Stationäres Wohnen

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Wohnen
im Kontext
von Inklusion
Rückblick und Ausblick
Prof. Dr. Heinrich Greving
Das erwartet Sie? - Gliederung
• Einleitung: Dimensionen des Wohnens
• Semiotische Dimension: Wohnen – Was ist das?
• Paradigmatische Dimension: Wohnen und
Inklusion
• Ethische Dimension: Wohnen und Gerechtigkeit
• Professionelle Dimension: Wohnen und
pädagogisches Handeln
• Fazit
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Einleitung: Dimensionen des Wohnens
• Grundlegend:
• Wohnen als A-priori-Erfahrung und –
Notwendigkeit des Menschen
• Wohnen als historische Bewegung, als durch die
Geschichte modifiziertes Sein:
• Wohnen ist „der Niederschlag einer sozialen Einheit
im Raume, der Typus ihrer Raumgestaltung eine
handgreifliche, eine – im wörtlichen Sinne – sichtbare
Repräsentation ihrer Eigenart.“ (Elias, 1983, Die höfische Gesellschaft)
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Einleitung: Dimensionen des Wohnens
• Besonders Problem/Thema:
• Stationäres Wohnen ist semantisch
problematisch, da hier Besonderung (Station,
Krankenhaus, Objektivierung) und Normalität (Haus,
Nachbarschaft, Subjektivität, Individualität) in eins gesetzt
werden.
• „Stationäres“ und „Wohnen“ kann somit nicht
gemeinsam gedacht und gelebt werden!
• …im Übrigen auch nicht „Ambulantes“ und
„Wohnen“…
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Einleitung: Dimensionen des Wohnens
• Um somit Wohnen zu definieren müssen
die historischen Elemente (Rückblick)
und die aktuellen Dimensionen (und evtl.
Utopien; Ausblick) thematisiert werden.
• Dieses soll in vier Schritten geschehen:
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Einleitung: Dimensionen des Wohnens
4. Professionelle
Dimension –
Wohnen und pädagogisches Handeln
3. Ethische Dimension –
Wohnen und Gerechtigkeit
1. Semiotische Dimension –
Wohnen: Was ist das?
2. Paradigmatische
Dimension –
Wohnen und Inklusion
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Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• „Man wohnt nicht, wo man nicht gewohnt ist,
zu sein, wo man sich nicht eingewöhnt hat.“
(Beck,
2007)
• Wohnen geht zurück auf das mhd. „wonen“, das
ahd. „wonan“: sich aufhalten, bleiben, gewohnt
sein.
• Die eigentliche Bedeutung des Verbs ist „nach
etwas trachten, gern haben“…
• ..woraus sich die Bedeutungen „Gefallen finden,
zufrieden sein, sich gewöhnen“ und schließlich
die aktuelle Bedeutung „wohnen, sich aufhalten“
entwickelt haben (vgl.: Duden, 2006)
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Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• Also: Wenn man sich an etwas gewöhnt hat,
dann kann man auch dort wohnen – was immer
auch „Gewöhnung“ im Rahmen der
Behindertenhilfe konkret meint…
• Im englischen fallen „Wohnen“ und „Leben“ z.B.
im Begriff des „living room“ (als dem Zentum der
häuslichen Lebensvollzüge) zusammen.
• Wohnen und Leben ist somit nicht zu trennen –
und schon gar nicht durch Hilfsbegriffe wie
„Stationär“ oder „Ambulant“ zu verunschärfen.
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Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• Wohnen psychologisch betrachtet:
• Zum Wohnen gehört mehr als die Führung eines
Haushalts und die Selbstversorgung.
• Wohnen umfasst physische, soziale und
psychologische Transaktionen, über die
Menschen ihre Wohnumwelt gestalten, ihr
alltägliches Leben organisieren, mit anderen
interagieren, über die sie ihrem Leben Bedeutung
verleihen und Identität gewinnen.
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Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• Durch diese Transaktionen eignen sich
Menschen Umweltgegebenheiten an, die zu der
für sie persönlich bedeutsamen, eigenen
Wohnumwelt werden (vgl.: Flade 2006).
• Durch ihren Wohnsitz verorten sich Menschen in
der (Um)welt.
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Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• Unter Wohnumwelt wird hier der Lebensraum
eines Individuums, ein von außen
beobachtbarer, physisch abgrenzbarer und in
sich gegliederter Handlungsraum des
Alltagslebens verstanden, in dem soziale
Beziehungen geknüpft und gestaltet werden und
an Geschehensystemen partizipiert wird.
• Im Zentrum der Wohnumwelt eines Individuums
befindet sich die Wohnung. Sie bildet den
Mittelpunkt der Haushaltgemeinschaft und den
Ausgangs- und Rückkehrpunkt im täglichen
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Leben.
Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• Das Wohnumfeld ist das Gebiet, in dem
Nachbarn, andere außerhäusliche
Bezugspersonen sowie öffentliche und private
Einrichtungen für die Versorgung und
Entsorgung, für Bildung und Arbeit, für
kulturelles und religiöses Leben, für Erholung
und Mobilität fußläufig zu erreichen sind.
• Zur Wohnumwelt zählen darüber hinaus weiter
entfernt liegende Geschehensorte, die eine
Person im Alltagsleben aufsucht, inklusive der
Wege, die sie dorthin und von dort weg führen.
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Semiotische Dimension:
Wohnen – Was ist das?
• Die Wohnumwelt einer Person lässt sich
topografisch als „home range“ abbilden.
Projiziert auf eine Landkarte reicht die
Wohnumwelt um die Wohnung und das
Wohnumfeld („home base“) herum mit
fingerartigen Ausstülpungen in die umliegenden
Gebiete hinein.
• Relevanz für Menschen mit einer schweren
Behinderung!
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Die in sich gegliederte Wohnumwelt eines Individuums (aus: Porteous, 1977)
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Zwei Schritte hierzu:
1. Grundsätzliches zur Inklusion
2. Wohnen und Inklusion konkret
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
Grundsätzlich:
Die Unterscheidung Inklusion/Exklusion
beschreibt, wie in funktional
differenzierten Gesellschaften Menschen
als Personen an den Leistungskreisläufen
der Funktionssysteme mittels symbolisch
generalisierten Kommunikationsmedien
(z.B. Geld, Macht, Recht...) teilnehmen
können.“ (Kleve, 1997)
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
Definitionen somit:
• Inklusion als Innenseite der Unterscheidung
meint die Teilnahme an der
funktionssystemischen Kommunikation
• Exklusion als Außenseite der Unterscheidung
bezeichnet die personelle Nichtteilnahme an
dieser Kommunikation
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
Also:
- Inklusion und Exklusion verweisen jeweils
aufeinander
- Inklusion ist nicht gleich Integration,
- da diese (Integration) auf die Zugehörigkeit
zu sozialen Gruppen verweist und zudem
über normative Verbundenheiten und den
intentionalen Charakter sozialer Beziehungen
vermittelt ist (somit Eingliederung in
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bestehende Strukturen will)
Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
- jene (Inklusion) jedoch eine funktionale
System-Umwelt-Beziehung von Menschen
zur Gesellschaft beschreibt, welche über die
Teilnahme an Funktionssystemen
kommunikativ erreichbar ist (somit
Unterschiedlichkeit als Norm/als „normal“
definiert)
- mehr noch: Menschen dürfen nie so fest
integriert sein, dass ihre Freiheit für
wechselnde Inklusionen verloren geht!
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
Zur Konstruktion des Begriffes:
• Wie und wodurch ist „Inklusion“ konstruiert?
• Antwort:
• Inklusion ist – immer noch relativ beliebig und
unbestimmt – durch die jeweiligen (inhaltlichen,
politischen, pekuniären, bildungsdidaktischen,
professionellen, selbsthilferelevanten u.a.)
Interessen konstruiert.
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Es müssen somit die
Konstruktionsmechanismen und -inhalte
offengelegt werden, wenn dieser Begriff (in
welcher Form auch immer) benutzt wird.
• Ob dieser Begriff somit für die (Heil)pädagogik
– und für ihre Handlungsfelder – zielführend
oder ein „Befriedungsverbrechen“ (P. Rödler) ist,
muss noch (wissenschaftstheoretisch und
konzeptionell) geklärt werden.
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Inklusion ist, als Zeichen, z.Z. eher das Konzept
einer gesellschaftsdifferenzierenden Diagnostik
(und das auch nur im Sinne der luhmannschen
Lesart), bzw. das Modell der Wahrnehmung
unterschiedlicher gesellschafts- und
organisationskultureller Mechanismen (wie
Bezugsformen, Abhängigkeiten, Macht etc.).
• Inklusion ist zudem immer dargelegt durch eine
kommunikative Kontingenz, da diese immer auch
Exklusion meint (s.o.).
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Inklusion ist somit vor allem das Modell einer
kontingenten Kommunikation, da sie an
Schnittstellen operiert, diese jedoch nicht
auflöst und somit die Beteiligten in einer
gesellschaftlichen Zone der Unsicherheit
beläst.
• Inklusion als „Diagnoseverfahren“ schafft
somit Macht, da gesellschaftliche Prozesse
besser durchschaut und gegebenenfalls
verändert und optimiert werden können.
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Somit:
• Diagnose der Wohnprozesse!
• Wer wohnt wie inkludiert oder integriert?
• Oder: Schafft die Inklusion Eklusionen
(nämlich der Menschen mit
schweren/komplexen Behinderungen)?
• Also: eine „Halbierung“ der Inklusion?
(vgl.: Schäper, 2007)
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Die Ambulantisierungspolitik geht davon aus,
dass ein Leben außerhalb von
Komplexeinrichtungen per se mit Inklusion
einhergeht.
• Untersuchungsergebnisse zur Exklusion
behinderter Menschen in Europa machen
aber deutlich, dass die Gleichungen
“stationär=exkludierend” und
“ambulant=inkludiernd” keineswegs stimmen
(vgl.: European Disability Forum, 2002 in: Schäper, 2007):
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
Hauptgründe für eine soziale Exklusion
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Somit relevante exkludierende
Faktoren:
• Geringe Beschäftigungsquote von
Menschen mit Behinderungen
• Begrenzter Zugang zum
gesellschaftlichen und kulturellen Leben
• Fehlen spezialisierter Dienstleistungen
für Menschen mit Behinderungen
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Integrationsquote in Schulen (im europ.
Durchschnitt ca. 50% - Deutschland liegt weit
darunter: ca. 1-26%)
• Praktiken von Macht in ambulant betreuten
Wohnformen, welche aus der Perspektive der
„Normalität“ (aber was ist schon normal?), die
optimalen Lebensbedingungen und -formen
für diejenigen determinieren, die als „nicht
normal“ definiert werden.
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Inklusion somit als subtile Machtstrategie
der Anpassung:
• welche kompatibel ist mit Formen der
„Produktion“ von Subjektivität, welche
„verantwortliche Subjekte“ und „gute (also
angepasste) Bürgerinnen und Bürger“
hervorbringt.
• Ambulantisierung bringt somit oft ReInstitutionalisierung hervor: es entsteht eine
„Exklusion durch Inklusion“ (Tüllmann, 2006)
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• „Exklusion durch Inklusion“ (vgl.: Schäper, 2007):
• In ambulant betreuten Wohnformen orientiert sich der
Lebensstandard am Niveau der Regelleistungen in
der Sozialhilfe.
• Für diese Sätze ist aber Wohnraum oft nur in
sozialen Brennpunkten zu haben.
• Also: Konzentration von Menschen in sozialen
Problemlagen.
• Folglich: Begriffe wie „Gemeinwesen“ und
„Zivilgesellschaft“ werden hierdurch ad absurdum
geführt! (Und Integration erst recht!!)
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Dieses führt zu sozialen,
psychologischen und ökonomischen
Folgekosten, durch:
• Zunahme psychischer Erkrankungen
• Zunahme von Drogen- und
Alkoholproblemen
• Beziehungsproblemen
• Kriminalität
• u.a.
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Paradigmatische Dimension:
Wohnen und Inklusion
• Konsequenz: Die Gesellschaft schafft
sich erneut Räume der Exklusion und
belässt der Verantwortung bei den
betroffenen Menschen mit – v.a.
schweren – Behinderungen.
• Also: ein Teufelskreis, in welchem durch
eine vermeintliche Inklusion Exklusion
erzeugt wird.
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Ethische Dimension:
Wohnen und Gerechtigkeit
• Sozialethische Perspektiven im Kontext
des Wohnens:
• Gerechtigkeit als Respekt:
• Es geht um die Wahrnehmung der Diversität/der
Verschiedenheit als Chance für gemeinsames
Leben (also letztlich für Kommunikation und
Inklusion)
• Also: die Anerkennung auch der verschiedenen
individuell und subjektiv begründeten
Wohnformen.
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Ethische Dimension:
Wohnen und Gerechtigkeit
• (Radikale) Abhängigkeit als Basis
ethischer Reflektionen:
• Die Abhängigkeit des Menschen ist der
zentrale Referenzpunkt einer ethischen
Begründung (n. Eva Feder Kittay; vgl.: Schäper, 2007)
• …wir leben und wohnen somit auch immer
in Abhängigkeit voneinander.
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Ethische Dimension:
Wohnen und Gerechtigkeit
• Integratives/inklusives und Subjekt-
bzw. Personbegleitendes Wohnen
(also nicht: ambulantes oder stationäres
Wohnen) als ethisches Projekt:
• Somit: Vernetzung theoretischparadigmatischer, ethischer und
professionell-pragmatischer Themen in
Bezug auf Wohn- und Lebensräume unter
Einbezug der Betroffenenperspektive.
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Professionelle Dimension:
Wohnen und pädagogisches Handeln
Ausbildungsdimension – Arbeitsweise
Methodologische Dimension – Handlungsweise
Konzepte
Organisatorische Dimension – Beziehungsweise
Kompetenzen
Semiotisch-sprachliche Dimension – Bezeichnungsweise
Anthropologisch-ethische Dimension – Daseinsweise
Historische Dimension – Begründungsweise
Grundlagen
Konstruktivistische Dimension – Betrachtungsweise
Dimensionen einer professionellen Pädagogik
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Fazit
•
•
•
•
Grundlagen
Konzepte
Kompetenzen
…sind in Bezug auf die Wohnwelten und projekte immer wieder neu zu bestimmen
und zu diskutieren...
• ...hier ist vor allem von der Situation des
Menschen mit einer schweren Behinderung
auszugehen.
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Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit.
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