Der Fall Galilei, die Vorgeschichte und die Folgen Lutz Sperling Kapitel 1 Der „Fall Galilei“ und seine Vorgeschichte Rein beschreibende Weltbilder Antike: rein beschreibende Verfahren für die Bewegungen am Himmel, große praktische Bedeutung, keine Physik Ältestes bekanntes heliozentrisches (= sonnenzentriertes) Weltbild: Aristarch von Samos (ca. 320 - 250 v. Chr.), ca. 100 Jahre später Seleukos Mythen Alte Weltbilder häufig verbunden mit den Mythen der Völker Bis ca. 500 vor Christus wie auch noch bei Thales von Milet (ca. 600 v. Chr.): Erde = Scheibe oder flache Schale, schwimmend oder auf andere Weise gelagert Philosophie Hochblüte der griechischen Philosophie: Platon (etwa 427 - 347 v. Chr.), Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) Philosophisch begründete Forderung: Erklärung der Planetenbeweung mittels gleichförmiger Kreisbewegungen Ptolemäus (ca. 100 – 170) Syntaxis Mathematike (Almagest): Umfassendes Hilfsmittel zur Beschreibung des Weltalls auf der Basis seiner Vorgänger, besonders des Hipparch. Kombination regelmäßiger Kreisbewegungen, Epizyklen Sein überzeugendes, anschaulich erdzentriertes geometrisches Modell wurde für die griechische, arabische und mittelalterliche Astronomie der nächsten 14 Jahrhunderte maßgebend. Moderne Aspekte bei Ptolemäus Kugelgestalt der Erde bekannt, wesentliche Beiträge zur Geographie, Festlegung eines Nullmeridians, Definition der bis heute gültigen Breitenkreise Weltbildcharakter des Ptolemäischen Systems Geozentrisches Weltsystem wie früher Eudoxos (ca. 408 - 355 v. Chr.), in Abhängigkeit von und mit Rücksicht auf Aristotels, daher enge Verbindung mit dessen Philosophie: unveränderliche Natur der Gestirne und Regelmäßigkeit ihrer Bewegungen Gott: außerweltlich, unbewegter Beweger, in sich ruhend Aporie der Aristotelischen Philosophie Philosophische Ausweglosigkeit Mensch = Abbild des göttlichen Geistes, aber: in die Sterblichkeit irdischer Behausung verbannt :: Widersprüche zur christlichen Offenbarung: Welt ewig und ungeschaffen, Gottes Wesen ist das Bei-sich-selbst-sein des vollkommenen Geistes Thomas von Aquin (um 1225 – 1274) Modifikation des aristotelischen Weltbildes, Durchdringung mit christlichem Denken, aber noch keine Auflösung der genannten Aporie Potential der christlichen Offenbarung: Überwindung der Verbannung der Menschen auf den sterblichen Wohnort der Erde Nikolaus von Cues (1401 – 1464) (Cusanus) Kardinal! Erde = „göttlich“, Planet unter anderen Planeten , gesetzhafte Verhältnisse auch im Irdischen, Eigendrehung der Erde, Fixsterne = Himmelskörper, Universum zeitlich und räumlich grenzenlos, keine genauen Kreisbahnen, keine unbeweglichen Himmelspole, Sonnenflecken erkannt, Messen, Quantifizieren, Welt für Menschen erkennbar konstruiert Weitere Vorläufer des Kopernikus Johannes Buridan (auch Jean Buridan) (um 1300 - kurz nach 1358): Keim des Trägheitsgesetzes Nicolas d‘Orêsme, Bischof von Lisieux (1320 - 1382 ): Achsendrehung der Erde Prälat Celio Calcagnini, Ferrara (1479 – 1541), um 1520: Himmel steht fest, Erde bewegt sich Kopernikus (1473 – 1543) Nepot des Bischofs von Ermland, intuitive Ahnung vom Trägheitsgesetz , "De revolutionibus orbium coelestium" (1543), Heliozentrisches Weltsystem Aber weiterhin: von Kreisbewegungen ausgegangen, Korrektur mittels Epizyklen bleibt notwendig, keine Physik, Weltsystem immer noch Geschmacksache Reaktion der katholischen Kirche auf Kopernikus Berater hinsichtlich Kalenderreform auf 5. Laterankonzil (1512 - 1517), Positive Reaktionen der Päpste Clemens VII. (1523 bis 1534), Gregor XIV. (1590 - 1591) Universität Salamanca: Lehre der Astronomie seit 1561 auch und ab 1594 nur noch nach Kopernikus. 1581 Gedenktafel für ihn im Dom zu Frauenburg Tycho Brahe (1546 – 1601) 1572 Beobachtung einer Supernova 1577 Berechnung: Bahn eines Kometen durch die Sphäre der Venus Tychonisches = ägyptisches System (ähnlich System des Heraklit (375 – 310 v. Chr.)): Sonne und Mond um Erde, Planeten um Sonne kinematisch korrekt: Relativbewegung richtig erfaßt Exakte Messungen -> Rudolfinische Tafeln Tycho Brahes System Johannes Kepler (1571 - 1630) 1609: 1. Gesetz: Planeten durchlaufen Ellipsenbahnen, in deren einem Brennpunkt: die Sonne 2. Gesetz: Verbindungsgerade Sonne - Planet überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen 1619: Harmonices mundi (Weltharmonik) 3. Gesetz: Gleiche Verhältnisse für Quadrate der Umlaufzeiten je zweier Planeten u. Kuben der großen Halbachsen ihrer Bahnellipsen Wichtige Quelle für Newtons Gesetze, aus diesen herleitbar Ergänzung zu Johannes Kepler Dynamische Idee: Sonne als Quelle der Schwere vermutet Religiöse Ideen: Ellipse = Kombination von Kreis und Gerader Ästhetische Ideen: Pythagoreische Zahlensymbolik, musikalische Intervalle und Polyedermodell für Sonnensystem Galilei (1564 – 1642) mit 60 Jahren Galileis Hauptwerke 1632: "Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme" (kurz "Dialog" oder "Dialogo" genannt) 1638: "Discorsi" Stilmittel: Einteilung in Tage. Galileis wissenschaftliches Vorgehen Verbindung von: Experiment und Mathematik, von induktiver und deduktiver Methode Francis Bacon (1561 – 1626): „dissecare naturam“ Einfachheit der Naturgesetze: Beschleunigung, Fallgesetze, Trägheitsgesetz Keimhafte Erkenntnisse zu vielen heute bekannten Gesetzen in Mathematik und Natur Galileis astronomische Entdeckungen 1609 systematischen Himmelsbeobachtungen mittels Fernrohr, 1610: "Sidereus Nuncius" (Sternenbote) Gebirgige Struktur des Mondes, 40 Plejaden, Galaxis = viele Sterne, 7.1.1610: „Sideri Medicea“, (4 Jupitermonde) Phasen der Venus, Saturnringe, Sonnenflecken, Neptunbeobachtung, Vermutung riesiger Entfernung der Fixsterne Galileis Grundposition gegenüber den Objekten der Astronomie Mehr an Physik des Universums als an astronomischen Systemen interessiert, an Aufbau des Universums hinsichtlich Ruhe und Bewegung Erkenntnis der Gleichartigkeit von irdischer und kosmischer Welt Keine Beschäftigung mit den Keplerschen Gesetzen Galileis Wirken bis zu seinem Ruhm als Astronom Einfluß durch Collegio Romano der Jesuiten, besondere mathematische Kompetenz, besonders: Christoph Clavius (1537/38 - 1612), Lehrstühle für Galilei: 1589 Pisa, 1592 Padua 1609: öffentliche Fernrohrvorführung auf dem Campanile von San Marco, „Sidereus nuncius“: Druckerlaubnis durch Zensor Dominikaner Niccolò Riccardi (1565 - 1639) 1611 sehr erfolgreicher Rombesuch besonders auch am Collegio romano, 6. Mitglied der berühmten "Academia dei Lincei" Fürst Cesi Papst Paul V. (1605 – 1621) Kardinal Bellarmino Die Inquisition und Roberto Bellarmino (1542 – 1621) Congregatio Romanae et universalis Inquisitionis, 1542 nach Reformation gegen Häresien gegründet 1908 Sacra Congregatione Sancti Officii 1965 Kongregation für die Glaubenslehre Jesuit Bellarmin, 1930 heiliggesprochen, tief fromm und bescheiden, gegen weltliche Macht des Papstes, entschiedener Gegner der Reformation Bestätigung der Richtigkeit der Beobachtungen Galileis durch Jesuiten eingeholt, Eintrag in Inquisitionsakten Fragen der Bibelauslegung Gewisse Peripatetiker verbanden bei Ablehnung des heliozentrischen Systems ihre Aristoteles-Abhängigkeit mit Heranziehung von Bibelzitaten Galilei nimmt gegen guten Rat Kampf auf, ohne schon Beweise vorlegen zu können, Berufung z. B. auf Jesuiten Diego Zuñiga 1612: 3 Briefe über Sonnenflecken Brief an Benediktiner Benedetto Castelli Gegensätzliche Positionen 1614: Attacke durch Dominikaner Caccini, Anzeige beim Hl. Offizium, Galileis Rechtgläubigkeit bestätigt, Rat zur Vorsicht 1615: "Brief" an die Großherzogin Mutter Cristina mit Argumenten des Karmeliters Foscarini und des 1607 verstorbenen Kardinals Baronius Antwort Bellarminos vom 12.4.1615: Auslegung der Hl. Schrift durch die Väter bis zum Vorliegen von Beweisen Das Dekret von 1616 Das Heilige Offizium legt 10 Theologen 2 Thesen zur Begutachtung vor -> Bewegungslosigkeit der Sonne = formell häretisch Erdbewegung = irrig im Glauben Aber: abgemildertes Dekret nur von Indexkongregation ohne Häresievorwurf Mehrere Verbote Zu Galilei: lediglich zwei Eintragungen + Ehrenerklärung von Bellarmin im Mai 1616 Streit mit Pater Grassi Drei Kometen und ein Vortrag des Jesuiten Grassi darüber im Jahre 1618 führten zu einem üblen Streit Galileis mit ihm, wobei Galilei nach einhelliger Ansicht der Fachwelt zu einem erheblichen Teil wissenschaftlich unrecht hatte. Das hielt ihn aber nicht von üblen Beschimpfungen ab, in deren Zusammenhang er auch noch gleich den Jesuiten Scheiner zu unrecht des Plagiats beschuldigte, so daß er das bisherige Wohlwollen der Jesuiten gänzlich verspielte. Papst Urban VIII. (1623–1644) Papst UrbanVIII. , „Il saggiatore“ 6.8.1623 Kardinal Maffeo Barberini -> Urban VIII. Widmung von Galileis polemischer Antwort an Grassi „Die Goldwaage“ angenommen 1624: Erfolgreicher Besuch Galileis in Rom Weiterhin freundschaftliches Verhältnis zu Urban VIII., 6 lange Audienzen Galileis „Dialog“ 1629 vollendet, in Italienisch, auf Breitenwirkung zielend Riccardi jetzt Magister Sacri Palatii, für Druckerlaubnis zuständig Papst sichert Galilei kirchliche Pension zu, die ihm bis zum Lebensende gezahlt wird Galileis Fehler Auflage des Papstes, Kopernikanische Lehre nur als Hypothese zu vertreten, nicht überzeugend erfüllt Position des Papstes ausgerechnet dem in alten Denkweisen verhafteten, etwas begriffsstutzigen Simplicius in den Mund gelegt Mißbrauch der Teildruckerlaubnis von Riccardi, Buch schon in Florenz aufgeliefert, in Rom durch Riccardi beschlagnahmt Begeisterte Zuschriften Gutachten der Kommission Papst noch um Schonung Galileis bemüht, beruft Kommission unter dem Vorsitz des Galilei wohlgesonnenen Kardinalnepoten Fr. Barberini 8 Anklagepunkte, u.a.: - Kopernikanismus als bewiesen dargestellt, - Ebbe und Flut fälschlich als Beweis angeführt, - Mißbrauch des römischen Imprimaturs, - Zerzausung der Gegener Papst erfährt vom Galilei 1616 auferlegten Verbot, Übergabe an Hl. Offizium, Vorladung Galileis Prozeß von 1633 Zuvorkommende Behandlung, Galilei verstrickt sich unter Eid in Widersprüche, erklärt sich zum Eingeständnis seines „Irrtums“ bereit Galileis „Dialogo“ und Keplers „Grundriß“ verboten Galilei verurteilt zu: - Verlesen der Abschwörungsformel („der Häresie stark verdächtig“), - „Kerkerhaft“ im Hl. Offizium, - Wöchentliches Gebet der 7 Bußpsalmen, 3 Kardinäle, darunter Francesco Barberini unterschrieben nicht Nach der Verurteilung Galilei wohnte zunächst im Palast seines Freundes, des Erzbischofs Ascanio Piccolomini, durfte aber Ende 1633 in seine Villa Arcetri bei Florenz zurückkehren. Druck seiner Werke (außer „Dialog“) in Leyden, Spätwerk „Discorsi“ begründete Galileis Weltruhm als Begründer der modernen Physik W. Brandmüller: „Galilei war weder als Forscher noch als Katholik gescheitert, als man ihn in St. Croce zu Florenz bestattete." Galilei mit 71 Jahren Weiteres Schicksal des Kopernikanismus im kath. Bereich Gründung der berühmten Academia del Cimento bald nach Galileis Tod (Fürst Cesi war 1630 gestorben), Vergleichbare Einrichtungen in Siena, Padua, Neapel, Brescia und Bologna Academia Fisico-Matematica in Rom: - Magalotti Kometenstudien, - Cassini Saturntrabanten, - Ciampini berühmte Teleskope, - Borelli Vermutungen im Sinne Newtons Kirchlich geduldeter Prokopernikanismus 1639, 1645 Bullialdus und Gassendi (kath.Priester) verteidigten Lehre des Kopernikus 1651 Riccioli: großer prokopernikanischer Astronomie-Atlas 1656, 1667 und 1669: Erscheinen weiterer prokopernikanischer Werke 1710: Erscheinen des „Dialogs“ mit kirchlicher Druckerlaubnis 1757 (Benedikt XIV.): Streichung heliozentrischer Werke aus dem Index der verbotenen Bücher Endgültige Legalisierung 1820 Guiseppe Setteles Buch „Sapienza“, Druckerlaubnis von Hl. Offizium mit päpstlicher Unterstützung gegen Oberzensor Gutachten Kardinal Olivieri: Astronomische Auffassung widerspricht nicht dem katholischen Glauben Im Index Gregors XVI. von 1835: sämtliche prokopernikanische Werke getilgt Kirchliche Entscheidungen der Galileizeit mußten nicht desavouiert werden Papst Johannes Paul II. 10.11.1979: Albert Einsteins 100. Geburtstag Johannes Paul II. wünscht: Vertiefung der Überprüfung des Falles Galilei, aufrichtige Anerkennung des Unrechts, gleich von welcher Seite, Beseitigung von Mißtrauen, fruchtbare Zusammenarbeit von Glaube und Wissenschaft 31.10.1992: Galileo Galileis 350. Todestag Überreichung des Ergebnisses, tiefgründige Ansprache des Papstes Kapitel 2 Motive und Urteile Rolle der Mathematik Galilei: „Das Buch der Natur ist mit mathematischen Symbolen geschrieben.“ „Ohne diese Mittel ist es dem Menschen unmöglich, ein einziges Wort davon zu verstehen.“ Messung und Experiment Galilei: „Man muß messen, was meßbar ist, und meßbar machen, was es nicht ist." Max Thürkauf: „Einengung der Natur auf das Meß- und Berechenbare“ Galilei huldigt jedoch keinem reinen Empirismus Kausales Denken und Finalursachen Galilei hatte entscheidenden Anteil daran, daß das Ptolemäische Weltbild zum Einsturz gebracht wurde neues kausales, naturgesetzliches Denken, Vorbereitung der Newtonschen Gesetze Bevorzugung der Wirkursachen vor den Finalursachen, Verstummen der Fragen nach dem Zweck Konsequenzen für Philosophie und Theologie Galileis Kopernikanismus Noch 1606 ein Lehrwerk im Sinne des Ptolemäus Ausgeprägter Kopernikanismus wohl erst nach Himmelsbeobachtungen 1609 Albert Einstein: Dieser sei bei Galilei "nicht etwa eine bloße Konvention, sondern eine Hypothese, die 'wahr' oder 'falsch' ist". Aber: „... so sind doch alle diese Argumente nur qualitativer Art“. Also: Galilei hatte noch keine stringenten Beweise. Offenbarung aus dem Buch der Natur Galilei: zwei Offenbarungen Gottes: Buch der Natur und Heilige Schrift für Trennung von Physik und Philosophie, gegen Autorität kirchlicher Stellen bei wissenschaftlichen Schlußfolgerungen Johannes Paul II.: Galilei unterschied jedoch nicht ausreichend „zwischen dem wissenschaftlichen Zugang zu den Naturerscheinungen und der philosophischen Reflexion über die Natur“. Galileis Bibelauslegung Für Galilei zwischen Naturwissenschaft und Bibel kein Widerspruch möglich, weil beide "aus dem göttlichen Wort" kommen Bezugnahme auf hochentwickelte exegetische Standpunkte seiner Zeit Aber: Wissenschaft könne bei Aussagen zu Naturphänomenen auch helfen, den wahren Schriftsinn zu entdecken Auch willkürliche Auslegung der Bibel Hemleben: "Er interpretiert als Naturforscher die Bibel zu seinen Gunsten." Galileis Charakter Anklagepunkt „Zerzausung der Gegner“ berechtigt Schlimmste Beschimpfungen und Schmähungen Rechthaberei, Prioritätsstreite "Dagegen ist nun nichts zu machen, Herr Sarsi [Pseudonym für Pater Grassi], daß es mir allein vergönnt ist, alles Neue am Himmel zu entdecken, und niemand anderem auch nur etwas." Galilei mit 42 Jahren Galileis Kritik der Peripatetiker Zitat aus dem Dialog: "...nennt Euch Historiker oder Doktoren der Auswendiglernerei; denn wer nicht philosophiert, darf den Ehrentitel eines Philosophen nicht beanspruchen." Ebbe und Flut Ursprüngliche Titel des „Dialogs“ war durch Gezeiten bestimmt, dieser „Beweis“ für Erdumlauf sollte inhaltlicher Höhepunkt sein, Änderung war Auflage des Papstes Keplers Vermutung des Mondes als Ursache von Galilei als „Kindereien“ bezeichnet Galileis Theorie der Gezeiten war fehlerhaft und widersprach auch den Beobachtungen Vorwort und verbreitete Deutung Vorwort zum Dialog enthält: Lob des Edikts von 1616 und des Forschungsniveaus in Rom Scheinbare Bewertung des Kopernikanismus als Hypothese, aber auch Behauptung seiner Überlegenheit; widersprüchliche Aussagen Eiertanz, blanker Hohn? Hauptziel Galileis nach Stillman Drake Galilei = „katholischer Eiferer“ „Rom handelte, um dem immer wieder auftretenden Skandal einer Interpretation der Bibel durch unqualifizierte Forscher zuvorzukommen.“ Ziel Galileis: Kompetente Beratung der Kirche Galileis Äußerungen im Vorwort seien ernst gemeint Während des Prozesses und danach Brandmüller: Abschwörung = Akt der kirchlichen Loyalität unter Beibehaltung der Überzeugung Denn: Innerste Glaubenszustimmung nur gegenüber authentischem (unfehlbarem) Lehramt, nicht gegenüber römischen Behörden innere „Tragödie eines Mannes, der zutiefst an dem Auseinanderklaffen zwischen religiösem Glauben und rationalem Denken verzweifelt." Galilei bewußt innerhalb der Kirche, Wallfahrt Schuld von Repräsentanten der Kirche Benedikt XVI.: „Denn der Preis für die Verschmelzung von Glauben und politischer Macht besteht zuletzt immer darin, daß der Glaube in den Dienst der Macht tritt und sich ihren Maßstäben beugen muß.“ Eine richtige Apologetik verschweigt oder bestreitet nicht die Fehler und Sünden, die im Namen der Kirche auch begangen wurden. Gerechte Bewertung ohne generelle Distanzierung Die Inquisition Giordano Bruno = "Märtyrer der Aufklärung" ? Der Kirche übergeben und nach langem Prozeß aus rein theologischen (nicht naturwissenschaftlichen) Gründen der Häresie beschuldigt, 1600 von weltlichen Instanzen in Rom verbrannt Todesstrafe war immer Verfehlung gegen die Lehre Christi Brandmüller: Nach „neueren Forschungen“: Inquisition war nicht „Gruppe von machtlüsternen, sadistischen, blindwütigen und düsteren Fanatikern“ für „Knebelung des freien Denkens“ und „Machtposition der Kirche“. Pastorale Auswirkungen von Neuerungen Verantwortung für das Seelenheil darf nicht als „Macht über Seelen“ diskreditiert werden Johannes Paul II.: Kirche muß auf die pastoralen Auswirkungen ihrer Predigt achten Zu Kopernikanismus: „Es wäre nötig gewesen, gleichzeitig Denkgewohnheiten zu überwinden und eine neue Pädagogik zu entwickeln, die dem Volk Gottes weiterhelfen konnte." Scandalum pusillorum zu vermeiden suchen! Eigentliches Anliegen der Kirche damals Philosophisches Weltbild der Zeit wurde nur irrtümlich und nur von einem Teil der Zeitgenossen als kirchliches, theologisch unmittelbar im christlichen Glauben inhaltlich enthaltenes Weltbild angesehen Stillman Drake: „Das Edikt [von 1616] schadete der Kirche Jahre später im Ausland nur deshalb, da seine wahre Absicht - nicht in die astronomische Hypothesenbildung einzugreifen - nicht verstanden wurde." Keine Willkür Den von den Kongregationen der Kirche eingesetzten Fachkommissionen wurde vielfach Verantwortungsbewußtsein, Rationalität und Gerechtigkeit bescheinigt. Nach Carl Friedrich von Weizsäcker hat die Inquisition in den Prozessen von 1616 und 1633 „von Galilei nicht mehr verlangt als daß er nicht mehr sagen sollte, als er beweisen konnte.“ Alle Urteile und Dekrete waren „prinzipiell überprüfbar, widerruflich“ , heliozentrisches Weltsystem nicht als häretisch bewertet Motivationen Urbans VIII. Dialoge mit Galilei:vertrauensvoll, von Hochschätzung seitens des Papstes bestimmt Vermutlich tiefe Enttäuschung über Inhalt des Dialogs hinsichtlich seiner von Thomas von Aquin übernommenen Position Sein Handeln war aber eher durch seine Einbeziehung in Galileis „Spiel“ bestimmt, selbst unter Vorwürfen, der katholischen Seite zu schaden, meinte er, die Strategie gegenüber der protestantischen Welt beachten zu müssen Sorge um Unversehrtheit des Glaubens Streben nach eindeutigem Ordnungsmodell Johannes Paul II.: "Damals glaubte man, man müsse ein eindeutiges Ordnungsmodell vorlegen. ... Dieser einheitliche Charakter einer Kultur, der an sich auch heute positiv und wünschenswert wäre, war einer der Gründe für die Verurteilung des Galilei." Rainer Specht: Ein eindeutiges Ordnungsmodell wäre „wesentlicher Bestandteil einer damals aussichtsreichen Friedensstrategie" gewesen. Scheinbar astronomische Aussagen der Bibel Josua 10, 12 – 14: "Sonne steh still über Gibeon, und Mond über Ajalons Tal!" Buch 1 Chronik 16, 30: „Der Erdkreis ist ja fest gegründet, wanket nicht.“ Galilei las - wie viele und gewichtige Stimmen aus der Theologie - die Bibel nicht als Naturkundelehrbuch Die Auslegung der Heiligen Schrift Albertus Magnus und Thomas von Aquin: Wahrheit der Heiligen Schrift habe zwar als unverletzlich zu gelten, Erklärung des Schrifttextes sei aber nicht starr aufrecht zu erhalten, wenn Kenntnisse zu irdischen oder astronomischen Phänomenen sie als falsch erscheinen läßt. Von alters her verschiedene mit Kopernikanismus vereinbare Schriftauslegungen Konzil von Trient Reaktion auf die Reformation „daß fortan niemand, der eigenen Klugheit vertrauend, wagen dürfe, in Dingen des Glaubens und der zum Aufbau der christlichen Lehre gehörenden Sitten die Heilige Schrift nach eigenem Sinne zu verdrehen und auszulegen gegen den Sinn, den die Heilige Mutter Kirche angenommen hat und annimmt, sie, der es zukommt, über den wahren Sinn und die Auslegung der Heiligen Schrift zu entscheiden oder auch gegen die einmütige Übereinstimmung der Väter." Protestantische und katholische Position Luther, Melanchthon und Calvin sofort scharf gegen Kopernikus Reformatorisches Prinzip „sola scriptura", einseitiger Biblizismus bis zur Annahme einer Verbalinspiration der Bibel, gegen Lehrautorität der katholischen Kirche. Osiander (im Vorwort zu Kopernikus): „daß solche Hypothesen keineswegs wahr, ja nicht einmal wahrscheinlich zu sein brauchten, wenn sie nur ihrem Zweck dienten". Spätere Entwicklung im Protestantismus Naturwissenschaft folgte früh Kopernikus Ablehnung des Kopernikanismus hielt in der protestantischen Theologie noch lange an Katholische Reaktion auf die Reformation Zunächst entspannte Unbefangenheit gegenüber dem Wortlaut der Heiligen Schrift verloren Wegen protestantischer Leugnung der Wesensverwandlung in der Eucharistielehre keine eigenmächtige Auslegung der Hl. Schrift, andererseits protestantischer Vorwurf: der Papst habe das 'reine Wort' verraten Katholisches Lager zu dieser Zeit strategisch in höchster Gefahr Galileis Auffassung: genuin katholisch Positive Früchte für den christlichen Glauben . Die vom Kopernikanischen System verursachte Reflexion darüber, wie die biblischen Wissenschaften zu verstehen seien, hat nach Johannes Paul II. später überreiche Früchte für die modernen exegetischen Arbeiten erbracht. Brandmüller nannte es pointiert ein Paradox, "daß Galilei in der Naturwissenschaft und die Kurie in der Theologie geirrt, während die Kurie in der Naturwissenschaft und Galilei in der Bibelerklärung recht behalten hat." Entstehung der Wissenschaft im christlichen Europa Strikte Ansiedelung des Göttlichen in der transzendenten Heiligen Dreifaltigkeit Schon im Mittelalter Hinwendung zur irdischen Realität, die den von Gott geschaffenen Gesetzen seiner Ordnung gehorcht ->Vermeidung jeder Form des Pantheismus, Betrachtung des Universums als ein Reich der Ordnung und Vorhersehbarkeit Positionen von Zeitgenossen Galileis Blaise Pascal (1623 – 1662) sprach von Hypothesen nach „Ptolemäus, Kopernikus, Tycho Brahe und vielen anderen“: „Wer wird ohne die Gefahr eines Irrtums die eine auf Kosten der anderen vorziehen können!“ Francis Bacon (1561 - 1626), Lordkanzler: Annahme einer Bewegung der Erde unzulässig René Descartes (1596 - 1650) Kopernikaner, respektiert kirchliche Forderung, Heliozentrismus nur als Hypothese zu vertreten Viele Wissenschaftler damals unentschieden Unzutreffende Klischees 19. Jahrhundert: Rationalismus und Materialismus vorherrschend, Galilei als Galionsfigur einer bewußt atheistischen Wissenschaft mißbraucht, Prozeß zum Mythos der Aufklärung überhöht religions- und kirchenfeindlicher Liberalismus bezichtigt Kirche des Obskurantismus und der Wissenschaftsfeindlichkeit. Johannes Paul II.: tragisches gegenseitiges Unverständnis Flammarion: Universum Galilei als Held Richard Fleury: Galilei im Prozeß Galilei als Atlas? Zum Inhalt der Klischees Behauptung einer Divergenz zwischen kirchlichen Dogmen und dem Kopernikanischen System oder anderen naturwissenschaftlichen Theorien, Kirche hätte im Falle Galilei Verstöße gegen Dogmen geahndet. Verbreitung solcher Klischees von Ideologen, aber auch von selbst fehlinformierten Multiplikatoren bis hin zu namhaften Wissenschaftlern in Medien und Schulen, aber sogar auch in Fachbüchern von Einzelwissenschaften Position Johannes Pauls II. fehlgedeutet Es wären erst jetzt Galileis Erkenntnisse durch den Papst offiziell anerkannt worden, wofür die Kirche also 350 Jahre gebraucht hätte. Auch für Papst und Kirche drehe sich nun endlich die Erde auch um die Sonne. Es wäre ein neuer Prozeß gegen Galilei geführt worden, der dann aber mit einem Freispruch enden sollte.