Direkte Demokratie im Spannungsfeld von Globalisierung und Europäischer Integration Einige Thesen von Andi Gross, Politikwissenschafter, National- und Europarat, zur Reflexion und Diskussion mit der Gruppe Region Basel der Neue Helvetische Gesellschaft (NHG) NHG Gruppe Region Basel Basel, Unternehmen Mitte, den 24.April 2006 info©andigross.ch www.andigross.ch Die Direkte Demokratie ist Ausdruck eines demokratischen Demokratieverständnisses, das den BürgerInnen immer wieder erlaubt, das letzte Wort im Entscheidungsprozess zu haben. Die Europäische Integration ist Ausdruck der Erkenntnis, dass der Nationalstaat zur Gewährleistung der Freiheit und der Demokratie zu klein geworden ist. Die Globalisierung der Wirtschaft zeigt, dass auch EU nicht der für die Demokratie angemessene Raum darstellt - es und sie bedarf auch der Globalisierung der Demokratie. Die Demokratie ist immer unvollendet. Sie ist ein permanenter , dreidimen sionaler (Lern-)Prozess: Wer hat wo wieviel zu sagen. WER ? „Wer ist das Volk“: Nur Weisse ? Reiche ? Männer ? Staatsbürger ? Erwachsene ? Oder all jene, die von den jeweiligen Entscheidungen betroffen sind ? WIEVIEL ? Nur einmal pro Legislatur Auswahl zwischen zwei drei Eliten à la Pepsi oder Coca ? WO ? Nur im Nationalstaat ?Nur in der Gemeinde oder im Kanton ? Oder auch kontinental, beziehungsweise global ? Wir erleben derzeit eine Bana-lisierung von Freiheit und der Demokratie: Beide sind heruntergekommen und müssen substanziell restauriert werden Und eine Entmachtung der Politik. Eine der Folgen: Freiheit wird zum Privileg der wirtschaftlich Mächtigen, der ohnehin Privilegierten Freiheit heisst, Leben nicht als Schicksal erdulden zu müssen. Demokratie ermöglicht die gewaltfreie Austragung der zwischen Freien notwendigen Konflikte. Die Entmachtung der Demokratie ist die Folge der Erosion der Autonomie des (National)Staates angesichts der Globalisierung der Wirtschaft -So wie es keine Volkswirtschaft mehr gibt, kann die nationale Demokratie nicht mehr leisten, was viele immer noch von ihr erwarten. -Die Demokratie muss wieder auf derselben Ebene verfasst werden wie die Märkte: Europäische föderalistische Verfassung Globalisierung der Demokratie (Kein Weltstaat) Jede Demokratie ist unvollendet die Direkte Demokratie (DD) ist ein klein wenig weniger unvollendet als die bloss indirekte -Das Projekt „Demokratie“ hat je eine -- gesellschaftliche (Konflikte ohne Gewalt) -- lebensweltliche (Solidarität,Respekt,Chanc`gl) -- organisatorische (Abbau von Herrschaft) Dimension. Die Voraussetzung, dass dieses Projekt D möglich ist: Die verfassungsmässige Verankerung der Macht eines/einer jede/n. Wie die Menscherechte im allgemeinen ist auch die Demokratie ganz allgemein eine Frucht kollektiver Lernprozesse (Methodischer Prozessbegriff) Solche politischen Lernprozesse haben immer einen Anfang, aber nie ein Ende. So gibt es keine perfekte, vollendete Demokratie oder Geltung der Menschenrechte. Wir können ihre Unvollendung abbauen im Wissen, ihre Vollendung nie zu schaffen. Die Grundidee der DD lässt sich heute auf allen Ebenen (Stadt,Kanton,Bund, Europa, Welt) verwirklichen - auf jeder Ebene hätte die DD ihre besondere Ausprägung entscheidend sind Wille und Druck ! Die DD besteht aus einem Ensemble von ganz verschiedenen partizipativen BürgerInnen-Rechten am komplettesten existiert es real in der CH auch nur in einigen Kantonen und Städten. Bund: Bloss oblig. Verf. In und Ref - keine Gesetzesinitiative, fak. Gesetzes-Ref EU: Oblig.Verf‘ref - fak.Verf‘ref Verf‘initiative und Volksmotionen an das EP Auch die Europäische Union lässt sich halbdemokratisch, direktdemokratisch oder postdemokratisch gestalten - auf der Basis eines Vertrages oder einer Verfassung, demokratisch oder elitär und technokratisch. Es geht immer um die Frage, wie die Ausübung von Macht legitimiert und ausgestaltet ist - indirekt, doppelt indirekt, direkt - föderalistischer oder zentralistisch, nur für oder eben auch mit den Bürgerinnen und Bürger. Die einseitig ökonomische Globalisierung von heute bedarf in der Zukunft auch einer Globalisierung der Demokratie Nicht der Errichtung eines Weltstaates, doch beispielsweise einer Art Globalisierung des erweiterten europäischen Menschenrechtssystems. Individuelle Klagerechte nicht nur gegen Staaten, sondern auch gegen wirtschaftliche Akteure der Macht, und auch bei der Verletzung der erweiterten Menschenrechte (Wasser, Obdach, Nahrung, Grundbildung) - auch direkt dort, wo der Sitz des multinat. Unternehmens ist. Demokratie bedeutet immer eine feinere Teilung der Macht. Deshalb kann ihre innere und äussere Restauration nur die Aufgabe engagierter DemokratInnen sein. Wesentliche Stützen der DD (Politische Bildung/Demokratiegerechte Oeffentlichkeiten) können wir weder dem Zufall noch dem Markt oder gar dem Geschäft überlassen. Ohne transnationale neue Demokratiebewegungen wird es weder eine europ. Verfassung mit DD-Elementen noch zu einer Globalisierung der Demokratie kommen. Wir müssen lernen, ohne Katastrophen zu lernen.