RUPRECHT-KARLS-UNIVERSITÄT HEIDELBERG Institut für politische Wissenschaft Wintersemester 2007/ 2008 Proseminar Einführung in das politische System Deutschlands Dozent: Prof. Dr. Axel Murswieck Referenten: Clemens Massi Breuer, Robin Dyck, Ramazan Hüzmeli, Augustine Konan, Judith Kreuter Datum: 16. 01. 2008 1. Geschichte des Bundesrates Geschichtliche Eckdaten: Kapitulation der BRD und die Jahre der Besatzung Die Kursänderung der westlichen Alliierten Abbau der Interessenunterschiede der Alliierten Einberufung der verfassungsgebenden Versammlung in den "Frankfurter Dokumenten“ → Parlamentarischer Rat Meinungsverschiedenheiten der Teilnehmer der verfassungsgebenden Versammlung Kriterien für die Länderkammer Vertretung der Länder auf Bundesebene Verkörperung des deutschen Föderalismus Zwei Modelle Bundesrat Senat Vertreter der Exekutive Bestell bar und abrufbar Die Vertreter werden nicht direkt vom Volk gewählt Ein kontinuierliches Organ ohne Legislaturperiode Bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes spielt große Rolle Vertreter des Volkes Nicht bestell bar oder abruf bar Die Wahl der Vertreter wird turnusgemäß und im zweijährigen Turnus werden 1/3 der Mitglieder des Senats direkt vom Volk gewählt Wirkt bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit 2. Aufgaben und Funktionen 2.1.Gesetzgebung - Funktion nach Artikel 50 GG: Mitwirkung bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und den Angelegenheit der EU 1 - Zusammensetzung und Stimmabgabe nach Artikel 51 GG: o Zusammensetzung aus Mitgliedern der Regierungen der Länder o Stimmabgabe nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter o Einheitliche Stimmabgabe eines Landes o Abstimmende sind weisungsgebunden (imperatives Mandat) - Vorlagen der Bundesregierung zuerst im Bundesrat (Stellungnahme innerhalb von 3, 6 bzw. 9 Wochen) - Vorlage von Gesetzesvorschlägen des Bundesrats an Bundesregierung und Bundestag - Bildung eines Gemeinsamen Ausschusses im Verteidigungsfall - Informationspflicht der Bundesregierung über die Führung der Regierungsgeschäfte o Gilt für alle Bereiche o Einholen von Informationen erfolgt passiv - Europäische Union o Aktive Mitwirkung bei der Festlegung der Verhandlungsposition o Gesetzesvorhaben: Bund zuständig: Bundesregierung setzt sich mit der Stellungnahme des Bundesrats auseinander Länder zuständig: Im Zweifelsfall ist die Stellungnahme des Bundesrats die deutsche Verhandlungsposition 2.2.Bundesratsausschüsse: - Andere Mitglieder der Länderregierungen oder deren Beauftragte können dem Bundesratsausschuss angehören - Empfehlung der Ausschüsse an das Plenum - Europakammer o Schnelle Reaktionsmöglichkeit o Beschlüsse der Europakammer gelten als Bundesratsbeschlüsse - Beispielausschüsse: o Ausschuss für Fragen der Europäischen Union o Ausschuss für Kulturfragen o Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik 2.3.Zustimmungsgesetz: - Zustimmungsbedürftige Gesetze: o Bundesgesetze, die die bundesstaatliche Grundlage der BRD oder die Hoheitsrechte der Länder tangieren o Grundgesetzänderungen - Mögliche Abstimmungsergebnisse: o Zustimmung o Ablehnung o Anrufung des Vermittlungsausschusses o Kein Konsens im Vermittlungsausschuss Ablehnung des Gesetzes 2.4.Einspruchsgesetz: - Nach dem Scheitern des Vermittlungsverfahrens kann der Bundesrat Einspruch einlegen (suspensives Veto) - Bundestag berät erneut über die Vorlage - Benötigte Stimmenverhältnisse zur Überstimmung des Bundesrats o Mehrheit der Stimmen im Bundesrat erfordert Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestags o Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundesrat erfordert Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag 2.5.Weitere Kompetenzen des Bundesrats: - Beantragung der „Organklage“ o Anrufung des BVerfG zur Klärung von Organstreitigkeiten o Amtsenthebungsklage gegen den Bundespräsidenten 2 - Zustimmung zu Rechtsverordnungen o Beispiel: Straßenverkehrsordnung o Antragsrecht o Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht möglich o Zustimmung zu Allgemeinen Verwaltungsvorschriften o Beispiel: Verwarnungsgeldkatalog, „Punktekatalog“ - Kontrollrecht des inneren Notstandes 3. Aufbau und Zusammensetzung Organe des Bundesrates Plenum Präsidium (Präsident und zwei Vizepräsidenten) Sekretariat Bevollmächtigte der Länder beim Bund Europakammer Ausschüsse Zusammensetzung Vertretung jedes der 16 Bundesländer durch 3 – 6 Stimmen (orientiert an der Einwohnerzahl) Sperrminorität durch die vier größten Länder (BW, BY, NS, NRW) 4. Der Vermittlungsausschuss Geschichte: Novum in deutscher Verfassungsgeschichte Kein komplett neues Konzept Aufgaben/Kompetenzen: Gemeinsames Gremium des Bundestages und des Bundesrates → Ziel: Unstimmigkeiten bei der Gesetzgebung auszuräumen, z.B. in Form von Kompromissen → Höhere Effizienz im Gesetzgebungsverfahren Aufgaben und Kompetenzen werden im GG in Art 77 (2) à nicht präzisiert. Geschäftsordnung passives Gremium → wird angerufen Zusammensetzung/Bildung: 16 Mitglieder des Bundestags und des Bundesrats. Zwei Vorsitzende aus Bundestag und Bundesrat: Ablösung vierteljährlich Die Mitglieder des Bundesrates sind nicht an Weisungen gebunden Bundesrat: Jeweils 1 Mitglied pro Land pro/Legislaturperiode (von Landesregierung bestimmt / von Landtagswahlen abhängig) Bundestag: Fraktionsproporz 3 Jeder Beteiligte hat eine Stimme Gegenstand und Grenzen: Theorie vom „weißen Blatt“ Ergänzende und korrigierende Aufgabe Bundestag nur Ratifikationorgan Innerlicher Sachzusammenhang Einbeziehung noch nicht verabschiedeter Gesetze erlaubt Kritik: „Black Box“ : o Vermittlungsausschuss intransparent für den Bürger: Vermengung von Länder-, Bundes- und parteipolitischen Interessen Pol. Verantwortlichkeiten nicht mehr nachvollziehbar o Haushaltsbegleitgesetz 2004: Kritik VA wahrer Gesetzgeber o BVerfG: Entscheidung zur Begrenzung der Gestaltungsmöglichkeiten „Reförmchen“ und faule Kompromisse anstatt klarer Entscheidungen. „Black Box“ auch positive Elemente im Zusammenhang mit anderen Faktoren: o Weisungsfreiheit o Vertraulichkeit der Beratung o nur eingeschränkt Stellvertreter möglich o schützen vor Repressionen und erhöhen Effektivität Bewertung/Fazit: Allgemein: Kritik übertrieben Allerdings: Teilweise Instrument der Parteien „Sicherheitsventil“ Blockaden selten Konsensfähige Vorschläge Mittlerer Weg wird begünstigt „Erfolgsstory“ 5. These: Der Bundesrat – Blockadeinstrument der Opposition des Bundestags? Der Bundesrat ist durch seine institutionelle Stellung ein mögliches Blockadeinstrument für überfällige Reformen und wird von der Opposition aus dem Bundestag auch als solches eingesetzt. So entstehen Reformblockaden. Entstehung der These: Verschiebung der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit durch den Teufelskreis aus Föderalismus und Parteienwettbewerb (nach Dieter Grimm) 4 Reformblockaden Föderalismus: Langsamer Gesetzgebungsprozess durch konsensuale Hürden Bundesrat mit zu viel Macht ausgestattet Pro Öffentliche Wahrnehmung: Bundesrat inzwischen „faktische Zweite Kammer“ → viel Mitbestimmung bei Gesetzgebung (absolutes Veto bei Zustimmungsgesetzen und faktisch auch z.T. bei Einspruchsgesetzen) Bundesrat als Möglichkeit zur Blockade in Blockadeinstrument vielen Fällen gegeben (hohes Mitbestimmungsrecht) Empirie: Beispiele vorhanden! Parteienwettbewerb: Beschwörung des Handlungsbedarfs Steigerung der Erwartungen beim Wähler Contra Verfassungsgeschichte: Idee des Bundesrates als „Gegenpol zum Bundestag“ → Bändigung der Tyrannei der Mehrheit Empirie: Anteil der vom Bundesrat mitbestimmten Gesetze 63,9 % (Durchschnitt von 1949 bis 2005) Demokratische Grundordnung: Recht auf Opposition → auch vom Bundesrat ausführbar Einfluss der Länderinteressen, nicht nur parteipolitischer Interessen 5 Empirie: Nur wenige Fälle tatsächlicher Blockade „Erfolgsgeschichte“ Vermittlungsauschuss Zu beachten: Reformen sind nicht Signum guten Regierens → nicht absolut, sondern nur relativ in Bezug auf normative Vorgaben nötig!! Literaturverzeichnis: www.bundesrat.de (Stand 12.01.08, 14 Uhr) www.bpb.de (Stand 15.01.08, 23 Uhr) Bauer, Thomas L.: Der Vermittlungsausschuss. Politik zwischen Konkurrenz und Konsens, Diss. Heidelberg 1998. Bleek, Wilhelm/ Sontheimer, Kurt: Grundzüge des politischen Systems Deutschlands, München 1984. Dollinger, Karl: Politik, Staat und Verfassung der Bundesrepublik, Köln 1975. Glaeßner, Gert-Joachim: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, In: Mükler, Herfried (Hrsg.): Politikwissenschaft: Ein Grundkurs, Reibek bei Hamburg 2003. S. 245 – 285. Grimm, Dieter: Die Bundesstaatliche Verfassung – eine Politikblockade? In: Die Verfassung und die Politik. Einsprüche in Störfällen, München 2001, S. 139 – 150, hier S. 147 f. Klein, Hans H. (2006): Der Bundesrat im Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, in Kaufmann, Marcel und Schwarz, Kyrill-A. (Hrsg.): Das Parlament im Verfassungsstaat, Tübingen: Mohr Siebeck, S. 386406 Kluth, Winfried: Der Vermittlungsausschuss, in: Isensee, J./ Kirchhof, P. (Hrsg.): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band III: Demokratie – Bundesorgane. 3. Auflage, Heidelberg 2005, S. 1001 – 1029. Korte, Karl-Rudolf: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, in: Mols, Manfred/ Lauth, HansJoachim/ Wagner, Christian (Hrsg.): Politikwissenschaft. Eine Einführung. 5. Auflage, Paderborn 2006. S. 67 – 98. Lehmbruch, Gerhard: Parteienwettbewerb im Bundesstaat, Wiesbaden 2000. Lhotta, Roland: Zwischen Kontrolle und Mitregierung. Der Bundesrat als Oppositionskammer?, in: APuZ 2003, Band 43, S. 16 – 22. Laufer, Heinz/ Münch, Ursula: Das föderative System der Bundesrepublik Deutschland, Opladen 1998. Reuter, Konrad (2007): Praxishandbuch Bundesrat, Heidelberg: C.F. Müller Schmidt, Manfred G.: Wörterbuch zur Politik, Stuttgart 2004. Schmidt, Manfred G.: Das politische System Deutschlands, München 2007 6