Warum eigentlich Erziehungs‐ und Bildungssoziologie?

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Erziehungs- und Bildungssoziologie
Vorlesung, montags, 13.15-15.00 Uhr, PER 21, G120
Prof. Dr. Sascha Neumann
FACULTÉ DES LETTRES
DÉPARTEMENT DES SCIENCES DE L’ÉDUCATION
PHILOSOPHISCHE FAKULTÄT
DEPARTEMENT ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTEN
Diskussionsfragen zum Film «Alphabet» (5-minütige
Murmelphasen):
1. Inwiefern ist das Bildungssystem ein «Abbild» der
gegenwärtigen Gesellschaft?
2. Ist Schule eine Institution, deren vordergründige Aufgabe
darin besteht, die nachfolgende Generation an die
Anforderungen der Gesellschaft anzupassen?
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Vorlesung am 16.03.2015
Teil I: Warum eigentlich Erziehungs‐ und
Bildungssoziologie?
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«Die Bildungs- und Erziehungssoziologie untersucht Bildung und Erziehung als
gesellschaftlich situierte und strukturierte Praxis. Ihr grundlegender
Ausgangspunkt ist die Annahme, dass pädagogische Organisationen,
Institutionen, Praktiken und Theorien nur dann angemessen verstanden
werden können, wenn ihre Bezuge zu den Strukturen und Dynamiken
analysiert werden, die andere gesellschaftliche Teilbereiche kennzeichnen. Das
soziologische Interesse an Bildung und Erziehung richtet sich deshalb auf die
gesellschaftlichen Voraussetzungen von Erziehung und Bildung, den Einfluss
von gesellschaftlichen Strukturen und Dynamiken auf pädagogische
Institutionen, Theorien und Praktiken sowie auf die sozialen Folgen dessen,
was im Bildungs- und Erziehungssystem der Gesellschaft geschieht.»
(Bauer/Bittlingmayer/Scherr 2012, S. 13; Hervorh. SN)
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Was aber heisst Gesellschaft/Gesellschaftlichkeit?
«Gesellschaft…ein unergründlicher Grundbegriff der Soziologie»
(Jürgen Ritsert, 2000)
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Was aber heisst Gesellschaft/Gesellschaftlichkeit?
Diskutieren Sie diese Frage und bedenken Sie dabei auch die
Ausführungen von Armin Nassehi aus der Sendung
«Gesellschaft mit beschränkter Haftung»!
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Polykontexturalität
Ordnung
Einheit und
Differenzierung
Individuum
unsichtbar
Praxis
Gesellschaft
Das
Soziale
Wirtschaft,
Politik, Staat
Modernität,
Kontingenz,
Geschichte:
Wandel;
Zeitdiagnose
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Zusammenhang
Totalität
Warum eigentlich Erziehungs‐ und
Bildungssoziologie?
• Differenz von Bildung und Erziehung:
«Der Erziehungsbegriff akzentuiert (…)Erfordernisse
der gesellschaftlichen An- und Einpassung, der Bildungsbegriff Prozesse der Individuierung
zum selbstbestimmungsfähigen Subjekt» (a.a.O., S. 14)
• Durkheim (1922): Gesellschaftliche Veränderungen schliessen immer auch
Veränderungen von Erziehung und Bildung ein>>Wie kann das Individuum
auf die gesellschaftliche Ordnung eingestellt werden
(Sozialisationsproblem)?
• Marx (1845): Erziehung und Bildung als Voraussetzung und Mittel
gesellschaftlicher Veränderung>>Wie kann Erziehung zum Umsturz
gesellschaftlicher Verhältnisse beitragen (Problem sozialer Ungleichheit)?
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Warum eigentlich Erziehungs‐ und
Bildungssoziologie?
• Ausdifferenzierung einer eigenständigen Erziehungs- und Bildungssoziologie
erfolgt im deutschsprachigen Raum erst in den 1960er Jahren
• Hintergrund: Zweifel an der ökonomischen Leistungsfähigkeit des
Bildungssystems, aber auch an seiner Gerechtigkeit
(Bildungsreformdiskussion nach 1968)
• Kritik an tradierten Begabungsideologien und der Rolle des Bildungssystems
bei der Reproduktion sozialer Ungleichheit (Dahrendorfs «katholisches
Mädchen vom Lande»)
• Bezogen auf die Erziehungswissenschaft: Gesellschaftliche Bedingungen von
Erziehung und Bildung wurden bis weite in die 1960er Jahre hinein stark
vernachlässigt (Erbe der geisteswissenschaftlichen Pädagogik)
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Warum eigentlich Erziehungs‐ und
Bildungssoziologie?
«Wiederentdeckung» der Bildungssoziologie und des bildungssoziologischen Schlüsselthemas
von Bildung und sozialer Ungleichheit am Beginn des 21. Jahrhundert…
«Bildung ist seit etwa zehn Jahren zu einem gesellschaftlichen Zentralthema geworden
und Bildungsforschung hat gegenwärtig (wieder) Konjunktur. Die Expertise wissenschaftlicher
Expert/innen aus unterschiedlichen Disziplinen (Erziehungswissenschaft,
Ökonomie, Psychologie, Soziologie) wird in politischen und medialen Diskursen nachgefragt,
und populärwissenschaftliche Veröffentlichungen zu Fragen einer zeitgemässen
Bildung und Erziehung erzielen hohe Auflagen. Im wissenschaftlichen Diskurs konturiert
sich eine interdisziplinar ausgerichtete empirische Bildungsforschung, die durch
erhebliche Forschungsmittel gefordert und von der erwartet wird, für arbeitsmarkt- und
bildungspolitische Zwecke relevante Informationen zur Verfugung zu stellen und
dadurch einen Beitrag zur Beantwortung der Frage nach den Erfordernissen einer zeitgemässen
Modernisierung des Bildungssystems zu leisten» (a.a.O., S. 19)
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Warum eigentlich Erziehungs‐ und
Bildungssoziologie?
Hintergründe:
• Politische Konjunktur der Wissensgesellschaft: Bildung als Faktor im
internationalen Wettbewerb (Humankapital)
• Pädagogik: «Lebenslanges Lernen» und «Bildung beginnt mit der Geburt»
(Schäfer 2005)
• PISA und die Folgen…: Internationale Vergleichsstudien erzeugen einen
Wettbewerb der Bildungssysteme und machen auf Phänomene der
Bildungsbenachteiligung, mithin auch der «Bildungsarmut» bestimmter
sozialer Milieus aufmerksam (z.B. Migranten)
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Warum eigentlich Erziehungs‐ und
Bildungssoziologie?
Die «Wiederentdeckung» der Bildungssoziologie steht symptomatisch für die Vergesellschaftung
wissenschaftlicher Wissensproduktion:
«Der gegenwärtige Bildungsdiskurs hat eine erhebliche Nachfrage nach einer empirischen
Bildungsforschung erzeugt, die eine Datengrundlage für politische Entscheidungen
bereit stellt. Die Aufgabe soziologischer Analyse besteht jedoch nicht allein darin,
durch Theorieentwicklung und empirische Forschung zu einer weiteren Vertiefung des
Wissens über ökonomische Bildungserfordernisse und die Ursachen von Bildungsungleichheit
beizutragen, sondern auch die Prämissen des gesellschaftlichen Bildungsdiskurses
zu analysieren und zu hinterfragen. Bildungs- und Erziehungssoziologie ist
deshalb darauf verwiesen, sich nicht nur als Forschung über einen gesellschaftlichen
Teilbereich zu verstehen, sondern auch die gesellschaftlichen Bedingungen und Kontexte
von Erziehung und Bildung zu analysieren.» (a.a.O., S. 23)
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