Medienethik zwischen Publizistik und Ökonomie Entscheidungstechniken: Analyserahmen von Barbara Thomass und Potter Pox 23. Oktober 2009; IPMZ, 10.15-11.45 Uhr Prof. Dr. Vinzenz Wyss [email protected] Forschungsleiter IAM, ZHAW Winterthur Zürcher Fachhochschule 1 Thomass-Modell Zürcher Fachhochschule 2 Quellen • Informanten – Begründung journalistischen Erfolgs – Beziehungspflege – Schutz der Informanten und Vertrauensgewinn – Anonymität bei brisanten Informationen – Abwägung Interesse Informanten/Rezipienten Zürcher Fachhochschule 3 Objekte • Personen in Berichterstattung – Journalist informiert über Personen, die nicht in Öffentlichkeit stehen wollen – Schutz der Privatsphäre kollidiert mit Pressefreiheit – Leitkategorie „Achtung“ ist betroffen – Wann ist die Privatsphäre schutzwürdig / achtungswürdig? Zürcher Fachhochschule 4 Öffentlichkeit • Öffentliche Meinung – Angemessene Recherchemethoden – Vermeidung von Interessenskonflikten – Moralische Ansprüche (z.B. Ehrlichkeit) – Kulturelle Unterschiede bei Beurteilung des journalistischen Handelns – Selbstachtung, individuelle Moral Zürcher Fachhochschule 5 Rezipienten • Leser und Leserinnen – Erwartungen an die Journalisten – Fairness und Sorgfalt – Pressekodizes, um die Erwartungen der Rezipienten zu achten – Glaubwürdigkeit als Imagefaktor für Journalisten – Achtung der Glaubwürdigkeit: Hohe Funktionalität für Journalismus Zürcher Fachhochschule 6 Kollegen • Peers – Voraussetzungen für Beziehungen – Interesse an Professionalisierung – Interessenkonflikte entstehen wenn… – Vermeidung von Interessenkonflikten oberstes Gebot Zürcher Fachhochschule 7 Fragenkatalog aus der redaktionellen Praxis Dieser berücksichtigt sowohl den Zeitpunkt des Entscheidens, als auch eine vorweggenommene rückwirkende Betrachtung und verweist auf möglicherweise noch zu recherchierende Zusammenhänge 1. Analyse des Dilemmas: Welches ist das Hauptproblem? Sind in dem Problem moralische Aspekte berührt? Welche? 2. Welche Einzelpersonen oder Personengruppen sind in das Problem involviert? 3. Welche Interessen anderer Gruppen müssen auch in Rechnung gestellt werden? 4. Welche (zusätzliche) Information wird benötigt, um eine verantwortliche Entscheidung treffen zu können? 5. Welche Meinungen und Sichtweisen, welche Normen und Werte stehen im vorliegenden Fall zur Debatte? 6. Welche Argumente könne für, welche gegen diese Meinungen vorgebracht werden? Welche Gültigkeit haben diese Argumente? 7. Welche Alternativen zur Behandlungen des Falles sind möglich? Welches ist die beste Lösung? Welcher Schluss ist - zieht man alle Erwägungen in Betracht - der beste? 8. Wie wird derjenige, der entschieden hat, später auf die getroffene Entscheidung zurückblicken? Wird er in Zukunft in vergleichbaren Fällen genauso entscheiden? Zürcher Fachhochschule 8 Die Potter Box: Grundgedanke • Werkzeug, um ethische Entscheidungen zu fällen • Vor allem bei konfligierenden Ansichten • Zur Entscheidungsfindung • Berücksichtigt vier verschiedene Problemfelder Zürcher Fachhochschule 9 Modell Zürcher Fachhochschule 10 Erweiterung: 8-Step-Model (Guth/Marsh 2003) 1. Situation definieren 2. Werte identifizieren (Rechte, Glauben) 3. Ethische Prinzipien daraus ableiten (z.B. von Philosophen) 4. Andere ethische Prinzipien in Erwägung ziehen 5. Für jedes Prinzip loyale Präferenzen bestimmen 6. Eigene Loyalitäten ergründen und mit Werten vergleichen 7. Entscheidung: Zwingende Kombination aus Werten, Prinzipien, Loyalitäten 8. Evaluation: Auswirkungen der Entscheidung Zürcher Fachhochschule 11 1. Situation definieren • In X-Town ist das Kino „Cinema“ abgebrannt • Ist bekannt für Homosexuellen-Filme • 16 Tote, darunter Pfarrer, Politiker und Bankier • 2 Lokalblätter: Newsprint und Sentry Citizen • Beide nennen normalerweise Namen und Anschrift der Opfer • Diesmal: Nur Newsprint veröffentlicht Namen Zürcher Fachhochschule 12 2. Werte identifizieren • Newsprint – Legitime Leserinteressen Herausragendes Lokalereignis – Kampf gegen Diskriminierung Tabubruch durch Nennung von Prominenten • Sentry Citizen – Schutz der Privatsphäre der Überlebenden und Angehörigen – Schutz der Überlebenden und Opfer gegen Coming-Out – Glaubwürdigkeit Enthält Lesern Informationen vor Zürcher Fachhochschule 13 3. Ethische Prinzipien ableiten • Newsprint – Gebot der Wahrheitspflicht • Sentry Citizen – Gebot der Nächstenliebe Zürcher Fachhochschule 14 4. Andere ethische Prinzipien in Erwägung ziehen • Aristoteles: Goldene Mitte (Funktion nennen, aber nicht Namen) • Hedonismus: Persönlicher Gewinn (Namen aufs Titelblatt als Verkaufsmagnet) Zürcher Fachhochschule 15 5. Für jedes Prinzip loyale Präferenzen bestimmen • Newsprint – Wahrheitspflicht Leserschaft • Sentry Citizen – Nächstenliebe Opfer und Angehörige Zürcher Fachhochschule 16 6. Eigene Loyalitäten bestimmen Zürcher Fachhochschule 17 7. Entscheidung fällen • Zwingende Kombination aus Werten, Prinzipien und Loyalitäten • Newsprint Namen veröffentlichen • Sentry Citizen Namen nicht veröffentlichen Zürcher Fachhochschule 18 8. Evaluation • Auswirkung von Entscheidungen – Reaktionen der Anspruchsgruppen – Rückmeldungen, Leserbriefe… – Verkaufszahlen – Rechtliche Konsequenzen Zürcher Fachhochschule 19 The falling man Zürcher Fachhochschule 20