Oliver W. Lembcke (HSU-HH) AM-1: Regieren in komplexen Mehrebenensystemen Vorlesung im Wintertrimester 1/2012 Regieren unter den Bedingungen moderner Staatlichkeit Moderne Gesellschaft MODERNE Charakteristika: Kontingenz und Komplexität Individualisierung Kosmos – Gott – Mensch Rationalisierung Zweck-Mittel-Kalkül Differenzierung Eigenlogik sozialer Systeme Moderne Gesellschaft GLIEDERUNG A. Erste und zweite Moderne (Beck) B. Ausdifferenzierung sozialer Systeme (Luhmann) C. Selbstreflexivität des Rechts (Kelsen) D. Legitimität durch Legalität (Weber) A. Erste und Zweite Moderne ULRICH BECK (*1944) Hauptwerke “Risikogesellschaft” (=RG), 1986 “Weltrisikogesellschaft”, 2007 Leitidee Industriegesellschaft und Risikogesellschaft A. Erste und Zweite Moderne „Ordnungsschwund“ (Blumenberg) Entraditionalisierung der Lebensformen Bastelbiographien, Ungleichheit zw. Mann/Frau Wahlmöglichkeiten und Entscheidungszwang Erste Moderne (Industriegesellschaft) Fortschrittsglaube – Wohlstand – materielle Güter Modernisierung – Rationalität: Individuell vs. Kollektiv Zusammenhang von Wirtschaft und Wissenschaft Zweite Moderne (“Reflexive Moderne”) Nebenfolgen der Modernisierung: Risiken Modernisierungskepsis – Kosten – Latenz A. Erste und Zweite Moderne “Rich Society” und “Risk Society” Erstrebenswerte Knappheiten (Reichtümer) – verhinderungswerter Überfluß (Risiken) „Not ist hierarchisch, Smog demokratisch“ Wissenschaft, Wirtschaft: “Selbstkonfrontation” Orientierungsverlust und Deutungsmacht Potentielle Gefährdungen, Latenz, Zukunft Risiken „sagen, was nicht zu tun ist, nicht aber, was zu tun ist“ (Beck, Erfindung des Politischen, 48) Abhängigkeit von (wissenschaftlichen) Definitionen RG: Wissenschafts- und Informationsgesellschaft B. Soziale Systeme NIKLAS LUHMANN (1927-1998) Hauptwerke “Soziale Systeme”, 1984 “Gesellschaft der Gesellschaft” (=GuG), 1997 Leitidee “Neue” Systemtheorie Selbstreferentialität (statt Teil/Ganzes, System/Umwelt) B. Soziale Systeme Zwei Charakterisktika autpoietischer Systeme Real: Strukturierung der Realität Operativ geschlossen: Selbstregulation des Umweltkontakts Komplexität iund Kontingenz Komplexität: Selektion möglicher Verbindungen Kontingenz: Selektion setzt Alternative voraus Soziale Systeme Grundsituation der Sozialität: Doppelte Kontingenz two black boxes Emergente Struktur – kaum Kontrollmöglichkeiten B. Soziale Systeme Systeme sinnhafter Kommunikaktion Kommunikation: Information, Mitteilung, Verstehen Symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien: Kopplung von Selektion und Motivation (zB Geld) Handeln und Erleben: (beobachtbare) Zurechnung und Umweltzurechnung Sinn: Selektion, weil Überschuß an Verweisungen Struktur: Ordnung der Selektion (Semantik: zB Liebe als Passion) – Erwartung (bezogen auf Handlungen) Umwelt sozialer Systeme: Einheit der Differenz von System und Umwelt B. Soziale Systeme Gesellschaft und ihre Subsysteme Dynamische Reproduktion der Gesellschaft (keine Umwelt) Fortlaufende Ausdifferenzierung der Subsysteme (autokatalytisch) Ausdifferenzierung: nicht hierarchisch, nicht segmentär, sondern funktional Funktionale Ausdifferenzierung Kommunikation – Kommunikationsmedien (Recht) Sinn – binäre Codierung: (zB Recht/Unrecht) Struktur – Semantik: “Programm” (zB Dogmatik) C. Reflexivität des Rechts HANS KELSEN (1881-1973) Hauptwerke “Reine Rechtslehre” (=RR), 1934 (2. Aufl. 1960) Allgemeine Staatslehre, 1925 Leitidee Eigenständigkeit des Rechts („Recht kann jeden Inhalt haben“) C. Reflexivität des Rechts Rechtspositivismus Naturrecht vs. Rechtspositivismus – Trennungsthese Zwei Perspektiven des RP Gesellschaft (soziale Regeln: Gewohnheit, Akzeptanz) Staat (gesatztes Recht: zB Tiere-Sachen, § 90a BGB) Einheit der Rechtsordnung Normhierarchie Staat = Rechtsstaat „Daß der Staat, wenn er sich juristisch begreifen läßt, Recht sein muß, da etwas rechtlich begreifen nichts anderes heißen kann als etwas als Recht begreifen, scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein“ (RR, 118). D. Legitimität durch Legalität MAX WEBER (1864-1920) “Max Weber hat nicht nur die Soziologie begründet, er wird sie auch noch überleben” (Beck, 1988). Hauptwerke Wirtschaft und Gesellschaft (=WuG), 1921/22 Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904/05 Leitidee “Unentrinnbarkeit” der Moderne D. Legitimität durch Legalität Verstehen und Erklären Verstehen des subjektiven Sinns von Handlungen – Ausgang vom Individuum Gegen metaphysische, funktionalistische oder strukturalistische Deutungen Gegen Ursache/Wirkung-Erklärungen (hypothetisch) Typen-Begriffe Generelle Regeln des sozialen Geschehens Gedankliche Abstraktionen der Realität Idealtypen: Essenz von Handlungsmustern D. Legitimität durch Legalität Idealtypen sozialen Handelns Traditional: Sitten, Gebräuche etc. Affektual: Solidarität Zweckrational: Interessen Wertrational: Eigenwert Zwei Grundtypen sozialer Beziehungen Gemeinschaft: affektual, traditional (Familie) Gesellschaft: Interessenvereinbarungen (Markt) Stabilität von Ordnungen Fügsamkeitsmotive – Legitimitätsglaube D. Legitimität durch Legalität Politische Ordnung: Staat „Staat soll ein politischer Anstaltsbetrieb heißen, wenn und insoweit sein Verwaltungsstab erfolgreich das Monopol legitimen physischen Zwanges für die Durchsetzung der Ordnungen in Anspruch nimmt“ (WuG, 29). Staat = Verwaltungsstab + Legitimität Politischer Verband Verband: Geschlossenes Gefüge sozialer Beziehungen – politischer Verband: Gebiet Herrschaftsverband: Unterscheidung in Befehl und Gehorsam Anstalt: Rational gesatzte Ordnung Gewaltmonopol: faktisch und legitim D. Legitimität durch Legalität Idealtypen legitimer Herrschaft Unterscheidung: Normallage – Ausnahmsituation “Alltagsglaube” – “außeralltägliche Hingabe” Rational: Glaube an die Legalität gesatzter Ordnungen Traditional: Glaube an die “Heiligkeit” der Tradition Charismatisch: Glaube an Heiligkeit, Heldenkraft etc. Quellen des Legitimitätsglaubens Legitimität: Anspruch (Führung) und Glaube (Bürger) Legitimitätsglaube: wertrational (diffuse support) Leistung: zweckrational (concrete support) Glauben und glauben machen: Regierungstechnik Zusammenfassung Skeptizismus “Entzauberung der Welt” (M. Weber) Fragwürdigkeit: Objektivität, Werte, Zwecke etc Relativismus, Pluralismus Funktionalismus Ausdifferenzierung sozialer System Eigenständigkeit und Instrumentalität Prozeduralismus Gewißheits- und Orientierungsverluste “Legitimation durch Verfahren” (Luhmann)