Wie sorgt Deutschland für seine Kinder? Jörg Maywald, 4. Kinder- und Jugendhilfetag Baden-Württemberg, 14.7.2007 Gliederung ___________________________________ Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kindeswohl – was ist das eigentlich? Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Deutschland: Kindergerecht Gliederung ___________________________________ ► Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kindeswohl – was ist das eigentlich? Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Deutschland: Kindergerecht Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kinderrechte sind Menschenrechte _________________________________ Kinder sind Menschen Kinder sind keine kleinen Erwachsenen Kinderrechte sind Menschenrechte für Kinder Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kinderrechte als Normierung von Grundwerten ________________________________ Die in der UN-Kinderrechtskonvention niedergelegten Rechte normieren die Achtung vor den menschlichen Grundwerten in Bezug auf Kinder. Das Kind als (Rechts-)Subjekt Internationale Entwicklungen ________________________________ Ellen Key: Das Jahrhundert des Kindes (1900) (u.a. gleiche Rechte für eheliche und uneheliche Kinder, Recht auf körperliche Unversehrtheit) Janusz Korczak: Magna Charta Libertatis für das Kind Genfer Deklaration des Völkerbundes (1924) („Das Recht des Kindes auf Achtung“) (Verpflichtungen der Erwachsenen gegenüber Kindern) Erweiterte Erklärung zu Kinderrechten der Vereinten Nationen (1959) (Kind als Rechtssubjekt, Appell an guten Willen) Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention durch die Vereinten Nationen (20.11.1989) (Kinder als Träger eigener Rechte, Staatenverpflichtungen) Sondergeneralversammlung der Vereinten Nationen (Weltkindergipfel) (2002) (Internationaler Aktionsplan „A World fit for Children“) Das Kind als (Rechts-)Subjekt UN-Kinderrechtskonvention ___________________________________ Materielle Rechte Schutzrechte (Protection) u.a. Recht auf Schutz: vor Diskriminierung; der Identität; vor Trennung von den Eltern; der Privatsphäre; vor Schädigung durch Medien; vor Gewaltanwendung, Misshandlung und Vernachlässigung; vor sexuellem Missbrauch; vor wirtschaftlicher Ausbeutung; vor Suchtstoffen; vor Entführung; in Strafverfahren; vor Todesstrafe und lebenslanger Freiheitsstrafe; bei bewaffneten Konflikten; von Kinderflüchtlingen; von Minderheiten Förderrechte (Promotion) u.a. Recht auf: Vorrang des Kindeswohls; Leben und Entwicklung; Familienzusammenführung; Versammlungsfreiheit; Zugang zu den Medien; Kontakt mit beiden Eltern; Förderung bei Behinderung; Gesundheitsförderung; Bildung; kulturelle Entfaltung; Ruhe, Freizeit, Spiel und Erholung; Integration geschädigter Kinder Beteiligungsrechte (Participation) u.a. Recht auf: angemessene Berücksichtigung des Kindeswillens; Gehör; freie Meinungsäußerung; Freiheit des Gewissens und der Religion; Informationsbeschaffung und -weitergabe; Nutzung kindgerechter Medien Das Kind als (Rechts-)Subjekt Elternrecht als Elternverantwortung _________________________________ Elternrecht heißt vor allem Elternverantwortung. Diese Verantwortung beinhaltet das Recht und die Pflicht der Eltern, „das Kind bei der Ausübung seiner anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen“. Artikel 5 UN-Kinderrechtskonvention Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kinder sind Menschen von Anfang an __________________________________ Das Kind wird nicht erst ein Mensch, es ist schon einer. Janusz Korczak Gliederung ___________________________________ ► Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kindeswohl – was ist das eigentlich? Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Deutschland: Kindergerecht Kindeswohl – was ist das eigentlich? Vorrang des Kindeswohls _________________________________ Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. (UN-Kinderrechtskonvention Artikel 3, Absatz 1) Kindeswohl – was ist das eigentlich? Rechtliche Orientierungen _________________________________ Kindeswohl als allgemeines Prinzip familienrichterlicher Entscheidungen (§ 1697 a BGB) Kindeswohl als unbestimmter Rechtsbegriff (→ Verweis auf Erkenntnisse der Medizin- und Sozialwissenschaften) Kindeswohl – was ist das eigentlich? Arbeitsdefinition _________________________________ Wohl des Kindes (best interests of the child) Ein am Wohl des Kindes ausgerichtetes Handeln ist dasjenige, welches die an den Grundbedürfnissen und Grundrechten von Kindern orientierte jeweils am wenigsten schädigende Handlungsalternative wählt. Kindeswohl – was ist das eigentlich? Grundbedürfnisse von Kindern _______________________________ Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit, Sicherheit und Regulation Das Bedürfnis nach Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen Das Bedürfnis nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und kultureller Kontinuität Das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft für die Menschheit T. Berry Brazelton und Stanley I. Greenspan 2002 Gliederung ___________________________________ Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kindeswohl – was ist das eigentlich? ► Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Deutschland: Kindergerecht Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Verfahrensrechtliche Vorgaben __________________________________ Das Wohl des Kindes (best interests of the child) ist „ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist“. (Artikel 3, Absatz 1 UN-KRK) Nicht in jedem Fall muss die ein Kind (bzw. Kinder) betreffende Entscheidung dem folgen, was für dieses Kind (bzw. die Kinder) am (aller-)besten ist. Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Abwägungsgebot __________________________________ Es muss erwogen werden, welche positiven und negativen Implikationen eine anstehende Entscheidung für ein Kind hat. (1. Verfahrensschritt) Die auf das Kindeswohl bezogenen Erwägungen müssen in hohem Maße berücksichtigt werden. (2. Verfahrensschritt) Gliederung ___________________________________ Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kindeswohl – was ist das eigentlich? Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz ► Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Deutschland: Kindergerecht Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Von den Bedürfnissen zu den Rechten (1) ____________________________________ Bedürfnis-Ansatz Private Wohltätigkeit Freiwilligkeit Wohlfahrt, Almosen, Wohltätigkeit an Symptomen orientiert Hierarchie der Bedürfnisse Bedürfnisse sind je nach Situation verschieden Bereitstellung von Diensten Festlegung von Bedürfnissen ist subjektiv Kurzzeitperspektive (Stopfen von Löchern) Rechte-Ansatz Öffentliche Verpflichtung Verbindlichkeit gesetzlicher Anspruch: Gleichheit, Gerechtigkeit an Ursachen orientiert Unteilbarkeit der Rechte Rechte sind universell Einforderung von Rechten Rechte basieren auf internationalen Standards Langzeitperspektive Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Von den Bedürfnissen zu den Rechten (2) ___________________________________ Bedürfnis-Ansatz Rechte-Ansatz Kinder erhalten Hilfe Spezifische Projekte mit spezifischen Zielgruppen Kinder können sich beteiligen, um Angebote zu verbessern aufgrund knapper Mittel bleiben manche Kinder außen vor jeder Arbeitsbereich hat sein eigenes Ziel bestimmte Gruppen verfügen über technische Fertigkeiten, mit Kindern umzugehen Kinder haben Anspruch auf Hilfe ganzheitlicher Ansatz Kinder haben ein Recht auf aktive Beteiligung alle Kinder haben das Recht, ihre Potentiale auszuschöpfen es existiert ein übergreifendes Ziel alle Erwachsenen (und Kinder) tragen dazu bei, die Rechte von Kindern umzusetzen Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Prinzipien des Kinderrechteansatzes ___________________________________ Das Prinzip der Unteilbarkeit der Rechte (ganzheitlicher Ansatz; alle Rechte sind gleich wichtig) Das Prinzip der Universalität der Rechte (alle Kinder haben gleiche Rechte) Die vier allgemeinen Prinzipien der Kinderrechtskonvention - Das Recht auf Nicht-Diskriminierung (Artikel 2) - Der Vorrang des Kindeswohls (Artikel 3) - Das Recht auf Leben und bestmögliche Entwicklung (Artikel 6) - Berücksichtigung des Kindeswillens (Artikel 12) Das Prinzip der Kinder als Träger eigener Rechte Das Prinzip der Verantwortungsträger (Familie, Gesellschaft und Politik tragen Verantwortung für die Verwirklichung der Kinderrechte) Quelle: International Save the Children Alliance: Child Rights Programming, London 2002 Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern Umsetzung der Kinderrechte ___________________________________ Kinder über ihre Rechte informieren Eltern und Fachkräfte bilden und unterstützen Kinderrechte in die Einrichtungen für Kinder tragen (z.B. Projekttage Kinderrechte) Alle Programme für und mit Kindern an den Kinderrechten orientieren (Child Rights based approach) Kinderrechte in die Verfassung aufnehmen Einführung eines Wahlrechts von Geburt an Politik und Wirtschaft an den Bedürfnissen und Rechten von Kindern orientieren (Kindergerechtigkeitsprüfung) Gliederung ___________________________________ Das Kind als (Rechts-)Subjekt Kindeswohl – was ist das eigentlich? Vorrang des Kindeswohls als Verfahrensgrundsatz Konsequenzen für die Arbeit mit Kindern ► Deutschland: Kindergerecht Deutschland: Kindergerecht Kindgerechte Gesellschaft __________________________________ Eine kindgerechte Gesellschaft ist eine solche, die fähig ist, in die Zukunft zu blicken, die sich selbst vertraut und die Menschen hat, die mutig anpacken. Eine kindgerechte Gesellschaft ist aber auch auf Nachhaltigkeit oder auf Zukunft hin angelegt. Kinder- und familienfreundliche Gesellschaften denken nicht mit einem kurzen Horizont nur an heute, sondern über die eigene Generation hinaus. Bundeskanzlerin Angela Merkel 2006 Deutschland: Kindergerecht Weltkindergipfel: Aktionsplan ____________________________________ Die Staaten verpflichten sich, einen Nationalen Aktionsplan vorzulegen, in dem „eine Reihe konkreter, termingebundener und messbarer Ziele und Vorgaben enthalten sind. Ziel ist es, „eine kindergerechte Welt zu schaffen, in der die Grundsätze der Demokratie, der Gleichberechtigung, der Nichtdiskriminierung, des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit sowie die Allgemeingültigkeit, Unteilbarkeit und wechselseitige Abhängigkeit und Verknüpfung aller Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Entwicklung, die Grundlage für eine nachhaltige menschliche Entwicklung bilden, die das Wohl des Kindes berücksichtigt.“ (Internationaler Aktionsplan „Für eine kindergerechte Welt“, New York 2002, Ziffer 59). Deutschland: Kindergerecht Nationaler Aktionsplan: Themenfelder __________________________________ Nationaler Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ Chancengerechtigkeit durch Bildung Aufwachsen ohne Gewalt Förderung eines gesunden Lebens und gesunder Umweltbedingungen Beteiligung von Kindern und Jugendlichen Entwicklung eines angemessenen Lebensstandards für alle Kinder Internationale Verpflichtungen Deutschland: Kindergerecht UNICEF: Deutschland nur Mittelmaß __________________________________ Child Poverty in Perspective: An Overview of Child Well-Being in Rich Countries Material well-being (13/21) Health and safety (11/21) Educational well-being (10/21) Family and peer relationship (13/21) Behaviours and risks (11/21) Subjective well-being (9/21) UNICEF 2006 Deutschland: Kindgerechte Kommune Steuerungskreislauf __________________________________ Leitbild Ziele Auswertung Handlungskonzepte Deutschland: Kindgerechte Kommune Strategische Überlegungen __________________________________ Der demographische Wandel fordert Generationengerechtigkeit Demokratie braucht nachwachsende Generation Ressourcenorientierung fördert das Gemeinwesen Familien sind Existenzgründer Benachteiligung und Ausgrenzung von Kindern und Jugendlichen untergraben die Zukunft Kinderrechte sind Menschenrechte Junge Kommune – Strategien für eine zukunftsfähige Gesellschaft Deutschland: Kindgerechte Kommune Eltern mit Kindern als Investoren __________________________________ Kommunen müssen begreifen, dass Eltern mit Kindern als Investoren genauso wichtig sind wie Unternehmen, weil sie die Wirtschaftskraft einer Stadt erheblich positiv beeinflussen können. Hans Bertram 2006 Deutschland: Kindgerecht Nachhaltige Familienpolitik __________________________________ Nachhaltige Familienpolitik benötigt einen intelligenten Policy Mix aus ... Zeitpolitik Infrastrukturpolitik (Chancengerechtigkeit) Politik finanzieller Transferleistungen Deutschland: Kindergerecht Eigenwert des Kindes ___________________________________ An unserer Neigung, Unreife als bloßen Mangel aufzufassen, und Wachstum als etwas, was die Lücke zwischen Unreife und Reife ausfüllt, ist die Tatsache schuld, dass wir den Zustand der Kindheit vergleichend, nicht an sich betrachten. Wir behandeln ihn einfach als mangelhaft, weil wir ihn an der Erwachsenheit als dem festen Maß messen. Das lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Dinge und Eigenschaften, die das Kind nicht hat und nicht haben wird, bis es erwachsen sein wird. Wenn wir den Versuch aufgeben, den Begriff der Unreife durch Vergleich mit den Leistungen Erwachsener zu definieren, müssen wir anerkennen, dass Unreife nicht in einem Fehlen wünschenswerter Züge besteht. (...) Wenn Leben identisch ist mit Wachstum, so lebt ein Geschöpf in einem Stadium seines Lebens genauso wirklich wie in einem anderen, mit der gleichen inneren Fülle und den gleichen Ansprüchen auf Absolutheit John Dewey, Demokratie und Erziehung Deutschland: Kindergerecht Recht und Unrecht ___________________________________ Das Gegenteil von Rechten sind nicht die Pflichten, sondern das Unrecht. Dagegen engagieren wir uns. (Auszug aus einer Pressemitteilung der vier deutschen Kinderdelegierten im Vorfeld des Weltkindergipfels 2002 in New York)