SItzung_3_Begriffe Definitionen Hypothesen etc

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Begriffe, Definitionen, Aussagen
Begriffe sind sprachliche Zeichen, die nach bestimmten Regeln
(Korrespondenzregeln) mit Phänomenen der Realität oder
gedanklichen Vorstellungen verbunden sind.
Beachte: Realität vs.
Aussagen über die Realität
Beispiel: Buch =
1. Ordnungsfunktion: Begriffe legen fest, was betrachtet werden soll.
2. Kommunikationsfunktion: Begriffe sollen die Kommunikation zwischen
Individuen über denselben Vorstellungsinhalt ermöglichen. (auch:
Sprachökonomie)
3. Bewertungsfunktion: Begriffe können eine normative Aussage beinhalten
Zentrale Ansprüche an (wissenschaftliche) Begriffe:
• Intersubjektive Nachvollziehbarkeit der Zuordnung von
Vorstellungsinhalten zu realen Sachverhalten
• Verständlichkeit
• Eindeutigkeit (Widerspruchsfreiheit)
 Präzisierung und einheitliche Verwendung notwendig 
Definitionen
Arten von Definitionen
- Nominaldefinition
- Realdefinition
- (Operationale Definition)
Nominaldefinition
• Nominaldefinition: Festlegung, dass ein Begriff A1 dasselbe
bedeutet wie der Ausdruck A2
• Definiendum: Begriff, der definiert wird
• Definiens: Menge an Begriffen, die den Inhalt des
Definiendums darstellen
Bsp.: katholisch (Definiendum) sollen heißen Personen, die
regelmäßig den römisch katholischen Gottesdienst besuchen und
Kirchensteuer an die katholische Kirche entrichten (Definiens)
• definitorischer Regress: wenn Definiens aus zu definierenden
Begriffen besteht
Gefahr: Zirkularität (Tautologie), infiniter Regress
Nominaldefinition
• Definiens und Definiendum sind austauschbar
• müssen keinen empirischen Gehalt haben,
können weder verifiziert noch falsifiziert werden
• Nominaldefinitionen besitzen keinen
Wahrheitsanspruch
• Kriterium: Adäquanz, Praktikabilität
Bsp. Ein Engel ist ein übersinnliches, gottgesandtes, beflügeltes
Wesen, das Menschen beschützt und ihnen Botschaften überbringt.
– intensionale Bedeutung: Begriffsinhalte, Merkmale, die
Objekte aufweisen müssen, um mit Begriff bezeichnet werden
zu können
– extensionale Bedeutung: Menge aller Objekte, die die
Intension des Begriffs erfüllen
Empiriebezug
Realdefinitionen
• verbunden mit Anspruch, wahrheitsfähig zu sein
• dem Definiendum sollen seine wesentlichen Definiens zugeordnet
werden (Aussagen über Merkmale, Eigenschaften)
• Kritik: Wie ist die richtige Erfassung des „Wesens“ zu überprüfen?
• Keine Austauschbarkeit zwischen Explanandum und Explanans
• i.d.R. keine Anspruch auf Vollständigkeit
• sind oft:
– präskriptive Aussagen
– Bedeutungsanalysen
– empirische Wenn-Dann-Hypothesen
Beispiel: „Der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier.“
 Verifikation/Falsifikation
Operationale Definition
- regelgeleitete Überprüfung des tatsächlichen Vorliegens
vorerst hypothetisch zugeschriebener, nicht direkt
beobachtbarer Eigenschaften
- gibt ein Messverfahren für einen Begriff an
Beispiel: Intelligenz erst im Intelligenztest formuliert/konstruiert
Arten von Aussagen
•
•
•
•
•
•
Einfache Aussage „x ist y“
Existenzsätze „Es gibt (mindestens) ein fliegendes Schwein“
Allsatz „Alle Menschen sind sterblich“
Raum/zeitlich gebundene Aussagen „Damals in Ostpreußen…“
…ungebundene Aussagen „Niemand ist unfehlbar“
Singuläre Aussagen: endliche Zahl von Objekten, raum/zeitlich
gebunden, niedriger Informationsgehalt
• Nicht-singuläre Aussagen: unendliche Zahl von Objekten,
raum-zeitlich ungebunden, hoher Informationsgehalt
• Deterministische Aussagen: Wenn x gegeben ist, dann tritt y
ein.“ (immer)
• Probabilistische Aussagen: Wenn x gegeben ist, dann tritt mit
n-prozentiger Wahrscheinlichkeit ein
Aussagen
• logische Aussagen
– Tautologie: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert
sich das Wetter, oder es bleibt wie es ist.“  kein
Informationsgehalt
– Kontradiktion: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert
sich das Wetter und es bleibt wie es ist.“
• präskriptive/normative Aussagen
– Soll-Sätze  nicht empirisch begründbar / prüfbar
– aus Normen abgeleitet
• Bsp.: „Du sollst nicht töten.“
• empirische Aussagen
– singuläre Sätze: Aussagen über einzelne Ereignisse oder
Zustände „Herr Maier ist katholisch.“
– Hypothesen: Wenn jemand mit der Demokratie
unzufrieden ist, wählt er rechtsextreme Parteien.
Variablen
• Variable = zusammenfassender Name für eine Menge von mindestens zwei
Merkmalsausprägungen, die Objekten zugeschrieben werden können
• Variablen können unterschiedliche Werte annehmen (vs. Konstanten), Werte,
die den Zustand des gleichen Objektbereichs angeben, lassen sich zu
Variablen zusammenfassen
• Eine Variable kann zu einem Zeitpunkt nur EINEN Wert annehmen
•
Anforderungen an Kategorien:
– disjunkt : Kategorien dürfen sich nicht überlappen (wechselseitige Exklusivität)
– erschöpfend: alle Objekte (Werte) müssen zugeordnet werden können
•
verschiedene Systematisierungsmöglichkeiten:
– nach Kategorienanzahl (diskret, stetig)
– empirischen Bezug (manifest, latent)
– Art der Beziehung (absolut, relational)
– Merkmalsträger (Individual-, Kollektivmerkmale (analytisch, strukturell, global)
– vermuteter Wirkungsrichtung (unabhängige, abhängige Variable)
Hypothesen, Gesetze, Theorien
• Hypothesen:
– Aussagen, die einen Zusammenhang zwischen mindestens
zwei Variablen (empirischen oder logischen Sachverhalten)
postulieren
Wenn-Dann- oder Je-Desto-Aussagen
Beispiele: Für alle Personen X gilt: wenn eine Person x eine Norm
bricht, dann wird x sanktioniert (bestraft).
Je dümmer der Bauer, desto größer die Kartoffeln.
• Gesetze:
– strukturell identisch mit Hypothesen, raum-zeitlich
unbegrenzt, beanspruchen universelle Gültigkeit, haben sich
empirisch bewährt
Theorien
– eine Menge miteinander verknüpfter (Gesetzes-)Aussagen, von
denen sich eine Teilmenge auf empirisch prüfbare
Zusammenhänge zwischen Variablen bezieht
– Bestandteile:
• Definitionen
• Aussagen (Hypothesen)
• Axiome (Aussagen mit der höchsten Allgemeinheit,
widerspruchsfrei, logisch unabhängig)
• Theoreme (Ableitungen aus Axiomen und Definitionen)
– Modell: mathematisch formalisierte Fassung einer Theorie
Beschreibung empirischer Regelmäßigkeiten – Theorien
mittlerer Reichweite – grand theories (z.B. universelle,
historische „Entwicklungsgesetze“)
Hypothesen
• verschiedene Systematisierungsmöglichkeiten:
– nach Grad der Determiniertheit (deterministisch,
probabilistisch)
– Art des Zusammenhangs (Wenn-Dann-, Je-desto-Hypothese)
– Kausalitätsstruktur (Assoziation, Ursache-Wirkung, Trend)
– Merkmalsebene (Individual-, Kollektiv-, Kontext-,
Aggregationshypothese)
Hypothesenarten
…nach Art der Beziehung
• Zusammenhangshypothese
„Soziales Prestige hängt vom Einkommen ab.“
„Es besteht ein positiver / negativer Zusammenhang
zwischen…“
• Veränderungshypothese
„Mit dem verstärkten Auftreten von Parteienskandalen und
nicht eingehaltenen Wahlversprechen nimmt die
Politikverdrossenheit der Wähler zu.“
• Unterschiedshypothese
„Das Wahlverhalten unterscheidet sich zwischen den sozialen
Lagen der Wähler.“
Wenn-Dann-Hypothesen I
• bei dichotomen Variablen
– Kategorien unabhängige Variable: A und ~A
• A tritt ein & A tritt nicht ein
– Kategorien abhängige Variable: B und ~B
• B tritt ein & B tritt nicht ein
• Implikationsbeziehung
– (hinreichende Bedingung):
– Wenn A auftritt, dann wird B erwartet. Bei ~A kann B oder ~B
auftreten.
– „Wenn jemand mit der Demokratie unzufrieden ist, wählt er
rechtsextreme Parteien.“
• Äquivalenzbeziehung
– (notwendige und hinreichende Bedingung):
– Wenn A auftritt, dann wird B erwartet. Wenn ~A gilt, tritt ~B auf.
– „Wenn und nur dann wenn jemand mit der Demokratie
unzufrieden ist, wählt er rechtsextreme Parteien.“
Wenn-Dann-Hypothese II: Prüfung
Vierfeldertafel:
– Falsifikator: Fall, der Hypothese widerlegt
– Konfirmator: Fall, der Hypothese bestätigt
Wenn-Dann-Hypothesen III: Beispiel
• Hypothese deterministisch formuliert: Wenn und nur wenn eine Ehe eine
Frühehe ist, wird sie geschieden.
• Hypothese: Frühehen besitzen höheres Scheidungsrisiko als Spätehen.
• Definition:
– Frühehe: unter 22 Jahren geschlossen
– Scheidung: 10 Jahre nach Eheschließung geschieden
Frühehe
Nicht-Frühehe
nach 10 Jahren
geschieden
350
150
nicht nach 10
Jahren geschieden
650
850
N
1000
1000
p
0.35
0.15
 Hypothese bestätigt
Je-Desto-Hypothesen
• Merkmalsausprägungen müssen als Rangfolge interpretierbar sein
• Beziehung muss monoton sein: wenn A>B und B>C, dann auch A>C
• nicht alle Zusammenhänge sind monoton
Deduktiv-Nomologische(DN)-Erklärungen
– Deduktion: vom Allgemeinen auf das Besondere schließen
– Induktion: vom Besonderen auf das Allgemeine schließen
– theoretische Grundstruktur von D-N-Erklärungen:
Gesetz (Allaussage):
Wenn eine Person unzufrieden mit der
Demokratie ist, wählt sie
rechtsextreme Parteien.
Randbedingung:
Person X ist unzufrieden mit der
Demokratie.
zu erklärendes
Phänomen
Person X wählt eine rechtsextreme
Partei.
Explanans
Explanandum
– aus wahrem Gesetz und Randbedingung wird Explanandum
logisch-deduktiv abgeleitet
– -vom Allgemeinen zum Speziellen
Deduktiv-nomologische Erklärung
Zu beachten:
Explanandum folgt logisch korrekt aus Explanans
Explanans muss Gesetz enthalten
Explanans muss wahr sein
Explanans muss empirischen Gehalt haben
Vergleich Basissatz mit Beobachtungssatz
Hypothesentest I
Problem: keine Gesetze in der Sozialwissenschaft bekannt
Forschung ist wesentlich Suche nach Gesetzen 
Hypothesentests
Gesetz
Randbedingung
Explanandum
Erklärung
gesucht
gesucht
gegeben
Prognose
Gegeben
gegeben
gesucht
gegeben
(als Hypothese)
gegeben oder
herbeigeführt
gesucht
(aber als abgeleitet gegeben)
Hypothesentest
logische Operation (Ableitung des erwartbaren Explanandums
aus Hypothese und möglicher Randbedingung)
Suchen einer geeigneten Testsituation (Situation, in der
Randbedingung realisiert ist)
Überprüfung, ob sich erwartetes Explanandum einstellt
(eingestellt hat)
Hypothesentest II
 andernfalls kein Test  ad-hoc
Erklärung
(Huber [1992]: Das psychologische Experiment. Bern: Verlag Huber)
 WICHTIG: Hypothese und
Explanandum vor der Testsituation
aufstellen bzw. ableiten
Hypothesentest III
 Gesetze als All-Aussagen können nie endgültig
bestätigt/verifiziert werden
 Gesetz hat unendlichen Geltungsbereich – getestet werden
können nur endliche Situationen
 Schluss von begrenzter Anzahl getesteter Situationen auf
alle (=Induktion)
 Hypothesen lassen sich nur vorläufig bestätigen
 aber Falsifikation immer möglich
 ein einziger Fall, in der die Randbedingung vorliegt, aber das
Explanandum nicht vorliegt, falsifiziert (potentiell) die Hypothese
 ABER: Voraussetzung ist korrekte Erfassung der Wirklichkeit
Informationsgehalt von Hypothesen
 Informationsgehalt eines empirischen Satzes: Menge an
Sätzen, die der Satz ausschließt.
 Je geringer der Informationsgehalt der Wenn-Komponente
eines Satzes, desto größer der Informationsgehalt des
gesamten Satzes, da die Anzahl der potentiellen
Falsifikatoren steigt.
 Je geringer der Informationsgehalt der Dann-Komponente
eines Satzes, desto geringer der Informationsgehalt des
gesamten Satzes, da die Anzahl der potentiellen
Falsifikatoren sinkt.
Informationsgehalt von Hypothesen:
Wenn-Komponente
(H2) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie
und der wirtschaftlichen Situation ist, wählt Sie
rechtsextreme Parteien.
(H3) Wenn eine Person, unzufrieden mit der
Demokratie, der wirtschaftlichen Situation und
alleinstehend ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien.
Informationsgehalt
(H1) Wenn eine Person unzufrieden mit der Demokratie
ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien.
Menge potentieller Falsifikatoren:
Wenn-Komponente
unzufrieden mit
Demokratie, wirt.
Situation
und alleinstehend …
(H3)
Person ist
unzufrieden mit Demokratie und
wirtschaftl. Situation…
(H2)
unzufrieden mit Demokratie…
(H1)
Informationsgehalt: H1>H2>H3
… und wählt nicht
rechtsextrem.
Informationsgehalt von Hypothesen:
Dann-Komponente
(H5) Wenn eine Person unzufrieden mit der
Demokratie ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien.
(H6) Wenn eine Person unzufrieden mit der
Demokratie ist, wählt Sie extreme Parteien.
Informationsgehalt
(H4) Wenn eine Person unzufrieden mit der
Demokratie ist, wählt Sie rechtsextreme Parteien
und ist Mitglied einer solchen.
Menge potentieller Falsifikatoren:
Dann-Komponente
wählt nicht
rechtsextreme
Parteien
(H5&H4)
oder
oder
Person ist unzufrieden
mit Demokratie und
wählt nicht
extreme
Parteien
(H6&H5&H4)
ist nicht Mitglied
extremer Partei.
(H4)
Informationsgehalt: H4>H5>H6
Informationsgehalt von Hypothesen
• Informationsgehalt der Teilsätze kann durch
Konjunktionen / Begriffsänderungen erweitert oder
verringert werden:
– Konjunktionen
• „und“: bei WENN verringernd, bei DANN erweiternd
• „oder“: bei WENN erweiternd, bei DANN verringernd
– durch Begriffserweiterungen/-beschränkungen
• Beschränkung: bei WENN verringernd, bei DANN
erweiternd
• Erweiterung: bei WENN erweiternd, bei DANN verringernd
• Regeln sind prinzipiell auf Je-Desto-Hypothesen
übertragbar, aber Vergleich der beiden Hypothesenarten
schwierig
Korrespondenzproblem
(aus Schnell/Hill/Esser (2005), S. 74)
 Was sind Korrespondenzregeln?
 Wie kann man sicherstellen, dass Indikatoren zu dem
theoretischen Konstrukt gehören?
Korrespondenzproblem:
Operationalismus
Operationalismus: das theoretische Konstrukt wird
durch die Beobachtungssätze definiert
keine Unterscheidung zwischen theoretischen
Konstrukten und empirischen Indikatoren
Probleme:
kein Vergleich zwischen Untersuchungen, die
unterschiedlich gemessen haben möglich
Dispositionsbegriff nicht direkt beobachtbar
zeigen sich nur unter Bedingungen
Gleichsetzung wäre verfehlt, da Disposition nicht nur
unter den angegebenen Bedingungen besteht
Korrespondenzproblem: bilaterale
Reduktionssätze
 Einer Person wird das Prädikat A dann und nur dann
zugesprochen, wenn Sie auf den Stimulus S die Reaktion R
zeigt. Wenn nicht, wird ihr Nicht-A zugesprochen.
 „Indikatorenuniversum“ – immer nur partielle empirische
Erfassung
 auch Korrespondenzregeln sind empirische Hypothesen
(„Hilfstheorien“
 bei Falsifikation ist also zu entscheiden: „Hilfs- bzw.
Instrumententheorie“ oder „Kerntheorie“ falsifiziert
Basissatzproblem
 Theorie wird nicht direkt mit Beobachtung verglichen, sondern nur
mit Sätzen über das Beobachtete (Basis- oder Protokollsätze)
 Basissätze müssen nicht immer das Beobachtete korrekt erfassen:
Erfassung des Beobachteten ist von Fehlern beeinträchtigt
Erfassung des Beobachteten ist theoriegeleitet
 POPPER: „Logisch betrachtet geht die Prüfung der Theorie auf
Basissätze zurück, und diese werden durch Festsetzung anerkannt.
Festsetzungen sind es somit, die über das Schicksal der Theorie
entscheiden. (…) So ist die empirische Basis der (…) Wissenschaft
nichts „Absolutes“; die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund. Es
ist eher ein Sumpfland…“ (Popper (1976), S. 73-75)
Folgerungen aus Basissatz- und
Korrespondenzproblem
• Basissätze und Korrespondenzregeln sollten immer
explizit gemacht werden
• es besteht immer die Möglichkeit:
– auf der Grundlage einer fälschlicherweise als richtig
angenommenen Basis eine richtige Theorie zu widerlegen
– bzw. eine falsche zu bestätigen
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