11 Bundesrat Die Rolle des Bundesrates im außenpolitischen

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11 Bundesrat
 Die Rolle des Bundesrates im außenpolitischen Entscheidungsprozeß variiert mit den Mehrheitsverhältnissen.
Wenn diese vom Bundestag abweichen, wie es bei den Grundsatzentscheidungen über die West- und Ostverträge der Fall war, dann gewinnt der
Bundesrat erheblich an Bedeutung.
In beiden Fällen hat die Opposition ihre Position im Bundesrat allerdings nur
mit aufschiebender Wirkung zur Geltung bringen können.
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 Die Entscheidungsqualität der Länderkammer für die
Außenpolitik ist umstritten.
Die jeweilige Opposition hat versucht, sie als eine Art Zweite Kammer
neben dem Bundestag zu interpretieren.
Die Regierung und der Bundestag sprachen dem Bundesrat diese Qualität
jeweils ab.
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 Der Parlamentarische Rat hatte sich für ein unechtes
Zweikammer-System entschieden, das Einspruchs- und
Zustimmungsgesetze vorsah.
Damit hatte sich das Bundesstaats- oder Parteienstaatssystem gegenüber
dem föderativen System durchgesetzt.
Konkret hieß dies, dass der Bundesrat dem Bundestag generell, also erst
recht in außenpolitischen Fragen nachgeordnet war.
Diese Auffassung wurde vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 25.06.1974 bestätigt:
„Nach der Regelung des GG ist der BR nicht eine Zweite Kammer eines
einheitlichen Gesetzgebungsorgans, die gleichwertig mit der Ersten
Kammer entscheidend am Gesetzgebungsverfahren beteiligt wäre.“
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 Die Mitwirkung des Bundesrates in außenpolitischen Fragen
findet auf der Grundlage von drei Kompetenzen statt:
1. Nach Artikel 59,2 Grundgesetz bei internationalen Verträgen im normalen
Gesetzgebungsverfahren: „Verträge, welche die politischen Beziehungen
des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung
beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die
Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines
Bundesgesetzes.“
2. Nach Artikel 79,1 u. 2 wirkt der Bundesrat bei Kriegs- und Friedensschlüssen, die grundgesetzändernde Maßnahmen enthalten, mit: „Bei
völkerrechtlichen Verträgen, die eine Friedensregelung, die Vorbereitung
einer Friedensregelung oder den Abbau einer besatzungsrechtlichen
Ordnung zum Gegenstand haben oder der Verteidigung der Bundesrepublik
zu dienen bestimmt sind ... Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von
zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestages und zwei Dritteln der Stimmen
des Bundesrates.“
3. Der Bundesrat wirkt bei Entschließungen in außenpolitischen und supranationalen Fragen mit, insbesondere wenn Länderkompetenzen betroffen
sind.
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 Weitere Einwirkungsmöglichkeiten auf die Außenpolitik hat er
über die Informationspflicht der Bundesregierung nach
Artikel 53.
Danach ist der Bundesrat „von der Bundesregierung über die Führung der
Geschäfte auf dem laufenden zu halten.“
Durch Artikel 2 des Zustimmungsgesetzes zu den Römischen Verträgen
vom 27.07.1957 ist diese Pflicht zur Unterrichtung des Bundesrates sogar
noch erweitert worden.
Danach muss die Bundesregierung den Bundesrat über die supranationale
Politik des Rates der Europäischen Gemeinschaften laufend und unaufgefordert unterrichten.
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 In der Praxis sind die Regierungen dieser Informationspflicht
unterschiedlich nachgekommen.
Adenauer versuchte, die Westverträge am Bundesrat vorbei zu manövrieren. Er ließ möglichst selbst die Ministerpräsidenten seiner eigenen Partei
im Dunkeln tappen.
Auch die sozialliberale Regierung hat den Bundesrat bei den Moskauer und
Warschauer Verträgen nur unzureichend unterrichtet.
Beim Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen kam sie ihrer Informationspflicht ausgiebig nach.
Hier versuchten also alle Regierungen, je nach Gegenstand passend mit
dem Bundesrat zu verfahren.
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 Mitwirkungsrechte des Bundesrates ergeben sich auch aus
der Rolle des Bundesratspräsidenten bei Verhinderung des
Bundespräsidenten.
Ferner gibt es eine Mitwirkung im sogenannten Parlamentarischen Beirat.
Dieser wurde 1950 für handelspolitische Fragen geschaffen. Er besteht aus
neun Mitgliedern des Bundestages und vier des Bundesrates.
Der Parlamentarische Beirat hatte die Funktion, die Bundesregierung bei
der Vorbereitung und beim Abschluss handelspolitischer Vereinbarungen zu
beraten.
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 Wie schon angedeutet, wurden in den fünfziger und in den
siebziger Jahren die Mitwirkungsrechte des Bundesrates bei
außenpolitischen Entscheidungen im Sinne der parteipolitischen Konstellationen zu nutzen versucht, um die
politische Linie der Regierung zu behindern.
In der Gesamtbetrachtung hat sich der Bundesrat allerdings nicht als
Obstruktionsorgan gezeigt.
Bei den Verträgen mit auswärtigen Staaten hat er nie ein Veto eingelegt.
Zwischen 1949 und 1974 wurden z. B. 821 Verträge abgeschlossen, wovon
399 (49 Prozent) die Zustimmung der Länderkammer brauchten.
Nur einmal, beim Deutsch-Tschechoslowakischen Vertrag vom Dezember
1973, gab es einen Einspruch.
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 Damit hat der Bundesrat den Verfassungsnormen nach
Artikel 73 Grundgesetz „Der Bund hat die ausschließliche
Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten...“ und
Artikel 31 Grundgesetz „Bundesrecht bricht Landesrecht“
Rechnung getragen.
Grundsätzlich kann sich der Bundesrat entweder föderalistisch, parteipolitisch oder verteilungspolitisch verhalten.
Im ersten Fall betont er die Gemeinsamkeiten der Länder gegenüber dem
Bund.
Im zweiten folgt er der Parteilichkeit der Länderregierungen.
Im dritten Fall trägt er der Tatsache Rechnung, dass es in Deutschland
reiche und arme Länder gibt.
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 Betrachtet man die großen außenpolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik, so hat sich der Bundesrat
beim Deutschland- und beim EVG-Vertrag föderalistisch
verhalten, bei den Ostverträgen hingegen parteipolitisch.
Die Regierungskoalition aus SPD/FDP warf ihm bei den Ostverträgen
„Obstruktions- bzw. Blockadepolitik“ vor.
Er wurde sogar als „Nein-Sage-Maschine“ qualifiziert.
In der Gesamtbilanz leistete der Bundesrat jedoch eher sachliche Entscheidungsarbeit, die auf der dort versammelten Verwaltungserfahrung
beruhte.
Er wurde damit seiner Funktion als Korrektor der Bundesgesetzgebung
meist gerecht. Neuerdings ist er allerdings wieder als Blockadeakteur bei
Reformen im Gerede.
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 Der Prozess der europäischen Integration beinhaltet die
Möglichkeit, dass „die Länderherrlichkeit ohne allzu große
Umstände nach Europa abfließen kann.“
Da mit der Vereinigung der alte Artikel 23 Grundgesetz seine historische
Aufgabe erfüllt hatte, trat der neue Europa-Artikel an seine Stelle.
Dadurch wurde die deutsche Mitwirkung an der europäischen Einigung
geregelt, was zugleich die Frage nach der Zukunft des Föderalismus aufwarf.
Die Beteiligungsrechte des Bundesrates an Hoheitsübertragungsrechten
und an den laufenden Angelegenheiten der Europäischen Union ist mit der
Neufassung von Art. 23 Grundgesetz gestärkt worden.
Dies kann als deutscher „Beitrag zum Einstieg in eine gesamteuropäische
Föderalstruktur“ gewertet werden.
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 Der Ausschuss für Fragen der Europäischen Union
hat im Bundesrat eine lange Tradition.
• Bereits im Dezember 1957 richtete der Bundesrat einen
Sonderausschuss "Gemeinsamer Markt und Freihandelszone"
ein, der 1965 zu einem Ständigen Ausschuss für Fragen der
Europäischen Gemeinschaften wurde.
•
Seine heutige Bezeichnung trägt der Ausschuss seit dem In-KraftTreten des EU-Vertrages vom 1. November 1993, dem so
genannten Maastricht-Vertrag.
Dokument 14
Aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 23
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[Europäische Union]
(1) Zur Verwirklichung eines vereinten Europas wirkt die Bundesrepublik
Deutschland bei der Entwicklung der Europäischen Union mit, die
demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätze
und dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen diesem
Grundgesetz im wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Der Bund kann hierzu durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Für die Begründung der Europäischen
Union sowie für Änderungen ihrer vertraglichen Grundlagen und vergleichbare Regelungen, durch die dieses Grundgesetz seinem Inhalt nach geändert oder ergänzt wird oder solche Änderungen oder Ergänzungen
ermöglicht werden, gilt Artikel 79 Abs. 2 und 3.
(2) In Angelegenheiten der Europäischen Union wirken der Bundestag und
durch den Bundesrat die Länder mit. Die Bundesregierung hat den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu
unterrichten.
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(3) Die Bundesregierung gibt dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme vor ihrer Mitwirkung an Rechtsetzungsakten der Europäischen
Union. Die Bundesregierung berücksichtigt die Stellungnahmen des Bundestages bei den Verhandlungen. Das Nähere regelt ein Gesetz.
(4) Der Bundesrat ist an der Willensbildung des Bundes zu beteiligen, so
weit er an einer entsprechenden innerstaatlichen Maßnahme mitzuwirken
hätte oder soweit die Länder innerstaatlich zuständig wären.
(5) Soweit in einem Bereich ausschließlicher Zuständigkeiten des Bundes
Interessen der Länder berührt sind oder soweit im übrigen der Bund das
Recht zur Gesetzgebung hat, berücksichtigt die Bundesregierung die Stellungnahme des Bundesrates. Wenn im Schwerpunkt Gesetzgebungsbefugnisse der Länder, die Einrichtung ihrer Behörden oder ihre Verwaltungsverfahren betroffen sind, ist bei der Willensbildung des Bundes
insoweit die Auffassung des Bundesrates maßgeblich zu berücksichtigen;
dabei ist die gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren. In
Angelegenheiten, die zu Ausgabenerhöhungen oder Einnahmeminderungen
für den Bund führen können, ist die Zustimmung der Bundesregierung
erforderlich.
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(6) Wenn im Schwerpunkt ausschließliche Gesetzgebungsbefugnisse der
Länder betroffen sind, soll die Wahrnehmung der Rechte, die der
Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedsstaat der Europäischen Union
zustehen, vom Bund auf einen vom Bundesrat benannten Vertreter der
Länder übertragen werden. Die Wahrnehmung der Rechte erfolgt unter
Beteiligung und in Abstimmung mit der Bundesregierung; dabei ist die
gesamtstaatliche Verantwortung des Bundes zu wahren.
(7) Das Nähere zu den Absätzen 4 bis 6 regelt ein Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf.
Quelle: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Textausgabe,
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, Juni 1993, S. 22 f.
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