Hessische Stiftung Friedens - Uni

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Berthold Meyer
Die UNO,
Weltfrieden und internationale Sicherheit:
Fiktionen in einer kriegerischen Welt?
Einführungsvorlesung
Philipps-Universität Marburg
14.01.2009
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Peace Research Institute Frankfurt
Übersicht
0. Einführung: Die UNO und der Krieg um Gaza
1. Das System der Vereinten Nationen
2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit
3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion?
4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols – Hilfe für die
UNO oder deren Entmachtung?
5. Gehört die Zukunft der "humanitären Intervention"
und dem "robusten Peace-keeping"?
6. Fazit
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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0. Einführung: Die UNO und der Krieg um Gaza
Quelle: FAZ 5.1.2009
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1. Das System der Vereinten Nationen (1)
Die Vereinten Nationen wurden
gegründet, um „künftige Generationen
von der Geißel des Krieges zu
befreien“ (Präambel der Charta).
Für diesen Zweck wollten die Völker
der Vereinten Nationen ihre Kräfte
vereinen, „um den Weltfrieden und die
internationale Sicherheit zu wahren,
Grundsätze anzunehmen und
Verfahren einzuführen, die
gewährleisten, dass Waffengewalt nur
noch im gemeinsamen Interesse
angewandt wird.“
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (1)
Der SR ist das wichtigste Organ der
UNO.
Aufgaben in Kap. V geregelt.
5 ständige Mitglieder (USA, Russland,
Großbritannien, Frankreich und die VR
China) und 10 nichtständige Mitglieder (im
zweijährigen Wechsel unter
Berücksichtigung einer angemessenen
geographischen Verteilung von der GV
gewählt).
Verfahrensbeschlüsse des SR bedürfen der
Mehrheit von 9 Stimmen. Beschlüsse über
inhaltliche Fragen ebenfalls, doch dann
Veto-Möglichkeit der Ständigen Mitglieder.
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (2)
• Nach Art. 24 hat der SR schnelles
und wirksames Handeln der UN
bei der Wahrung des
Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit zu
gewährleisten.
Er soll laut Art. 1, 1. „wirksame Kollektivmaßnahmen … treffen, um
Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale
Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen
könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit
und des Völkerrechts zu beseitigen oder beizulegen.“
Konflikte im Inneren von Staaten sind damit nicht angesprochen.
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (3)
• Art. 2, 4 : „Alle Mitglieder unterlassen
in ihren internationalen Beziehungen
jede gegen die territoriale
Unversehrtheit oder die politische
Unabhängigkeit eines Staates
gerichtete... Androhung oder
Anwendung von Gewalt.“
Art. 2, 7: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der VN zum Eingreifen
in Angelegenheit, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit
eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche
Angelegenheiten einer Regelung aufgrund der Charta zu unterwerfen,
nicht abgeleitet werden.“
Allerdings „Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII wird
durch diesen Grundsatz nicht berührt.“
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (4)
In Fällen der Friedensgefährdung
(Kap. VI) oder einer bereits
eingetretenen Verletzung der
Friedenspflicht durch Friedensbruch
oder Aggression (Kap. VII) hat der
Sicherheitsrat und nur dieser eine
zwingende Befugnis Sanktionen oder
militärische Zwangsmaßnahmen
anzuordnen, sonst gibt auch er nur
Empfehlungen ab.
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2. 2 Kap. VI Friedensgefährdung
• Kap. VI, Art. 33 geht davon aus, dass die Konfliktparteien sich
zunächst selbst bemühen, ihren Konflikt durch Verhandlung,
Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch,
gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler
Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche
Mittel eigener Wahl beizulegen.
• Jeder Mitgliedstaat und auch Nicht-Mitgliedstaaten können einen
Fall vor den Sicherheitsrat bringen, damit dieser ihn untersucht.
• Der Sicherheitsrat kann einen Fall auch von sich aus an sich ziehen
und er kann in jedem Stadium nach Art. 36, 1 Verfahren und
Methoden für die Beilegung empfehlen.
• Nach Art. 38 kann er, wenn die Streitparteien dies beantragen,
auch Empfehlungen zur Streitbeilegung abgeben.
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2. 3 Kap. VII Friedensbruch (1)
• In Kap. VII stellt der Sicherheitsrat fest, ob eine Bedrohung
oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung
vorliegt. Nun kann er nach Art. 40 Empfehlungen abgeben oder
vorläufige Maßnahmen ergreifen oder beschließen, welche
Maßnahmen aufgrund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind.
• Nach Artikel 41 sind dies Zwangsmaßnahmen wie
Wirtschaftssanktionen, Unterbrechungen des Eisenbahn-, Seeund Luftverkehrs oder das Einfrieren von Vermögenswerten
eines Landes im Ausland, jedoch keine Waffengewalt.
• Erst wenn diese als unzulänglich angesehen werden, kann nach
Art. 42 Waffengewalt gegen ein Land angewandt werden.
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2. 3 Kap. VII Friedensbruch (2)
Ob Maßnahmen nach Art. 41 etwas bewirken, ist zweifelhaft.
1. Ein Wirtschaftsembargo funktioniert nur dann, wenn alle
anderen Staaten sich daran halten, so dass der davon betroffene
Staat keine Schlupflöcher findet.
2. Es kann nur dann wirken, wenn dieser Staat auf bestimmte
Lieferungen aus dem Ausland angewiesen, also nicht autark ist.
3. Es dauert es selbst wenn alle mitspielen, erfahrungsgemäß viele
Monate, wenn nicht gar mehrere Jahre, bis es wirkt.
4. Ein Wirtschaftsembargo trifft meist zuerst die Bevölkerung und
erst wesentlich später, wenn überhaupt, die herrschende Klasse.
Was wirken kann, ist ein Waffenembargo oder das Einfrieren
von Auslandsvermögen oder das Unterbinden von Flugreisen
für einen bestimmten Personenkreis in und aus einem solchen Land.
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Beispiel Iran
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (1)
• Nach Daniel Frei ist „kollektive Sicherheit“ ein nach innen wirkender
Sanktionsmechanismus: „Das Wesen der kollektiven Sicherheit
[...] liegt darin, dass dieses System zwar mit dem Krieg rechnet und
auch bereit ist, gegen Widerspenstige [...] einen gerechten Krieg zu
führen. Aber man setzt dabei offenbar stillschweigend voraus, dass
es gar nicht zu einem solchen Strafkrieg im Namen der
Völkergemeinschaft kommen werde, sondern dass bereits die
Aussicht auf einen solchen den potentiellen Rechtsbrecher
abschrecken werde.“
• Solche Vorstellungen standen bei der Gründung der UNO Pate. Wenn
der SR zur Auffassung gelangt, dass die in Art. 41 vorgesehenen
friedlichen Sanktionen „unzulänglich sein würden oder sich als
unzulänglich erwiesen haben", ist es ihm und nur ihm erlaubt, „mit
Luft-, See- oder Landstreitkräften" militärische Sanktionsmaßnahmen
durchzuführen (Art. 42).
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (2)
Diese völkerrechtliche Kompetenzzuschreibung ist in Verbindung mit
dem Gewaltverbot im zwischenstaatlichen Verhalten nach Art. 2, 4
konstitutiv für das Selbstverständnis der UNO als System kollektiver
Sicherheit.
Im Gedanken der kollektiven Sicherheit sieht
E. O. Czempiel einen fundamentalen
theoriegeschichtlichen Fortschritt,
der allerdings einen "Konstruktionsfehler" hat:
"Das Prinzip kann nur funktionieren,
wenn es nicht gebraucht wird;
wird es gebraucht, funktioniert es nicht.
Kollektive Sicherheit beruht auf einem Mythos."
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (3)
Milder ausgedrückt: Soweit und solange ein potentieller
Friedensbrecher an das Funktionieren des in der UN-Charta
beschriebenen Systems kollektiver Sicherheit (SKS) glaubt,
lässt er sich von ihm abschrecken. Sobald er aber das
System herausfordert, zeigt sich, dass der Sicherheitsrat
keine Strafexpedition auf den Weg schicken kann, weil ihm
keine eigenen Truppen zur Verfügung stehen.
Denn obwohl „alle Mitglieder“ sich nach Art. 43 zu
Sonderabkommen mit dem Sicherheitsrat verpflichtet haben,
in denen sie ihm „auf sein Ersuchen Streitkräfte zur
Verfügung stellen“, ist nicht ein Staat dem seit 1945
nachgekommen. Deshalb stand der Sicherheitsrat, wann
immer es angebracht gewesen wäre, Art. 42 anzuwenden,
vor der Frage, woher er denn die Bataillone nehmen sollte,
die er gebraucht hätte.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (4)
Dieser Missstand lässt die Rede vom „Gewaltmonopol“ der
UNO als graue Theorie erscheinen. In ihrer Praxis trug er mit
dazu bei, dass die in Art. 42 genannten Instrumente von der
Weltorganisation in ihrer sechzigjährigen Geschichte nicht
angewandt wurden, obwohl es immer wieder zu
Friedensbrüchen kam.
Ein noch stärkeres Hindernis stellte die gängige Übung der
Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates dar, jedes Mal dann
von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen und damit
Entscheidungen dieses Organs zu blockieren, wenn es um
Konflikte ging, in die sie selbst oder wichtige Verbündete
involviert waren. Nach einem Rückgang ab 1990 hat sich die
Zahl der Vetos in den letzten Jahren wieder vergrößert.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (5)
Resultieren die Misserfolge aus einem Konstruktionsfehler?
Czempiel zufolge wäre dieser Konstruktionsfehler, dass sie
insgesamt dem Modell des Staatenbundes mit
wechselseitigen Besitzstandsgarantien (Art. 1 und 2)
entspricht, während der Sicherheitsrat nach dem Modell des
europäischen Mächtekonzerts strukturiert ist.
Oder kann kollektive Sicherheit aufgrund der
unterschiedlichen Machtverteilung zwischen den Staaten
überhaupt nicht funktionieren?
Um dies zu beurteilen, ist nach den formalen Normen und
Regeln zu fragen, die einem SKS satzungsmäßig vorzugeben
wären, um wenigstens eine Minimaleffizienz zu
gewährleisten.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (6)
Erwin Müller zufolge scheiterten frühere Versuche
eines Systems kollektiver Sicherheit (SKS)
durchgängig an der Frage nach möglichst
vorbehaltloser militärischer Beistandsleistung für das
Opfer eines Angriffs.
„Man könnte sagen, dass kollektive Sicherheit schon
deshalb eine Chimäre sei, weil sie ihren Kardinal- und
Gründungszweck nicht zu erfüllen imstande ist.“
Es gibt dafür objektive wie subjektive Gründe:
Die objektiven Hindernisse zu überwinden ist eine Frage der
Satzung und der Ausstattung des SKS mit Machtmitteln.
Die Systemloyalität der Staaten hänge hingegen davon ab, wie
sehr „sie ihm die Garantie ihrer Sicherheit zutrauen und damit
auch gewillt sind, den Preis oder die Prämie für diese
Systemleistungen zu zahlen“.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (7)
1. Die formal zugesagte Systemleistung muss alle
relevanten Sicherheitsbedürfnisse abdecken, sonst
werden sicherheitspolitische Alternativen gesucht.
2. das System muss imstande sein, die zugesagten
Sicherheitsleistungen zu erbringen, nicht zuletzt
durch die Beistandsakte seiner Teilnehmer. Dazu
müssen diese von seinen Merkmalen auf seine
Erfolgschancen schließen können.
„Das SKS muss alle vitalen Sicherheitsinteressen der Beteiligten
normativ abdecken und materiell zu ihrer Gewährleistung imstande
sein.“
Es darf folglich nichts versprechen, „was es nicht halten kann,
etwa die Sicherung gegen eine Macht, die stärker ist als die
Systemstaaten zusammen, oder gegen einen Staat, den die
Systemmitglieder im Sinne der Machtprojektion militärisch gar
nicht erreichen können.“
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (8)
Kann ein SKS dann funktionieren,
wenn der Friedensbrecher über Nuklearwaffen verfügt?
Alle fünf Ständigen Mitglieder sind
Atommächte. Daher wäre jede von ihnen
auch ohne Vetorecht nur dann in ein
solches System zu integrieren, wenn sie
bereit wäre, auf die konventionelle
Aggression einer anderen Atommacht
notfalls mit der Eskalation bis zum
Atomschlag zu antworten.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (9)
Dagegen steht jedoch die
Selbstabschreckung.
Dies erlaubt den Schluss, dass die
UNO unilaterale konventionelle
Militärinterventionen von
Atommächten
nicht sanktionieren kann.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (1)
Beispiele von Ermächtigungen durch die UNO:
• Aktion zur militärischen Befreiung des vom Irak besetzten
Kuwaits 1990;
• Russland in Georgien 1992;
• Frankreich in Ruanda 1994;
• NATO zur Durchsetzung des Friedensabkommens für
Bosnien und Herzegovina 1995 ff.;
• USA in Somalia 1992/93, in Haiti 1993-96 und nach dem
11. 9. 2001 in Afghanistan.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (2)
In dieser neuen Tendenz der
Instrumentalisierung der VN durch die
fünf Vetomächte des Sicherheitsrates
sieht Volker Rittberger ein „privates
(Gewalt-) Monopol“:
Zwangsmaßnahmen werden an Allianzen
oder an Hegemonialmächte delegiert, die
weniger als Sachwalter des Weltfriedens
denn aus eigenem Interesse bereit sind,
diese zu exekutieren.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (3)
Solche Aufgabenübertragungen sind aufgrund der niemals
eingelösten Selbstverpflichtungen nach Art. 43 aus der
militärischen Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates zu
erklären.
Rechtsgrundlage für Kooperation mit Regionalorganisationen:
Kapitel VIII der VN-Charta, das regionalen Abmachungen
gewidmet ist. Art. 53, 1, Satz 1 spricht von deren
Inanspruchnahme durch den Sicherheitsrat.
Satz 2 enthält Verbot, ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats
Zwangsmaßnahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder
seitens regionaler Einrichtungen zu ergreifen
= Schranke gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen durch
Einzelstaaten oder „coalitions of the willing“.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (4)
Aber: Golfkriegsallianz wie auch Anti-Terror-Allianz berufen
sich nicht auf Art. 53, sondern auf Art. 51, demzufolge „im
Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied ... das
naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven
Selbstverteidigung“ nicht durch die anderen Regeln der
Charta beeinträchtigt wird.
Allerdings heißt es dort weiter, und dies ist wichtig, dies
gelte solange, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung
des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit
erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“.
Vor dem zweiten Golfkrieg hätte genügend Zeit bestanden,
um die Truppenkontingente der Mächte, die sich zu der
damaligen Anti-Saddam-Hussein-Koalition
zusammenfanden, über Sonderabkommen nach Art. 43
dem Sicherheitsrat zu unterstellen.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (5)
Dies wurde jedoch gar nicht erst versucht. USA sind nicht
Willens, ihre Truppen einem nichtamerikanischen
Oberbefehlshaber anzuvertrauen.
Deshalb greifen sie zum Ausweg nach Art. 51, obwohl sie
vom Sicherheitsrat geführte Einsätze, wenn sie ihnen nicht
genehm wären, auch mit ihrem Veto stoppen könnten.
Fortwährende Anwendungspraxis dieses Artikels, der als
eine Interimsregelung gedacht war, birgt Gefahr, das auf
die Einzelstaaten gemünzte Gewaltverbot zu unterhöhlen
und damit der kollektiven Selbstverteidigung in der
Praxis den Platz zukommen zu lassen, den die UNO-Charta
der gegenseitigen kollektiven Sicherheit einräumen wollte.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (6)
UNO-Charta hat unter dem Stichwort „Kollektive Sicherheit“
nur zwischenstaatliche Konflikte im Blick. Doch die weitaus
meisten gewaltsamen Auseinandersetzungen sind heute
innerstaatlicher Art. Wenn dort dem Morden Einhalt geboten
werden soll, ist das nach der UN-Charta äußerst schwierig.
Beispiel Kosovo-Konflikt (1998/99): Sicherheitsrat hatte kein
Mandat für eine Intervention nach Art. 42 gegen Jugoslawien
erteilt. Daher kam keine Berufung auf Art. 51 infrage, denn
dessen Angriff richtete sich nicht gegen ein anderes Mitglied
der UNO, sondern gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung.
UNO gab keine Ermächtigung einer regionalen Einrichtung
nach Art. 53. Liegt also beim Eingreifen der NATO eine
Selbstmandatierung des Bündnisses vor?
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (7)
Schließlich: Eine Folge beider Arten der Privatisierung des
Gewaltmonopols ist, dass Konflikte, die für die Ständigen
Mitglieder nicht von mehr oder weniger vitalem Interesse
sind, von der UNO bestenfalls mit wohlklingenden
Ermahnungen bedacht werden, jedoch nur sehr schwer mit
Peace keeping Truppen.
Aktuelles Beispiel dafür ist
Sudan.
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5. Peace Keeping (1)
Gehört die Zukunft der „humanitärenIntervention“
und dem „robusten Peace-keeping“?
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© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
Der Fischer Weltalmanach 2009: 596f.
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5. Peace Keeping (3)
Für friedenserhaltende
Operationen hat sich
nach 1956 der Begriff
der Blauhelm-Missionen
eingebürgert. Für sie gab
es in der Charta selbst
keine Grundlage.
Blauhelm-Missionen haben als
reine Friedenstruppen
zur Absicherung von
Waffenstillständen, als militärische
Beobachtermissionen und nichtmilitärischen Beobachtermissionen
eine weithin unwidersprochene
Legitimation erfahren,
so dass sie 1988 unter
allgemeinem Beifall mit dem
Friedensnobelpreis geehrt wurden.
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5. Peace Keeping (4)
Seither hat sich das Bild dieser Einsätze stark verändert.
Bis dahin wurden sie nach einem Waffenstillstand im Konsens
mit den Konfliktparteien aufgestellt, waren für sie Neutralität,
offenes Auftreten und höchstens eine leichte Bewaffnung zur
Selbstverteidigung selbstverständlich.
Ab Anfang der 1990er Jahre erhöhte sich die Zahl der
Einsätze und der beteiligten Soldaten (Erster Höchststand
von 77.783 Personen im Dezember 1994).
2008: 74.569 Soldaten, 2.517 Militärbeobachter, 11.330
Polizisten und 5.187 internationale Zivilexperten (ohne ISAF
und KFOR).
Änderung der Einsatzvoraussetzungen. „Robuste“ Mandate.
Blauhelme geraten nicht nur in die Schusslinien der
Konfliktparteien, sondern auch in die der öffentlichen Kritik.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace Keeping (5)
Ist die UNO zu „humanitären Interventionen“ berechtigt?
Anhaltspunkte in der Charta: Art. 1, 2 und Art. 55 sprechen
vom Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker. Art. 55
erklärt außerdem, die Vereinten Nationen förderten die
„allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte“.
Darüber hinaus sind von der UNO seit dieser Zeit verschiedene
Menschenrechtspakte verabschiedet worden.
Um in Fällen grober Menschenrechtsverletzungen bis hin zum
Völkermord „humanitäre Interventionen“ zu erlauben, musste
der Sicherheitsrat das aus der Souveränität der
Mitgliedstaaten abgeleitete Interventionsverbot zu umgehen.
Als Weichenstellung hierfür gilt die Resolution 688/1991 zur
Situation der im Nordirak vertriebenen Kurden.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace Keeping (6)
Das völkerrechtliche wie das praktische Problem „robuster
Mandate“ besteht darin, Blauhelm-Einsätze so zu
mandatieren,
– dass sie als Maßnahmen im Rahmen des Kapitels VII
und nicht nur des Kapitels VI der VN-Charta auf den
Weg gebracht
– und mit geeigneten Mitteln zu ihrer bewaffneten
Durchsetzung ausgestattet werden.
Die Blauhelme sollen also nicht nur ihr eigenes Leben
gegen Waffengewalt verteidigen, sondern auch die
Erfüllung ihres humanitären Auftrages durchsetzen
können, ohne dabei Kriegspartei zu werden.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace Keeping (7)
Blauhelme sollen „trotz eventueller
Kampfhandlungen im Prinzip in der Rolle des
neutralen Dritten und Vermittlers zwischen den
Konfliktparteien“ bleiben.
Selektiver Einsatz militärischer Gewalt dürfe
nicht mit Kampfeinsätzen im Rahmen
traditioneller Kriegführung gleichgesetzt werden,
„weder was die Einsatzform noch was ihre
Dynamik betrifft! Nicht Sieg ist ihr Ziel, sondern
die Aufrechterhaltung des Friedens- und
Verhandlungsprozesses und der dafür
notwendigen Voraussetzungen.“
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
Winrich Kühne
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5. Peace Keeping (8)
„Zweifellos verlangt der Verzicht auf Sieg und
Vernichtung eine beträchtliche mentale
Umstellung der üblicherweise auf diese Ziele
ausgebildeten Offiziere und Soldaten. Diese
Umstellung gelang bei den traditionellen
Blauhelmeinsätzen. Sie sollte auch im Hinblick
auf das robuste Peace-keeping möglich sein.“
Winrich Kühne
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace Keeping (9)
Veränderung der militärischen Einsatzbedingungen:
Truppenkontingente müssen größer und stärker bewaffnet
sein und sind dadurch eher der Gefahr ausgesetzt, selbst
angegriffen oder als Geiseln genommen zu werden.
Bei robusten Mandaten besteht die Gefahr der Eskalation
und für die entsendenden Nationen die Notwendigkeit,
Truppen zum Nachschieben bereitzuhalten.
Um diese Risiken einzugrenzen, muss der Sicherheitsrat
das Mandat völkerrechtlich klar verankern und den
politischen Auftrag wie den militärischen
Durchführungsmodus inhaltlich überzeugend formulieren.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace Keeping (10)
Grunddilemmata humanitärer Einsätze bleiben bestehen.
1. Spannung zwischen staatlichen Souveränitätsvorbehalten und
dem Anrecht auf Selbstbestimmung der Minderheit,
2. Entscheidungsmonopol des Sicherheitsrates bei potentiellen
Lahmlegung durch einzelne Vetomächte,
3. Neigung der USA zum Unilateralismus, in dessen Rahmen die
UNO nur noch dann vorkommt, wenn es darum geht, sich den
Rücken für Alleingänge freihalten zu lassen.
4. Folge: Insbesondere in der Zeit der Bush jr. Administration
wurden die für das Zusammenleben der Völker bewährten
Regeln des Völkerrechts durch eine von den USA vorgelebte
Praxis, die Nachahmung bei anderen mächtigen Mächten findet,
immer öfter ausgehebelt.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace Keeping (10)
Beispiele für unterschiedliche Konstellationen:
1. Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999: von der NATO
koordiniert, primär aber von den USA geführt.
2. „Anti-Terror-Krieg“ im Herbst 2001: NATO rief zwar
Verteidigungsfall aus, doch die USA schmiedeten aufgrund
bilateraler Vereinbarungen eine „coalition of the willing“.
3. Auch direkte UN-Einsätze und militärische Interventionen
aufgrund einer Ermächtigung durch die UNO kommen fast nur
dann zustande, wenn die USA bereit sind, sich ideell oder
personell zu engagieren.
Wenn USA die Rolle des Weltpolizisten übernehmen, hat dies
zur Folge, dass letztlich deren Präsident und Kongress
entscheiden, wo auf dieser Welt Menschenrechte geschützt
werden und wo das Risiko für die eigenen boys zu hoch ist.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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5. Peace keeping (11)
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
41
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Fazit (1)
Sind Weltfrieden und internationale Sicherheit eine Fiktion
in einer kriegerischen Welt?
Zwar ist diese Welt kriegerisch
und die Menschen werden
immer in Konflikten leben.
Aber diese müssen keineswegs
mit Waffengewalt austragen,
sondern können auch friedlich
geregelt werden.
Grund dafür, dass die UNO nur
begrenzt in der Lage ist, ein
friedliches Miteinander zu
„Die UNO kann nie stärker sein,
fördern, ist in der Struktur der als ihre Mitglieder sie machen
Vereinten Nationen selbst zu
wollen.“ (Klaus Kinkel)
suchen.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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Fazit (2)
Kinkels Argument ist richtig, aber es gibt Mitglieder, die
sich sehr für eine starke UNO engagieren und andere, die
selbst darüber entscheiden möchten, wann die UNO stark
ist und wann nicht.
Dies gilt prinzipiell für alle fünf Vetomächte, ganz
besonders aber für die USA, die mit 22 % auch noch der
größte Beitragszahler ist, wenn sie denn zahlen.
Ihre finanziellen Erpressungen sind ein weiteres Beispiel
dafür, dass die USA sich nicht in das UN-System
integrieren wollen, sondern versuchen, sie als ein
Instrument ihrer eigenen Weltpolitik zu gestalten. Und dies
widerspricht dem Credo, das aus den ersten Worten der
Charta spricht: „We the peoples of the United Nations“.
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
© Berthold Meyer, PRIF / HSFK
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