TUGENDEN Phil. Grundlegung TUGENDEN und Neigungen Bekannt ist das Dystichon (Gedicht) Schillers: „Gerne dien’ ich den Freunden, doch tu ich es leider aus Neigung, und so wurmt es mich oft, dass ich nicht tugendhaft bin“. Schiller bezieht sich hier auf Aristoteles, dass niemand wahrhaft tugendhaft sein kann, wenn er an sittlich guten Handlungen keine Freude hat. Kant gibt zwar zu, dass die Pflicht auch mit Freude getan sein soll, aber nach ihm darf bloß die Pflicht, nicht aber die Freude Triebfeder der Handlung sein, denn die Affekte sind nach Kant ein naturkausaler Vorgang; von ihnen motiviert zu sein, also von Lust-Unlust-Motiven, wäre etwas Heteronomes. TUGENDEN und NEIGUNGEN Es bleibt aber die Frage, inwieweit wir unsere Affekte, Neigungen und Leidenschaften nicht auch bilden müssen, ob deren Gestaltung nicht auch unserer Freiheit aufgegeben ist. Nach antikem und mittelalterlichem Verständnis jedenfalls steht der Bereich der sinnlichen Neigungen in einem besonderen Verhältnis zu den geistigen Fähigkeiten des Menschen; es liegt an uns, ob wir etwas Pflicht- und Vernunftmäßiges gerne tun oder nicht, die Gestaltung der Sensualität ist so ein moralisches Problem. TUGENDEN und NEIGUNGEN Auf dieser Grundlage hat sich die Reflexion über die Tugenden entwickelt. Es gibt hier verschiedene Einteilungen: jedenfalls sollen die ethischen Tugenden uns zum guten Handeln qualifizieren. „Eine ethische Tugend ist dann erworben, wenn die sinnlichen Neigungen im betreffenden Praxisfeld vernunftgemäß gestaltet sind, so dass das Gute leicht, gerne und mit Freude getan wird. Der Erwerb der Tugend erfolgt durch praktische Gewöhnung, also durch Einübung“ (Anzenbacher S.138). TUGENDEN und NEIGUNGEN Während bislang es mehr um die ethische Bewertung von Einzelhandlungen ging, führt der Tugendbegriff uns die Perspektive der moralischen Lebensgestaltung vor Augen, der Grundhaltungen, welche uns bestimmen. Es geht hier wiederum um eine Sicht, die den ganzen Menschen im Auge hat als Einheit von Vernunft- und Sinnenwesen. Tugendtafeln Es gibt nun verschiedene Listen von relevanten Tugenden bzw. Versuche, sie einzuteilen und in eine Ordnung zu bringen. Am bekanntesten ist das Viererschema der Tugenden bei Platon, das bezugnehmend auf die Seelenkräfte vier sogenannte Kardinaltugenden unterscheidet: die Weisheit (später Klugheit genannt), die Tapferkeit, die Mäßigung und die Gerechtigkeit. Tugendtafeln Detaillierter noch ist die Tugendtafel nach Aristoteles, der dianoetische Tugenden für den Bereich des Erkennens, und ethische Tugenden für den Bereich des Handeln unterscheidet und für die großen Handlungsbereiche noch einmal Einzeltugenden aufzählt. Tugendtafeln Wichtig ist bei Aristoteles auf der einen Seite, dass er Tugend immer als Mitte zwischen zwei Extremen auffasst zum zweiten, dass bei ihm die Tugendethik eingebaut ist in das vorgegebene Recht und Ethos der politisch verfassten Gesellschaft der damaligen Stadtstaaten (Polis), d.h. für die Tugenden braucht es immer so etwas wie eine „soziale Trägerschaft“. Tugendtafeln und soziale Trägerschaft Soziale Trägerschaft:. je nach der geschichtlichen Periode haben bestimmte soziale Schichten in der Gesellschaft eine führende Rolle haben, die für diese Schicht besonders wichtigen sittlichen Haltungen, d.h. ihre Tugenden, werden als Vorbild für die Menschen dieser Zeit hingestellt. soziale Trägerschaft f. Tugenden Altes Griechenland: freier Bürger der Polis Mittelalter: Ritter - Maß, Milde (Großherzigkeit), Treue und Ehre Absolutismus: Fürstenspiegel (Machiavelli) Bürgertum d. Neuzeit: öffentliche Tugenden ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit„) und private Tugenden (wirtschaftl. Tüchtigkeit) Arbeiterbewegung: Solidarität Heute: Pluralismus, darin je nach Gruppen neue Tugendkataloge, z.B. ökologische Tugenden oder feministische Tugenden soziale Trägerschaft f. Tugenden Fazit für eine Gesellschaft, in der es verschiedene Vorstellungen vom Gelingen des Lebens gibt, mit Gefahr eines Erschlaffen des sittlichen Lebens: Ein sittlicher Wert und eine entsprechende sittliche Tugend muss allen anschaulich und dringlich erscheinen. Nur dann werden die ethischen Kräfte mobilisiert, um solche Tugenden anzustreben. Sicher gibt es auch heute solche Werte. Nur fehlen oft die Vorbilder, an denen solche Werte anschaulich werden. Tugend der Klugheit Tugend der Klugheit als „Gespür für das moralisch und situativ Richtige“ (Anzenbacher S.145). „Es geht im guten Handeln nicht darum, Situationen einfach als Fälle unter Normen zu subsumieren und situationsblind, ohne Rücksicht auf die zu erwartenden Folge, moralische Grundsätze und Regeln zu befolgen. Vielmehr soll das moralische Urteil eine ausgewogene Synthese des Allgemeinen (Norm, Grundsatz, Regel) und des Besonderen (die komplex-kontingente Situation) sein. Die richtige Konkretisierung des moralisch Guten erfolgt also …im klugen Urteil “. Tugend und heutige Ethik Ab der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts Aufwertung der Tugendethik (Alisdair MacIntyre, „After Virtue“, 1981). Neo-Aristotelismus wobei drei tugendethische Ebenen unterschieden werden: a) Tugend für einen bestimmten Praxisbereich (eine gute Mutter, ein guter Mechaniker), b) für das ganze gute Leben (ein tugendhafter, rechtschaffener Mensch), c) Tugend in der Einbettung in bestimmte Gemeinschaften und deren Traditionen (hier Nähe zum „Kommunitarismus“ ) Tugend und heutige Ethik Bemühen um Begründung und Finden der Normen bei heutiger Kompliziertheit oft verwirrend. Der Mensch braucht vielmehr Hilfen für sein eigenes sittliches Sein-Können, jemand der die sittlichen Grundkräfte bei ihm mobilisiert, der sein Gewissen schärft und der ihm vor allem das Vertrauen vermittelt, dass er auch imstande ist zu tun, was er als gut erkannt hat. Die innere Haltung zu haben, das Gute zu tun, und diese Haltung in einem entsprechenden Leben zu bewähren, genau das ist die Tugend Tugend und heutige Ethik Normethik – gibt den objektiven Entscheidungsrahmen zur anstehenden ethischen Problembewältigung vor und hat die Abschätzung der Folgen im Blick Tugendethik – betont Bedeutung der Gesinnung und der Motivation, die zum Vollzug einer richtigen sittlichen Praxis führen. Sie führt zur Herausbildung gewisser Haltungen, die dann in der konkreten Entscheidungssituation ohne größere Willensanstrengung in angemessene Handlungsschritte umgesetzt werden können.