Ringvorlesung: Methoden der empirischen Sozialforschung Teil: Forschungslogik I TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt sicherster Weg zum Scheitern: keine Freude an sozialwissenschaftlicher Bildung haben und keine Neugier auf das Wie-es-gemacht-wird sozialwissenschaftlicher Arbeit hegen. Bildung … beginnt mit Neugier: Man will erfahren, was es in einem bestimmten Wirklichkeitsbereich so alles gibt z.B.: Was tun Sozialwissenschaftler eigentlich, wenn sie ‚forschen‘ – und jenes Wissen erarbeiten, das man im Studium lernt? entsteht durch Suche nach Antworten auf zwei Fragen: ‚Was ist der Fall?‘ etwa: Wie vollzieht sich sozialwissenschaftliche Forschung? ‚Warum ist X der Fall?‘ etwa: Warum vollzieht sich sozialwissenschaftliche Forschung genau nach diesen – und nach keinen anderen – Regeln? verlangt Neugier auf die Anworten zu folgenden Fragen: ‚Was genau heißt X?‘ – etwa: Wahrheit, Erkenntnis, Wissenschaft, Forschung … ‚Woher wissen wir, dass X wirklich so ist?‘ – etwa: dass ausgerechnet eine Zufallsstichprobe wirklich repräsentativ ist? Ziel dieser Vorlesung: grundlegende sozialwissenschaftliche Bildung vermitteln TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Auszüge aus der Modulbeschreibung Das Modul beinhaltet eine grundlegende Einführung in die empirische Sozialforschung. Vermittelt werden … Grundkenntnisse in der Forschungslogik, in Verfahren der quantitativen und qualitativen Sozialforschung sowie in der Datenanalyse einschließlich der Anwendung von Softwareprogrammen (SPSS). Lern- und Qualifikationsziel ist die Vermittlung methodischer Kenntnisse und Fähigkeiten im Bereich der sozialwissenschaftlichen Datenerhebung und -analyse. Das Modul besteht aus … der Vorlesung „Einführung in die Methoden der empirischen Sozialwissenschaften I und II“ (je 2 SWS) der Vorlesung „Statistik für Sozialwissenschaftler I und II“ (je 2 SWS) den die Statistikvorlesungen begleitenden Übungen (je 2 SWS) Die beiden Vorlesungen und die Übungen erstrecken sich über zwei Semester. Die Modulprüfung besteht aus Klausuren im Umfang von je 90 Minuten im Anschluss an die Vorlesungen Methoden I und II sowie Statistik I und II. Achtung: Eine ‚5‘ in Statistik kann nur durch mindestens eine ‚3‘ in Statistik, nicht aber durch eine Note in ‚Methoden‘ ausgeglichen werden! Tutorium Inhalt: Behebung von Verständnisschwierigkeiten (gerade auch: Statistik!) Vertiefung / Konkretisierung von Vorlesungsinhalten Vorbereitung auf die Klausur Tutoren / Tutorien: • alle 2 Wochen Mo (3), 11.10 – 12.40, Kristin Neumann • Ort wird noch bekanntgegeben Mo (4), 13.00 – 14.30, Alexander Wentland • ACHTUNG: Einschreibung Mo (5), 14.50 – 16.20, Kristin Neumann vom 13. – 18.10.09 über Mo (6), 16.40 – 18.10, Franziska Pestel Website des Instituts für Soziologie (Aktuelles) Di (6), 16.40 – 18.10, Franziska Pestel Mi (2), 09.20 – 10.50, Richard Heimann, MER/001 Mi (5), 14.50 – 16.20, Martin Rachuj, BEY/068 Diese Tutorien sind speziell auf Politikwissenschaftler zugeschnitten; doch auch Studierende anderer Fachrichtungen sind willkommen! TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Ringvorlesung des Sozialwissenschaftlichen Methodenzentrums der TU Dresden; Bestandteil des Basismoduls ‚Methoden‘ Aufbau der Vorlesung Zweck und Geschichte der empirischen Sozialforschung Doppelstunde; Prof. Patzelt Forschungslogik ca. 7 Doppelstunden; Prof. Patzelt Quantitative Forschungsmethoden ca. 7 Doppelstunden; Prof. Donsbach & Hagen Stichproben, komplexere Ansätze etc. ca. 8 Doppelstunden; Prof. Häder & Co. Qualitative Forschungsmethoden ca. 7 Doppelstunden; Prof. Lenz Weitere Informationen: Lehrstuhl Prof. Häder, Institut für Soziologie ‚Methoden I‘, jeweils im Wintersemester; abgeschlossen mit Klausur (= Prüfung). Termin: 09.02.2009 Info zur Prüfungsanmeldung ‚Methoden II; jeweils Sommersemester; abgeschlossen mit Klausur (= Prüfung) Gleichzeitig im TU WinterSommersemester für dasDr. Basismodul Methoden Dresdenund – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Werner J. Patzelt zu absolvieren: Vorlesung (samt Übung!) ‚Statistik I‘ und ‚Statistik II‘ Die Prüfungsanmeldung zur Klausur Methoden I erfolgt in online auf der Homepage des Prüfungsamtes der Philosophischen Fakultät, und zwar in folgender Zeit : 1. 11.- 30. 11.; nötig: Matrikelnummer, Prüfungsidentifikationsnummer Prüfungsanmeldung Alle Module im BA-Studiengang werden – anders als im Magisteroder Lehramtsstudiengang – durch eine Prüfung abgeschlossen. Im Fall des Methodenmoduls (= Pflichtmodul in den BAStudiengängen PoWi, KoWi und Soziologie, desgleichen im Diplomstudiengang Soziologie) besteht die Prüfung aus vier Klausuren: Methoden I und II, Statistik I und II. Anders als im Magisterstudiengang hat man sich im BA-Studiengang und im Diplomstudiengang Soziologie zu diesen Klausuren zu Beginn des Semesters verbindlich anzumelden. Termin: folgt gleich! Wer sich nicht anmeldet, kann an der Prüfung (= Klausur) nicht teilnehmen. Wer sich zur Klausur anmeldet, bei der Klausur aber nicht erscheint, ist bereits zum ersten Mal bei der (Teil-) Prüfung durchgefallen. Eine nicht bestandene oder als nicht bestanden gewertete Klausur kann binnen eines Jahres wiederholt werden, und zwar ein einziges Mal. Es wird (auch bei Fehlen ‚aus gesundheitlichen Gründen‘) KEINE ‚Nachschreibeklausur‘ angeboten, sondern man schreibt einfach ein Jahr TU Dresden – Institut reguläre für Politikwissenschaft später die nächste Klausur mit.– Prof. Dr. Werner J. Patzelt Problem: Eigentlich müsste die Vorlesung durch praktische Übungen ergänzt werden, für die uns aber (mit Ausnahme des Tutoriums für Politikwissenschaftler) das Personal fehlt. ‚Ersatz‘: viele Beispiele Stellenwert der Vorlesung ‚abstraktes, ödes Thema!‘ in Wirklichkeit: Teil Forschungslogik: Einführung in wissenschaftliches Denken ( Humboldt: Persönlichkeitsbildung durch Wissenschaft) Teil Methoden (Datenerhebung & Statistik): Einführung in konkretes sozialwissenschaftliches Forschen ( Arbeit an der Basis allen sozialwissenschaftlichen Wissens) ‚leider Pflicht – denn sonst ginge ja keiner hin!‘ Tatsache ist: An der inneren Haltung, die jemand zum Themenbereich ‚Forschungslogik/Methoden‘ mitbringt bzw. entwickelt, lässt sich sehr genau erkennen, welches Verhältnis zu Wissenschaft und Forschung er/sie besitzt und wie gut darum ein wissenschaftliches Studium gelingen wird. Rat: Der Methodenvorlesung mit großer Wissbegier, Offenheit für Neues und TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Bereitschaft zum eigenen Nach-Denken anhand von Beispielen folgen! Alle sind aus dem Internet herunterladbar; Mitschreiben ist unnötig ! Also: Konzentrieren Sie sich bei der Vorlesung aufs Mitdenken ! Folien zur Vorlesung Literaturhinweise: folgen noch! Rufen Sie die Homepage des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich auf: http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/fakultaeten/philosophische_fakultaet/ifpw/polsys Unter dem Punkt “Lehre / Lehrveranstaltungen” finden Sie alle Foliensätze aus meinen Vorlesungsteilen zum Herunterladen Achtung: Missverstehen Sie diese Folien nicht als ‚PowerPoint-Präsentationen‘! Sie sind ‚Vorlesungsmitschriften‘, die für Sie bereits angefertigt wurden! Sie dienen darum einfach nur der ‚Inhaltsangabe‘ und ‚Veranschaulichung‘, sondern entfalten – gerade auch durch ihre Animation – vollständige Argumentationen und verweisen auf deren Kontexte, und zwar so, dass jeweils eine einzelne Folie (ggf. in Verbindung mit den ‚hinter ihr stehenden‘ und durch Hyperlinks vernetzten Folien) einen vollständigen Gedankengang durchführt. Der Preis dafür: viel Text, viele Pfeile – und eine Komplexität, welche immerhin die Untergrenze der Komplexität des jeweils behandelten Themas widerspiegelt! Verwendung der Folien: herunterladen; die jeweiligen Gedankengänge einprägen durch Nachvollzug des animierten Folienaufbaus am PC ausdrucken (maximal zwei Folien auf einer Seite!) und Nutzung als tatsächliche ‚Vorlesungsmitschrift‘ ergänzende Notizen auf den Ausdrucken TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Zeitansatz für Basismodul Methoden: 10 Credits, wobei 1 Credit = 30 Arbeitsstunden; d.h.: 300 Arbeitsstunden sind zu investieren – davon 150 Stunden im ‚Methodenteil‘! Richtiges Studieren vor jeder Vorlesung: Durcharbeiten der jeweils nächsten rund 35 Folien (am Bildschirm!!) – und zwar so, dass möglichst verstanden wurde, worum es geht parallel: Lektüre der einschlägigen Kapitel / Passagen in der empfohlenen Literatur sowie in empirischen Studien aus Fachzeitschriften während jeder Vorlesung: Mitdenken und überprüfen, ob während der Vorbereitung die Zusammenhänge richtig verstanden wurden bei Verständnisproblemen und sonstigen Klärungswünschen: sich melden und fragen! hilfreiche Beispiele oder Erläuterungen aus der Vorlesung auf den entsprechenden Folien notieren nach jeder Vorlesung: Durchsicht des behandelten Foliensatzes und Einprägen von dessen ‚Lehren‘ Verbindung des neu Gelernten mit dem bisher schon Vermittelten TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Literaturhinweise vorlesungsbegleitender Text: Werner J. Patzelt, Einführung in die Politikwissenschaft, 6. Aufl. Passau 2007: Kap. 2, S. 67-142: ‚Wissenschaftstheoretische Grundlagen‘ Kap. 3, S. 143-201: ‚Methoden und Formen sozialwissenschaftlicher Forschung‘ zur Vertiefung nach Lust und Laune: Werner J. Patzelt, Sozialwissenschaftliche Forschungslogik, München/Wien 1986 A.F. Chalmers, Wege der Wissenschaft. Einführung in die Wissenschaftstheorie, Berlin / Heidelberg 2001 Udo Kelle, Empirisch begründete Theoriebildung. Zur Logik und Methodologie interpretativer Sozialforschung, Weinheim 1994 H. Seiffert, Einführung in die Wissenschaftstheorie, 4 Bde., München 1991 extrem wertvoll, um speziell geisteswissenschaftliches hermeneutisches Forschen an konkreten, spannend geschilderten Fallbeispielen zu erlernen: Ernst Doblhofer, Die Entzifferung alter Schriften und Sprachen. Stuttgart (Reclam) 20085 hier vor allem zu lesen: Kapitel über die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphenschrit sowie der sumerisch-akkadischen Keilschrift Für das gesamte Methodenmodul: Diekmann, Andreas: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 19. Auflage. Reinbek bei Hamburg, 2008. Flick, Uwe: Handbuch Qualitative Sozialforschung Grundlagen, Konzepte, Methoden und Anwendungen. Weinheim, 1995. Wofür braucht es ‚empirische Sozialforschung‘? Ein produzierendes Unternehmen will wissen, welche Nachfragestruktur es für ein neu entwickeltes Produkt gibt, um durch geeignete Marketingstrategien auf einen wirtschaftlichen Erfolg hinzuwirken. Eine private Hörfunk- oder Fernsehstation will wissen, welche Zuhörer sie mit welchen Sendungen zu welchen Zeiten erreicht, um zielgruppengenaue Werbemöglichkeiten zu ermöglichen und so die Chance auf Werbeeinnahmen zu vergrößern. Eine Partei will wissen, wie populär welche ihrer politischen Positionen sind, um hieraus Folgerungen für ihre Öffentlichkeitsarbeit zu ziehen. Eine Regierung will wissen, wie die Lebensverhältnisse ausländischer Mitbürger sind, um zielgerichtet darauf hinwirken zu können, dass es nicht zu weiterer Ghettobildung und zur Verfestigung von Parallelgesellschaften kommt. Ein Sozialwissenschaftler will wissen, wie der Zusammenhang zwischen der Kinderzahl einer Frau, ihrem Bildungsstand, ihrem Beruf, ihrer Partnerbindung und ihrem staatlichen Transfereinkommen ist, um präzise Aussagen im Rahmen von wissenschaftlicher Diskussion und praktischer Politikberatung treffen zu können. In allen solchen Fällen werden die meisten lieber zutreffende Informationen (‚Daten‘) als bloß solche Vermutungen haben, die allein auf einem ‚informierten Gefühl‘ beruhen. … und wann immer das so ist, braucht man ‚empirische Sozialforschung‘ ! TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Was ist ‚empirische Sozialforschung‘? Forschung = anhand bewährter wissenschaftlicher Regeln etwas herausfinden Welche Regeln das sind, wird in der Methodenausbildung gelehrt; und warum es genau diese Regeln sind, erläutert die Ausbildung in Forschungslogik. empirisch = nicht durch bloßes Spekulieren, sondern durch Betrachtung der Tatsachen etwas herausfinden Auf welche Weise man ‚an die Tatsachen‘ gelangt, und warum das auf den zweiten Blick durchaus komplizierter ist, als es auf den ersten Blick erscheint, wird im Abschnitt über ‚Forschungslogik‘ gelehrt. Sozial- = über die soziale (= gesellschaftliche) Wirklichkeit etwas herausfinden, im Unterschied zur auf andere Gegenstandsbereiche abzielenden Naturforschung oder Technikforschung Während die Forschungslogik für alle Wissenschaften die gleiche ist, unterscheiden sich ziemlich stark jene Methoden, die je nach Gegenstandsbereich beim Forschen anzuwenden sind. Soziologie, Politikwissenschaft und Kommunikationswissenschaft haben die gleichen Methoden – eben jene der ‚empirischen Sozialforschung‘. TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Für wen sind Kenntnisse empirischer Sozialforschung nützlich? für jeden, der … sein Geld mit sozialwissenschaftlicher Forschung – dem meist lukrativsten Teil sozialwissenschaftlicher Arbeit – verdienen will in seinem Beruf Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung auswerten, aufbereiten und weiteren Arbeiten zugrunde legen muss nicht ohne klare Beurteilungskriterien, also ‚aus dem Bauch‘ oder willkürlich, mit öffentlich verfügbaren Daten über soziale Wirklichkeit umgehen will typische pseudo-kluge Entscheidungsregel: ‚Traue nur der Statistik, die Du selbst gefälscht hast!‘ sozialwissenschaftlich gebildet sein will TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt einige Begriffe Methoden = Regeln und Handlungsanweisungen, um Forschungstätigkeiten kompetent zu unternehmen und um zu verlässlichen Ergebnissen zu gelangen. (Forschungs-) Techniken = konkrete, oft durchaus ‚rezeptartige‘ Ausgestaltung der Methoden (z.B. Techniken des Stichprobenziehens, Interviewens, Interpretierens und Analysierens von Zusammenhängen) Methodologie = Lehre von den Regeln des Forschens und der Qualität konkreter Methoden und Techniken des Forschens ‚Methoden und Techniken der empirischen Sozialforschung‘ ist gewissermaßen die ‚Aufschrift eines Werkzeugkastens‘. Das Ausbildungsziel besteht darin, - den Sinn und die Eigentümlichkeiten der in ihm enthaltenen Werkzeuge gut zu begreifen, - einen Überblick über das verfügbare Instrumentarium zu erhalten, - und wenigstens einige der verfügbaren Werkzeuge kompetent anwenden zu können. TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt (Vor-) Geschichte der empirischen Sozialforschung I eigentlich immer schon konnten Regierungen Informationen über ihren Herrschaftsbereich gut brauchen, z.B. über den vorhandenen Besitz der Bevölkerung, die zu erwartenden Steuern und die für den Soldatenberuf verfügbaren jungen Männer Also gab es in Hochkulturen lange schon ‚Volkszählungen‘. Aus der Antike am bekanntesten: „In jener Zeit erging vom Kaiser Augustus der Befehl, das ganze Reich schätzen zu lassen ...“ (Lukas-Evangelium) Was noch fehlte: die Entwicklung eines Verständnisses von Wissenschaft, welches auch den Umgang mit Tatsachen und Daten umschloss. Der Weg zu einem solchen Wissenschaftsverständnis wurde – und im Grunde nur in Europa – eingeschlagen mit der Entstehung empirischer und verallgemeinernder Naturwissenschaften seit der Renaissance. Seither standen Denkweisen und Verfahrensregeln bereit, die man auch auf soziale Wirklichkeit anwenden konnte, sobald obendrein die Vorstellung aufkam: Auch gesellschaftliche Sachverhalte sind einer empirischen wissenschaftlichen Analyse zugänglich – und nicht nur theoretischer Reflexion und kunstfertiger Praxis! allerdings Grenzen bis weit ins 18. Jh.: staatliches Hinwirken auf Geheimhaltung gesellschaftlich und politisch wichtiger Informationen samt Behinderung entsprechender Forschungsversuche unzulängliche Methodik der Datenerhebung und Datenanalyse = Zentrales Verständnishemmnis bis heute! Es abzubauen, ist – Institut für Politikwissenschaft Prof. Dr. Werner J. Patzelt eineTU derDresden größten Herausforderungen der –Methodenausbildung. (Vor-) Geschichte der empirischen Sozialforschung II 17. Jh. in England: ‚Politische Arithmetik‘ (z.B. William Petty) beschreibende Erfassung von Geburts- und Sterbefällen, von Lebenserwartung, Heiratsalter und Selbstmordraten (wichtig u.a. für das Versicherungswesen) Suche nach Regelmäßigkeiten, etwa zwischen Stadtleben und Gesundheit Suche nach praxisnützlichen Informationen über potentielle Märkte Auf diese Weise: Ursprung moderner quantitativer Analysen 17. Jh. in Deutschland: ‚Universitätsstatistik‘ (z.B. Hermann Conring) Leitgedanke: vergleichende Staatenkunde ( Begriff!) in politisch-praktischer Absicht zu diesem Zweck Erfassung von besonderen Merkmalen wichtiger ‚Staaten‘ (= Herrschaftsgebiete), der dortigen Sitten und Lebensgewohnheiten sowie von deren vermutlichen Ursachen wie Klima, Geographie usw. dabei werden in erster Linie qualitative Beschreibungen und Deutungen angestrebt 18. Jh. europaweit: mathematische Theorie der Glücksspiele: Ursprünge der schließenden Statistik ‚Moralstatistik‘: Fortführung der ‚Politischen Arithmetik‘ unter Nutzung auch schließender Statistik 19. Jh. europaweit: Verbindung aller dieser Strömungen … im Kontext der entstehenden Soziologie ( ‚physique sociale‘) angesichts großen gesellschaftlichen Informationsbedarfs während der Umwälzungen von Industrieller Revolution, Pauperisierung, Urbanisierung usw: bahnbrechende empirische Erhebungen, in Deutschland etwa des Vereins für Socialpolitik im letzten Vierteljahrhundert des 19. Jahrhunderts TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Geschichte der empirischen Sozialforschung III Institutionalisierung von Einrichtungen für empirische Sozialforschung z.B. Köln 1919, Frankfurt 1924, 1930er Jahre Kreis um Lazarsfeld in Wien; USA: Chicago School seit 1920er Jahre, Umfrageforschung um Gallup Beschleunigung des methodischen und substantiellen Aufschwungs in den USA durch gut ausgebildete Emigranten sowie durch große staatliche Forschungsnachfrage (= Finanzierung) im Dienst von Kriegführung und Wiederaufbau / Reeducation nach Zweitem Weltkrieg: selbsttragender Aufschwung in den USA; weltweite Institutionalisierung nach US-Vorbildern; in Deutschland Gründung neuer Institute wie des Allensbacher Instituts für Demoskopie seit Beginn des 20. Jh.: wegweisende Neuentwicklungen statistischer Analysemodelle (Korrelationsrechnung, Signifikanztests …) seit 1970er Jahre: Durchbruch zur leichten Statistikanwendung dank PCs und dafür geeigneter Softwarepakete TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Geschichte der empirischen Sozialforschung IV während und nach der ‚Studentenrevolution‘ (1966 – späte 1970er): empirische Sozialforschung vielfach bekämpft als … ‚unnütze Wirklichkeitsverdopplung‘ statt wünschenswerte Wirklichkeitsveränderung politisch ‚affirmativ‘ statt revolutionär ‚kritisch‘ seit etwa 1980er Jahren: in allen Sozialwissenschaften (am wenigsten leider in der Politikwissenschaft) durchgesetzt als ‚harter Kern‘ forscherischer Kompetenz seither: verpflichtende Methodenausbildung, zunehmend samt Statistik Sonderfall sozialistische Staaten: ‚Wissenschaftliche Weltanschauung des Kommunismus bedarf keiner empirischen Überprüfung!‘ Ablehnung der empirischen Sozialwissenschaft als ‚bürgerlicher‘ (= notwendigerweise fehlleitender) Wissenschaft, zumal sie immer wieder den kommunistischen Ansichten widersprechende Befunde zutage förderte Geheimhaltung gesellschaftlich wirtschaftlich und politisch wichtiger Informationen – einesteils im ‚Wettbewerb der Systeme‘, andernteils aus Legitimationsgründen Folge: Unterbindung unabhängiger Forschungsversuche, Gängelung der spärlichen staatlichen Auftragsforschung; zwiespältige Haltung zum schwer bezweifelbaren Nutzen empirischer sozialwissenschaftlicher Forschung im Westen Unwirksamkeit vieler Methoden (v.a.: Befragungsmethoden) im unfreien Meinungsklima TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt Damit sollte klar sein … wozu empirische Sozialforschung im großen und ganzen dient was ihr Name bedeutet woher dieser Forschungszweig kommt warum und wie er so bedeutend geworden ist TU Dresden – Institut für Politikwissenschaft – Prof. Dr. Werner J. Patzelt