Gastprofessor Dr. Árpád v. Klimó Grundkurs Österreichische Geschichte (mit Berücksichtigung der Methoden „Archivierung und Musealisierung sowie der Analyse bildlicher und dinglicher Quellen“) GK Österreichische Geschichte ● Vorlesungsteil: B. 3. Entwicklungen und Strukturen II: wirtschaftliche und soziale Verhältnisse B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte B. 3. 2. Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Strukturen im Überblick (25. April) GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte ● ● Reinhard, Wolfgang, Lebensformen Europas. Eine historische Kulturanthropologie, C. H. Beck: München 2. Aufl. 2006, Kap. II. 6. “Schichtung und Mobilität” (S. 305-321); Kap. III. 2. “Wirtschaft und Disziplin” (S. 426-452). Sandgruber, Roman, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Carl Ueberreuter: Wien 2. Aufl. 2005. GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte Sandgruber untersucht „Zusammenhänge zwischen den ökologischen und ökonomischen Voraussetzungen, die sich aus und in einem Raum und den dort siedelnden Menschen ergeben, und den menschlichen Handlungen, die die Lebensformen und Lebenschancen bedingen.” (S. 10) ● ● Ökologie: Geologische, geogr. Gegebenheiten, Klima Ökonomische Voraussetzungen: “Einrichtungen und Maßnahmen [...] zur Deckung des materiellen menschlichen Bedarfs” ● “Bedarf” abhängig von kulturellen, sozialen und politischen Bedingungen ● Verkehrswege, Handelsstrukturen (zentrale, periphere Lagen usw.) ● GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte Sandgruber: „Politik“ (Herrschaftsformen und Machtverhältnisse) und „Ökonomie“ (Strategien der Menschen im Umgang mit ihrer Um- und Mitwelt) ● „Menschen leben, arbeiten, investieren und verbrauchen, sie üben in vielfältiger Weise Macht aus und unterliegen Machtverhältnissen.“ (S. 9) ● GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte Wirtschaftsgeschichte: Produktion und Austausch von Gütern, Festlegung von Preisen usw. ● Sozialgeschichte: soziale Ungleichheit; Geschichte von Klassen, Gruppen (auch: Geschlechtergeschichte), Schichten, Institutionen, Strukturen, Ideen/Vorstellungen (z. B. Gesellschaftsmodelle) ● Konsumgeschichte: Geschichte des menschlichen Verbrauchs und seiner jeweiligen Bedeutung (z. B.: demonstrativer Konsum) ● GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte Reinhard: heutige Vorstellungen von „Arbeit“ und „Marktwirtschaft“ erfreuen sich „geradezu religiöser Heilsgewissheit“ (S. 426) - „Ende der Geschichte“? ● Wirtschaft aber lange Zeit anderen Zwecken untergeordnet, erst seit 19. Jh. wird alles „marktwirtschaftlich“ betrachtet (Stoiker: Adam Smith) - „Sozialdarwinismus“ ● Antike, Mittelalter, Frühe Neuzeit: Muße (otium), nicht Arbeit o. Geschäft (negotium) macht „selig“, dient der Kontemplation (Thomas v. Aquin) ● GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte Reinhard: ● soziale Rangordnung nach Dreiständelehre (11. Jh.) oratores – bellatores – laboratores ● Adel (Krieger- u. Herrenstand): körperliche oder andere Formen von Arbeit konnten zu Standesverlust (derogatio) führen ● GK Österreichische Geschichte B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte ● Städte: ● neue Lebensformen, gewerbliche, kaufmännische, wissenschaftliche ● neue Formen abhängiger Arbeit: Gesellen, Lehrlinge, Arbeiter ohne Ausbildung u. Aufstiegsmöglichkeit (Bau- u. Textilgewerbe) ● Heimgewerbe, häufig in Abhängigkeit von frühkapitalistischen Verlergern ● Kinderarbeit selbstverständlich ● GK Österreichische Geschichte ● ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte Rhythmus von Gebet, Arbeit u. Erholung von Mönchen entwickelt (Benedikt: Ora et labora), nun in den Städten laisiert ● Handwerker, Bauern: Arbeit von Sonnenaufgang bis -untergang ● Pausen, kirchliche Feiertage (nicht immer arbeitsfrei!) ● Seit ital. Humanismus (Kreativität, “Genie”), besonders aber seit 18. Jh.: wachsende Wertschätzung von Leistung GK Österreichische Geschichte ● ● ● ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte “Policeyordnungen” (policey = “gute Ordnung des Gemeinwesens”, vgl. policy) seit 16. Jh.: Vorgehen gegen Müßiggang, Bettlerei, Faulheit – Laster,Sünde Hintergrund dieser Entwicklung: Konfessionalisierung, beide Konfessionen zielten auf strengere Durchsetzung religiöser Regeln und Idealen Zugleich: neuer Arbeitsbegriff der Aufklärung (Fleiß, “Industrie”), verbunden mit neuem Eigentumsbegriff (John Locke 1690) – Auflösung der englischen Ständegesellschaft - “freigesetzte” Individuen neu eingeordnet GK Österreichische Geschichte ● B. 3. 1. Einleitung: Wirtschafts-, Sozial- und Konsumgeschichte ● ● ● Prozess der Sozialdisziplinierung (Gerhard Oestreich, 1968) [vgl. auch: Absolutismus, Bevölkerungswissenschaft, “Seelenkonskription”] Leitkonzept der frühneuzeitlichen Gesellschaftsentwicklung Aufgeklärter Absolutismus/Josephinismus (18. Jh.) als Höhepunkt dieser Entwicklung GK Österreichische Geschichte ● ● ● ● ● Forts.: Prozess der Sozialdisziplinierung (Gerhard Oestreich, 1968) Ziel: Unterwerfung aller (sowohl Eliten als auch breiter Bevölkerung) unter die staatliche Ordnung (z. B. Vereinheitlichung des Rechts, Territorialprinzip statt Personalverband usw.) Übergang von auferlegter Fremddisziplin in verinnerlichte Selbstdisziplin bzw. Selbstbeherrschung (Herrschaft!) Auslöser: Krise des 17. Jh. (Religionskriege, Aufstände, allg. Auflösung bisheriger Ordnungen) ABER: der Staat verfügte erst ab 19. Jh. über den notwendigen Apparat zur Durchsetzung seiner Forderungen – Vorläufer: Städte. Konfessionen, Militär GK Österreichische Geschichte „Industrie“: Bedeutungswandel des Wortes seit 18. Jh. - nicht mehr „Fleiß“ (industria) sondern: „ein in Fabriken konzentriertes und dem Diktat der Maschinen unterworfenes Produktionssystem, in dem der Arbeiter, die Arbeiterin, das arbeitende Kind nur noch eine standardisierte Teilrolle des Arbeitsprozesses ausfüllte, der später am Fließband zum Extrem getrieben wurde.“ (Reinhard, Lebensformen Europas, S. 441) GK Österreichische Geschichte Karl Polanyi, The Great Transformation, 1944: Wirtschaften vor der Übergangsperiode 1750-1850 noch eingebettet in einen soziokulturellen Gesamtzusammenhang im Zuge der Industrialisierung sonderte sich die Wirtschaft aus Wirtschaft wurde zu einem autonomen, seinen eigenen Regeln folgenden gesellschaftlichen Subsystem