Kapitel 1 Das Schubfachprinzip Inhalt 1.1 Das Prinzip Tauben und Taubenschläge 1.2 Einfache Anwendungen Die Socken des Professor Mathemix, Gleiche Zahl von Bekannten 1.3 Cliquen und Anticliquen 1.4 Entfernte Punkte im Quadrat 1.5 Differenzen von Zahlen 1.6 Teilen oder nicht teilen Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 2 1.1 Das Prinzip Schubfachprinzip. Seien m Objekte in n Kategorien (“Schubfächer”) eingeteilt. Wenn m > n ist, dann gibt es mindestens eine Kategorie, die mindestens zwei Objekte enthält. Oft wird das Schubfachprinzip auch als „Taubenschlagprinzip“ bezeichnet: Wenn m Tauben in n Taubenschlägen sitzen und m > n ist, dann sitzen in mindestens einem Taubenschlag mindestens zwei Tauben. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 3 Einfache Beispiele • Unter je 13 Personen gibt es mindestens zwei, die im selben Monat Geburtstag haben. • Unter je drei Personen haben mindestens zwei dasselbe Geschlecht. • Unter je 12 Studierenden gibt es mindestens zwei aus demselben Fachbereich. • Unter je 50 Studierenden gibt es mindestens zwei mit derselben Semesterzahl. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 4 1.2 Einfache Anwendungen 1.2.1 Die Socken des Professor Mathemix In der Sockenkiste von Professor Mathemix befinden sich 10 graue und 10 braune Socken. Der Professor nimmt – in Gedanken versunken – eine Reihe von Socken heraus. Wie viele muß er herausnehmen, um (a) garantiert zwei gleichfarbige, (b) garantiert zwei graue Socken zu erhalten? Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 5 Wie viele Socken? – Lösung Lösung. Wir teilen die Socken des Professors in zwei Kategorien ein: In die Kategorie der grauen und die der brauen Socken. (Im Schubfachprinzip ist dann n = 2.) (a) Wenn Professor Mathemix m = 3 Socken seiner Kiste entnimmt, so sind nach dem Schubfachprinzip mindestens zwei aus derselben Kategorie. Also hat er entweder zwei graue oder zwei braune Socken gezogen. (b) Wenn er aber darauf besteht, zwei Socken seiner Lieblingsfarbe grau zu bekommen, so muß er im schlimmsten Fall 12 Socken ziehen, denn die ersten 10 könnten ja alle braun sein. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 6 Gleiche Zahl von Bekannten 1.2.1 Satz. In jeder Gruppe von mindestens zwei Personen gibt es zwei, die die gleiche Anzahl von Bekannten innerhalb dieser Gruppe haben. (Voraussetzung: Die Relation “bekannt sein” ist symmetrisch; das heißt: aus der Tatsache, daß X mit Y bekannt ist, folgt, daß Y mit X bekannt ist. Wir können also sagen „X und Y sind bekannt“. Außerdem wollen wir zu den Bekannten einer Person nicht diese Person selbst rechnen.) Beweis. Mit Hilfe des Schubfachprinzips. Objekte: die Personen der Gruppe. Sei m die Anzahl der Personen. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 7 Die Kategorien Wir fassen diejenigen Personen in einer Kategorie zusammen, die die gleiche Anzahl von Bekannten haben. K0 diejenigen, die überhaupt keine Bekannten haben; K1: diejenigen, die einen einzigen Bekannten haben; ... Km–1: diejenigen Menschen, die alle anderen m–1 kennen. Allgemein: In der Kategorie Ki befinden sich diejenigen Personen, die genau i Bekannte innerhalb der Gruppe haben. Dies sind genau m Kategorien, also genau so viele wie Objekte – ??? Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 8 Der Trick Trick: Von den Kategorien K0 und Km–1 tritt höchstens eine auf. Mit anderen Worten: Wenn eine von diesen Kategorien ein Objekt enthält, dann die andere bestimmt nicht. Warum? Wir betrachten die Situation, dass mindestens eine Person P in der Kategorie Km–1 enthalten ist. Dann müssen wir zeigen, dass K0 leer ist. Das bedeutet, dass P alle anderen Personen der Gruppe kennt. Dann kennen aber auch alle Personen der Gruppe die Person P (“bekannt sein” ist symmetrisch!). Also hat jede Person der Gruppe mindestens einen Bekannten. Das heißt, dass keine Person in der Kategorie K0 ist. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 9 Beweisabschluss Es gibt also höchstens m–1 Kategorien, die überhaupt eine Person enthalten. Jetzt können wir das Schubfachprinzip anwenden. Dieses liefert uns eine Kategorie mit mindestens zwei Objekten, also zwei Personen mit der gleichen Anzahl von Bekannten. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 10 1.3 Cliquen und Anticliquen 1.3.1 Satz. Unter je 6 Personen gibt es stets drei, die sich paarweise kennen („Clique“) oder drei, die sich paarweise nicht kennen („Anticlique“). Beweis. Wir greifen irgendeine Person P1 heraus und betrachten zunächst deren Bekannte. Jede der fünf anderen Personen ist entweder bekannt oder nicht bekannt mit P1. Da 5 > 22 ist, hat P1 also entweder (mindestens) drei Bekannte oder (mindestens) drei Nichtbekannte in der Gruppe. Nehmen wir an, er habe drei Bekannte P2, P3 und P4. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 11 Fallunterscheidung 1. Fall: Unter den Personen P2, P3, P4 gibt es zwei, die sich kennen, sagen wir: P2 und P3. Dann kennen sich P1, P2 und P3 gegenseitig. Daher ist die Behauptung richtig. 2. Fall: Keine zwei der Personen P2, P3, P4 kennen sich. Dann ist P2, P3, P4 eine Menge von Personen, die sich gegenseitig nicht kennen. Auch in diesem Fall gilt also die Behauptung. Bemerkung. 1928 bewies F. P. Ramsey (1903–1930) einen sehr allgemeinen Satz: Zu je zwei natürlichen Zahlen m, n 2 gibt es eine Zahl M, so dass für jede Menge von mindestens M Personen gilt: Es gibt in dieser Menge entweder n Personen, die sich paarweise kennen oder m Personen, die sich paarweise nicht kennen. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 12 1.4 Entfernte Punkte im Quadrat Wir betrachten ein Quadrat der Seitenlänge 2 und fragen uns, wie viele Punkte wir in das Quadrat einzeichnen können, die “weit voneinander entfernt” sind. 1.4.1 Satz. Unter je fünf Punkten, die in einem Quadrat der Seitenlänge 2 liegen, gibt es zwei, die einen Abstand 2 haben. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 13 Der Beweis Beweis. Mit Hilfe des Schubfachprinzips. Wir teilen das Quadrat der Seitenlänge 2 in in vier Teilquadrate der Seitenlänge 1 ein. Wir fassen die Punkte eines jeden Teilquadrats zu einer Kategorie zusammen; es gibt also genau vier Kategorien. Da es aber fünf Objekte (die Punkte) gibt, folgt mit Schubfachprinzip, dass es eine Kategorie mit zwei Objekten gibt. Das heißt: Es gibt ein Teilquadrat, in dem zwei der fünf Punkte liegen. Da der maximale Abstand in einem Teilquadrat gleich 2 (die Länge der Diagonale) ist, haben diese beiden Punkte einen Abstand 2. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 14 1.5 Differenzen von Zahlen 1.5.1 Satz. Unter je sechs natürlichen Zahlen gibt es stets zwei, deren Differenz durch 5 teilbar ist. Beispiel: Sind die Zahlen 8, 17, 21, 25, 33, 49, so ergibt sich, dass 33 – 5 = 25 durch 5 teilbar ist. Beweis. Um das Schubfachprinzip anwenden zu können, müssen wir wissen, was die Objekte und was die Kategorien sind. Die Objekte sind die 6 natürlichen Zahlen. Diese werden nun in fünf Kategorien K0, K1, ..., K4 eingeteilt: Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 15 Beweis • K0: diejenigen Zahlen, die Vielfache von 5 sind, • K1: diejenigen Zahlen, die bei Division durch 5 Rest 1 ergeben. • K2: diejenigen Zahlen, die bei Division durch 5 Rest 2 ergeben. • ... • K4: diejenigen Zahlen, die bei Division durch 5 Rest 4 ergeben. Da jede Zahl bei Division durch 5 den Rest 0, 1, 2, 3 oder 4 ergibt, ist jede Zahl in mindestens einer Kategorie enthalten. Schubfachprinzip es gibt eine Kategorie mit zwei Objekten. Also gibt es zwei Zahlen, die bei Division durch 5 denselben Rest ergeben. Das bedeutet: Die Differenz ist durch 5 teilbar. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 16 1.6 Teilen oder nicht teilen Erinnerung: Wir nennen zwei ganze Zahlen teilerfremd, wenn ihr größter gemeinsamer Teiler 1 ist. Zum Beispiel sind 7 und 12 teilerfremd, 8 und 12 aber nicht. 1.6.1 Satz. Unter je n+1 Zahlen der Menge {1, 2, 3, ..., 2n} gibt es stets zwei teilerfremde. Beweis. Unter je n+1 Zahlen der Menge {1, 2, 3, ..., 2n} gibt es stets zwei aufeinanderfolgende; diese Zahlen sind sicher teilerfremd. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 17 Zwei Zahlen teilen sich 1.6.2 Satz. Unter je n+1 Zahlen der Menge {1, 2, 3, ..., 2n} gibt es stets zwei Zahlen, von denen die eine die andere teilt. Beweis. Seien a0, a1, ..., an die gewählten Zahlen. Wir schreiben jede dieser Zahlen als Produkt einer Zweierpotenz und einer ungeraden Zahl; das heißt ai = 2eiui, wobei ei eine natürliche Zahl (ei darf Null sein), und ui ungerade ist. (Konkrete Beispiele: Wenn ai ungerade ist, dann ist ei = 0 und ui = ai. Im Fall ai = 12 ist ei = 2 und ui = 3.) Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 18 Beweisabschluss Dann sind die ui ungerade Zahlen zwischen 1 und 2n. Da es in diesem Intervall nur n ungerade Zahlen gibt, muss es ein i und ein j (i j) geben mit ui = uj (Schubfachprinzip). Dann ist ai = 2eiui und aj = 2ejui, Dann teilt die Zahl mit der kleineren Zweierpotenz die andere. Kapitel 1 © Beutelspacher Oktober 2004 Seite 19