Medizinische Universität Wien Studieneingangsphase (Block 1) WS 2010 / 11 • Medizinische Psychologie • ao. Univ. Prof. Dr. Oskar Frischenschlager Zentrum für Public Health / Institut für Medizinische Psychologie • www.oskar-frischenschlager.at • [email protected] Psychologie im MCW • Block 1, 6, • Block 8, 15, 16, 18, 19, 20, 21, 23 • Line 0. Begriffsklärung 1. Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatik = die Einheit der Person 3. Patientenkarrieren 4. Psychophysiologische Prozesse 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung, Psychohygiene 0. Begriffsklärung: Was versteht man unter • „die Psyche“? • „psychisch“? • Psychologie? 0. Begriffsklärung: • Gibt es „die Psyche“? • Nein, • wenn die Frage morphologisch gemeint ist. • Ja, wenn bestimmte Funktionen gemeint sind. 0. Begriffsklärung: • Vorsicht! • Substantivierung von „die Psyche“ • führt zu Körper-Seele-Dualismus 0. Begriffsklärung: • Handlungen haben emotionale und rationale Motive • Vegetative Funktionen sind untrennbar mit emotionalen und rationalen Vorgängen verbunden 0. Begriffsklärung: • Was ist also die Funktion psychischer Prozesse? 0. Begriffsklärung: Die Funktion des Psychischen AUSSEN (verändert) INNEN Verarbeitung Bewertung Reaktion Sinneswahrnehmung Wozu • • • • Psychische Funktionen? dienen der 1) Orientierung, der 2) Regulation und der 3) Anpassung + beim Menschen kommt Bewusstsein hinzu (daher Verantwortung für Handlungen) 1: Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatik = die Einheit der Person 3. Patientenkarrieren 4. Psychophysiologische Prozesse 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung, Psychohygiene Rolle der Psychologie in der Medizin • • • • Psychobiologische Zusammenhänge, Psychosomatik Arzt-Patient-Beziehung und Kommunikation, Krankheitsbewältigung, Lebensqualität, Pat.-karrieren, Gesundheitsförderung, Rehabilitation, Psychosoziale Versorgungsforschung (z.B. Katastrophen, Onkologie, Traumatisierung, spezielle Lebensalter (Kinder, alte Menschen, MigrantInnen, Genderthemen), Anwendung psychologischer Interventionen in der Medizin, Psychotherapie, Familientherapie, Entwicklungspsychologie, Alter, sozialpsychologische Aspekte von Gesundheit und Krankheit, • • • • • • 1: Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatik = Einheit der Person 3. Patientenkarrieren 4. Psychophysiologische Prozesse 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung, Psychohygiene 2. Psychosomatik = Einheit der Person • Definition? 2. Psychosomatik = Einheit der Person Wie untersucht man dies wissenschaftlich? • A) am Einzelfall? • Beispiel einer „Spontanheilung“ Neurodermitis • B) oder an großen Stichproben? • Identifikation bestimmter Verhaltensmuster (Neurodermitis) atopisches Ekzem Das atopische Ekzem gilt als nicht heilbar, ist aber behandelbar. Die Therapie besteht hauptsächlich aus der Behandlung der charakteristischen Hauttrockenheit und der äußerlichen Anwendung von entzündungshemmenden Wirkstoffen. Es stehen außerdem verschiedene weitere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, deren Wirksamkeit sich im Einzelfall erweisen muß. 2. Psychosomatik = Einheit der Person Typ-A Verhalten und KHK (Rosenman und Friedman, 1959) Verhalten: • ehrgeizig, konkurrierend • aggressiv und feindlich, ungeduldig, • schnell denken und sprechen • hoch aktiv, voller Terminkalender • Motiv: • sucht Anerkennung, • will sich durchsetzen (Ziele sind sekundär) 2. Psychosomatik = Einheit der Person historische Studie: • • • • 3524 Männer (USA, California) Alter: 39 - 59 Jahren keinerlei Zeichen einer KHK Follow-up: nach 8,5 Jahren erneut auf KHK untersucht • Ergebnis: bei 7% Zeichen einer KHK, davon 2/3 ein Typ-A Verhalten 2. Psychosomatik = Einheit der Person Mortalität nach Herzinfarkt (Orth-Gomer u. Unden (1990): • Methode: prospektive Untersuchung, 150 Männer • follow-up nach 10 Jahren: • Typ-A: 24% Typ-B: 22% • Prädiktiv für A und B: vermehrte Extrasystolen • Innerhalb von Typ-A: • sozial isoliert: 69%, integriert: 17% (P<0.05) 2. Psychosomatik = Einheit der Person Wie soll man sich einen psycho – physischen Zusammenhang vorstellen? Oder: Wie kann sich Erleben / Verhalten auf Gesundheit / Krankheit auswirken? 2. Psychosomatik = Einheit der Person Alexithymie • A-lexi-thymie bezeichnet: • Schwierigkeiten im Identifizieren und Beschreiben von Gefühlen • Schwierigkeiten, zwischen Gefühlen und den körperlichen Anzeichen emotionaler Aktivierung zu unterscheiden • unzureichend entwickelte Vorstellungskraft Fehlen von Phantasietätigkeit • nach außen orientierter Denkstil (Versachlichung) Kauhanen et al (1996): Alexithymia and risk of death in middle aged men: J Psychosom Research 41 (6) 541-549 • Methode: prospektive Studie, 2297 finnische Männer, Extremgruppenvergleich, follow up: 5 Jahre, • • • • kontrolliert wurde: möglicher Einfluss von Depression, Verhaltensparameter (Rauchen Alkohol, Bewegung) biologische Parameter (Cholesterin, BMI, Bluthochdruck) • soziale Parameter (Familienstand, soziale Beziehungen, Bildungsgrad, Einkommen) Ergebnis: signifikanter Zusammenhang zwischen Alexithymie und Sterblichkeitsrisiko 1: Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatik = Einheit der Person 3. Patienten“karrieren“ 4. Psychophysiologische Prozesse 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung, Psychohygiene 3. Patientenkarrieren Patientenströme PSYCHOSOMATIK KD DD BD Konsultations- Diagnose- Behandlungs-Delay Konsultationsverzögerung in der Onkologie • Colon Carzinom: durchschnittlich 8 Monate • Mamma-Carzinom: durchschnittlich halbes Jahr • Geschlechtsunterschiede: Konsultations-Delay, Diagnose-Delay Behandlungs-Delay in der Psychosomatik NK= Anzahl der Konsultationen Symptom Durchschnitt BD 6,3a K (m/w) 78 (87/72) Magen-Darm Herz-Kreislauf sonstige Anorexie 9,4a 6,4a 4,0a 0,8a 125 57 74 9 Kropiunigg & Ringel, WiKliWo 99, 1987:560-565 1: Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatische Fragen 3. Patientenkarrieren 4. Psychophysiologische Prozesse 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung, Psychohygiene kontroverse Zugänge Emil DuBois-Reymond (1842) „[Ernst von] Brücke und ich, wir haben uns verschworen, die Wahrheit geltend zu machen, dass im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind, als die gemeinen physikalischchemischen.“ zitiert in Uexküll, 1992:25 Julius Tandler (1869-1936) , Gesundheitspolitiker und Anatom: „Man muss die Person eines Menschen bei seiner Krankheit mitberücksichtigen. Alles andere wäre menschliche Zoologie.“ 1. Das Stressmodell • Eustress (Herausforderung) • Distress (Überforderung) • Entscheidend ist die individuelle Bewältigungskompetenz (coping ability) Stressmodell von Lazarus Lazarus (1974): nicht die Situation ist für die Stressreaktion von Bedeutung, sondern die individuelle Verarbeitung des Betroffenen. • Jede neue oder unbekannte Situation wird in 2 Phasen bewertet: – Primary appraisal: Bewertung, ob die Situation eine Bedrohung enthält – Secondery appraisal: Bewertung, ob die Situation mit den verfügbaren Ressourcen bewältigt werden kann. • Nur wenn die Ressourcen nicht ausreichend sind, wird eine Streßreaktion ausgelöst. Stressmodell von Lazarus Situation Wahrnehmung Person Interpretation Kann ich mit meinen Ressourcen diesen Stressor bewältigen ? Ja Nein Adäquates Coping Stress • Stress kann wirken im • 1) physiologischen System (Organismus) • 2) psychologischen System (Individuum) • 3) sozialen System (Familie, Gruppe) Auslösende Faktoren • Körperliche Stresssituationen: Verletzungen, Operationen, Verbrennungen, Kälte, Schmerzen, Sauerstoffmangel, niedriger Blutzucker, u.a. • Psychische Stressreaktionen: Ärger, Angst, Leistungsdruck, u. a. • Bei langfristigem Stress negative Folgen, wie z.B.: • Schlafstörungen, • Spannungskopfschmerz • Infektanfälligkeit • Hypertonie • etc. Welche Faktoren bestimmen die individuelle Stress-Resistenz? • Individuelle Ressourcen • A) aus aktuellen Lebensbedingungen • B) aus persönlicher Entwicklungsgeschichte • Soziale Ressourcen • A) Soziale Integration, • B) social support Das Immunsystem ist nicht autonom ... Ab 1975 Psychoneuroimmunologie AUSGANG BETEILIGTE SYSTEME und HORMONE ZIEL ZNS Auton. NS - Noradrenalin IS ZNS Auton. NS - NebenNM - Adrenalin IS ZNS Hippokampus – Hypothalamus - CRH – Hypophyse - ACTH – NNR- Cortisol IS Hippokampus – Hypothalamus - CRH – Hypophyse - ACTH – NNR- Cortisol ZNS ZNS ZNS Neuropeptide IS IS Zytokine ZNS Nichtstoffliche Signale PNI-NETZWERK ZNS Hippokampus Hypothalamus Neuropeptide ANS CRH Hypophyse ACTH Cortisol Noradrenalin NNR Cortisol NNM Adrenalin Zytokine IL-1, IL-6 IS FAMILIÄRER DRUCK ? •Einsamkeit •Pflegebelastung •Trennung •Partnerverlust •Leistungsdruck • Gesellschaftliche Erwartungen • Elterliche Erwartungen • Humorlosigkeit • Angst • etc. 1: Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatische Fragen 3. Patientenkarrieren 4. Psychophysiologische Prozesse 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung Studien zur KOMMUNIKATION 20 Min Ordination = weniger als 1 Min Info (Waitzin & Stoeckle 1985) Nach 18 Sec (heute 23) wird Pat unterbrochen (Putnam 1996) 50% wissen hinterher nicht, was sinnvoll zu tun ist (DiMatteo 1991) Patienten hätten sich gewünscht, aber nicht erhalten: 38% Besprechung ihrer eigenen Behandlungsvorstellungen 31% ausreichende Diskussion ihrer Prognose Kravitz et al.1994 Patienten(un)zufriedenheit Studie an 37.000 Patienten: 28% „zu wenig Information über Behandlungsstand“ 22% „zu wenig Information über Maßnahmen bei Symptomverschlimmerung 21% „zu wenig in Behandlung eingebunden“ 8% „zu viel Missachtung von Respekt und Würde“ (American Hospital Association, Picker Institute, Boston) OMBUDSMANN Analyse von 1600 Beschwerden ergab: Häufigster Grund = DEFENSIVES VERHALTEN Empfehlung Kommunikation rechtzeitig pflegen Vorfall aus eigener Sicht erklären unbedingt positiv bleiben sich entschuldigen Matthews 1998 Ärzte ohne Kunstfehlerprozess Videoanalyse ärztlicher Kommunikationsstile von Wendy Levinson / Oregon und Colorado ohne KFP - ermuntern mehr zum Sprechen - geben mehr Hilfestellungen - sichern das Verstehen ab - geben mehr Orientierungs-Statements - fordern Meinungen heraus - machen mehr humorvolle Anmerkungen - Brauchen geringfügig mehr Zeit: 18.3 vs. 15.0 Min Examination as Predictors of Complaints to Medical Regulatory Authorities Tamblyn R et al (2007): Physician Scores on a National Clinical Skills (JAMA;298:993-1001) • Studie an >3.400 ÄrztInnen (Ontario und Quebec): • Medizin-StudentInnen, die in den Kommunikations-Tests schlecht abschneiden, sind später als Ärzte sehr viel häufiger Adressaten von Patientenbeschwerden. TORONTO CONSENSUS STATEMENT 3 GRUNDREGELN ZUR VERBESSERUNG DER KOMMUNIKATION MIT PATIENTEN Ermutigen, Bedenken zu äußern Wahrnehmung für Krankheit und Behandlung fördern Aktiv zuhören und Empathie lernen Simpson et al., BMJ 1991 Kalamazoo Consensus statement 2001 • Essential sets of communication tasks: • (1) build the doctor–patient relationship; (2) open the discussion; • (3) gather information; • (4) understand the patient’s perspective; (5) share information; • (6) reach agreement on problems and plans; • (7) provide closure. Unbewusstes in der Arzt-Patient-Beziehung • JoHari-Fenster (Joseph Luft und Harry Ingham): • P+ Arzt+ I. ArztII. • P- III. IV. Unbewußtes Zusammenspiel (Kollusion) • colludere (zusammenspielen) • Meint, dass beiden Beziehungspartnern nicht bewusst wird, wie sie in der Kommunikation zusammenspielen. • Beispiel: chronischer Schmerz, doctor-shopping – Neue Hoffnung/Idealisierung 1: Rolle der Psychologie in der Medizin 2. Psychosomatische Fragen 3. Patientenkarrieren 4. Psychophysiologische Wechselwirkungen 5. Arzt-Patient Kommunikation 6. Persönlichkeitsbildung FEELS THE DOCTOR FULFILLED? GRÖSSTE STUDIE ZUR BERUFSZUFRIEDENHEIT VON ÄRZTINNEN UND ÄRZTEN 90% 60% Aus weiteren Studien… von ca. 1700 ÄrztInnen rund 1/3 teilweise bis sehr unzufrieden bei den über 50-Jährigen sogar 46% Von rund 1150 ÄrztInnen unter 40 würde nahezu 1/3 den Beruf nicht mehr ergreifen Zufriedenheit 1960/70 1999 B. Konrad: Serious physician dissatisfaction Universities of North Carolina & Wisconsin, in Dahl, 1997 Health Policy: Berufliche Zufriedenheit von ÄrztInnen (Uni Hannover) • Stichprobe: 400 ÄrztInnen (Arbeitszeit mit Patienten >50%) • Arbeitsvertrag 23% mit fester Stelle und nur 12% mit einem befristeten Vertrag sind sehr zufrieden • Hierarchische Position: 46% der Abteilungs-Leiter, 8-14% Assistenzärztinnen sind zufrieden. • Fach: Chirurgen am zufriedensten, Internisten am wenigsten zufrieden • wichtig: zeitliche Einflussmöglichkeiten, finanzielle Anreize, Mitbestimmung des Arbeitsablaufs, Weiterbildung, Kooperation mit dem Pflegepersonal, Aufstiegsmöglichkeiten, Betriebsklima und Arbeitsplatzsicherheit. • Am wichtigsten: Entscheidungskompetenzen, soziale Anerkennung, Weiterbildungsmöglichkeiten, Arbeitsplatzsicherheit, gute Kooperation mit Kollegen. BURNOUT-PROPHYLAXE Maßnahmen gegen Fremdbestimmung + Burnout Informieren, Frühwarnsymptome erkennen Eigenanalyse, Reflexion, was will ich? Was brauche ich? was tut mir gut? was nicht? was kann ich? was überfordert mich? Sprechen mit anderen Balint-Gruppen Sprechen mit Erfahrenen, Mentoren Supervision Ressourcen des Teams nützen Teamsupervision, Teamentwicklung, Konfliktmanagement, Fortbildung einfordern + nutzen • Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Download: www.oskar-frischenschlager.at LITERATUR McDougall, Joyce: Theater des Körpers. Verlag Internationale Psychoanalyse, Weinheim 1991 Rorty, Richard: Kontingenz, Ironie und Solidarität. Suhrkamp Frankfurt Main 1999 Sapolsky, Robert M.: Why Zebras don`t get ulcers. W.H. Freeman and Company, New York 1994 Uexküll, Thure von: Psychosomatische Medizin. Urban und Schwarzenberg, München Wien Baltimore 1990 McEwen Bruce S: The end of stress as we know it. J. Henry Press, Washington, D.C., 2002 Medizinische Psychologie, Sonneck, Frischenschlager, Hexel, Kropiunigg, Pucher, Schjerve (Hg.), Facultas, Wien 1999