Struktur-Funktions-Modelle von Pflanzen - Sommersemester 2009 - Winfried Kurth Universität Göttingen, Lehrstuhl Computergrafik und Ökologische Informatik 8. und 9. Vorlesung: 11./18. 6. 2009 zuletzt: • Interpretationsregeln • Graphen als mathematische Grundstruktur • ein Exkurs: topologische Indices • Graph-Ersetzungsregeln • zwei Regeltypen: L-System- und SPO-Regeln als nächstes: • Die Sprache XL: Überblick zu wichtigen Eigenschaften • Kantentypen (Relationen) • Graphansicht in GroIMP, Graphlayouts • sequenzieller und paralleler Ableitungsmodus • Aktualisierungsregeln • Zugriffsmöglichkeiten auf Attribute • Graph-Queries • Dickenwachstum, pipe model Die Sprache XL „eXtended L-system language“ Einordnung in die Programmierparadigmen: imperativ objektorientiert Java XL regelbasiert Die Sprache XL Sprachspezifikation: Kniemeyer (2008) Dissertation: http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn:nbn:de:kobv:co1-opus-5937 Erweiterung von Java erlaubt zugleich Spezifikation von L-Systemen und RGG (Graph-Grammatiken) in intuitiv verständlicher Regelschreibweise prozedurale Blöcke, ähnlich wie in Java: { ... } regelorientierte Blöcke (RGG-Teil): [ ... ] Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Beispiel: XL-Programm für die Koch‘sche Kurve public void derivation() [ Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3); ] Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Beispiel: XL-Programm für die Koch‘sche Kurve public void derivation() [ Axiom ==> RU(90) F(10); F(x) ==> F(x/3) RU(-60) F(x/3) RU(120) F(x/3) RU(-60) F(x/3); ] Knoten des Graphen Kanten (Typ „Nachfolger“) Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Spezielle Knoten: Geometrieobjekte Box, Sphere, Cylinder, Cone, Frustum, Parallelogram... Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Spezielle Knoten: Geometrieobjekte Box, Sphere, Cylinder, Cone, Frustum, Parallelogram... Zugriff auf Attribute über die Parameterliste: Box(x, y, z) (Länge, Breite, Höhe) oder mit speziellen Funktionen: Box(...).(setColor(0x007700)) (Farbe) Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Spezielle Knoten: Geometrieobjekte Box, Sphere, Cylinder, Cone, Frustum, Parallelogram... Transformationsknoten Translate(x, y, z), Scale(cx, cy, cz), Scale(c), Rotate(a, b, c), RU(a), RL(a), RH(a), RV(c), RG, ... Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte Spezielle Knoten: Geometrieobjekte Box, Sphere, Cylinder, Cone, Frustum, Parallelogram... Transformationsknoten Translate(x, y, z), Scale(cx, cy, cz), Scale(c), Rotate(a, b, c), RU(a), RL(a), RH(a), RV(c), RG, ... Lichtquellen PointLight, DirectionalLight, SpotLight, AmbientLight Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen Beispiel: Regeln für den stochastischen Baum Axiom ==> L(100) D(5) A; A ==> F0 LMul(0.7) DMul(0.7) if (probability(0.5)) ( [ RU(50) A ] [ RU(-10) A ] ) else ( [ RU(-50) A ] [ RU(10) A ] ); Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung (kann modifiziert werden: Sequenzieller Modus einstellbar, gleich mehr) Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung ● parallele Ausführung von Zuweisungen möglich spezieller Zuweisungsoperator := neben dem normalen = Quasiparallele Zuweisung an die Variablen x und y: x := f(x, y); y := g(x, y); Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung ● parallele Ausführung von Zuweisungen möglich ● Operatorüberladung (z.B. „+“ für Zahlen wie für Vektoren) Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung ● parallele Ausführung von Zuweisungen möglich ● Operatorüberladung (z.B. „+“ für Zahlen wie für Vektoren) ● mengenwertige Ausdrücke (genauer: „Producer“) Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung ● parallele Ausführung von Zuweisungen möglich ● Operatorüberladung (z.B. „+“ für Zahlen wie für Vektoren) ● mengenwertige Ausdrücke (genauer: Producer statt Mengen) ● Graph-Abfragen (queries) zur Analyse der aktuellen Struktur Beispiel für Graph-query: Binärer Baum, Wachstum soll nur erfolgen, wenn genügender Abstand zu anderen F-Objekten Axiom ==> F(100) [ RU(-30) A(70) ] RU(30) A(100); a:A(s) ==> if ( forall(distance(a, (* F *)) > 60) ) ( RH(180) F(s) [ RU(-30) A(70) ] RU(30) A(100) ) ohne die if-Bedingung mit der if-Bedingung Eigenschaften der Sprache XL: ● Knoten der Graphen sind Java-Objekte, auch Geometrie-Objekte ● Regeln in Blöcken [...] organisierbar, Steuerung der Anwendung durch Kontrollstrukturen ● parallele Regelanwendung ● parallele Ausführung von Zuweisungen möglich ● Operatorüberladung (z.B. „+“ für Zahlen wie für Vektoren) ● mengenwertige Ausdrücke (genauer: Producer statt Mengen) ● Graph-Abfragen (queries) zur Analyse der aktuellen Struktur ● aggregierende Operatoren (z.B. „sum“, „mean“, „empty“, „forall“, „selectWhereMin“) Darstellung von Graphen in XL ● Knotentypen müssen mit „module“ deklariert werden ● Knoten können alle Java-Objekte sein. Bei eigenen module-Deklarationen können auch Methoden (Funktionen) und zusätzliche Variablen mitdeklariert werden, wie in Java ● Notation für Knoten in einem Graphen: Knotentyp, optional davor: bezeichner: Beispiele: A, Meristem(t), b:Bud ● Notation für Kanten in einem Graphen: -Kantenbezeichner->, <-Kantenbezeichner● Spezielle Kantentypen: Nachfolgerkante: -successor->, > oder Verzweigungskante: -branch->, +> oder [ Verfeinerungskante: /> (Leerstelle) Notationen für spezielle Kantentypen > Nachfolgerkante vorwärts < Nachfolgerkante rückwärts --- Nachfolgerkante vorwärts oder rückwärts +> Verzweigungskante vorwärts <+ Verzweigungskante rückwärts -+- Verzweigungskante vorwärts oder rückwärts /> Verfeinerungskante vorwärts </ Verfeinerungskante rückwärts --> beliebige Kante vorwärts <-- beliebige Kante rückwärts -- beliebige Kante vorwärts oder rückwärts (vgl. Kniemeyer 2008, S. 150 und 403) selbstdefinierte Kantentypen const int xxx = EDGE_0; // oder EDGE_1, ..., EDGE_14 ... Verwendung im Graphen: -xxx->, <-xxx-, -xxx- Notation von Graphen in XL Beispiel: wird im Programmcode dargestellt als (die Darstellung ist nicht eindeutig!) ( >: Nachfolgerkante, +: Verzweigungskante) wie lässt sich der folgende Graph im Code textuell beschreiben? > Bud 0 X + Leaf 1 abgeleitete Relationen Relation zwischen Knoten, die durch mehrere Kanten desselben Typs (hintereinander) verbunden sind: „transitive Hülle“ der ursprünglichen Relation (Kante) Bezeichnungsweise für die transitive Hülle in XL: (-kantentyp->)+ reflexiv-transitive Hülle (auch „Knoten steht in Relation zu sich selbst“ zugelassen): (-kantentyp->)* z.B. für die Nachfolgerrelation: (>)* gemeinsame transitive Hülle der speziellen Kantentypen „Nachfolger“ und „Verzweigung“, in umgekehrter Richtung: -ancestor-> Interpretation: diese Relation besteht zu allen „Vorgängerknoten“ in einem Baum entlang des Pfades zur Wurzel. Nächste Nachfolger eines bestimmten Knotentyps: -minDescendants-> (Knoten anderen Typs werden übersprungen) Nachfolgerkante Verzweigungskante minDescendants Relation „ancestor“ Der aktuelle Graph GroIMP führt immer einen Graphen mit, der die gesamte aktuelle Strukturinformation beinhaltet. Dieser wird durch Anwendung der Regeln umgeformt. Achtung: Nicht alle Knoten des Graphen werden in der 3DAnsicht durch sichtbare Objekte dargestellt! - F0, F(x), Box, Sphere: ja - RU(30), A, B: normalerweise nicht (wenn nicht mit „extends“ aus sichtbaren Objekten abgeleitet) Der Graph kann in der 2D-Graphansicht komplett dargestellt werden (in GroIMP: Panels - 2D - Graph). Laden Sie eine Beispiel-rgg-Datei in GroIMP und führen Sie einige Schritte aus (verwenden Sie keine zu komplexe Struktur). Öffnen Sie die 2D-Graphansicht, verankern Sie mit der Maus das Fenster in der GroIMP-Oberfläche und testen Sie verschiedene Layouts (Layout - Edit): Tree Sugiyama Square Circle Random SimpleEdgeBased Fruchterman Verfolgen Sie die Veränderung des Graphen, wenn Sie die Regeln anwenden (redraw anklicken)! was ist von der in XL erzeugten Graph-Struktur sichtbar (in der 3D-Ansicht) ? alle Geometrieknoten, die von der Wurzel (Zeichen: ^) des Graphen über genau einen Pfad, der nur aus "successor"und "branch"-Kanten besteht, erreichbar sind. Erzwingen, dass ein Objekt auf jeden Fall sichtbar ist: ==>> ^ Objekt Ableitungsmodi in XL standardmäßig voreingestellt: parallele Regelanwendung (wie bei L-Systemen) Umschalten auf sequenzielle Anwendung (in jedem Schritt wird dann höchstens eine Regel angewandt): setDerivationMode(SEQUENTIAL_MODE) Rückschaltung auf parallel: setDerivationMode(PARALLEL_MODE) testen Sie das Beispiel sm09_b32.rgg ein weiterer Regeltyp: Aktualisierungsregeln manchmal will man gar nichts an der Graph-Struktur ändern, sondern nur Attribute eines einzelnen Knotens verändern (z.B. Berechnung der Photosyntheseleistung für ein Blatt). Dazu gibt es einen eigenen Regeltyp: A ::> { imperativer Code }; Testen Sie die Beispiele sm09_b25.rgg, sm09_b16.rgg, sm09_b17.gsz, sm09_b18.rgg und für den Zugriff auf Knotenattribute: sm09_b26.rgg Anfragen (queries) in den erzeugten Graphen Möglichkeit der Verbindung von Struktur und Funktion Beispiel: suche alle Blätter, die Nachfolger des Knotens c sind, und summiere deren Fläche query Anfragen (queries) in den erzeugten Graphen Möglichkeit der Verbindung von Struktur und Funktion Beispiel: suche alle Blätter, die Nachfolger des Knotens c sind, und summiere deren Fläche query transitive Hüllenbildung Aggregationsoperator Anfragen (queries) in den erzeugten Graphen Möglichkeit der Verbindung von Struktur und Funktion Beispiel: suche alle Blätter, die Nachfolger des Knotens c sind, und summiere deren Fläche query transitive Hüllenbildung Aggregationsoperator Ergebnis kann übergeben werden an imperative Berechnung Query in einem Pflanzen- / Tier-Modell: p:Plant, (* a:Animal, (distance(a,p) < p[radius]) *) Query in einem Pflanzen- / Tier-Modell: p:Plant, (* a:Animal, (distance(a,p) < p[radius]) *) sucht alle Tiere innerhalb des Radius von p Query-Syntax: Umgeben wird eine Query mit (* *) Die Elemente werden in ihrer erwarteten Reihenfolge angegeben, z.B.: (* A A B *) sucht nach einen Subgraphen, welcher eine Folge von Knoten der Typen A A B, verbunden durch Nachfolgerkanten, enthält. Testen Sie die Beispiele sm09_b28.rgg, sm09_b29.rgg, sm09_b30.rgg, sm09_b31.rgg, sm09_b35.rgg, sm09_b36.rgg Modellierung des Dickenwachstums in Pflanzen häufig verwendete Ansätze: - Regression Durchmesser ~ Länge für neue Wachstumseinh. - Zuwachs dann von Alter, Verzweigungsordnung etc. abhängig verwende z.B. Regel mit jährlichem festem Wachstum Shoot(l, d) ==> Shoot(l, d+delta_d); Interpretationsregel für Shoot: Shoot(d) ==> F(l, d); - oder: “pipe-model“-Annahme “pipe model“ (SHINOZAKI et al. 1964) : Parallel geschaltete “unit pipes“ Querschnitt ~ Blattmasse ~ Feinwurzelmasse Folgerung : „Leonardo-Regel“ (da Vinci, um 1500) di In jedem Verzweigungsknoten gilt d2 = di2 d (Invarianz der Querschnittsfläche) A1 A = A1 + A2 d 2 = d12 + d22 A A2 Realisierung in einem XL-Modell: siehe Beispiele sm09_b33.rgg, sm09_b34.rgg dort wird zunächst das Längen- und Strukturwachstum simuliert, dann in getrennten Schritten das Dickenwachstum, berechnet von oben nach unten (es ist auch eine – realistischere – Kombination möglich) Praktisches Arbeiten mit XL: Ein XL-Compiler wird zur Verfügung gestellt von der Software GroIMP http://www.grogra.de dort auch Link auf die Download-Seite Interaktive 3D-Plattform GroIMP (Growth-grammar related Interactive Modelling Platform) • GroIMP ist ein Open Source-Projekt GroIMP ist eine Kombination von: - Graph-Grammatiken- (XL-) Interpreter - Entwicklungsumgebung für XL - 3D-Modeller - 3D-Renderer (mehrere Varianten) - 2D-Graphen-Visualisierer - Editor für 3D-Objekte und Attribute - Texturerzeugungswerkzeug - X3D- (VRML-) Viewer (in Arbeit) - Lichtsimulationswerkzeug Beispiel eines mit GroIMP realisierten Pflanzenmodells (Gerste): Anwendungsbeispiel: Modellierung von Parklandschaften (Rogge & Moschner 2007, für Stiftung Branitzer Park, Cottbus) mit GroIMP generierte Erle in VRML-Welt virtuelle Landschaft (mit Buchen-Fichten-Mischbestand) Ergebnisse aus Architektur-Seminar mit XL: Liang 2007 Jarchow 2007 Hausaufgabe: Analysieren Sie den XL-Code des Modells sm09_fichte.rgg. Testen Sie das Modell mit GroIMP, und analysieren Sie den Code noch einmal. Notieren Sie alles, was Ihnen unklar ist. Versuchen Sie, folgende Fragen zu beantworten: - wie lässt sich das Dickenwachstum verstärken - für alle Wachstumseinheiten (growth units, GU)? - nur für den Stamm? - wie lässt sich (durch Veränderung des Längenwachstums) eine schlankere Kronenform erreichen? - wie lässt sich die Zahl der Haupt-Seitenäste vermindern?