Peter Walla Das visuelle System Das Sehen von Kanten: Das Sehen von Kanten ist eine trivial klingende, aber äußerst wichtige Funktion des visuellen Systems! Kanten definieren die Ausdehnung und die Position von Objekten! Eine „visuelle Kante“ ist eigentlich die Wahrnehmung eines Kontrasts zweier benachbarter Stellen im Gesichtsfeld. Betrachten Sie die nebenstehende Abbildung und erkennen Sie die so genannten „Mach-Bänder“! Diese Mach-Bänder entstehen durch Kontrastverstärkung an den Kanten! Peter Walla Das visuelle System Prinzipiell wird jede Kante durch eine solche Kontrastverstärkung hervorgehoben! ein schönes Beispiel dafür, dass Wahrnehmung meist mehr ist als ein reines Abbild der Umwelt! Untersuchungen über die physiologischen Grundlagen der Kontrastverstärkung wurden an den Augen des „Pfeilschwanzkrebses“ (Limulus polyphemus) durchgeführt! Peter Walla Das visuelle System Kontrastverstärkung an einer Kante entsteht durch so genannte laterale Hemmung auf Ebene der Rezeptoren (in diesem Fall der Sehzellen!)! Beim Pfeilschwanzkrebs feuert ein Rezeptor bei Beleuchtung mit einer Rate, die direkt proportional zur Intensität des Lichts ist! Ein Rezeptor hemmt, wenn er feuert, seine benachbarten Rezeptoren! Diese Hemmung wird über ein laterales neuronales Netzwerk bewerkstelligt! Laterale Hemmung! Peter Walla Das visuelle System Die rezeptiven Felder der visuellen Neurone: Was ist ein rezeptives Feld? Ein rezeptives Feld eines visuellen Neurons ist der Bereich des Gesichtsfelds, in dem es für einen visuellen Reiz möglich ist, das Feuern dieses Neurons zu beeinflussen! Rezeptive Felder der Neurone des retino-geniculo-striären Systems: Das System hat 3 Ebenen der Informationsverarbeitung: Retinale Ganglienzellen – CGL – striäre Neuronen (visueller Kortex) 1979 haben Hubel und Wiesel 4 Gemeinsamkeiten bezüglich der rezeptiven Felder auf allen drei Ebenen entdeckt: 1) Die rezeptiven Felder des fovealen Bereichs sind kleiner als diejenigen der Peripherie (Fovea vermittelt hohe räumliche Auflösung!) Peter Walla Das visuelle System 2) Die Neuronen aller Ebenen (striär allerdings nur die der Schicht 4) haben kreisförmige rezeptive Felder 3) Alle Neuronen haben rezeptive Felder in nur einem Auge (monokular) 4) Die rezeptiven Felder vieler Neuronen aller Ebenen haben kreisförmige rezeptive Felder, die aus einem erregenden und einem hemmenden Bereich bestehen. Diese zwei Bereiche sind auch kreisförmig begrenzt. Ein bestimmtes Neuron zeigt entweder eine so genannte „On-Reaktion“, d.h. eine Erhöhung der Entladungsfrequenz beim Einschalten von Licht, oder eine so genannte „Off-Reaktion“, d.h. eine Erhöhung der Entladungsfrequenz beim Ausschalten von Licht. Peter Walla Das visuelle System So genannte „On-Zentrum-Zellen“ erhöhen ihre Entladungsfrequenz, wenn Licht in den zentralen Bereich ihres rezeptiven Feldes gestrahlt wird! So genannte „Off-Zentrum-Zellen“ erhöhen ihre Entladungsfrequenz, wenn Licht in den peripheren Bereich ihres rezeptiven Feldes gestrahlt wird! On-Zentrum-Zellen und Off-Zentrum-Zellen reagieren am besten auf „Kontrast“! Hubel und Wiesel dachten, dass eine wichtige Funktion vieler Neuronen des retino-geniculostriären Systems darin besteht, auf den Helligkeitskontrast zwischen den zwei Bereichen Ihres rezeptiven Feldes zu reagieren! Peter Walla Das visuelle System Im Buch ist an dieser Stelle ein sehr wichtiger Absatz eingeschoben: „Die Höhe der Aktivität visueller kortikaler Neuronen ohne Reizung ist variabel und beeinflusst die Reaktion derselben Neuronen auf einen folgenden Reiz“! Kognition beeinflusst Wahrnehmung! Es geht weiter mit den rezeptiven Feldern: Bisher ging es um Neuronen der Retina, des CGL und der unteren 4ten Schicht der Area striata. Die Neuronen des primären visuellen Kortex (Area striata), die nicht der unteren Schicht IV angehören, haben keine kreisförmigen rezeptiven Felder und werden entweder „einfach“ oder „komplex“ genannt. 1) Die „einfachen Neuronen„ haben ebenso rezeptive Felder, die in OnRegionen und Off-Regionen unterteilt sind, diese haben allerdings geradlinige Grenzen! Peter Walla Das visuelle System Die einfachen Neuronen reagieren am stärksten auf Lichtstreifen in einem dunklen Feld, dunkle Streifen in einem hellen Feld oder auf gerade Kanten zwischen dunklen und hellen Zonen. Die rezeptiven Felder einfacher Neuronen sind daher eher rechteckig als rund! Die Position und die Orientierung gerad-kantiger Reize sind entscheidend für die maximale Reaktion eines einfachen Neurons! 2) Die „komplexen Neuronen“ haben ebenso eher rechteckige rezeptive Felder und reagieren am stärksten auf geradlinige Reize (wie die einfachen Neuronen). Es gibt aber 3 wichtige Unterschiede zwischen einfachen und komplexen Neuronen des visuellen Kortex! Peter Walla Das visuelle System Diese Unterschiede sind: 1) Komplexe Neuronen haben größere rezeptive Felder als einfache Neuronen. 2) Die rezeptiven Felder komplexer Neuronen haben keine klaren „On“- und „Off“-Bereiche. Z.B.,jeder geradlinige Reiz im rezeptiven Feld eines komplexen Neurons löst eine Reaktion aus, unabhängig von seiner Position. 3) Viele komplexe Neuronen sind „bipolar“, d.h. sie reagieren auf Reize, die auf jedes der beiden Augen treffen (die einfachen Neuronen sind alle „monokular“!). Ein bipolares komplexes Neuron reagiert am stärksten, wenn dieselben rezeptiven Felder beider Augen gleichzeitig stimuliert werden. Es gibt ein gewisses Ausmaß an so genannter „Okularer Dominanz“! D.h., ein bipolares komplexes Neuron reagiert auf eine Reizung eines der beiden Augen stärker. Manche bipolare komplexe Neuronen feuern überhaupt am stärksten, wenn sich die Reize, die auf beide Augen fallen, leicht in ihrer Position unterscheiden. Retinale Disparität (für Tiefenwahrnehmung!) Peter Walla Das visuelle System Die säulenartige Organisation des visuellen Kortex: Untersuchungen der rezeptiven Felder von Neuronen des visuellen Kortex führte zu 2 wichtigen Erkenntnissen: 1) Die Signale der „On“- und „Off“-Neuronen der unteren Schicht IV des visuellen Kortex werden zuerst zu den „einfachen“ Neuronen und dann zu den „komplexen“ Neuronen weitergeleitet (Hierarchie!) 2) Die Neuronen des primären visuellen Kortex sind in funktionalen vertikalen Säulen gruppiert. (vertikal bedeutet hier: normal zur Kortexoberfläche!). in horizontaler Richtung gibt es die so genannten „Okularen Dominanzsäulen“! funktionelle Säulen, die Input von einem bestimmten Bereich der Retina erhalten, sind zusammen gruppiert! Dabei erhält eine Hälfte hauptsächlich Input des linken Auges und die andere Hälfte hauptsächlich Input des rechten Auges! Peter Walla Das visuelle System Organisation des visuellen Kortex Peter Walla Das visuelle System Ein erster Nachweis der alternierenden Anordnung der Inputs von beiden Augen wurde von LeVay, Hubel und Wiesel (1975) erbracht! Eine radioaktive Aminosäure wurde in ein Auge (eines Makaken; Affe) injiziert. Diese Substanz übersprang die Synapsen im Zuge des retino-geniculostriären Systems und gelng bis in die Schicht IV des visuellen Kortex! Peter Walla Das visuelle System Das Modell zur Organisation der funktionalen Säulen im primären visuellen Kortex von Hubel und Wiesel Peter Walla Das visuelle System Eine zusätzliche Theorie erweitert die Vorstellung von Hubel und Wiesel! Die Ortsfrequenztheorie! Diese Theorie geht davon aus, dass die Funktion des visuellen Kortex nicht auf einer Kodierung auf Basis gerader Linien und Kanten beruht, sondern, dass es eher einen so genannten „Ortsfrequenz-Code“ gibt. (nach DeValois, DeValois und Kollegen, 1988). Eine Beobachtung zeigt, dass Neuronen des visuellen Kortex stärker auf Sinuswellengitter reagieren als auf gerade Linien und Kanten! Peter Walla Das visuelle System Jeder visuelle Reiz ist durch eine graphische Darstellung der Intensität des Lichts entlang von Linien, die durch ihn verlaufen, abzubilden. Zusätzlich kann jede Kurve durch eine so genannte „Fourier-Analyse“ in einzelne Sinuswellen zerlegt werden! Peter Walla Das visuelle System Die Ortsfrequenztheorie geht nun konkret davon aus, dass ein funktionales Modul des visuellen Kortex eine Art Fourier-Analyse der visuellen Muster in seinem rezeptiven Feld durchführt! Die Ortsfrequenztheorie erweitert somit die Erkenntnisse von Hubel und Wiesel!