Berthold Meyer Die UNO, Weltfrieden und internationale Sicherheit: Fiktionen in einer kriegerischen Welt? Einführungsvorlesung Philipps-Universität Marburg 14.01.2009 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt Übersicht 0. Einführung: Die UNO und der Krieg um Gaza 1. Das System der Vereinten Nationen 2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols – Hilfe für die UNO oder deren Entmachtung? 5. Gehört die Zukunft der "humanitären Intervention" und dem "robusten Peace-keeping"? 6. Fazit © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 2 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 0. Einführung: Die UNO und der Krieg um Gaza Quelle: FAZ 5.1.2009 © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 3 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 1. Das System der Vereinten Nationen (1) Die Vereinten Nationen wurden gegründet, um „künftige Generationen von der Geißel des Krieges zu befreien“ (Präambel der Charta). Für diesen Zweck wollten die Völker der Vereinten Nationen ihre Kräfte vereinen, „um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren, Grundsätze anzunehmen und Verfahren einzuführen, die gewährleisten, dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewandt wird.“ © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 4 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 5 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (1) Der SR ist das wichtigste Organ der UNO. Aufgaben in Kap. V geregelt. 5 ständige Mitglieder (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und die VR China) und 10 nichtständige Mitglieder (im zweijährigen Wechsel unter Berücksichtigung einer angemessenen geographischen Verteilung von der GV gewählt). Verfahrensbeschlüsse des SR bedürfen der Mehrheit von 9 Stimmen. Beschlüsse über inhaltliche Fragen ebenfalls, doch dann Veto-Möglichkeit der Ständigen Mitglieder. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 6 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (2) • Nach Art. 24 hat der SR schnelles und wirksames Handeln der UN bei der Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit zu gewährleisten. Er soll laut Art. 1, 1. „wirksame Kollektivmaßnahmen … treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten und zu beseitigen, Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu beseitigen oder beizulegen.“ Konflikte im Inneren von Staaten sind damit nicht angesprochen. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 7 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (3) • Art. 2, 4 : „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete... Androhung oder Anwendung von Gewalt.“ Art. 2, 7: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der VN zum Eingreifen in Angelegenheit, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder, solche Angelegenheiten einer Regelung aufgrund der Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden.“ Allerdings „Die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kap. VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“ © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 8 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (4) In Fällen der Friedensgefährdung (Kap. VI) oder einer bereits eingetretenen Verletzung der Friedenspflicht durch Friedensbruch oder Aggression (Kap. VII) hat der Sicherheitsrat und nur dieser eine zwingende Befugnis Sanktionen oder militärische Zwangsmaßnahmen anzuordnen, sonst gibt auch er nur Empfehlungen ab. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 9 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. 2 Kap. VI Friedensgefährdung • Kap. VI, Art. 33 geht davon aus, dass die Konfliktparteien sich zunächst selbst bemühen, ihren Konflikt durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder durch andere friedliche Mittel eigener Wahl beizulegen. • Jeder Mitgliedstaat und auch Nicht-Mitgliedstaaten können einen Fall vor den Sicherheitsrat bringen, damit dieser ihn untersucht. • Der Sicherheitsrat kann einen Fall auch von sich aus an sich ziehen und er kann in jedem Stadium nach Art. 36, 1 Verfahren und Methoden für die Beilegung empfehlen. • Nach Art. 38 kann er, wenn die Streitparteien dies beantragen, auch Empfehlungen zur Streitbeilegung abgeben. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 10 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. 3 Kap. VII Friedensbruch (1) • In Kap. VII stellt der Sicherheitsrat fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Nun kann er nach Art. 40 Empfehlungen abgeben oder vorläufige Maßnahmen ergreifen oder beschließen, welche Maßnahmen aufgrund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind. • Nach Artikel 41 sind dies Zwangsmaßnahmen wie Wirtschaftssanktionen, Unterbrechungen des Eisenbahn-, Seeund Luftverkehrs oder das Einfrieren von Vermögenswerten eines Landes im Ausland, jedoch keine Waffengewalt. • Erst wenn diese als unzulänglich angesehen werden, kann nach Art. 42 Waffengewalt gegen ein Land angewandt werden. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 11 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 2. 3 Kap. VII Friedensbruch (2) Ob Maßnahmen nach Art. 41 etwas bewirken, ist zweifelhaft. 1. Ein Wirtschaftsembargo funktioniert nur dann, wenn alle anderen Staaten sich daran halten, so dass der davon betroffene Staat keine Schlupflöcher findet. 2. Es kann nur dann wirken, wenn dieser Staat auf bestimmte Lieferungen aus dem Ausland angewiesen, also nicht autark ist. 3. Es dauert es selbst wenn alle mitspielen, erfahrungsgemäß viele Monate, wenn nicht gar mehrere Jahre, bis es wirkt. 4. Ein Wirtschaftsembargo trifft meist zuerst die Bevölkerung und erst wesentlich später, wenn überhaupt, die herrschende Klasse. Was wirken kann, ist ein Waffenembargo oder das Einfrieren von Auslandsvermögen oder das Unterbinden von Flugreisen für einen bestimmten Personenkreis in und aus einem solchen Land. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 12 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt Beispiel Iran © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 13 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (1) • Nach Daniel Frei ist „kollektive Sicherheit“ ein nach innen wirkender Sanktionsmechanismus: „Das Wesen der kollektiven Sicherheit [...] liegt darin, dass dieses System zwar mit dem Krieg rechnet und auch bereit ist, gegen Widerspenstige [...] einen gerechten Krieg zu führen. Aber man setzt dabei offenbar stillschweigend voraus, dass es gar nicht zu einem solchen Strafkrieg im Namen der Völkergemeinschaft kommen werde, sondern dass bereits die Aussicht auf einen solchen den potentiellen Rechtsbrecher abschrecken werde.“ • Solche Vorstellungen standen bei der Gründung der UNO Pate. Wenn der SR zur Auffassung gelangt, dass die in Art. 41 vorgesehenen friedlichen Sanktionen „unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben", ist es ihm und nur ihm erlaubt, „mit Luft-, See- oder Landstreitkräften" militärische Sanktionsmaßnahmen durchzuführen (Art. 42). © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 14 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (2) Diese völkerrechtliche Kompetenzzuschreibung ist in Verbindung mit dem Gewaltverbot im zwischenstaatlichen Verhalten nach Art. 2, 4 konstitutiv für das Selbstverständnis der UNO als System kollektiver Sicherheit. Im Gedanken der kollektiven Sicherheit sieht E. O. Czempiel einen fundamentalen theoriegeschichtlichen Fortschritt, der allerdings einen "Konstruktionsfehler" hat: "Das Prinzip kann nur funktionieren, wenn es nicht gebraucht wird; wird es gebraucht, funktioniert es nicht. Kollektive Sicherheit beruht auf einem Mythos." © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 15 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (3) Milder ausgedrückt: Soweit und solange ein potentieller Friedensbrecher an das Funktionieren des in der UN-Charta beschriebenen Systems kollektiver Sicherheit (SKS) glaubt, lässt er sich von ihm abschrecken. Sobald er aber das System herausfordert, zeigt sich, dass der Sicherheitsrat keine Strafexpedition auf den Weg schicken kann, weil ihm keine eigenen Truppen zur Verfügung stehen. Denn obwohl „alle Mitglieder“ sich nach Art. 43 zu Sonderabkommen mit dem Sicherheitsrat verpflichtet haben, in denen sie ihm „auf sein Ersuchen Streitkräfte zur Verfügung stellen“, ist nicht ein Staat dem seit 1945 nachgekommen. Deshalb stand der Sicherheitsrat, wann immer es angebracht gewesen wäre, Art. 42 anzuwenden, vor der Frage, woher er denn die Bataillone nehmen sollte, die er gebraucht hätte. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 16 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (4) Dieser Missstand lässt die Rede vom „Gewaltmonopol“ der UNO als graue Theorie erscheinen. In ihrer Praxis trug er mit dazu bei, dass die in Art. 42 genannten Instrumente von der Weltorganisation in ihrer sechzigjährigen Geschichte nicht angewandt wurden, obwohl es immer wieder zu Friedensbrüchen kam. Ein noch stärkeres Hindernis stellte die gängige Übung der Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates dar, jedes Mal dann von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen und damit Entscheidungen dieses Organs zu blockieren, wenn es um Konflikte ging, in die sie selbst oder wichtige Verbündete involviert waren. Nach einem Rückgang ab 1990 hat sich die Zahl der Vetos in den letzten Jahren wieder vergrößert. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 17 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (5) Resultieren die Misserfolge aus einem Konstruktionsfehler? Czempiel zufolge wäre dieser Konstruktionsfehler, dass sie insgesamt dem Modell des Staatenbundes mit wechselseitigen Besitzstandsgarantien (Art. 1 und 2) entspricht, während der Sicherheitsrat nach dem Modell des europäischen Mächtekonzerts strukturiert ist. Oder kann kollektive Sicherheit aufgrund der unterschiedlichen Machtverteilung zwischen den Staaten überhaupt nicht funktionieren? Um dies zu beurteilen, ist nach den formalen Normen und Regeln zu fragen, die einem SKS satzungsmäßig vorzugeben wären, um wenigstens eine Minimaleffizienz zu gewährleisten. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 18 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (6) Erwin Müller zufolge scheiterten frühere Versuche eines Systems kollektiver Sicherheit (SKS) durchgängig an der Frage nach möglichst vorbehaltloser militärischer Beistandsleistung für das Opfer eines Angriffs. „Man könnte sagen, dass kollektive Sicherheit schon deshalb eine Chimäre sei, weil sie ihren Kardinal- und Gründungszweck nicht zu erfüllen imstande ist.“ Es gibt dafür objektive wie subjektive Gründe: Die objektiven Hindernisse zu überwinden ist eine Frage der Satzung und der Ausstattung des SKS mit Machtmitteln. Die Systemloyalität der Staaten hänge hingegen davon ab, wie sehr „sie ihm die Garantie ihrer Sicherheit zutrauen und damit auch gewillt sind, den Preis oder die Prämie für diese Systemleistungen zu zahlen“. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 19 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (7) 1. Die formal zugesagte Systemleistung muss alle relevanten Sicherheitsbedürfnisse abdecken, sonst werden sicherheitspolitische Alternativen gesucht. 2. das System muss imstande sein, die zugesagten Sicherheitsleistungen zu erbringen, nicht zuletzt durch die Beistandsakte seiner Teilnehmer. Dazu müssen diese von seinen Merkmalen auf seine Erfolgschancen schließen können. „Das SKS muss alle vitalen Sicherheitsinteressen der Beteiligten normativ abdecken und materiell zu ihrer Gewährleistung imstande sein.“ Es darf folglich nichts versprechen, „was es nicht halten kann, etwa die Sicherung gegen eine Macht, die stärker ist als die Systemstaaten zusammen, oder gegen einen Staat, den die Systemmitglieder im Sinne der Machtprojektion militärisch gar nicht erreichen können.“ © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 20 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (8) Kann ein SKS dann funktionieren, wenn der Friedensbrecher über Nuklearwaffen verfügt? Alle fünf Ständigen Mitglieder sind Atommächte. Daher wäre jede von ihnen auch ohne Vetorecht nur dann in ein solches System zu integrieren, wenn sie bereit wäre, auf die konventionelle Aggression einer anderen Atommacht notfalls mit der Eskalation bis zum Atomschlag zu antworten. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 21 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (9) Dagegen steht jedoch die Selbstabschreckung. Dies erlaubt den Schluss, dass die UNO unilaterale konventionelle Militärinterventionen von Atommächten nicht sanktionieren kann. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 22 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (1) Beispiele von Ermächtigungen durch die UNO: • Aktion zur militärischen Befreiung des vom Irak besetzten Kuwaits 1990; • Russland in Georgien 1992; • Frankreich in Ruanda 1994; • NATO zur Durchsetzung des Friedensabkommens für Bosnien und Herzegovina 1995 ff.; • USA in Somalia 1992/93, in Haiti 1993-96 und nach dem 11. 9. 2001 in Afghanistan. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 23 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (2) In dieser neuen Tendenz der Instrumentalisierung der VN durch die fünf Vetomächte des Sicherheitsrates sieht Volker Rittberger ein „privates (Gewalt-) Monopol“: Zwangsmaßnahmen werden an Allianzen oder an Hegemonialmächte delegiert, die weniger als Sachwalter des Weltfriedens denn aus eigenem Interesse bereit sind, diese zu exekutieren. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 24 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (3) Solche Aufgabenübertragungen sind aufgrund der niemals eingelösten Selbstverpflichtungen nach Art. 43 aus der militärischen Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates zu erklären. Rechtsgrundlage für Kooperation mit Regionalorganisationen: Kapitel VIII der VN-Charta, das regionalen Abmachungen gewidmet ist. Art. 53, 1, Satz 1 spricht von deren Inanspruchnahme durch den Sicherheitsrat. Satz 2 enthält Verbot, ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats Zwangsmaßnahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder seitens regionaler Einrichtungen zu ergreifen = Schranke gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen durch Einzelstaaten oder „coalitions of the willing“. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 25 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (4) Aber: Golfkriegsallianz wie auch Anti-Terror-Allianz berufen sich nicht auf Art. 53, sondern auf Art. 51, demzufolge „im Falle eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied ... das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung“ nicht durch die anderen Regeln der Charta beeinträchtigt wird. Allerdings heißt es dort weiter, und dies ist wichtig, dies gelte solange, „bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“. Vor dem zweiten Golfkrieg hätte genügend Zeit bestanden, um die Truppenkontingente der Mächte, die sich zu der damaligen Anti-Saddam-Hussein-Koalition zusammenfanden, über Sonderabkommen nach Art. 43 dem Sicherheitsrat zu unterstellen. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 26 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (5) Dies wurde jedoch gar nicht erst versucht. USA sind nicht Willens, ihre Truppen einem nichtamerikanischen Oberbefehlshaber anzuvertrauen. Deshalb greifen sie zum Ausweg nach Art. 51, obwohl sie vom Sicherheitsrat geführte Einsätze, wenn sie ihnen nicht genehm wären, auch mit ihrem Veto stoppen könnten. Fortwährende Anwendungspraxis dieses Artikels, der als eine Interimsregelung gedacht war, birgt Gefahr, das auf die Einzelstaaten gemünzte Gewaltverbot zu unterhöhlen und damit der kollektiven Selbstverteidigung in der Praxis den Platz zukommen zu lassen, den die UNO-Charta der gegenseitigen kollektiven Sicherheit einräumen wollte. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 27 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (6) UNO-Charta hat unter dem Stichwort „Kollektive Sicherheit“ nur zwischenstaatliche Konflikte im Blick. Doch die weitaus meisten gewaltsamen Auseinandersetzungen sind heute innerstaatlicher Art. Wenn dort dem Morden Einhalt geboten werden soll, ist das nach der UN-Charta äußerst schwierig. Beispiel Kosovo-Konflikt (1998/99): Sicherheitsrat hatte kein Mandat für eine Intervention nach Art. 42 gegen Jugoslawien erteilt. Daher kam keine Berufung auf Art. 51 infrage, denn dessen Angriff richtete sich nicht gegen ein anderes Mitglied der UNO, sondern gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung. UNO gab keine Ermächtigung einer regionalen Einrichtung nach Art. 53. Liegt also beim Eingreifen der NATO eine Selbstmandatierung des Bündnisses vor? © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 28 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (7) Schließlich: Eine Folge beider Arten der Privatisierung des Gewaltmonopols ist, dass Konflikte, die für die Ständigen Mitglieder nicht von mehr oder weniger vitalem Interesse sind, von der UNO bestenfalls mit wohlklingenden Ermahnungen bedacht werden, jedoch nur sehr schwer mit Peace keeping Truppen. Aktuelles Beispiel dafür ist Sudan. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 29 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (1) Gehört die Zukunft der „humanitärenIntervention“ und dem „robusten Peace-keeping“? © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 30 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt © Berthold Meyer, PRIF / HSFK Der Fischer Weltalmanach 2009: 596f. 31 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (3) Für friedenserhaltende Operationen hat sich nach 1956 der Begriff der Blauhelm-Missionen eingebürgert. Für sie gab es in der Charta selbst keine Grundlage. Blauhelm-Missionen haben als reine Friedenstruppen zur Absicherung von Waffenstillständen, als militärische Beobachtermissionen und nichtmilitärischen Beobachtermissionen eine weithin unwidersprochene Legitimation erfahren, so dass sie 1988 unter allgemeinem Beifall mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurden. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 32 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (4) Seither hat sich das Bild dieser Einsätze stark verändert. Bis dahin wurden sie nach einem Waffenstillstand im Konsens mit den Konfliktparteien aufgestellt, waren für sie Neutralität, offenes Auftreten und höchstens eine leichte Bewaffnung zur Selbstverteidigung selbstverständlich. Ab Anfang der 1990er Jahre erhöhte sich die Zahl der Einsätze und der beteiligten Soldaten (Erster Höchststand von 77.783 Personen im Dezember 1994). 2008: 74.569 Soldaten, 2.517 Militärbeobachter, 11.330 Polizisten und 5.187 internationale Zivilexperten (ohne ISAF und KFOR). Änderung der Einsatzvoraussetzungen. „Robuste“ Mandate. Blauhelme geraten nicht nur in die Schusslinien der Konfliktparteien, sondern auch in die der öffentlichen Kritik. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 33 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (5) Ist die UNO zu „humanitären Interventionen“ berechtigt? Anhaltspunkte in der Charta: Art. 1, 2 und Art. 55 sprechen vom Grundsatz der Selbstbestimmung der Völker. Art. 55 erklärt außerdem, die Vereinten Nationen förderten die „allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte“. Darüber hinaus sind von der UNO seit dieser Zeit verschiedene Menschenrechtspakte verabschiedet worden. Um in Fällen grober Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Völkermord „humanitäre Interventionen“ zu erlauben, musste der Sicherheitsrat das aus der Souveränität der Mitgliedstaaten abgeleitete Interventionsverbot zu umgehen. Als Weichenstellung hierfür gilt die Resolution 688/1991 zur Situation der im Nordirak vertriebenen Kurden. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 34 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (6) Das völkerrechtliche wie das praktische Problem „robuster Mandate“ besteht darin, Blauhelm-Einsätze so zu mandatieren, – dass sie als Maßnahmen im Rahmen des Kapitels VII und nicht nur des Kapitels VI der VN-Charta auf den Weg gebracht – und mit geeigneten Mitteln zu ihrer bewaffneten Durchsetzung ausgestattet werden. Die Blauhelme sollen also nicht nur ihr eigenes Leben gegen Waffengewalt verteidigen, sondern auch die Erfüllung ihres humanitären Auftrages durchsetzen können, ohne dabei Kriegspartei zu werden. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 35 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (7) Blauhelme sollen „trotz eventueller Kampfhandlungen im Prinzip in der Rolle des neutralen Dritten und Vermittlers zwischen den Konfliktparteien“ bleiben. Selektiver Einsatz militärischer Gewalt dürfe nicht mit Kampfeinsätzen im Rahmen traditioneller Kriegführung gleichgesetzt werden, „weder was die Einsatzform noch was ihre Dynamik betrifft! Nicht Sieg ist ihr Ziel, sondern die Aufrechterhaltung des Friedens- und Verhandlungsprozesses und der dafür notwendigen Voraussetzungen.“ © Berthold Meyer, PRIF / HSFK Winrich Kühne 36 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (8) „Zweifellos verlangt der Verzicht auf Sieg und Vernichtung eine beträchtliche mentale Umstellung der üblicherweise auf diese Ziele ausgebildeten Offiziere und Soldaten. Diese Umstellung gelang bei den traditionellen Blauhelmeinsätzen. Sie sollte auch im Hinblick auf das robuste Peace-keeping möglich sein.“ Winrich Kühne © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 37 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (9) Veränderung der militärischen Einsatzbedingungen: Truppenkontingente müssen größer und stärker bewaffnet sein und sind dadurch eher der Gefahr ausgesetzt, selbst angegriffen oder als Geiseln genommen zu werden. Bei robusten Mandaten besteht die Gefahr der Eskalation und für die entsendenden Nationen die Notwendigkeit, Truppen zum Nachschieben bereitzuhalten. Um diese Risiken einzugrenzen, muss der Sicherheitsrat das Mandat völkerrechtlich klar verankern und den politischen Auftrag wie den militärischen Durchführungsmodus inhaltlich überzeugend formulieren. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 38 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (10) Grunddilemmata humanitärer Einsätze bleiben bestehen. 1. Spannung zwischen staatlichen Souveränitätsvorbehalten und dem Anrecht auf Selbstbestimmung der Minderheit, 2. Entscheidungsmonopol des Sicherheitsrates bei potentiellen Lahmlegung durch einzelne Vetomächte, 3. Neigung der USA zum Unilateralismus, in dessen Rahmen die UNO nur noch dann vorkommt, wenn es darum geht, sich den Rücken für Alleingänge freihalten zu lassen. 4. Folge: Insbesondere in der Zeit der Bush jr. Administration wurden die für das Zusammenleben der Völker bewährten Regeln des Völkerrechts durch eine von den USA vorgelebte Praxis, die Nachahmung bei anderen mächtigen Mächten findet, immer öfter ausgehebelt. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 39 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace Keeping (10) Beispiele für unterschiedliche Konstellationen: 1. Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999: von der NATO koordiniert, primär aber von den USA geführt. 2. „Anti-Terror-Krieg“ im Herbst 2001: NATO rief zwar Verteidigungsfall aus, doch die USA schmiedeten aufgrund bilateraler Vereinbarungen eine „coalition of the willing“. 3. Auch direkte UN-Einsätze und militärische Interventionen aufgrund einer Ermächtigung durch die UNO kommen fast nur dann zustande, wenn die USA bereit sind, sich ideell oder personell zu engagieren. Wenn USA die Rolle des Weltpolizisten übernehmen, hat dies zur Folge, dass letztlich deren Präsident und Kongress entscheiden, wo auf dieser Welt Menschenrechte geschützt werden und wo das Risiko für die eigenen boys zu hoch ist. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 40 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt 5. Peace keeping (11) © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 41 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt Fazit (1) Sind Weltfrieden und internationale Sicherheit eine Fiktion in einer kriegerischen Welt? Zwar ist diese Welt kriegerisch und die Menschen werden immer in Konflikten leben. Aber diese müssen keineswegs mit Waffengewalt austragen, sondern können auch friedlich geregelt werden. Grund dafür, dass die UNO nur begrenzt in der Lage ist, ein friedliches Miteinander zu „Die UNO kann nie stärker sein, fördern, ist in der Struktur der als ihre Mitglieder sie machen Vereinten Nationen selbst zu wollen.“ (Klaus Kinkel) suchen. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 42 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt Fazit (2) Kinkels Argument ist richtig, aber es gibt Mitglieder, die sich sehr für eine starke UNO engagieren und andere, die selbst darüber entscheiden möchten, wann die UNO stark ist und wann nicht. Dies gilt prinzipiell für alle fünf Vetomächte, ganz besonders aber für die USA, die mit 22 % auch noch der größte Beitragszahler ist, wenn sie denn zahlen. Ihre finanziellen Erpressungen sind ein weiteres Beispiel dafür, dass die USA sich nicht in das UN-System integrieren wollen, sondern versuchen, sie als ein Instrument ihrer eigenen Weltpolitik zu gestalten. Und dies widerspricht dem Credo, das aus den ersten Worten der Charta spricht: „We the peoples of the United Nations“. © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 43 Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung Peace Research Institute Frankfurt Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! © Berthold Meyer, PRIF / HSFK 44