Bedeutung der Herzfrequenzvariabilität Per Otto Schüller Klinik für Kardiologie, Pneumologie und Angiologie Kurz zur Geschichte der HRV 3. Jahrhundert n. Chr.: Chinesischer Arzt Wang Shu analysiert verschiedene Pulstypen bezüglich der klinischen Bedeutung Wenn der Herzschlag so regelmäßig wie das Klopfen des Spechts oder das Tröpfeln des Regens auf dem Dach wird, wird der Patient innerhalb von vier Tagen sterben. 1891: Müller zeigt bei Herzkranken geringeren Anstieg der HF auf Atropin 1927: Winterberg und Wenkelbach beschrieben die respiratorische Sinusarrhythmie 1965: Hon und Lee beschreiben Veränderungen der RR-Intervalle beim „fetal distress“ 1972: Hinkel et al. zeigen erhöhtes Herztodrisiko bei reduzierter respir. Sinusarrhythmie 1978: Wolf et. al. beschreiben Zusammenhang zwischen HRV und Infarktmortalität Regulation der Herzfrequenz Definition und Bestimmung der HRV Die von Schlag zu Schlag auftretenden Schwankungen der Herzfrequenz wird als Herzfrequenzvariabilität bezeichnet. Tachogramm: Auftragen der RR-Abstände gegen die Zeit Histogrammdarstellung der HRV Pathologisch eingeschränkt Normal HRV in der Zeitdarstellung SDNN: Standardabweichung der RR-Intervalle [141±139 ms] rMSSD: Mittlerer Abstand der aufeinander folgenden RR-Intervalle [27±12 ms] pNN50: Prozentsatz aufeinander folgender RR-Intervalle mit einem Abstand von mehr als 50ms [11,8 ±10,1%] Nach Task Force Report on Heart Rate Variability, Eur Heart J 1996 HRV in der Frequenzdarstellung • Zur Spektralanalyse des RR-Intervalltachogramms wird die schnelle Fourier-Transformation benutzt. • Komplizierte Funktionen werden durch Kombinationen einfacher Sinus- und Cosinuskurven ausgedrückt. Power E D HF-Peak: 975±203ms² N. vagus C LF-Peak: Sympathikus und Parasympathikus LF-Peak: 1117± 416ms² VLF: Sympathikus Thermoregulation Total-Power: 3466± 1018ms² Barorezeptorenregelkreis Katecholamine Renin-Angiotensin-Aldosteron-System LF/HF-Ratio: 1,5-2,0 5-Minuten-Messung (Task Force on HRV, Eur Heart J 1996) LF/HF-Ratio: Sympathovagale Balance B 1f 2f 3f A Funktion A Herzfrequenzvariabilität und Mortalität Multicenter Postinfarction Research Group 808 Patienten nach akutem Myokardinfarkt LZ-EKG-Ableitungen Mortalität [%] Nachbeobachtung bis zu 4 Jahren 0,4 0,35 0,3 0,25 SDNN<50 SDNN>100 0,2 0,15 0,1 0,05 0 Kleiger Am J Cardiol 1987 ATRAMI-Studie „autonomic tonus and reflex after myocardial infarction“ •1254 Patienten innerhalb von 28 Tagen nach Infarkt •Herzfrequenzvariabilität (24-StundenLangzeit-EKG) •Nachbeobachtung im Mittel 21 Monate •Primärer Endpunkt: kardiale Letalität und nicht tödlicher Herzkreislaufstillstand SDNN<70ms: unabhängiger Prädiktor der kardialen Mortalität Prozent Überlebende Erniedrigte HRV und PHT 100 80 p<0.0001 60 40 20 Monate 0 0 10 S D N N >100 20 S D N N 5 1 -9 9 30 40 S D N N <50 Hohnloser PACE 1997 Kurzzeitmessung der Herzfrequenzvariabilität Signifikanter Prädiktor der Induzierbarkeit ventrikulärer Tachykardien (insbesondere bei Herzinsuffizienz). Bikkina, Chest 1998 HRV bei herzinsuffizienten Patienten SDNN>100ms 1 0 ,9 p=0.008 0 ,8 SDNN<100ms 0 ,7 0 ,6 0 ,5 0 100 200 300 400 Beobachtungszeitraum (Tage) Ponikowski Am J Cardiol 1997 Prophylaktischer ICD und Herzfrequenzvariabilität l l l l Randomisierte Studie Reduzierte LVEF <35% und Reduzierte HRV <70ms SDNN oder Erhöhte Herzfrequenz >80/min 332 Patienten ICD, 342 Patienten Kontrolle Hohnloser, N Engl J Med 2004 Nicht invasive Risikostratifizierung bei dilatativer Kardiomyopathie - Marburg Cardiomyopathy Study MACAS A=EF>35% B=EF<35% oder nsVT C=EF<35% + nsVT 343 Patienten mit DCM EF <45% Davon 80 Patienten mit Vorhofflimmern Lediglich EF<30% signifikanter Risikomarker HRV prognostisch nicht bedeutsam Grimm, Circulation 2003 Akzeptierte Risikofaktoren für den plötzlichen Herztod bei HCM Überlebter plötzlicher Herztod Spontane anhaltende VT Familiäre Belastung des PHT Synkope nsVT im Langzeit-EKG Abnormales Blutdruckverhalten bei Belastung Extreme LV-Hypertrophie (>30mm im Echo) Risiko bei 0-1 RF: 1% Risiko bei 2 RF 25% HRV prognostisch nicht bedeutsam Maron, Circulation 2003 Frenneaux, Heart 2004 HRV und Hypertonus Bei arterieller Hypertonie ist die HRV reduziert. Bei Personen ohne Hypertonus ist eine reduzierte HRV mit einem erhöhten Risiko assoziiert, einen Bluthochdruck zu entwickeln. These: Autonomes Nervensystem beeinflusst die Entwicklung eines arteriellen Hypertonus. Hypertension 2003 HRV bei Diabetes mellitus Autonome Neuropathie führt zur Degeneration sympathischer und parasympathischer Nervenfasern: Ruhetachykardie Orthostatische Hypotonie 5-Jahres Mortalität bei etwa 50% Mittels HRV-Analyse frühzeitige Detektion einer autonomen Dysfunktion Schlaf-Apnoe-Syndrom Autonome Dysregulation und Schlaf-Apnoe-Syndrom: HF-Power bei SAS-Patienten reduziert Reduzierte SDNN Erhöhte Ruhe-Herzfrequenz CPAP-Therapie erhöht vagale Kontrolle der HF Eur. Respir. J. 2001 (17) 1258-1266 Mayo Clin Proc 2004 (8) 1036-1046 HRV und Geschlechtshormone Östrogenhaltige Hormonersatztherapie beeinflusst HRV vorteilhaft Gestagenhaltige Hormonpräparate negative Effekte auf HRV und HF Hypothese: Reduzierte HRV Ursache für schlechtere Prognose von Frauen, die gestagenhaltige Hormonersatzpräparate substituieren. Lancet 1999 HERS (1998) und WHI (1995) Zusammenfassung Die HRV ist eine wertvoller Marker zur Erfassung der neurovegetativen Aktivität, da sie nichtinvasiv, exakt und unter standardisierten Bedingungen gut reproduzierbar gemessen werden kann. Die klinische Bedeutung ist vielfältig: Risikostratifizierung nach Myokardinfarkt und bei Herzinsuffizienz Frühzeitige Erkennung der diabetischen Polyneuropathie Abschätzung des autonomen Tonus (z.B. im Rahmen von Studien) Zusammenfassung Durch eine HRV-Analyse wird eine spezifische antiarrhythmische Therapie nicht gerechtfertigt. Zukünftige Studien müssen zeigen, ob die Kombination verschiedener Risikofaktoren eine spezifische antiarrhythmische Therapie rechtfertigen.