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Hessische Stiftung Friedens- und
Konfliktforschung
Peace Research Institute Frankfurt
Berthold Meyer
Die UNO,
Weltfrieden und internationale Sicherheit:
Fiktionen in einer kriegerischen Welt?
Einführungsvorlesung
Philipps-Universität Marburg
15.01.2008
Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung
Peace Research Institute Frankfurt
Die Vereinten Nationen wurden gegründet,
um „künftige Generationen von der Geißel
des Krieges zu befreien“ (Präambel der
Charta).
Für diesen Zweck wollten die Völker der
Vereinten Nationen ihre Kräfte vereinen,
„um den Weltfrieden und die internationale
Sicherheit zu wahren, Grundsätze
anzunehmen und Verfahren einzuführen,
die gewährleisten, dass Waffengewalt nur
noch im gemeinsamen Interesse angewandt
wird.“
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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Übersicht
1.
Das System der Vereinten Nationen
2.
Der Sicherheitsrat und seine Arbeit
3.
Kollektive Sicherheit – eine Fiktion?
4.
Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols – Hilfe für die UNO
oder deren Entmachtung?
5.
Gehört die Zukunft der "humanitären Intervention" und dem
"robusten Peace-keeping"?
6. Fazit
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (1)
Der SR ist das wichtigste Organ der UNO.
Aufgaben in Kap. V geregelt. 5 ständige Mitgl.
(USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und
die VR China) und 10 nichtständige Mitgl. (im
zweijährigen Wechsel unter Berücksichtigung einer
angemessenen geographischen Verteilung von der
GV gewählt). 2008: Belgien, Indonesien, Italien,
Panama und Südafrika (bis Ende 2008) sowie
Burkina Faso, Costa Rica, Kroatien, Libyen und
Vietnam (bis Ende 2009).
Beschlüsse des SR über Verfahrensfragen bedürfen
der Mehrheit von 9 Stimmen. Beschlüsse über
inhaltliche Fragen ebenfalls, doch dann VetoMöglichkeit der Ständigen Mitglieder.
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (2)
Nach Art. 24 hat der Sicherheitsrat die Aufgabe,
schnelles und wirksames Handeln der UN bei der
Wahrung des Weltfriedens und der internationalen
Sicherheit zu gewährleisten.
Zu diesem Zweck soll er laut Art. 1, 1. „wirksame
Kollektivmaßnahmen … treffen, um Bedrohungen des
Friedens zu verhüten und zu beseitigen,
Angriffshandlungen und andere Friedensbrüche zu
unterdrücken und internationale Streitigkeiten oder
Situationen, die zu einem Friedensbruch führen
könnten, durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen
der Gerechtigkeit und des Völkerrechts zu beseitigen
oder beizulegen.“
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (3)
An Konflikte im Inneren von Staaten wurde damals
noch nicht gedacht.
Art. 2, 4: „Alle Mitglieder unterlassen … jede gegen
die territoriale Unversehrtheit oder die politische
Unabhängigkeit eines Staates gerichtete...
Androhung oder Anwendung von Gewalt.“
Art 2, 7: „Aus dieser Charta kann eine Befugnis der
VN zum Eingreifen in Angelegenheit, die ihrem
Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates
gehören, oder eine Verpflichtung der Mitglieder,
solche Angelegenheiten einer Regelung aufgrund
der Charta zu unterwerfen, nicht abgeleitet werden;
die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Kap.
VII wird durch diesen Grundsatz nicht berührt.“
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2. Der Sicherheitsrat und seine Arbeit (4)
In Fällen der Friedensgefährdung (Kap. VI)
oder einer bereits eingetretenen Verletzung
der Friedenspflicht durch Friedensbruch
oder Aggression (Kap. VII) hat der
Sicherheitsrat und nur dieser eine zwingende
Befugnis Sanktionen oder militärische
Zwangsmaßnahmen anzuordnen, sonst gibt
auch er nur Empfehlungen ab.
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2. 2 Kap. VI Friedensgefährdung
• Kap. VI, Art. 33 geht davon aus, dass die Konfliktparteien sich zunächst
selbst bemühen, ihren Konflikt durch Verhandlung, Untersuchung,
Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung,
Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen oder
durch andere friedliche Mittel eigener Wahl beizulegen.
• Jeder Mitgliedstaat und auch Nicht-Mitgliedstaaten können einen Fall
vor den Sicherheitsrat bringen, damit dieser ihn untersucht.
• Der Sicherheitsrat kann einen Fall auch von sich aus an sich ziehen und
er kann in jedem Stadium nach Art. 36, 1 Verfahren und Methoden für
die Beilegung empfehlen.
• Nach Art. 38 kann er, wenn die Streitparteien dies beantragen, auch
Empfehlungen zur Streitbeilegung abgeben.
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2. 3 Kap. VII Friedensbruch (1)
• In Kap. VII stellt der Sicherheitsrat fest, ob eine Bedrohung oder ein
Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt. Nun kann
er nach Art. 40 Empfehlungen abgeben oder vorläufige Maßnahmen
ergreifen oder beschließen, welche Maßnahmen aufgrund der Artikel
41 und 42 zu treffen sind.
• Nach Artikel 41 sind dies Zwangsmaßnahmen wie
Wirtschaftssanktionen, Unterbrechungen des Eisenbahn-, See- und
Luftverkehrs oder das Einfrieren von Vermögenswerten eines Landes
im Ausland, jedoch keine Waffengewalt.
• Erst wenn diese als unzulänglich angesehen werden, kann nach Art.
42 Waffengewalt gegen ein Land angewandt werden.
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2. 3 Kap. VII Friedensbruch (2)
Ob Maßnahmen nach Art. 41 etwas bewirken, ist zweifelhaft.
1. Ein Wirtschaftsembargo funktioniert nur dann, wenn alle anderen
Staaten sich daran halten, so dass der davon betroffene Staat keine
Schlupflöcher findet.
2. Es kann nur dann wirken, wenn dieser Staat auf bestimmte
Lieferungen aus dem Ausland angewiesen, also nicht autark ist.
3. Es dauert es selbst wenn alle mitspielen, erfahrungsgemäß viele
Monate, wenn nicht gar mehrere Jahre, bis es wirkt.
4. Ein Wirtschaftsembargo trifft meist zuerst die Bevölkerung und erst
wesentlich später, wenn überhaupt, die herrschende Klasse.
Was wirken kann, ist ein Waffenembargo oder das Einfrieren von
Auslandsvermögen oder das Unterbinden von Flugreisen für einen
bestimmten Personenkreis in und aus einem solchen Land.
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Beispiel Iran
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (1)
• Nach Daniel Frei ist „kollektive Sicherheit“ ein nach innen wirkender
Sanktionsmechanismus: „Das Wesen der kollektiven Sicherheit [...] liegt
darin, dass dieses System zwar mit dem Krieg rechnet und auch bereit ist,
gegen Widerspenstige [...] einen gerechten Krieg zu führen. Aber man
setzt dabei offenbar stillschweigend voraus, dass es gar nicht zu einem
solchen Strafkrieg im Namen der Völkergemeinschaft kommen werde,
sondern dass bereits die Aussicht auf einen solchen den potentiellen
Rechtsbrecher abschrecken werde.“
• Solche Vorstellungen standen bei der Gründung der UNO Pate. Wenn der
SR zur Auffassung gelangt, dass die in Art. 41 vorgesehenen friedlichen
Sanktionen „unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen
haben", ist es ihm und nur ihm erlaubt, „mit Luft-, See- oder Landstreitkräften" militärische Sanktionsmaßnahmen durchzuführen (Art. 42).
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (2)
3 Gründe der Legitimität eines SKS:
1. Es liegt im gleichen Interesse aller
Beteiligten.
2. Es ist nicht ausschließlich auf
militärische Mittel fixiert, sondern
schließt zivile Mechanismen der
Krisenprävention und
Konfliktbearbeitung ein.
3. Es beschränkt sich auf die Garantie der
äußeren Bedingungen, welche die
positive Verwirklichung eines gerechten
Friedens erst möglich machen.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (3)
Diese völkerrechtliche Kompetenzzuschreibung ist in Verbindung mit dem
Gewaltverbot im zwischenstaatlichen Verhalten nach Art. 2, 4 konstitutiv
für das Selbstverständnis der UNO als System kollektiver Sicherheit.
Im Gedanken der kollektiven Sicherheit sieht
E. O. Czempiel einen fundamentalen
theoriegeschichtlichen Fortschritt,
der allerdings einen "Konstruktionsfehler" hat:
"Das Prinzip kann nur funktionieren,
wenn es nicht gebraucht wird;
wird es gebraucht, funktioniert es nicht.
Kollektive Sicherheit beruht auf einem Mythos."
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (4)
Soweit und solange ein potentieller Friedensbrecher an das
Funktionieren des in der UN-Charta beschriebenen Systems kollektiver
Sicherheit (SKS) glaubt, lässt er sich von ihm abschrecken. Sobald er aber
das System herausfordert, zeigt sich, dass der Sicherheitsrat keine
Strafexpedition auf den Weg schicken kann, weil ihm keine eigenen
Truppen zur Verfügung stehen.
Grund: „Alle Mitglieder“ haben sich nach Art. 43 zu Sonderabkommen
mit dem Sicherheitsrat verpflichtet, in denen sie ihm „auf sein Ersuchen
Streitkräfte zur Verfügung stellen“. Aber nicht ein Staat ist dem seit 1945
nachgekommen.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (5)
Dieser Missstand trug mit dazu bei, dass die in Art. 42
genannten Instrumente von der Weltorganisation in ihrer
sechzigjährigen Geschichte nicht angewandt wurden, obwohl
es immer wieder zu Friedensbrüchen kam.
Ein noch stärkeres Hindernis stellte die gängige Übung der
Ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates dar, jedes Mal dann
von ihrem Vetorecht Gebrauch zu machen und damit
Entscheidungen dieses Organs zu blockieren. Nach einem
Rückgang ab 1990 hat sich die Zahl der Vetos in den letzten
Jahren wieder vergrößert.
Der zum Jahresende 2006 ausgeschiedene US-Botschafter
John Bolton erhielt gar den Spitznamen „Mr. Veto“.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (6)
Ist es aber wirklich nur ein Konstruktionsfehler der UNO, dass sie als
SKS keine Erfolge aufweisen kann?
Czempiel zufolge wäre dieser Konstruktionsfehler, dass sie insgesamt
dem Modell des Staatenbundes mit wechselseitigen
Besitzstandsgarantien (Art. 1 und 2) entspricht, während der
Sicherheitsrat nach dem Modell des europäischen Mächtekonzerts
strukturiert ist.
Oder kann kollektive Sicherheit aufgrund der unterschiedlichen
Machtverteilung zwischen den Staaten überhaupt nicht funktionieren?
Um dies zu beurteilen, ist nach den formalen Normen und Regeln zu
fragen, die einem SKS satzungsmäßig vorzugeben wären, um wenigstens
eine Minimaleffizienz zu gewährleisten.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (7)
Dem Hamburger Friedensforscher Erwin Müller zufolge scheiterten
frühere Versuche eines Systems kollektiver Sicherheit (SKS) immer
wieder an der Frage der vorbehaltlosen militärischen Beistandsleistung
für das Opfer eines Angriffs.
„Man könnte sagen, kollektive Sicherheit ist schon deshalb eine
Chimäre, weil sie ihren Kardinal- und Gründungszweck nicht zu
erfüllen imstande ist.“
Es gibt dafür objektive wie subjektive Gründe:
Die objektiven Hindernisse zu überwinden ist eine Frage der Satzung
und der Ausstattung des SKS mit Machtmitteln.
Die Systemloyalität der Staaten hänge hingegen davon ab, wie sehr „sie
ihm die Garantie ihrer Sicherheit zutrauen und damit auch gewillt sind,
den Preis oder die Prämie für diese Systemleistungen zu zahlen“.
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (8)
Zum einen muss die formal zugesagte Systemleistung alle relevanten
Sicherheitsbedürfnisse abdecken, sonst werden sicherheitspolitische
Alternativen gesucht.
Zum anderen muss das System auch imstande sein, die zugesagten
Sicherheitsleistungen zu erbringen, nicht zuletzt durch die Beistandsakte
seiner Teilnehmer. Ein SKS sei deshalb so auszustatten, dass von seinen
Merkmalen auf seine Erfolgschance geschlossen werden könne.
„Das SKS muss alle vitalen Sicherheitsinteressen der Beteiligten normativ
abdecken und materiell zu ihrer Gewährleistung imstande sein.“
Es könne folglich nichts versprechen, „was es nicht halten kann, etwa die
Sicherung gegen eine Macht, die stärker ist als die Systemstaaten
zusammen, oder gegen einen Staat, den die Systemmitglieder im Sinne der
Machtprojektion militärisch gar nicht erreichen können.“
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3. Kollektive Sicherheit – eine Fiktion? (9)
Daher ist zu fragen, ob ein
SKS dann funktionieren kann,
wenn der Friedensbrecher
über Nuklearwaffen verfügt.
Da alle fünf Ständigen Mitglieder Atommächte
sind, wäre jede von ihnen auch ohne Vetomacht
nur dann in ein solches System zu integrieren,
wenn sie bereit wäre, auf die konventionelle
Aggression einer anderen Atommacht notfalls
mit der Eskalation bis zum Atomschlag zu
antworten.
Dagegen steht jedoch die Selbstabschreckung.
Dies erlaubt den Schluss, dass unilaterale
konventionelle Militärinterventionen von
Atommächten von der UNO nicht sanktioniert
werden – können.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (1)
Beispiele von Ermächtigungen durch die UNO:
•
•
•
•
•
Aktion zur militärischen Befreiung des vom Irak
besetzten Kuwaits;
Russland in Georgien;
Frankreich in Ruanda;
NATO zur Durchsetzung des Friedensabkommens für
Bosnien und Herzegovina;
USA in Somalia, in Haiti und nach dem 11. 9. 2001 in
Afghanistan.
In dieser neuen Tendenz der Instrumentalisierung der VN durch die fünf
Vetomächte des Sicherheitsrates sieht Volker Rittberger ein „privates
(Gewalt-) Monopol“: Zwangsmaßnahmen werden an Allianzen oder an
Hegemonialmächte delegiert, die weniger als Sachwalter des Weltfriedens
denn aus eigenem Interesse bereit sind, diese zu exekutieren.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (2)
Kapitel VIII der VN-Charta ist regionalen Abmachungen gewidmet. Es
ist Rechtsgrundlage für die Kooperation mit Regionalorganisationen.
Dabei spricht Art. 53, 1, Satz 1 allerdings von deren Inanspruchnahme
durch den Sicherheitsrat.
In Satz 2 folgt sogar das Verbot, ohne Ermächtigung des Sicherheitsrats
Zwangsmaßnahmen auf Grund regionaler Abmachungen oder seitens
regionaler Einrichtungen zu ergreifen. Dieses lässt sich auch als Schranke
gegen eigenmächtige Zwangsmaßnahmen durch Einzelstaaten oder
„coalitions of the willing“ interpretieren.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (3)
Art. 51 gibt den Mitgliedern „im Falle eines bewaffneten Angriffs
gegen ein Mitglied ... das naturgegebene Recht zur individuellen oder
kollektiven Selbstverteidigung“, das nicht durch die anderen Regeln
der Charta beeinträchtigt wird.
Allerdings heißt es dort weiter, und dies ist wichtig, dies gelte solange,
„bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat“.
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (4)
• UNO-Charta hat unter dem Stichwort „Kollektive Sicherheit“ nur
zwischenstaatliche Konflikte im Blick. Doch die weitaus meisten
gewaltsamen Auseinandersetzungen sind heute innerstaatlicher Art. Wenn
in solchen Fällen von der Völkergemeinschaft dem Morden Einhalt
geboten werden soll, ist das nach der UN-Charta äußerst schwierig.
• Beispiel Kosovo-Konflikt (1998/99): Nachdem der Sicherheitsrat kein
Mandat für eine Intervention nach Art. 42 gegen Jugoslawien erteilt hatte,
kam auch keine Berufung auf Art. 51 infrage, da sich der Angriff nicht
gegen ein anderes Mitglied der UNO, sondern gegen einen Teil der
eigenen Bevölkerung richtete. Es kam auch zu keiner Ermächtigung einer
regionalen Einrichtung nach Art. 53.
• Liegt also beim Eingreifen der NATO eine Selbstmandatierung des
Bündnisses vor?
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4. Die „Privatisierung“ des Gewaltmonopols (7)
Schließlich: Eine Folge beider Arten der Privatisierung des Gewaltmonopols
ist, dass Konflikte, die für die Ständigen Mitglieder nicht von mehr oder
weniger vitalem Interesse sind, von der UNO bestenfalls mit wohlklingenden
Ermahnungen bedacht werden, jedoch nur sehr schwer mit Peace keeping
Truppen.
Aktuelles Beispiel dafür ist Sudan.
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5. Peace Keeping (1)
Gehört die Zukunft der „humanitären Intervention“ und
dem „robusten Peace-keeping“?
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5. Peace Keeping (2)
Für friedenserhaltende Operationen hat
sich nach 1956 der Begriff der BlauhelmMissionen eingebürgert. Hierfür gab es
in der Charta keine Grundlage.
Blauhelm-Missionen haben als reine
Friedenstruppen zur Absicherung von
Waffenstillständen, als militärische
Beobachtermissionen und nichtmilitärischen Beobachtermissionen eine
weithin unwidersprochene Legitimation
erfahren, so dass sie 1988 unter
allgemeinem Beifall mit dem
Friedensnobelpreis geehrt wurden.
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5. Peace Keeping (3)
Seither hat sich das Bild dieser Einsätze stark verändert.
Bis dahin wurden sie nach einem Waffenstillstand im Konsens mit den
Konfliktparteien aufgestellt, waren für sie Neutralität, offenes Auftreten
und höchstens eine leichte Bewaffnung zur Selbstverteidigung
selbstverständlich.
Ab Anfang der 1990er Jahre erhöhte sich die Zahl der Einsätze und der
beteiligten Soldaten dramatisch bis zu einem ersten Höchststand von
77.783 Personen im Dezember 1994.
2007: 70.492 Soldaten, 2.506 Militärbeobachter, 9.413 Polizisten und
4.494 internationale Zivilexperten (ohne ISAF und KFOR).
Dabei änderten sich auch die Einsatzvoraussetzungen. Dadurch
gerieten die Blauhelme nicht nur in die Schusslinien der
Konfliktparteien, sondern auch in die der öffentlichen Kritik.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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5. Peace Keeping (5)
Ist die UNO überhaupt zu „humanitären Interventionen“ berechtigt?
Anhaltspunkte dafür: Art. 1, 2 und Art. 55 „ Grundsatz der
Selbstbestimmung der Völker“.
Art. 55 erklärt außerdem, die Vereinten Nationen förderten die
„allgemeine Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte“.
Darüber hinaus sind von der UNO seit dieser Zeit verschiedene
Menschenrechtspakte verabschiedet worden.
Weichenstellung für „humanitäre Interventionen“ in Fällen grober
Menschenrechtsverletzungen bis hin zum Völkermord : Resolution
688/1991 zur Situation der im Nordirak vertriebenen Kurden.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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5. Peace Keeping (6)
• Blauhelm-Einsätze mit „robusten Mandaten“ müssen so
mandatiert werden,
– dass sie als Maßnahmen im Rahmen des Kapitels VII und
nicht nur des Kapitels VI der VN-Charta auf den Weg gebracht
– und mit geeigneten Mitteln zu ihrer bewaffneten Durchsetzung
ausgestattet werden.
• Die Blauhelme sollen also nicht nur ihr eigenes Leben gegen
Waffengewalt verteidigen, sondern auch die Erfüllung ihres
humanitären Auftrages durchsetzen können, ohne dabei
Kriegspartei zu werden.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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5. Peace Keeping (7)
Blauhelme sollen „trotz eventueller Kampfhandlungen im
Prinzip in der Rolle des neutralen Dritten und Vermittlers
zwischen den Konfliktparteien“ bleiben.
Ihr selektiver Einsatz militärischer Gewalt dürfe nicht mit
Kampfeinsätzen im Rahmen traditioneller Kriegführung
gleichgesetzt werden, „weder was die Einsatzform noch was
ihre Dynamik betrifft! Nicht Sieg ist ihr Ziel, sondern die
Aufrechterhaltung des Friedens- und Verhandlungsprozesses
und der dafür notwendigen Voraussetzungen.“
„Zweifellos verlangt der Verzicht auf Sieg und Vernichtung eine
beträchtliche mentale Umstellung der üblicherweise auf diese
Ziele ausgebildeten Offiziere und Soldaten. Diese Umstellung
gelang bei den traditionellen Blauhelmeinsätzen. Sie sollte auch
im Hinblick auf das robuste Peace-keeping möglich sein.“
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
Winrich Kühne
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5. Peace Keeping (8)
Darüber hinaus verändern sich die militärischen Einsatzbedingungen:
Die Truppenkontingente müssen größer und stärker bewaffnet sein
und sind dadurch eher der Gefahr ausgesetzt, selbst angegriffen oder
als Geiseln genommen zu werden.
Bei robusten Mandaten besteht die Gefahr der Eskalation und für die
entsendenden Nationen die Notwendigkeit, Truppen zum
Nachschieben bereitzuhalten.
Um diese Risiken einzugrenzen, muss der Sicherheitsrat das Mandat
völkerrechtlich klar verankern und den politischen Auftrag wie den
militärischen Durchführungsmodus inhaltlich überzeugend
formulieren.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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5. Peace Keeping (9)
Humanitäre Einsätze mögen dazu geeignet sein, die Handlungsfähigkeit der UNO
zu verbessern, doch ihre Grunddilemmata bleiben bestehen. Sie ergeben sich in
Fällen fortwährender Verletzungen von Menschen- und Minderheitenrechten
1. aus der Spannung zwischen staatlichen Souveränitätsvorbehalten und dem
Anrecht auf Selbstbestimmung der Minderheit,
2. aus dem Entscheidungsmonopol des Sicherheitsrates und seiner potentiellen
Lahmlegung durch einzelne Vetomächte,
3. aus der Neigung der USA zum Unilateralismus, in dessen Rahmen die UNO nur
noch dann vorkommt, wenn es darum geht, sich den Rücken für Alleingänge
freihalten zu lassen.
4. Das führt dazu, dass die für das Zusammenleben der Völker bewährten Regeln
des Völkerrechts durch eine von den USA vorgelebte Praxis, die Nachahmung bei
anderen mächtigen Mächten findet, immer öfter ausgehebelt werden.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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5. Peace Keeping (10)
Beispiele für unterschiedliche Konstellationen:
1. Luftkrieg gegen Jugoslawien 1999: von der NATO koordiniert, primär
aber von den USA geführt.
2. „Anti-Terror-Krieg“ im Herbst 2001: NATO rief zwar Verteidigungsfall
aus, doch die USA schmiedeten aufgrund bilateraler Vereinbarungen eine
„coalition of the willing“.
3. Auch direkte UN-Einsätze und militärische Interventionen aufgrund
einer Ermächtigung durch die UNO kommen fast nur dann zustande,
wenn die USA bereit sind, sich ideell oder personell zu engagieren.
Wenn die Vereinigten Staaten die Rolle des gefragt oder ungefragt
einschreitenden Weltpolizisten übernehmen, hat dies zur Folge, dass
letztlich deren Präsident und Kongress entscheiden, wo auf dieser Welt
Menschenrechte geschützt werden und wo das Risiko für die eigenen boys
zu hoch ist.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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Fazit (1)
Sind Weltfrieden und internationale
Sicherheit eine Fiktion in einer
kriegerischen Welt?
Zwar ist diese Welt kriegerisch und
die Menschen werden immer in
Konflikten miteinander leben. Aber
diese müssen keineswegs mit
Waffengewalt austragen, sondern
können auch friedlich geregelt
werden.
Doch der Grund dafür, dass die UNO
nur begrenzt in der Lage ist,
internationale Sicherheit und ein
friedliches Miteinander zu fördern, „Die UNO kann nie stärker sein,
als ihre Mitglieder sie machen wollen.“
ist in der Struktur der Vereinten
(Klaus Kinkel)
Nationen selbst zu suchen.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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Fazit (2)
Kinkels Argument ist richtig, aber es gibt Mitglieder, die sich sehr
für eine starke UNO engagieren und andere, die selbst darüber
entscheiden möchten, wann die UNO stark ist und wann nicht.
Dies gilt prinzipiell für alle fünf Vetomächte, ganz besonders aber
für die USA, die mit 22 % auch noch der größte Beitragszahler ist,
wenn sie denn zahlen.
Ihre finanziellen Erpressungen sind ein weiteres Beispiel dafür,
dass die USA sich nicht in das UN-System integrieren wollen,
sondern versuchen, sie als ein Instrument ihrer eigenen Weltpolitik
zu gestalten. Und dies widerspricht dem Credo, das aus den ersten
Worten der Charta spricht: „We the peoples of the United
Nations“.
© Berthold Meyer, HSFK/ PRIF
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