Demokratie als kontiunierliche politische Aufgabe

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Demokratie als Demokratisierung
und kontinuierliche politische
Aufgabe verstehen
Zur politischen Kultur Europas der EU und der EU-Mitglieder
Beitrag zum Seminar bei der Akademie Frankenwarte:
“Der Stoff, aus dem Europa ist...“
Würzburg, den 12.4.2007
von Andreas Gross (Zürich/St-Ursanne)
Pol’wiss/ National- (Bern) und Internationalrat (Strassburg)
Leiter des Ateliers für Direkte Demokratie, St-Ursanne
Lehrbeauftragter Uni Marburg/Uni Bern/PH Aarau
[email protected] www.andigross.ch
Gliederung des Vortrags
und der Diskussion(en):
1.
2.
3.
4.
5.
Zur besonderen Aktualität der Fragestellung
Zur Geschichte der Europäischen Integration und
zur Problematik ihrer Form
Zur Geschichte der schweizerischen Integration
und der besonderen Güte ihrer Form
Zur Krise der nationalen, repräsentativen
Demokratien und deren Entwicklungsbedarf
Mehr Demokratie und mehr Europa: Wie kann
zusammenkommen, was zusammengehört, ohne
dabei verloren zu gehen ?
Fragen und Diskussion zum besseren Verständnis nach jedem Abschnitt
I.I. Substanzielle Rettung zentraler
politischer Begriffe wie
Demokratie, Freiheit, Verfassung
gegen deren Banalisierung



Freiheit , bedeutet mit anderen zusammen auf
unsere Lebensgrundlagen so einzuwirken können,
dass das Leben kein Schicksal ist, die Zukunft
keine Fatalität
Demokratie ermöglicht die mit Freiheit
natürlicherweise verbundenen Konflikte gewaltfrei
auszutragen
Demokratie ist ein Menschenrecht: Zur Würde des
Menschen gehört, dass er auf die Entscheidungen
einwirken kann, deren Folgen ihn betreffen.
I.II Substanzielle Rettung zentraler
politischer Begriffe wie
Demokratie, Freiheit, Verfassung
gegen deren Banalisierung






Freiheit ist viel mehr als die Wahl zwischen
beschränkten Angeboten
Freie Menschen sind Akteure, nicht die
KonsumentInnen von Politik
Demokratie ist weit mehr als die Delegation der
Macht alle vier Jahre an Parteien oder Personen, die
allen alles zu versprechen scheinen
Eine Verfassung ist die unentbehrliche Quelle
legitimer demokratischer Macht und Politik
Eine solche Verfassung ist ein Symbol für die
Inklusion der BürgerInnen statt deren Exklusion
Eine EU ohne Verfassung wäre das Symbol des
Versagens der EU vor ihren wichtigsten Aufgaben
II. Die Europäische Integration war
1941- 1950 nicht als Elitenprojekt
gedacht worden


Wesentliche Vordenker der Europäischen
Integration wie Schumann, Monet, Blum, Spinelli,
Rougement, Spaak und Carlo Schmid
entwickelten die EG als ordentlich verfassten,
föderalistischen Europäischen Bundesstaat mit
einem Zweikammer-Parlament und klaren
Machtzuordnungen, bzw. Macht-Abgrenzungen
Die Parlamentarische Versammlung des
Europarates hätte 1949/50 die
verfassungsgebende Versammlung Europas
werden sollen.
II.II Der Kalte Krieg verhinderte das
demokratisch verfasste Europa und
liess es ein Elitenprojekt werden

Der Nationalismus hatte den Krieg mehr überlebt
als die Europapioniere sich bewusst waren; der
Kalte Krieg restaurierte den Nationalismus.

Europa hatte gar nicht die Souveränität einen
eigenen, „ditten“ Weg zu gehen.
Schuman/Monet entwickelten ihre Integrations“Methode“ zur Rettung des Integrationsprojektes;
nicht weil sie diese Methode als die optimalste
empfanden.
Statt eine Verfassung machte man Verträge; statt
BürgerInnen agierten Regierungen; statt politisch
ging man wirtschaftlich voran;statt Menschen
integrierte man vor allem Staaten und deren Eliten.


II.III So wie Deutschland die Weiterentwicklung des Grundgesetzes 1990/91 zu viel
war, lag den europäischen Eliten der Euro
nach Ende des Kalten Krieges näher als die
Entwicklung der europäischen Demokratie

Eine demokratische Europabewegung oder eine
europäische Demokratiebewegung kam 1990/1991 über
eurotopische Anfänge nicht hinaus.

Die normative Kraft des Faktischen verschüttete die
Erinnerung an die ursprünglich angestrebten Integrationsformen; Versprechungen waren vergessen....

„Sieger“ verkennen eigene Unzulänglichkeiten

Der Markt begann die Politik zu verdrängen...

Die in ihrer rudimentären Form „siegreiche“ Demokratie
versperrte Einsichten in ihre eigenen Unvollkommenheiten
(zu oberflächlich, zu national)

Die Globalisierung stand erst bevor
III.I Auch die Schweiz ist ein
Integrationsprodukt...




... Das jahrhundertealte, teilweise sehr selbstbewusste Staaten neu
integrierte (besseres Erfahrungsmaterial als USA für EU !)
... Entstand aus Katastrophenerfahrungen und etwas Gewalt
... Die wirtschaftliche Entwicklung war ein ebenso wichtiger
Integrationsmotor
... Für das Eliten wichtig waren.
DOCH:

Die alten konservativen Oligarchien konnten nur in einem Bündnis
der neuen Eliten und Teilen der aktiven Bevölkerung überwunden
werden.

Ohne dieses Volk liess sich der moderne Bundesstaat von 1848
nicht schaffen: Verfassungsreferendum war unausweichlich

Der Föderalismus hatte eine alte Tradition, die der neue
Bundesstaat nicht negieren konnte.
III.II Die Direkte Demokratie ist keine
Erfindung der Schweiz sie wurde in der Schweiz nur
früh und gut realisiert und praktiziert

Die alte Schweiz war eher eine Oligarchie als eine
Demokratie

Die Versammlungsdemokratie ist eine vormoderne
Form der Demokratie (FA.Lange)
Die ersten Verfassungsreferenden gab es im 17.Jh
in den Neuenglandstaaten



Das Gesetzesreferendum erfand 1793 Condorcet
(Humbolt Frankreichs)
Die Volksinitiative ist ein Gemeindschaftsprodukt
von französischen und rheinländischen
Demokraten (M.Rittinghausen)
III.III Die DD war in der CH und den USA ein
Werk von oppositionellen Volksbewegungen
„Durch das Volk - für das Volk“



Der Schweiz geland 1848 der Aufbau eine der ersten
repräsentativen Demokratien mit oblig Verf’ref

Die Schöpfer der modernen Schweiz
war liberal und elitär
Viele Bauern, Handwerker, Arbeiter, fühlten sich
durch sie schlecht vertreten
Deshalb verlangten sie nach “dem letzten Wort” in
wesentlichen Fragen
IV. Die Demokratie war immer eine Utopie die gegenwärtige Krise der Demokratie besteht
darin, dass die Gesellschaft(en) mehr Demokratie
praktizieren könnten als ihnen ihre Institutionen
ermöglichen




Mehr als bloss Delegation der Macht (Wahl)
Mehr als Repräsentation
Mehr als Eliten-Auswahl
Mehr als ein “Sonntags-Anzug”
Sie ist von Form (prozedural) und Inhalt (“gerechte,
vernünftige Organisation”) immer ein Versprechen
gewesen, von dem wir heute mehr einlösen können
und müssen als ist. Es geht um die Einlösung des
Versprechens einer würdigen Existenz für alle...
IV.II Die repräsentative Demokratie ist ein
integraler Bestandteil der Direkten
Demokratie.
Doch sie war der Anfang, nicht das Ende,
und hat kein Monopol


Die Direkte Demokratie macht die repräsentative
Demokratie repräsentativer als diese in der bloss
indirekten Demokratie ist.
Die Demokratie im Sinne der Demokratisierung ist
ein unendlicher (Lern-)Prozess, dieser muss
entsprechend der gesellschaftlichen Potenziale
vertieft (Oek), erweitert (transnational) und
substantiviert (DD) werden.
IV.III Die 5 Eckpunkte der DD
1.Geheime Sachabstimmung per Post, per Mail oder an
der Urne; Keine (vormoderne) Versammlungs(“Basis”)-Demokratie
2. Ein Teil/ Minderheit der BürgerInnen entscheidet, ob
alle BürgerInnen entscheiden sollen, kein Plebiszit
3. Wer teilnimmt, entscheidet; wer nicht teilnimmt,
überlässt die Entscheidungen den Teilnehmenden.
4. Es gibt keine superqualifizierten (Volks-)
Mehrheiten
5. Feine Ausgestaltung der Schnittstelle ID/DD und
Festlegung von Fristen für jede Phase eines DDProzesses
IV.IIII Die DD ist ein Ensemble verschiedener
partizipativer BürgerInnenrechte
Die BürgerInnen jeder Ebene vereinbaren/verfassen
das ihnen passende partizipative Set
Oblig. Verfassungsreferendum (1848)
Fakultatives Gesetzesreferendum (1874) Verfassungsinitiative (1891) +
Staatsvertragsreferendum (1918 ff)
Gesetzesinitiative /Allgemeine In. +
Finanzreferenden Konstruktives Referendum +
Einzelinitiative
Volksmotion
IV.IV Das Leistungs- und
Anspruchsprofil der DD
Diskussionen/Deliberationen schaffen

Lernprozesse ermöglichen

Distanzen verkleinern

Politik öffnen, anregen, besser verankern

Legitimation und Identifikation ermöglichen

Verschiedene, vielfältige Menschen integrieren

Zynismus und Apathie abbauen

Zum Handeln motivieren

Vertrauen und Selbstvertrauen erneuern

IV.V. Das Design entscheidet
über die Güte der DD
...es kommt nicht mehr auf das ob,
sondern auf das wie an !
Die Ausgestaltung der DD ist
entscheidend dafür, ob die DD leisten
kann, was sie verspricht.

Jede Ebene benötigt ihr
spezifisches DD-Design

IV.VI. Die Konsequenzen der
Ansprüche auf die Ausgestaltung
der DD
Teilung von Macht  Tiefe Unterschriftenzahlen
•
Kommunikation  Freies Unterschriftensammeln
•
Oeffnen der Politik (policy & Akteure)  Tiefe
Unterschriftenzahlen
•
Ueberzeugen& Deliberation  Keine Quoren
•
Kooperativ statt antagonistisch  Nicht am
Parlament vorbei (GV-Recht)
•
Integrativ und reflexiv  Keine zu engen
zeitl.Fristen
•
Volk als Souverän  Keine Änderung eines VE ohne
VE
•
V. Wie kommt wirklich zusammen, was zusammengehört ?
•
Die Demokratie benötigt zur Einlösung
ihres substanziellen Versprechens
angesichts der Globalisierung der
Märkte (mindestens) Europa....
•
.... so wie Europa angesichts der
Globalisierung die Demokratie braucht,
um gestaltungsmächtiger und auch
prozedural legitimer zu werden
V.II. Inwiefern kann sich die demokratischer
und föderalistischer verfasste EU von
schweizerischen Erfahrungen inspirieren
lassen ?
•
Es braucht kein „Volk“, um Demokratie wachsen
zu lassen.... Aktive BürgerInnen reichen aus.
•
Partizipation lässt Völker zu einem
„Volk“ werden...
•
Demokratie kann zu einer politischen Kultur
werden und identitätsbildend wirken auch da, wo
sie (fast) keine Traditionen hat
•
Partizipativ kann Demokratie sehr integrierend
wirken.....
...ohne bei einer föderalistischen Verfassung
Vielfalt verloren gehen muss
•
V.III. Vermeintliche Einwände , von denen wir
uns nicht Irre führen lassen sollten
•
•
•
•
•
Europa ist nicht zu gross, um Demokratie möglich
zu machen.
Die Geografie war immer ein Einwand jener, die
keine Demokratie wollen
Je grösser die Zahl der Menschen, um so mehr
bedarf die repräsentative Demokratie der
Ergänzung um direktdemokratusche Elemente
Eine Verfassung verfasst keinen Staat, sondern
Macht. Sie verschafft Macht demokratische
Legitimation.
Heute hat die EU trans- und supranational mehr
Macht als mancher Staat; umso mehr bedarf sie der
demokratischen und föderalistischen Verfassung
V.IV. Echte Schwierigkeiten, die wir
angehen müssen:
•
Wer regional und national schon verzweifelt an der
Demokratie, findet weder Lust noch Kraft, sie
europäisch zu erweitern und zu stärken.
•
Die EU umfasst zu viele zu zentralistisch
organisierte Staaten, die sich ein dezentral gestaltetes Europa kaum vorstellen können.
Freiwillig teilt niemand gerne seine Macht. Deshalb
brauchen wir auch in der EU eine transnationale
Demokratiebewegung, um für den notwendigen
Druck zu sorgen.
•
V.V. Für den weiteren Aufbau der
transnationalen, europäischen Demokratie
gibt es ermutigende Anfänge

Im Artikel 47 kannte der Entwurf für einen Verfass‘vertrag
erstmals ein transnationales demokratisches Recht

Alle EU-Staaten mit Ausnahme D‘s (!) haben in den vergangenen 20 Jahren mindestens ein nationales
Referendum erlebt

In Europa gab es seit 1990 mehr Volksabstimungen als je
zuvor (Unabhängigkeit,Verfassungsgebung).

Seit 1972 gab es in Europa über 5o Volksabstimmungen zu
europäischen Fragestellungen (Beitritt, Vertragsratifikationen, Bilaterale Verträge)

Doch m.E. ist dies noch kein Ausdruck einer neuen
demokratischen und schon gar nicht europäischen Kultur.

Doch für ein verfassungsauslösendes Referendumsrecht
im nächsten EU-Vertrag sollte es reichen....?
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