Begriffe, Definitionen, Aussagen Begriffe sind sprachliche Zeichen, die nach bestimmten Regeln (Korrespondenzregeln) mit Phänomenen der Realität oder gedanklichen Vorstellungen verbunden sind. Beachte: Realität vs. Aussagen über die Realität Beispiel: Buch = 1. Ordnungsfunktion: Begriffe legen fest, was betrachtet werden soll. 2. Kommunikationsfunktion: Begriffe sollen die Kommunikation zwischen Individuen über denselben Vorstellungsinhalt ermöglichen. (auch: Sprachökonomie) 3. Bewertungsfunktion: Begriffe können eine normative Aussage beinhalten Zentrale Ansprüche an (wissenschaftliche) Begriffe: • Intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Zuordnung von Vorstellungsinhalten zu realen Sachverhalten • Verständlichkeit • Eindeutigkeit (Widerspruchsfreiheit) Präzisierung und einheitliche Verwendung notwendig Definitionen Arten von Definitionen - Nominaldefinition - Realdefinition - (Operationale Definition) Nominaldefinition • Nominaldefinition: Festlegung, dass ein Begriff A1 dasselbe bedeutet wie der Ausdruck A2 • Definiendum: Begriff, der definiert wird • Definiens: Menge an Begriffen, die den Inhalt des Definiendums darstellen Bsp.: katholisch (Definiendum) sollen heißen Personen, die regelmäßig den römisch katholischen Gottesdienst besuchen und Kirchensteuer an die katholische Kirche entrichten (Definiens) • definitorischer Regress: wenn Definiens aus zu definierenden Begriffen besteht Gefahr: Zirkularität (Tautologie), infiniter Regress Nominaldefinition • Definiens und Definiendum sind austauschbar • müssen keinen empirischen Gehalt haben, können weder verifiziert noch falsifiziert werden • Nominaldefinitionen besitzen keinen Wahrheitsanspruch • Kriterium: Adäquanz, Praktikabilität Bsp. Ein Engel ist ein übersinnliches, gottgesandtes, beflügeltes Wesen, das Menschen beschützt und ihnen Botschaften überbringt. – intensionale Bedeutung: Begriffsinhalte, Merkmale, die Objekte aufweisen müssen, um mit Begriff bezeichnet werden zu können – extensionale Bedeutung: Menge aller Objekte, die die Intension des Begriffs erfüllen Empiriebezug Realdefinitionen • verbunden mit Anspruch, wahrheitsfähig zu sein • dem Definiendum sollen seine wesentlichen Definiens zugeordnet werden (Aussagen über Merkmale, Eigenschaften) • Kritik: Wie ist die richtige Erfassung des „Wesens“ zu überprüfen? • Keine Austauschbarkeit zwischen Explanandum und Explanans • i.d.R. keine Anspruch auf Vollständigkeit • sind oft: – präskriptive Aussagen – Bedeutungsanalysen – empirische Wenn-Dann-Hypothesen Beispiel: „Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier.“ Verifikation/Falsifikation Operationale Definition - regelgeleitete Überprüfung des tatsächlichen Vorliegens vorerst hypothetisch zugeschriebener, nicht direkt beobachtbarer Eigenschaften - gibt ein Messverfahren für einen Begriff an Beispiel: Intelligenz erst im Intelligenztest formuliert/konstruiert Arten von Aussagen • • • • • • Einfache Aussage „x ist y“ Existenzsätze „Es gibt (mindestens) ein fliegendes Schwein“ Allsatz „Alle Menschen sind sterblich“ Raum/zeitlich gebundene Aussagen „Damals in Ostpreußen…“ …ungebundene Aussagen „Niemand ist unfehlbar“ Singuläre Aussagen: endliche Zahl von Objekten, raum/zeitlich gebunden, niedriger Informationsgehalt • Nicht-singuläre Aussagen: unendliche Zahl von Objekten, raum-zeitlich ungebunden, hoher Informationsgehalt • Deterministische Aussagen: Wenn x gegeben ist, dann tritt y ein.“ (immer) • Probabilistische Aussagen: Wenn x gegeben ist, dann tritt mit n-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein Aussagen • logische Aussagen – Tautologie: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.“ kein Informationsgehalt – Kontradiktion: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter und es bleibt wie es ist.“ • präskriptive/normative Aussagen – Soll-Sätze nicht empirisch begründbar / prüfbar – aus Normen abgeleitet • Bsp.: „Du sollst nicht töten.“ • empirische Aussagen – singuläre Sätze: Aussagen über einzelne Ereignisse oder Zustände „Herr Maier ist katholisch.“ – Hypothesen: Wenn jemand mit der Demokratie unzufrieden ist, wählt er rechtsextreme Parteien. Variablen • Variable = zusammenfassender Name für eine Menge von mindestens zwei Merkmalsausprägungen, die Objekten zugeschrieben werden können • Variablen können unterschiedliche Werte annehmen (vs. Konstanten), Werte, die den Zustand des gleichen Objektbereichs angeben, lassen sich zu Variablen zusammenfassen • Eine Variable kann zu einem Zeitpunkt nur EINEN Wert annehmen • Anforderungen an Kategorien: – disjunkt : Kategorien dürfen sich nicht überlappen (wechselseitige Exklusivität) – erschöpfend: alle Objekte (Werte) müssen zugeordnet werden können • verschiedene Systematisierungsmöglichkeiten: – nach Kategorienanzahl (diskret, stetig) – empirischen Bezug (manifest, latent) – Art der Beziehung (absolut, relational) – Merkmalsträger (Individual-, Kollektivmerkmale (analytisch, strukturell, global) – vermuteter Wirkungsrichtung (unabhängige, abhängige Variable) Hypothesen, Gesetze, Theorien • Hypothesen: – Aussagen, die einen Zusammenhang zwischen mindestens zwei Variablen (empirischen oder logischen Sachverhalten) postulieren Wenn-Dann- oder Je-Desto-Aussagen Beispiele: Für alle Personen X gilt: wenn eine Person x eine Norm bricht, dann wird x sanktioniert (bestraft). Je dümmer der Bauer, desto größer die Kartoffeln. • Gesetze: – strukturell identisch mit Hypothesen, raum-zeitlich unbegrenzt, beanspruchen universelle Gültigkeit, haben sich empirisch bewährt Theorien – eine Menge miteinander verknüpfter (Gesetzes-)Aussagen, von denen sich eine Teilmenge auf empirisch prüfbare Zusammenhänge zwischen Variablen bezieht – Bestandteile: • Definitionen • Aussagen (Hypothesen) • Axiome (Aussagen mit der höchsten Allgemeinheit, widerspruchsfrei, logisch unabhängig) • Theoreme (Ableitungen aus Axiomen und Definitionen) – Modell: mathematisch formalisierte Fassung einer Theorie Beschreibung empirischer Regelmäßigkeiten – Theorien mittlerer Reichweite – grand theories (z.B. universelle, historische „Entwicklungsgesetze“) Hypothesen • verschiedene Systematisierungsmöglichkeiten: – nach Grad der Determiniertheit (deterministisch, probabilistisch) – Art des Zusammenhangs (Wenn-Dann-, Je-desto-Hypothese) – Kausalitätsstruktur (Assoziation, Ursache-Wirkung, Trend) – Merkmalsebene (Individual-, Kollektiv-, Kontext-, Aggregationshypothese) Hypothesenarten …nach Art der Beziehung • Zusammenhangshypothese „Soziales Prestige hängt vom Einkommen ab.“ „Es besteht ein positiver / negativer Zusammenhang zwischen…“ • Veränderungshypothese „Mit dem verstärkten Auftreten von Parteienskandalen und nicht eingehaltenen Wahlversprechen nimmt die Politikverdrossenheit der Wähler zu.“ • Unterschiedshypothese „Das Wahlverhalten unterscheidet sich zwischen den sozialen Lagen der Wähler.“ Wenn-Dann-Hypothesen I • bei dichotomen Variablen – Kategorien unabhängige Variable: A und ~A • A tritt ein & A tritt nicht ein – Kategorien abhängige Variable: B und ~B • B tritt ein & B tritt nicht ein • Implikationsbeziehung – (hinreichende Bedingung): – Wenn A auftritt, dann wird B erwartet. Bei ~A kann B oder ~B auftreten. – „Wenn jemand mit der Demokratie unzufrieden ist, wählt er rechtsextreme Parteien.“ • Äquivalenzbeziehung – (notwendige und hinreichende Bedingung): – Wenn A auftritt, dann wird B erwartet. Wenn ~A gilt, tritt ~B auf. – „Wenn und nur dann wenn jemand mit der Demokratie unzufrieden ist, wählt er rechtsextreme Parteien.“ Wenn-Dann-Hypothese II: Prüfung Vierfeldertafel: – Falsifikator: Fall, der Hypothese widerlegt – Konfirmator: Fall, der Hypothese bestätigt Wenn-Dann-Hypothesen III: Beispiel • Hypothese deterministisch formuliert: Wenn und nur wenn eine Ehe eine Frühehe ist, wird sie geschieden. • Hypothese: Frühehen besitzen höheres Scheidungsrisiko als Spätehen. • Definition: – Frühehe: unter 22 Jahren geschlossen – Scheidung: 10 Jahre nach Eheschließung geschieden Frühehe Nicht-Frühehe nach 10 Jahren geschieden 350 150 nicht nach 10 Jahren geschieden 650 850 N 1000 1000 p 0.35 0.15 Hypothese bestätigt Je-Desto-Hypothesen • Merkmalsausprägungen müssen als Rangfolge interpretierbar sein • Beziehung muss monoton sein: wenn A>B und B>C, dann auch A>C • nicht alle Zusammenhänge sind monoton Deduktiv-Nomologische(DN)-Erklärungen – Deduktion: vom Allgemeinen auf das Besondere schließen – Induktion: vom Besonderen auf das Allgemeine schließen – theoretische Grundstruktur von D-N-Erklärungen: Gesetz (Allaussage): Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie ist, wählt sie rechtsextreme Parteien. Randbedingung: Person X ist unzufrieden mit der Demokratie. zu erklärendes Phänomen Person X wählt eine rechtsextreme Partei. Explanans Explanandum – aus wahrem Gesetz und Randbedingung wird Explanandum logisch-deduktiv abgeleitet – -vom Allgemeinen zum Speziellen Deduktiv-nomologische Erklärung Zu beachten: Explanandum folgt logisch korrekt aus Explanans Explanans muss Gesetz enthalten Explanans muss wahr sein Explanans muss empirischen Gehalt haben Vergleich Basissatz mit Beobachtungssatz Hypothesentest I Problem: keine Gesetze in der Sozialwissenschaft bekannt Forschung ist wesentlich Suche nach Gesetzen Hypothesentests Gesetz Randbedingung Explanandum Erklärung gesucht gesucht gegeben Prognose Gegeben gegeben gesucht gegeben (als Hypothese) gegeben oder herbeigeführt gesucht (aber als abgeleitet gegeben) Hypothesentest logische Operation (Ableitung des erwartbaren Explanandums aus Hypothese und möglicher Randbedingung) Suchen einer geeigneten Testsituation (Situation, in der Randbedingung realisiert ist) Überprüfung, ob sich erwartetes Explanandum einstellt (eingestellt hat) Hypothesentest II andernfalls kein Test ad-hoc Erklärung (Huber [1992]: Das psychologische Experiment. Bern: Verlag Huber) WICHTIG: Hypothese und Explanandum vor der Testsituation aufstellen bzw. ableiten Hypothesentest III Gesetze als All-Aussagen können nie endgültig bestätigt/verifiziert werden Gesetz hat unendlichen Geltungsbereich – getestet werden können nur endliche Situationen Schluss von begrenzter Anzahl getesteter Situationen auf alle (=Induktion) Hypothesen lassen sich nur vorläufig bestätigen aber Falsifikation immer möglich ein einziger Fall, in der die Randbedingung vorliegt, aber das Explanandum nicht vorliegt, falsifiziert (potentiell) die Hypothese ABER: Voraussetzung ist korrekte Erfassung der Wirklichkeit Informationsgehalt von Hypothesen Informationsgehalt eines empirischen Satzes: Menge an Sätzen, die der Satz ausschließt. Je geringer der Informationsgehalt der Wenn-Komponente eines Satzes, desto größer der Informationsgehalt des gesamten Satzes, da die Anzahl der potentiellen Falsifikatoren steigt. Je geringer der Informationsgehalt der Dann-Komponente eines Satzes, desto geringer der Informationsgehalt des gesamten Satzes, da die Anzahl der potentiellen Falsifikatoren sinkt. Informationsgehalt von Hypothesen: Wenn-Komponente (H2) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie und der wirtschaftlichen Situation ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien. (H3) Wenn eine Person, unzufrieden mit der Demokratie, der wirtschaftlichen Situation und alleinstehend ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien. Informationsgehalt (H1) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien. Menge potentieller Falsifikatoren: Wenn-Komponente unzufrieden mit Demokratie, wirt. Situation und alleinstehend … (H3) Person ist unzufrieden mit Demokratie und wirtschaftl. Situation… (H2) unzufrieden mit Demokratie… (H1) Informationsgehalt: H1>H2>H3 … und wählt nicht rechtsextrem. Informationsgehalt von Hypothesen: Dann-Komponente (H5) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien. (H6) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie ist, wählt Sie extreme Parteien. Informationsgehalt (H4) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien und ist Mitglied einer solchen. Menge potentieller Falsifikatoren: Dann-Komponente wählt nicht rechtsextreme Parteien (H5&H4) oder oder Person ist unzufrieden mit Demokratie und wählt nicht extreme Parteien (H6&H5&H4) ist nicht Mitglied extremer Partei. (H4) Informationsgehalt: H4>H5>H6 Informationsgehalt von Hypothesen • Informationsgehalt der Teilsätze kann durch Konjunktionen / Begriffsänderungen erweitert oder verringert werden: – Konjunktionen • „und“: bei WENN verringernd, bei DANN erweiternd • „oder“: bei WENN erweiternd, bei DANN verringernd – durch Begriffserweiterungen/-beschränkungen • Beschränkung: bei WENN verringernd, bei DANN erweiternd • Erweiterung: bei WENN erweiternd, bei DANN verringernd • Regeln sind prinzipiell auf Je-Desto-Hypothesen übertragbar, aber Vergleich der beiden Hypothesenarten schwierig Korrespondenzproblem (aus Schnell/Hill/Esser (2005), S. 74) Was sind Korrespondenzregeln? Wie kann man sicherstellen, dass Indikatoren zu dem theoretischen Konstrukt gehören? Korrespondenzproblem: Operationalismus Operationalismus: das theoretische Konstrukt wird durch die Beobachtungssätze definiert keine Unterscheidung zwischen theoretischen Konstrukten und empirischen Indikatoren Probleme: kein Vergleich zwischen Untersuchungen, die unterschiedlich gemessen haben möglich Dispositionsbegriff nicht direkt beobachtbar zeigen sich nur unter Bedingungen Gleichsetzung wäre verfehlt, da Disposition nicht nur unter den angegebenen Bedingungen besteht Korrespondenzproblem: bilaterale Reduktionssätze Einer Person wird das Prädikat A dann und nur dann zugesprochen, wenn Sie auf den Stimulus S die Reaktion R zeigt. Wenn nicht, wird ihr Nicht-A zugesprochen. „Indikatorenuniversum“ – immer nur partielle empirische Erfassung auch Korrespondenzregeln sind empirische Hypothesen („Hilfstheorien“ bei Falsifikation ist also zu entscheiden: „Hilfs- bzw. Instrumententheorie“ oder „Kerntheorie“ falsifiziert Basissatzproblem Theorie wird nicht direkt mit Beobachtung verglichen, sondern nur mit Sätzen über das Beobachtete (Basis- oder Protokollsätze) Basissätze müssen nicht immer das Beobachtete korrekt erfassen: Erfassung des Beobachteten ist von Fehlern beeinträchtigt Erfassung des Beobachteten ist theoriegeleitet POPPER: „Logisch betrachtet geht die Prüfung der Theorie auf Basissätze zurück, und diese werden durch Festsetzung anerkannt. Festsetzungen sind es somit, die über das Schicksal der Theorie entscheiden. (…) So ist die empirische Basis der (…) Wissenschaft nichts „Absolutes“; die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland…“ (Popper (1976), S. 73-75) Folgerungen aus Basissatz- und Korrespondenzproblem • Basissätze und Korrespondenzregeln sollten immer explizit gemacht werden • es besteht immer die Möglichkeit: – auf der Grundlage einer fälschlicherweise als richtig angenommenen Basis eine richtige Theorie zu widerlegen – bzw. eine falsche zu bestätigen