Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Romanische Philologie Wintersemester 2010/11 Hauptseminar Varietätenlinguistik Dozentin: Dr. phil. habil. Schäfer-Prieß Kristina Seemann 12.11.2010 Die Geschichte der Expansion des Portugiesischen 1. 1. – 10. Jahrhundert: – gemeinsame Ursprungssprache mit dem Galicischen (galego-português) – galego-português bestand lange hauptsächlich als gesprochene Sprache (ca. 8.-12.Jh.) o galego-português entwickelt sich unter Einfluss der vorrömischen Substrate und der späteren Superstrate getrennt von den übrigen romanischen Sprachen – 90 Prozent des portugiesischen Wortschatzes stammen vom Lateinischen ab – 5.Jh.: Invasion der Germanen – – o Assimilation der Germanen an römische Sprache und Kultur o Verstärkung regionaler Unterschiede durch geringen Kontakt zu Rom o langsame Zerstörung sprachlicher Einheit auf der Iberischen Halbinsel o Entwicklung voneinander unterscheidbarer Dialekte Invasion der Mauren o nur geringer arabischer Einfluss auf den romanischen Dialekt o Entwicklung des Mozarabischen o arabische Spuren hauptsächlich in der Lexik (Landwirtschaft, Ernährung) o arabischer Einfluss in geografischen Namen (Algarve, Fátima) im 13./14.Jh.: Entwicklung des galego-português zur wichtigsten Sprache der Lyrik auf der Iberischen Halbinsel – Portugiesisch emanzipiert und etabliert sich als erste Nationalsprache Europas innerhalb territorialer Grenzen, die bis heute nahezu unverändert bestehen geblieben ist 2. 11. – 15. Jahrhundert: – 1095/1096: König Alfons VI. von León und Kastilien überträgt die Grafschaft Portucale seinem künftigen Schwiegersohn Dom Henrique de Borgonha / Conde Dom Henrique – 1139: Ausrufung von Afonso I. (o Conquistador) zum König – 1251: Ende der Reconquista (für Portugal) durch Eroberung der Algarve – 1279-1325: Erhebung des Dialekts von Porto zur Nationalsprache – 1385-1433: Portugal leitet die ökonomisch bedingte überseeische Expansion ein o 3 Hauptziele der Entdeckungsfahrten: 1 kommerzielle Interessen durchsetzen Christianisierung Verbreitung der portugiesischen Sprache – Heinrich der Seefahrer ist der wichtigste organisatorische und finanzielle Förderer der portugiesischen Entdeckungsfahrten – er treibt die Entdeckungsfahrten längs der afrikanischen Küste voran – 1438-1481: die Entdeckung und Eroberung westafrikanischer Küstenplätze und Inseln schreitet voran; Expansion des Sklaven-, Gold- und Pfefferhandels – 1580: König Philipp II. von Spanien annektiert Portugal (als portugiesischer König Philipp I.) – die Personalunion bleibt unter Philipp III. (II.) und Philipp IV. (III.) von Spanien bestehen – 1640: Loslösung Portugals von Spanien – 1668: „Frieden von Lissabon“ (Anerkennung der Unabhängigkeit Portugals durch Spanien) 3. Afrika: – die Portugiesen waren die ersten, die die Küsten Afrikas erreichten und mit den schwarzen Stämmen in Berührung kamen – 1415: Heinrich der Seefahrer erobert Ceuta o Ausgangspunkt der afrikanischen Unternehmungen Portugals o langfristiges Ziel: Finden eines Seewegs nach Indien und dem Fernen Osten o bis 1580: Aufrechterhaltung der portugiesischen Herrschaft über die nordmarokkanische Küste; danach mussten die Gebiete an die Briten (Tanger) und Spanier (Ceuta) abgegeben werden – 1419: Entdeckung Madeiras; bis dahin unbewohnt – 1427: Entdeckung der Azoren; bis dahin unbewohnt – 1445: Erkundung und Umsegelung des Kap Verde – 1470: werden die Inseln Ano-Bom, São Tomé und Príncipe entdeckt – 1483: der Seefahrer Diogo Cão dringt bis Angola vor – 1487: Bartolomeu Diaz erreicht das Kap der guten Hoffnung → der Seeweg zum Orient war frei im Ergebnis der Entdeckung, Eroberung und Kolonisierung an der afrikanischen Westküste entstanden in einigen Gebieten portugiesisch-basierte Pidginsprachen, die sich vielfach zu eigenständigen Sprachen, den portugiesisch-basierten Kreolsprachen weiterentwickelten Kapverden o gesamte Bevölkerung spricht Nationalsprache crioulo, daneben Portugiesisch Guinea-Bissau o kriyol = Verkehrssprache, wird nur von 50-75% der Bevölkerung beherrscht o Portugiesisch-Muttersprachler: 0,15% 2 80% o Portugiesisch als Zweitsprache: 10% São Tomé e Príncipe o drei Kreolisch-Varianten sãotomense, angolar und principense werden von 90% der Bevölkerung, neben nur geringen Portugiesisch-Kenntnissen, zur Verständigung benutzt → auf den westafrikanischen Inseln wird Kreolportugiesisch nahezu von der gesamten Bevölkerung gesprochen und daneben das Portugiesische größtenteils verstanden. Dagegen überwiegen auf dem Festland GuineaBissaus die afrikanischen Sprachen. in Angola und Mosambik nahm das Portugiesische eine andere Entwicklung o Kontakt mit den afrikanischen Sprachen bis ins 19. Jh. ebenfalls beschränkt auf die Küstengebiete o 1885: Berliner Kongokonferenz (sollte Handelsfreiheit im Kongo und am Niger regeln; Schlussdokument, Kongoakte, bildete die Grundlage für die Aufteilung Afrikas in Kolonien) o erst nach der Konferenz drangen portugiesische Kolonisten ins Landesinnere vor o Portugiesisch = Amtssprache in beiden Ländern o Regierungen verfolgen exoglossische Sprachpolitik o Sprachensituation ist triglossisch (funktional dreisprachig): o afrikanische Sprachen (supraethnische) Verkehrssprachen (z.B. Kimbundu, Swahili) Portugiesisch jedoch Unterschiede zwischen beiden Ländern bezüglich der Situation des Portugiesischen und der afrikanischen Sprachen Angola o bedeutendste portugiesische Kolonie, fungierte als größter Sklavenlieferant in Richtung Brasilien o bis ins 19.Jh. war die portugiesische Präsenz auf wenige Küstenorte beschränkt, erst danach Erschließung des Hinterlandes o Höhepunkt der Besiedlung durch Portugiesen in den 1970ern mit einem Anteil von fast 10% der Gesamtbevölkerung o nur geringe Vermischung zwischen Portugiesen und Afrikanern (Anteil an Mulatten 1970 nur 8%) o neben Portugiesisch etwa 100 afrikanische Sprachen o zwei Drittel der Angolaner sind Umbundu- und Kimbundu-Sprecher o seit 1976 wurden die sechs meistverbreiteten Bantusprachen sprachplanerisch als Sprachen der Medien und der Schulbildung ausgebaut → Status von nationalen Sprachen (línguas nacionais) o durch ständige Bürgerkriege Vereitelung des sprachpolitischen Ziels einer stabilen Polyglossie Portugiesisch / afrikanische Sprachen o heute instabile Polyglossie 3 o durch Urbanisierung und demographische Entwicklung, sowie Prestige der Weltsprache Portugiesisch scheint sich die Polyglossie zu Gunsten der ehemaligen Kolonialsprache zu verschieben Mosambik o bevölkerungsreichstes portugiesischsprachiges Land Afrikas o bis ins 19.Jh. ebenfalls Beschränkung der portugiesischen Herrschaft auf einige Orte entlang der Küste o war vor allem Stützpunkt im Indienverkehr o gehörte bis 1752 verwaltungsmäßig zu Goa o Erschließung des Binnenlands ebenfalls erst nach 1885 o Anteil portugiesischer Siedler blieb stets gering o keine nachweisbaren Kreolisierungserscheinungen o Portugiesisch spielte in Mosambik die Rolle des einigenden Bandes; wurde bewusst von der FRELIMO (Frente de Libertação de Moçambique) als Waffe gegen den spaltenden Tribalismus eingesetzt o Ziel der staatlichen Sprachpolitik war von Beginn an portugiesische Standardsprache als offizielle Sprache o neben Portugiesisch ca.24 Bantu-Sprachen o jedoch weder staatliche Förderung noch Ausbau rückständiges Agrarland mit großem Anteil an ländlicher Bevölkerung, die in der Mehrheit afrikanische Sprachen spricht o Bilinguismus nicht so verbreitet und stabil wie in Angola o zudem sogenannte ameaça do inglês („Bedrohung durch das Englische„), bedingt durch englischsprachige Nachbarschaft (Tansania, Malawi, Sambia, Simbabwe, Südafrika und Swasiland) o seit 1995 als einzige nicht ehemals britische Kolonie Mitglied im Commonwealth of Nations 4. Indien und Asien: – 1498: Vasco da Gama erreicht die indische Hafenstadt Kalikut o zahlreiche Handelsstützpunkte Portugals an der afrikanischen West- und Ostküste o erstes europäisches Land mit Handelsposten in Indien – besonders von Bedeutung für den Handel mit Gewürzen – 1557: Errichtung der Hafenstadt Macao wichtiger Hafen auf dem Festland – zwischen 1511 und 1512: Kontrolle über die Inseln Java, Malakka und die Molukken – zu Beginn des 16.Jh. gelangt auch Ost-Timor in den Besitz Portugals – 1580-1640: wesentlicher Einschnitt in der Expansionsgeschichte Portugals durch Personalunion mit Spanien – Verlust der Herrschaft über einige Kolonien (ostindische Inseln gingen an die Niederlande über) 4 – Behauptung in Ost-Timor – Erhalt der Bedeutung des Portugiesischen bis ins 18.Jh. – in Goa (1961 in indischen Staat eingegliedert) ist Portugiesisch bis heute in der älteren Generation sporadisch verbreitet, ansonsten Verdrängung durch Englisch und Hindi – im alltäglichen Leben außerhalb der Verwaltung Macaos heute kaum noch Portugiesisch – Osttimor: o 1975 von Indonesien militärisch annektiert o ab 1981 völliges Verschwinden des Portugiesischen aus dem öffentlichen Leben o nur noch 15% besitzen Portugiesisch-Kenntnisse o seit Erringung der Unabhängigkeit 2002 ist Portugiesisch neben Tétum wieder offizielle Sprache o durch Unterstützung Portugals und Brasiliens bei Lehrerausbildung und Verbreitung der Sprache, ist Lusophonie wieder im Aufschwung – Entstehung von Kreolsprachen o starker Bedeutungsverlust durch geringe Größe der Sprachgemeinschaften o am lebendigsten: (papia) kristang – Mischsprache aus Portugiesisch und Malaysisch; gesprochen von eurasischen Nachfahren der Portugiesen in Malakka (Malaysia) im Portuguese Settlement (Stadtteil Malakkas) leben heute noch ca. 1000 Mitglieder dieser Sprachgemeinschaft 5. Amerika: – Vertrag von Tordesillas (1494) – April 1500: Pedro Alvares Cabral landet in Brasilien – erst 1532: Beginn der eigentlichen Kolonisierung Brasiliens durch Erschließung des Landes + Gründung der Stadt São Vicente o danach Erkundung und Eroberung weiterer Gebiete, aber immer in Küstennähe o 1549: neu gegründete Stadt Salvador wird Sitz der Kolonialverwaltung o weitere Stadtgründungen: o 1554: São Paulo 1565: Rio de Janeiro neben Handel mit Brasilholz (pau-brasil), Beginn des lukrativen Anbaus von Zuckerrohr viele Arbeitskräfte benötigt entscheidender Impuls für transatlantischen Sklavenhandel, v.a. aus Guinea und Angola o geringes Interesse der Portugiesen an Brasilien änderte sich erst im 18.Jh. als Goldrausch aufkam und Portugal seinen Einfluss in Indien verloren hatte o erhebliche Stärkung der Rolle des Portugiesischen o Reportugisierung (reaportuguesamento) in städtischen Gebieten, in denen Portugiesisch in pidginisierte Stadtsprachen aufzugehen drohte 5 o Herausbildung der língua geral, eine Art Verkehrssprache, die auf Vermischung von Portugiesisch mit Tupi, der wichtigsten indianischen Sprachfamilie Brasiliens, beruhte o rasche Ersetzung der língua geral durch Portugiesisch im Zuge der administrativen Erschließung des Landes o Portugiesisch hatte sich als nationale Verkehrssprache in ganz Brasilien ausgebreitet (hauptsächlich durch afrikanische Sklaven und bandeirantes) o trotz multikultureller Zusammensetzung der brasilianischen Bevölkerung (Indianer, Portugiesen, Afrikaner, Asiaten) heute Monoglossiesituation Grund = nahezu alle Bevölkerungsgruppen haben ihre Sprachen zu Gunsten der Prestigesprache Portugiesisch aufgegeben – bis zur 2. Hälfte des 16.Jh. hatte sich Portugal ein riesiges Kolonialreich geschaffen – Niedergang begann bereits mit der Personalunion mit Spanien, spätestens aber mit der Unabhängigkeit Brasiliens (1822) 6. 1822 – heute: nach 1822 besaß Portugal noch die Kolonien Ost-Timor, Portugiesisch-Indien (fünf Hafenstädte), Macao, Mosambik, Angola, São Tomé e Príncipe, Portugiesisch-Guinea, Kapverdische Inseln Nelkenrevolution (revolução dos cravos) 1974 setzt portugiesischer Kolonialära ein Ende alle afrikanischen Länder wurden 1974 (Guinea-Bissau) bzw. 1975 (Angola, Mosambik, Kapverde und São Tomé e Príncipe) unabhängig Ost-Timor wurde 1975 von Indonesien annektiert Macao wurde 1999 an China zurückgegeben bis heute gehören die Überseeterritorien Madeira und die Azoren zu Portugal – Aktuelle Situation des Portugiesischen o mit 210 Mio. Muttersprachlern eine der sechs meist gesprochenen Sprachen der Welt (nach Chinesisch, Spanisch, Englisch, Bengali und Hindi) o eine der höchsten Zuwachsraten an Sprecherzahlen o unter den romanischen Sprachen ist Portugiesisch nach Spanisch (ca. 370 Mio.) die zweitverbreitetste und wird von deutlich mehr Menschen gesprochen als das Französische (ca. 116 Mio.) Bibliographie: Da Silva Neto, Serafim (1952): História da Língua Portuguesa. Rio de Janeiro 37 Der kleine Ploetz ( 1999). Frechen Endruschat, Annette; Schmidt-Radefeldt, Jürgen (2006): Einführung in die portugiesische Sprachwissenschaft. Tübingen Vázquez Cuesta, Pilar; Mendes de la Luz, Maria A. (1988): „Noções de geografia da língua portuguesa”, in: Gramática da língua portuguesa. Lissabon, 37-155. 6 Weltkarte 16. Jahrhundert Weltkarte heute 7 8