage je 250–500 mg Methylprednisolon iv, dann 100 mg/d oral bis zur stabilen Besserung, später weitere langsame Dosisreduktion (plus so bald wie möglich Azathioprin). Alternativ zur Plasmapherese: intravenöse Immunglobuline (0.4 g/kgKG an 5 aufeinanderfolgenden Tagen): Vorteil: rasch verfügbar, technisch nicht aufwendig [Müllges 2010; Köhler 2007; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 46 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 47 8. Myasthenie: Prognose Myasthenia gravis - Prognose • Maximale Krankheitsaktivität bei 2/3 der Patienten innerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnose • Meist aktive Phase (mit Rückfällen und Remissionen) während 7-8 Jahren, gefolgt von relativ inaktiver Phase während 10 Jahren und anschliessender „burned out“ Phase > trotzdem Exacerbationen, z.B. bei Infekten, nach Jahrzehnten möglich! • Allgemein nur heterogene und suboptimale Daten bzgl. Langzeit-Prognose • 1 systematische Review: einzig Zeit bis zur Diagnose (< 1 Jahr) und Alter (<40 Jahre) sind Prädiktoren einer Remission [Matthew 2009, Mao 2010] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 48 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 49 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Lambert-Eaton-Myasthenes Syndrom (LEMS)/1 Definition/Pathogenese Autoimmunerkrankung mit IgG-Antikörpern gegen präsynaptische Calciumkanäle VGCC der neuromuskulären Endplatte und autonomer Neurone. AK bei 85% der Patienten mit LEMS nachweisbar. (siehe Folie 8). dadurch verminderte Acetylcholinfreisetzung • 60% tumorassoziiert , d.h. paraneoplastisch. V.a. kleinzelliges Bronchuskarzinom VGCC werden auf Tumorzellen exprimiert. SOX1-AK (65%) od. andere onkoneuralen AK (anti-HU) nachweisbar. LEMS kann aber der Tumordiagnose vorausgehen. • 40% nicht-tumorassoziiert = primär autoimmun (oft mit Schilddrüsenerkrankungen und anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert: Sjögren-Syndrom, Perniziosa, etc.) Epidemiologie Prävalenz: 2.3/Mio., Inzidenz: 0.5/Mio. 60% Männer, mittleres Alter bei Symptombeginn: 58 Jahre (2 Peaks: 40 Jahre und höheres Alter) [Gilhus 2011; Mareska 2004; Farrugia 2010; Gold 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 50 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Lambert-Eaton-Myasthenes Syndrom (LEMS)/2 Symptomatik Abnorme Ermüdbarkeit und Schwäche der proximalen Muskeln, beinbetont (Patienten klagen über Schwäche bei Ausdauerleistungen mit reduzierter maximaler Gehstrecke), seltener (als bei MG) und erst später: Hirnnervenbeteiligung (v.a. Doppelbilder, Ptose) Autonome Symptome bei 75%: Mundtrockenheit, Obstipation, Hypohidrosis, orthostatische Dysregulation, Erektionsstörungen, Akkomodationsstörungen Klinischer Befund Schwache Muskeleigenreflexe, bis zu Areflexie, MER werden bei wiederholter Reflexauslösung oder nach muskulärer Belastung lebhafter Proximale Paresen. Flüchtige Verbesserung der verminderten Ausgangskraft nach kurzer max. Willkürinnervation (als Hinweis für präsynaptische Transmissionsstörung) „Lambert‘s-sign“: Faustschluss wird nach wenigen Sekunden stärker [Gilhus 2011; Mareska 2004; Farrugia 2010; Gold 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 51 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Lambert-Eaton-Myasthenes Syndrom – Elektrophysiologie/1 Neurographien • • Motorische Neurographie: • Kleinamplitudige Muskelsummenpotentiale (MSAP) • Zunahme der in Ruhe verminderten MSAP nach Bahnung durch maximale Willkürinnervation • Normale distale motorische Latenz und Nervenleitgeschwindigkeit Einzelreiz vor / nach maximaler Vorinnervation Sensible Neurographie: normal [Yuki 2008, Titulaer 2011] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 52 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Lambert-Eaton-Myasthenes Syndrom – Elektrophysiologie/2 Repetitive Stimulation • 2-3Hz Stimulation in Ruhe: AmplitudenDekrement > 10% (Sens. 81-94%) • Einzel- oder 2-3Hz Stimulation nach 20 s maximaler Vorinnervation und ev. hochfrequente („tetanische“) Stimulation (2050Hz): • Amplitudenvergrösserung um 100-1200%, (> 50% eindeutig pathologisch, weist auf präsynaptische Übertragungsstörung hin) • Meist in allen Muskeln nachweisbar, mindestens 2 Muskeln sollten untersucht werden, Sensitivität 84-96%, Spezifität 100% [Yuki 2008, Titulaer 2011] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 53 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Lambert-Eaton-Myasthenes Syndrom – Diagnose Diagnose • Typische klinische Symptome: Muskelschwäche mit typischer Verteilung (proximal, beinbetont), Areflexie, autonome Symptome • VGCC-AK (hohe Spezifität) • Elektrophysiologie Sobald Diagnose bestätigt Tumorsuche (CT, ev. PET), falls neg. nach 3 Monaten wiederholen, dann alle 6 Monate in den ersten 2 Jahren, dann jährlich (Tumor wird in Einzelfällen erst nach > 5 Jahren nach Beginn der neurologischen Symptomn entdeckt!) [Gilhus 2011; Mareska 2004; DGN 2008; Maddison 2009, Tituulaer 2011] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 54 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Lambert-Eaton-Myasthenes Syndrom –Therapie Therapie Allgemein: alle Therapien sind „off-label“ Tumorentfernung • Führt häufig zu einer deutlichen Rückbildung paraneoplastischer Symptome Symptomatische Therapie • 3,4 Diaminopyridin : erhöht die Zahl der freigesetzten Ach-Quanten • • Effekt in 2 random. kontr. Studien nachgewiesen (60-100 mg/d). Cave NW! (teils irreversibel); muss nach spezieller Rezeptur in Apotheke hergestellt werden, da kein Handelspräparat zur Verfügung steht Pyridostigmin: nur geringer Effekt Immuntherapie • Vergleichbar mit Myasthenia gravis • Bei schwerem Verlauf: IVIG (1 pos. Studie), Plasmapheresen • Beim idiopathisch-autoimmunen LEMS: Langzeittherapie mit Glukokortikoiden, Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin) [Gilhus 2011; Mareska 2004; DGN 2008; Maddison 2009] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 55 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Botulismus • Clostridium botulinum = grampositives, sporen- und toxinbildendes, hitzeresistentes, obligat anaerobes Bakterium Neurotoxin hemmt die Ausschüttung vom Acetylcholin an der motorischen Endplatte, aber auch andere cholinerge Systeme sind betroffen Botulismus • Botulinumtoxin = potentestes natürliches Gift (bereits ca. 100 ng bei oraler Einnahme für den Menschen tödlich) • Als natürliche Formen sind Lebensmittel-, Wund-, Säuglings- und Darmbotulismus bekannt [adaptiert nach oxipedia] [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 56 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Botulismus - Epidemiologie [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 57 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Botulismusarten/1 Lebensmittelbedingter oder Intestinaler Botulismus = „klassischer Botulismus“- „Foodborne Botulism“ • Häufigste Form in Deutschland und der Schweiz, meist Serotypen A und E • Primäre Intoxikation mit Botulinumtoxin durch Aufnahme von Speisen, in welchen C. botulinum bereits Botulinumtoxin (Typ A, B, E) produziert hat. • Hauptinfektionsquelle: Nahrung mit anaeroben, alkalische Milieu, Dosen, „frisch abgepacktes Essen“ (Fisch, Oliven etc.) • Inkubationszeit: meist kurz 18-36h (8h-8Tage) • Primäre Infektion mit C. botulinum, gefolgt von sekundärer Intoxikation ( = Intestinaler Botulismus). • Aufnahmen von toxinbildenden Sporen mit der Nahrung • Hauptbetroffene: Kinder < 6 Monate: unvollständig entwickelte gastrointestinale Flora, intestinales Bakterienwachstum mit • Toxinproduktion „in vivo“. Hauptquelle Honig sollte Kindern < 2 Jahren nicht gegeben werden • Erwachsene mit gastrointestinalen Grunderkrankungen (Colitis ulzerosa, M. Crohn, Operationen, AB-Therapie mit Zerstörung der der natürlichen Darmflora) [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 58 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Botulismusarten/2 Wundbotulismus • C. botulinum kann in kontaminierten Wunden lokal Botulinumtoxin produzieren, das in den Blutkreislauf aufgenommen wird . Bakterienwachstum in Abszessen, traumatischen oder chirurgischen Wunden, parenteraler Drogenabusus • Inkubationszeit: meist 7 Tage (4-14 Tage) Iatrogener Botulismus • Nebenwirkung der Botulinumtoxin-Therapien: • generalisiert: Injektion von Botox in die Blutlaufbahn (selten) • lokal: Ausbreitung des Toxin auf Nachbarmuskeln [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 59 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Klinik und Diagnose Botulismus/1 Symptome durch Blockierung des peripheren cholinergen Nervensystems (nicht nur muskulär!): Absteigende, symmetrische Paresen: • Hirnnervenlähmung (Ophthalmoplegie, Diplopie, Dysphagie, Dysarthrie, Ptosis) • Paresen der Extremitäten • Respiratorische Insuffizienz Autonome Störungen (=anticholinerg) • Mydriasis (< 50%) • Urinretention, Obstipation, Hypotonie, verminderte Schweißsekretion, Mundtrockenheit Keine Sensibilitätsstörungen, i.d.R. keine Bewusstseinsbeeinträchtigung (in bis zu 10% Vigilanzstörungen möglich), Hypo- bis Areflexie Lebensmittelbotulismus: inital meist gastrointestinale Symptome (Nausea, Vomitus, abdominale Krämpfe, Diarrhoe) [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 60 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Klinik und Diagnose Botulismus/2 Diagnosestellung • In erster Linie anamnestisch (Verzehr von eingemachten, konservierten Produkten, bzw. Auftreten ähnlicher Fälle in der Umgebung) und klinisch • Botulinumtoxin-Nachweis in Blut, Stuhl, Wundsekret etc. mittels Maus-Inokulationstest = Standard-Test: Mouse-Bioassay: Identifikation des Toxin + Toxin-Typs. Hohe Sensitivität nur zu Beginn • Kultureller Nachweis von Clostridum botulinum: v.a. bei Wundbotulismus • Liquordiagnostik, Neuroimaging (evtl. zur DD): unauffällig [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 61 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Klinik und Diagnose Botulismus – Elektrophysiologie Neurographien und repetitive Nervenstimulation Unterscheidung Neuropathie vs. Endplattenerkrankung • Niederfrequente repetitive Nervenreizung: 2-3 Hz-Stimulation in Ruhe: Amplitudendekrement des Muskelsummenpotentials > 10% • Hochfrequente („tetanische“) Stimulation (20-50Hz) oder Einzel- oder 2-3 Hz-Stimulation nach maximaler Vorinnervation 20 Sek. : Fazilitation: 30-100% Amplitudezunahme (Inkrement) • Sensitivität: ca. 60%. Dann 2-3 Hz-Stimulation: Dekrement bei erhöhter Ausgangsamplitude !! • Langsame Posttetanische Erschöpfung: Fazilitation über mehrere Minuten vorhanden, sonst nur noch bei Hypomagnesiämie • Nur in klinisch betroffenen Muskeln, DD Inkrement auch bei Hypokalzämie und Hypermagnesiämie Nadelmyographie Denervationszeichen, Aktivitätsmuster: gelichtet in Abhängigkeit vom Paresegrad [Stöhr 2004; Gutzwiler 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 62 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Botulismus Therapie/1 Supportive (Langzeit-) Therapie auf der Intensivstation • Rasche Intensivpflege, mechanische Ventilation (Intensivpflege und Pflegebedürftigkeit können Monate dauern bis eine Verbesserung messbar wird- bis zur vollständigen Restitution vergehen oft mehrere Jahre). • Ev. Magenspülung bei kurzer Inkubationszeit • Cholinesterase-Hemmer i.v. scheinen sinnvoll, es existieren aber keine prospektiven Studien (DGN 2008) • Magnesiumgabe kontraindiziert! (hohe Dosen können theoretisch die Wirkung von Botulinumtoxin erhöhen) [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 63 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Botulismus Therapie/2 Antitoxin-Gabe (equines, humanes) • Antitoxin kann nur ungebundenes zirkulierendes Toxin neutralisieren deshalb bei Patienten mit progressiver Symptomatik frühzeitige Gabe (<24h) entscheidend verbessert bestehende Symptome nicht, senkt aber Mortalität • NW: Gelegentlich allergische und anaphylaktische Reaktionen, selten zu Schock führend vorherige Intrakutantestung empfohlen. Vereinzelt Serumkrankheit, Spätallergische Reaktionen, z.B. in Form einer serogenetischen Polyneuritis, selten (> 1/10 000 < 1/1 000) haben meist gute Prognose. Antibiotikatherapie bei Wundbotulismus Penicillin G, Metronidazol (keine Aminoglykoside – zusätzliche neuromuskuläre Blockade) Operative Abszessentfernung / Wundsanierung [Gutzwiler 2008; DGN 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 64 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen – seltene Formen Prognose Botulismus Komplikationen • Atemversagen (je nach Beatmungspflichtigkeit); bei gewissen Ausbrüchen waren 30-40% der Patienten beatmungspflichtig • Aspirationspneumonie (bei Patienten mit Atemversagen oder Schluckstörung) Prognose • Letalität: 5-10% für Lebensmittel-Botulismus, 15-44% Wundbotulismus • Die vollständige Restitution ist die Regel, Intensivmedizin senkt Mortalität von 50% auf 59% (Todesursache meist Komplikationen der Langzeitbeatmung). Dauer: Wochen bis Monate, da neues Aussprossen/Synapsenbildung von Nervenendigungen notwendig, autonome Symptome haben längere Restitutionsdauer. Residuelle Müdigkeit, trockener Mund, trockene Augen, Anstrengungsdyspnoe über Jahre nach dem Ereignis möglich [Gutzwiler 2008] NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 65 Inhalt 1. Definition Seite 06 2. Klassifikation 08 3. Pathophysiologie 11 4. Myasthenia gravis : Epidemiologie, Klassifikation, Pathophysiologie 15 5. Myasthenie: Klinik: Anamnese und Befunde, Zusatzuntersuchungen 20 6. Myasthenie: Diagnose und Differentialdiagnose 35 7. Myasthenie: Therapie 38 8. Myasthenie: Prognose 48 9. Neuromuskuläre Übertragungsstörungen - Seltene Formen 50 10. Referenzen 67 NEUROMUSKULÄRE ÜBERTRAGUNGSSTÖRUNGEN 66 10. Referenzen Referenzen AAEM, Muscle Nerve, 2001: 1239-47 Matthew N et al, Lancet Neurol 2009, 8:475-90 Arzneimittelkompendium der Schweiz 2011 Matthew N, Continuum 2009, 15 (1) Benatar M, Neuromuscular Disorders 16, 2006 Meyer DM et al, Ann Thorac Surg 2009, 87:385-390 Besinger UA, Ann N Y Acad Sci 1981, 377:812-814 Müllges W, Akt Neurol 2010, 37: 474 – 484 Schneider C, Klin Neurophysiol 2000, 31:122-135 Bufler J, Klin Neurophysiol 2007, 38:205-215 Sieb J, Neuromuskul Erkrankungen, klin. Neurologie, 2009 DGN, Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, 4. Skeie et al, EFNS Guidelines, Eur J of Neurol , 2010 Auflage, Thieme Verlag Stuttgart, H.C. Diener, N. 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