Powerpoint-Präsentation

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Das Gehirn und
seine Wirklichkeit
Kognitive Neurobiologie und
ihre (polit-)philosophischen
Konsequenzen
Entstanden anlässlich des 2. Austrian Social Forum. Linz, Juni 2004
www.socialforum.at
Worum es hier geht…
Versuch eine begehbare Brücke zwischen
Naturwissenschaft und Politik herzustellen.
 Herausarbeitung des Unterschieds
zwischen Wirtschaftspolitik
(Sachzwanglogik) und eigentlicher Politik.
 Klärung der Gestaltungsfreiräume einer
anderen Politik zur weiteren Ausarbeitung
konkreter Strategien.

Neurobiologie
Beschäftigt sich mit der biologischen
Funktionsweise des Nervensystems.
 Versucht zu klären, warum unser Gehirn
so funktioniert, wie es eben funktioniert.
 Kognitiv: das Wissen betreffend.


Grundfrage: wie wird aus den messbaren
Befunden Wissen?
Philosophie
Liebe zur Weisheit, Weisheitsfreundlichkeit
 Versucht zu plausiblen Urteilen über die
Welt und das, was sie „zusammenhält“, zu
gelangen.


Ohne genaue Kenntnis der Funktionsweise
des Instruments, mit dessen Hilfe wir über
die Welt urteilen, ist ernsthaftes
Philosophieren fragwürdig.
Politik
Das Rechtssystem (im weitesten Sinn)
betreffende Beziehungsarbeit.
 Politik wirkt immer auf die Beziehungen
zwischen den Menschen.
 Es geht immer um Stabilisierung oder um
Veränderung des bestehenden
Regelsystems.
 Nicht alle Ergebnisse sind messbar.

(Pst, Achtung, kurze Entführung in die Welt der Neuronen…)
Anatomisches


Ein Nervensystem
besteht aus mehreren
Milliarden Neuronen
(Nervenzellen), die in
vielfältiger und meist
sehr komplexer Weise
miteinander verknüpft
sind.
Das Nervensystem
durchzieht den ganzen
Körper.
Das Neuron

Ein Neuron leitet über
seine Oberfläche
(Membran) einen
elektrochemischen Impuls
weiter.

Dieser Impuls wird über
die Synapsen von einem
Neuron zum nächsten
weitergeleitet und bewirkt
in dieser eine bestimmte
Aktivität (hemmend oder
erregend).
Der neuronale Code
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

Optische, akustische,
taktile, chemische Reize
werden von den
Rezeptoren in den
neuronalen Code
transformiert.
Alle Neuronen sprechen die
selbe Sprache.
Im Prinzip können wir eine
Melodie „sehen“ und ein
Gemälde „riechen“.
Konstruierte Information
Konstruktion eines
Bildes (Begriffes) aus
verschiedenen
bekannten
Bestandteilen.
Die Welt außerhalb der Wahrnehmung
Wir nehmen nur einen bestimmten Teil der
verfügbaren Informationen wahr.
 Optisch: Elektromagnetische Wellen im
Bereich von 400 bis 700 nm (sichtbares
Licht).
 Akustisch: Frequenzen im Bereich von 16
bis ca. 20.000 Hz.
 Chemisch: nur die Signale, für die wir
chemische Rezeptoren haben (bestimmte
Dinge riechen bzw. schmecken wir nicht).
Wir selektieren außerdem…
nach Bedeutung,
 nach Vertrautheit


und wir beschäftigen uns in der Regel zu
einem bestimmten Zeitpunkt nur mit
einem Thema.
… aber wir bringen auch etwas völlig
Neues in die Welt



Unser Gehirn verarbeitet die Informationen, die
es aus der Welt erhält, in dem es sie zueinander
in Beziehung setzt – und damit neue
Informationen erzeugt.
Wir können im Grunde nicht sagen, ob es diese
Beziehungen in der Welt „draußen“ auch
tatsächlich gibt.
Wir sehen z.B. Dreiecke (wir haben drei Punkte
miteinander in Beziehung gesetzt) aber woher
soll das Dreieck wissen, dass es ein Dreieck ist?
Was „wissen“ diese Punkte
voneinander?
Die „Messfehler“ unseres Gehirns
Unser Gehirn hat nicht die „Aufgabe“ die
Welt um uns – ähnlich wie eine Kamera –
1:1 abzubilden.
 Unser Gehirn hat sich vielmehr darauf
spezialisiert, uns so schnell wie möglich
ein Urteil über die Situation zu liefern, in
der wir uns befinden und in der wir
überleben wollen.
 D.h. das Gehirn filtert die für uns
relevanten Informationen aus der Fülle
des Angebots heraus und versieht diese
mit Bedeutung.

Messfehler 1: die Kontrastierung

Zusammenhängende
Gestalten werden
durch
Randverstärkung
hervorgehoben
Ein Beispiel: Geist vs. Körper?
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Geist und Körper sind ein Begriffspaar, das sich
wechselseitig verstärkt.
Es macht nicht wirklich viel Sinn zwischen Geist
und Körper zu unterscheiden. Die Wurzel muss
die selbe sein.
Es macht vielmehr Sinn, den Geist im Körper und
den Körper im Geist zu sehen. Das eröffnet
Welten.
Darauf baut ein ganzheitliches Konzept von
Würde auf.
Noch ein Beispiel: Denken vs. Fühlen?

Ein Ergebnis von Gerhard Roths
Untersuchungen: „Gefühle sind …
konzentrierte Erfahrungen.“

„Wer nicht fühlt, kann auch nicht
vernünftig entscheiden und handeln.“
Messfehler 2: Nivellierung
Komplementär zur Kontrastierung wird
Ähnliches als Gleiches wahrgenommen.
 Wirkt z. B. auf den „Wir“-Begriff

Messfehler 3: Komplettierung

Fehlstellen in der Wahrnehmung werden
ergänzt. Die Wirklichkeit ist immer
geschlossen, „hermetisch“.

Eigentlich sollten wir die Welt
folgendermaßen sehen:
Dort, wo der Sehnerv den Augapfel
verlässt sind keine Sinnesrezeptoren
Realität und Wirklichkeit
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

Das, worüber wir im
Grunde nichts wissen
können.
Wir können nur
annehmen, dass dort
etwas passiert, was unser
Gehirn zur weiteren
Verarbeitung veranlasst.
Wir können nie angeben,
wie weit unsere
Wirklichkeit tatsächlich
noch von der Realität weg
ist, inwieweit sie sich
unterscheidet.
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
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
Das, was unser komplettes
Wissen ausmacht.
Das, was (auf uns) „wirkt“.
Unsere einzige
Entscheidungsgrundlage.
Wir können unsere
Wirklichkeit der Realität
bestenfalls durch Versuch
und Irrtum annähern.
Wirklichkeit ist
gestaltbar.
Radikaler Konstruktivismus
Paul Watzlawick: „Für viele Menschen ist
der radikale Konstruktivismus
unannehmbar, ja geradezu skandalös. Sie
halten ihn für eine aufgewärmte Form des
Nihilismus. Ich behaupte, wenn es
Menschen gäbe, die wirklich zu der
Einsicht durchbrächen, dass sie die
Konstrukteure ihrer eigenen Wirklichkeit
sind, würden sich diese Menschen durch
drei besondere Eigenschaften
auszeichnen…
Sie wären erstens frei, denn wer weiß,
dass er sich seine eigene Wirklichkeit
schafft, kann sie jederzeit auch anders
schaffen.
Zweitens wäre dieser Mensch im tiefsten
ethischen Sinn verantwortlich, denn wer
tatsächlich begriffen hat, dass er der
Konstrukteur seiner eigenen Wirklichkeit
ist, dem steht das bequeme Ausweichen in
Sachzwänge und in die Schuld der
anderen nicht mehr offen.
Und drittens wäre ein solcher Mensch
im
tiefsten Sinne konziliant.“1
Viertens: vermutlich wäre sie oder er auch
hochgradig kreativ.
1 - 1992, Vom Unsinn des Sinns oder vom Sinn des Unsinns
Ein/e radikale/r KonstuktivistIn wäre also:
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


frei
verantwortlich
konziliant
kreativ
Reale und wirkliche Grenzen
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Wir können durch Versuch
und Irrtum feststellen,
dass wir eine Wand nicht
einfach so durchdringen
können.

Haben wir keine
Gelegenheit, diese
Erfahrung zu machen,
müssen wir
sicherheitshalber dort
Grenzen ziehen, wo wir
uns nicht genau
auskennen.
(Fehlstellenergänzung!)

Reale Grenzen können in
der Regel mit
technischen Hilfsmitteln
überwunden werden.

Wirkliche Grenzen können
dialogisch überwunden
werden.
Die Eigentümlichkeiten von Grenzen
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

Grenzen erkennt mensch daran, dass es ein
Darüber-hinaus gibt, etwas, wozu mensch vorerst
keinen Zugang hat.
Grenzen bilden den einzigen definitiven
Bezugsrahmen, sie bieten die Grundorientierung.
Grenzen sind irgendwann uninteressant, sie
werden Gewohnheitssache.
Wir gewöhnen uns an Unfreiheiten, selbst wenn
sie unangenehm sind.
Verantwortlichkeit
Meine Wirklichkeit gehört ganz allein mir.
 Dort bin ich Souverän.
 In ihr lebe ich, in ihr wohne ich, in ihr
möchte ich mich ev. wohl fühlen.
 Niemand hat das Recht zu gehorchen, also
das Recht jemand anderen für die eigene
Wirklichkeit verantwortlich zu machen.

„Wahrheit“
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

Objektive Wahrheit wäre die Realität, zu der wir
allerdings keinen letztgültige Zugang haben.
Die uns zugängliche Wahrheit ist unsere
Wirklichkeit, die allerdings immer nur subjektiv
sein kann.
=> Es gibt bestenfalls eine intersubjektive
Wahrheit, die auf dialogischem Weg, durch
kommunikativen Austausch von Wirklichkeiten
zustande kommt.
Zwei Wege der Wahrheitserzeugung



Diktat
Herstellung von
Faktizitäten durch den
(möglichen) Einsatz von
Gewaltmittel oder schlicht
durch Unwissenheit.
Können die Faktizitäten
nicht mehr aufrecht
erhalten werden, verfällt
auch die „Wahrheit“
wieder.



Vereinbarung
Herstellung von
Verbindlichkeiten durch
Dialog.
Die Vereinbarung wird von
der Entscheidung der
Beteiligten getragen und
bleibt solange aufrecht,
solange sich beide mit ihr
identifizieren können.
Was heißt das alles für die Politik?

Missverständnisse sind die Regel.

Jede/r lebt in ihrer/seiner Wirklichkeit.

Jede/r hat ihre/seine individuelle Biographie.
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Jede/r hat ihre/seine eigene Ausgangssituation.

Jede/r hat ihre/seine individuellen
Interpretationsmethoden.

Jede/r sieht die Welt mit anderen Augen.

Jede/r hat ihren/seinen eigenen Weg.

Niemand hat das Recht zu gehorchen (Arendt).
… und außerdem …
müsste der Politikbegriff mit diesen
Grundlagen völlig neu gedacht werden.
 Was heißt Souveränität mit diesen
Vorzeichen?
 Was Meinungsfreiheit?
 Haben wir es mit bösen Feinden zu tun –
oder mit Leuten, die wir nicht ausreichend
verstehen? Bzw. mit solchen, denen wir
uns nicht ausreichend verständlich
gemacht haben?

… und schließlich …


müssten wir uns selbst und unsere Mitmenschen
ganzheitlich mitsamt ihren Unbekannten und
Rätseln in unserer Welt willkommen heißen
(entobjektivieren, sie aus ihren Rollen befreien).
Und Meinungsfreiheit nicht nur als das Recht
sehen, meine Meinung zu äußern, sondern auch
als das dazu komplementäre: das Recht, deine
Meinung zu hören und ihr meine Meinung
gegenüberzustellen. Wer weiß, was daraus wird?
… denn:

Das Schwierige am Verstehen ist, dass wir das
Vorhandensein und das Ausmaß konsensueller Bereiche
nicht unmittelbar erkennen.

Das Wissen darüber, ob und inwieweit Menschen sich
verstehen, muss ebenso durch Versuch und Irrtum in
selbstreferentieller Weise ausgelotet werden wie
Bedeutung.

Ich teste mit jedem Satz und jeder Geste, ob meine
PartnerIn mich verstanden hat oder nicht, und sie oder er
tut dies vermutlich genauso.

Die Selbstreferentialität dieses Prozesses besteht darin,
dass ich als Kommunikationspartner derjenige bin, der
darüber entscheiden muss, ob Kommunikation gelingt oder
nicht, und dabei kann ich mich irren (vgl. Roth, 336).
Chancen
Die Welt ist vielfältiger als wir gemeinhin
denken. Wesentlich vielfältiger.
 Die Welt bietet wesentlich mehr Chancen
als wir geneigt sind anzunehmen.
 Die Welt und ihre weitere Entwicklung ist
nicht absehbar – weder negativ noch
positiv.
 Es liegt definitiv in unserer Verantwortung,
was aus ihr wird.

Trotzdem Hoffnung
Die Tatsache, dass der Mensch zum Handeln im
Sinne des Neuanfangs begabt ist, kann daher nur
heißen, dass er sich aller Absehbarkeit und
Berechenbarkeit entzieht, dass in diesem einen
Fall das Unwahrscheinliche selbst noch eine
gewisse Wahrscheinlichkeit hat, und dass das,
was ‚rational‘, d.h. im Sinne des Berechenbaren,
schlechterdings nicht zu erwarten steht, doch
erhofft werden darf“ (Hannah Arendt, Vita Activa,
217).
Danke für die
Aufmerksamkeit!
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