Prädikation und sekundäre Prädikation

Werbung
SUSANNE HACKMACK
Prädikation und sekundäre Prädikation
Obwohl der Ausdruck 'Prädikation' in der Sprachwissenschaft eine weite Verbreitung
hat, ist er dennoch nicht einheitlich und präzise definiert – eine unangenehme
Eigenschaft, die er mit zahlreichen anderen linguistischen Begriffen teilt. Aufgabe dieses
Beitrages ist einerseits, in einige Gebrauchsweisen von 'Prädikation' und 'sekundärer
Prädikation' einzuführen in der Hoffnung, so ein Verständnis für die nachfolgenden
Beiträge zu schaffen, andererseits exemplarisch anzureißen, inwiefern diese Begriffe für
die moderne Linguistik von Interesse sind.
Einleitung
Wenn man unter dem entsprechenden Stichwort in terminologischen Wörterbüchern wie
z.B. BUSSMANN 1990 nachschlägt, findet man Aussagen, die Prädikation definieren als
(a) 'Relation zwischen Subjekt und Prädikat' oder auch 'Relation zwischen Prädikat
und Argument'.
Was die inhaltliche Aufgabe dieser Relation angeht, bestehe diese
(b) 'aus dem Prozess der Zuordnung von Eigenschaften zu Objekten bzw.
Sachverhalten'.
Macht das die Sache klar? Eigentlich nicht, denn diese Angaben sind entweder
schwammig wie in (b) oder setzen zuviel als gegeben voraus wie in (a): was heißen
'Prädikat' oder 'Subjekt' genau? Auch nicht klar wird, auf welche Art (a) und (b) unter
einen Hut gebracht werden können. In den nachfolgenden Abschnitten wollen wir uns
zunächst intensiver mit den Begriffen 'Prädikat' und 'Prädikat-Argument-Struktur'
auseinandersetzen, um die Angaben unter (a) zu präzisieren, und uns anschließend mit
der Frage beschäftigen, was im Sinne von (b) mit 'Zuweisung von Eigenschaften' im
Kontext von Prädikation gemeint sein könnte – und was nicht.
Prädikate und Prädikat-Argument-Strukturen
Wie eine kleine Audience Participation im Workshop ergab, ist die Frage danach, was in
einem vorgegebenen Satz das Prädikat ist, etwas heikel. Während die Identifikation von
Subjekt und Prädikat in dem Satz John sleeps keinerlei Schwierigkeiten machte,
schieden sich bei John kicks Bill die Geister – während die eine Fraktion die VP kicks
Bill als Prädikat identifizierte, optierte die andere für das Verb kicks. Diese
unterschiedlichen Auffassungen sind nicht mehr als ein Reflex der Tatsache, dass der
Prädikatsbegriff, der in der Sprachwissenschaft eine lange Tradition aufweist,
einigermaßen obskur, da nicht einheitlich definiert ist. Die folgenden Angaben aus dem
Oxford Concise Dictionary of Linguistics (OCDL) belegen dies deutlich:
predicate:
1. A part of a clause or sentence traditionally seen as representing what is said of, or
predicated of, the subject. E.g. in My wife bought a coat in London, the subject my
2
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
wife refers to someone of whom it is said, in the predicate, that she bought a coat in
London.
2. A verb or other unit which takes a set of arguments. Thus, in the same example,
'buy' is a two-place predicate whose arguments are represented by my wife and a
coat. (MATTHEWS 1994)
Diese Definitionen spiegeln die angesprochene Unsicherheit wider bezüglich der Frage,
was in einem Satz mit transitivem Verb das Prädikat ist. Auf den Satz John kicks Bill
angewendet, erhielten wir hiernach nämlich genau die Analysen, die auch die
Workshoper vorgebracht haben: nach Definition 1 wäre das Prädikat durch 'kick Bill'
repräsentiert; nach Definition 2 durch das zweistellige Prädikat 'kick'. Mit dieser
Sachlage sind ein paar interessante Fragen verbunden – beispielsweise: haben diese
unterschiedlichen Gebrauchsweisen von 'Prädikat' etwas miteinander zu tun, oder sind
sie gänzlich unabhängig voneinander? Woher kommen sie? Welche Konsequenzen hat
die unterschiedliche Verwendung des Begriffes 'Prädikat' für die Verwendung des
Begriffes 'Subjekt'? Und natürlich: inwieweit sind diese Definitionen relevant für
'Prädikation'?
Prädikatsbegriff 1
Die erste Definition gibt eine sehr traditionelle und gemeinhin auf Aristoteles
zurückgeführte Gebrauchsweise von 'Prädikat' und 'Subjekt' wieder. Danach lassen sich
sprachliche Äußerungen wie Sätze grob in zwei Basiskategorien einteilen:
Individuenausdrücke einerseits und Eigenschafts- bzw. Klassenausdrücke andererseits.
Die Kombination dieser Basiskategorien ergibt die Grundform eines Aussagesatzes:
For Aristotle, then, a situation or state of affairs, as represented in an assertive
sentence, consists of the fact that some entity has a certain property. And a true
assertion corresponds with the situation in that it contains a constituent called
predicate, which assigns the property in question to the entity concerned. (SEUREN
1998: 121)
"Subjekt ist Prädikat" galt als Strukturschema für einfache Deklarativsätze (z.B. Socrates
est albus), zulässige Prädikate waren im wesentlichen Eigenschaften oder Klassennamen.
Wiewohl diese Unterteilung auf Aristoteles basiert, ist dabei zu berücksichtigen, dass es
diesem nicht primär um eine syntaktische oder semantische Analyse natürlichsprachiger
Sätze ging, sondern um die Frage nach der Abbildung der Wirklichkeit in Aussagen oder
Urteilen über die Wirklichkeit und deren Wahrheitsbedingungen, also um logischphilosophische Fragestellungen. Die Grundeinteilung des Satzes in Subjekt und Prädikat
im oa. Sinn hat allerdings einen großen Einfluss genommen auf die Sprachwissenschaft
allgemein und insbesondere auch die traditionelle Grammatik: hier wird property oder
'Eigenschaft' in einem sehr weiten Sinn verstanden dahingehend, dass darunter nicht nur
Attribute, sondern auch Aktionen oder Zustände oder Prozesse fallen, die z.T. in
komplexen Verbalphrasen ausgedrückt sein können. Auf dieser Basis ist die Zweiteilung
von Sätzen in ein Subjekt und ein Prädikat nachzuvollziehen, wie sie bis heute auch in
den Beispielsätzen vorgenommen wird: dem Individuenausdruck my wife ist durch das
Prädikat die 'Eigenschaft' zugeschrieben, einen Mantel in London gekauft zu haben, dem
Indivduenausdruck John die 'Eigenschaft', Bill zu treten.
Bremer Linguistik Workshop
3
In diesem Sinn ist das Prädikat als 'Satzteil' eine Art 'aussagentechnisches' Konstrukt:
etwas wird über etwas anders ausgesagt. Es korreliert mit dem traditionellen Begriff
'Satzaussage' und ist neben Eigenschaften und Klassenbezeichnungen (ist groß, ist
Studentin) auch durch Prozesse (kauft einen Mantel in London) realisiert, die z.T. in
komplexen Verbalphrasen ausgedrückt sein können.
Prädikatsbegriff 2
Der Prädikatsbegriff in der zweiten Definition, der in zahlreichen modernen Grammatikformalismen Anwendung findet, kann auf die symbolische Logik bzw. Prädikatenlogik
zurückgeführt werden. Danach ist ein ein Prädikat ein Konstrukt bestehend aus einem
Prädikatsnamen einerseits und einer Menge von Argumentstellen (die möglicherweise
auch leer sein kann) andererseits. Bei der Notation wird der Prädikatsname zur linken
einer Klammer geführt, die eine Reihe Argumentstellen enthält: Prädikatsname(Arg1,
Arg2,...Argn). Je nach Zahl der Argumentstellen haben Prädikate eine unterschiedliche
Stelligkeit – einstellige Prädikate haben eine Argumentstelle, zweistellige Prädikate
haben zwei Argumentstellen usw. Häufig wird verkürzend nur der Prädikatsname als
'Prädikat' bezeichnet, doch die Stelligkeit ist eine intrinsische Eigenschaft eines jeden
Prädikates.
In der modernen Linguistik werden Prädikat-Argument-Strukturen beispielsweise dafür
verwendet, die Valenzeigenschaften von Lexemen zu repräsentieren. So ist z.B. in der
Prädikat-Argument-Struktur eines Verbs erfasst, mit wievielen und ggf. auch mit
welchen Typen von Ergänzungen oder Partizipanten sich dieses verbinden kann. Die
Verben run, kick und put hätten jeweils die folgenden Prädikat-Argument-Strukturen:
run(x), kick(x,y) und put(x,y,z). Ein Verb wie eat, das zwei verschiedene
Gebrauchsweisen hat (John ate vs John ate the cake), könnte auf zwei distinkte
Prädikate abgebildet werden: das einstellige eat(x) und das zweistellige eat(x,y). Die in
Form von Prädikat-Argument-Strukturen notierten Valenz- oder Subkategorisierungseigenschaften einzelner Lexeme nehmen in vielen zeitgenössischen Grammatikmodellen
eine zentrale Position ein:
Lexical argument structures play an extremely important role in modern theories of
language. Beginnning with Aspects of the Theory of Syntax (Chomsky 1965) and
continuing to the present, it has become apparent that many of the facts of grammar
are caused by properties of the particular lexical items that go into sentences. Recent
theories of grammar specify rich collections of information in lexical entries and
relatively impoverished rules or principles in other components of the grammar
[…]. (PINKER 1989:4)1
Womit die Argumentstellen, die ein Prädikat eröffnet, gefüllt werden, lässt sich noch
genauer klassifizieren beispielsweise mit Bezug auf syntaktische Kategorien,
1 Ich weiß nicht genau, was Pinker mit ...beginning with Chomsky '65... meint – inwieweit die
syntaktische Form eines Satzes durch die Valenzeigenschaften seiner Lexeme vorstrukturiert ist, war
natürlich schon viel früher Gegenstand sprachwissenschaftlicher Analyse. Gerade die generative
Grammatik nach Chomsky hat sich im Vergleich zu anderen Grammatiktypen wie z.B. der
Kategorialgrammatik nach meinem Dafürhalten reichlich schwer getan, den hier im Kern angesprochenen
Lexikalismus in die Grammatik zu integrieren.
4
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
grammatische Funktionen oder semantische Relationen. Bei mehrstelligen Prädikaten ist
in diesem Kontext zu berücksichtigen, dass die Anordnung der Argumente in der
Klammer nicht willkürlich ist: per Konvention wird beispielsweise das 'Subjekts'Argument als erstes; das 'Objekts'-Argument als zweites geführt. Dazu gleich mehr,
wenn es um die sequentielle Abarbeitung der Argumente geht.
Inhaltlich haben Prädikate in diesem Sinne die Funktion, ihren Argumenten
Eigenschaften zuzuweisen oder, bei mehrstelligen Prädikaten, Relationen zwischen
ihnen zu vermitteln. Als typische Vertreter fallen einem Verben oder Adjektive ein, aber
es darf nicht vergessen werden, dass auch Nomina Prädikatstatus haben, insofern sie
Klassenzugehörigkeit ausdrücken. Dazu ein Beispiel: ein wesentlicher Unterschied
zwischen den Sätzen
(1)
John runs
(2)
The boy runs
liegt darin, dass die NP im ersten Satz durch einen Eigennamen, im zweiten Satz durch
Artikelwort plus Nomen realisiert ist. Während das Argument von jump(x) im ersten
Beispiel ein Eigenname ist, ist es im zweiten Beispiel die Kombination von definitem
Artikel und Klassenbezeichner – informell kann der Unterschied durch 'John rennt' für
den ersten und 'dasjenige, das ein Junge ist, rennt' für den zweiten Satz wiedergegeben
werden, formal durch
(3)
runs(John) vs
(4)
runs(ix boy(x))
Wie (3) und (4) zeigen, werden prädikatenlogische Ausdrücke in der Linguistik auch
dazu eingesetzt, die Semantik komplexer Ausdrücke (zumindest partiell) zu beschreiben.
Diese Ausführungen zeigen hoffentlich, dass die beiden in den Definitionen reflektierten
Gebrauchsweisen von 'Prädikat' recht unterschiedliche Sorten Maus sind. Wenn man die
Sache rein formal angeht, besteht der wesentliche Unterschied darin, dass Prädikate wie
unter Definition 1 aus dem OCDL nur ein einziges, Prädikate wie unter 2 mehr als ein
Argument haben können. Dieser Unterschied ist ein Reflex davon, dass die beiden
Prädikatsbegriffe auf unterschiedliche Entitäten referieren.
Dabei wird ebenfalls deutlich, dass auch 'Subjekt' nicht einheitlich für beide
Prädikatsbegriffe gilt: während das Subjekt in Definition 2 ein mögliches Argument
neben anderen ist, ist es in Definition 1 genau dasjenige Element, über das in einem Satz
die durch das Prädikat kodierte Aussage gemacht wird, sprich diejenige Größe, die sich
mit dem Prädikat zu einem Satz verbindet. Als traditionelle Bezeichnung findet sich
hierfür auch der Begriff 'Satzgegenstand'. Dass diese beiden Subjektsbegriffe,
angewendet auf konkrete Sätze, auf dieselbe sprachliche Konstituente zutreffen können
(aber nicht müssen), darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die jeweils zugrundeliegenden Bedeutungen doch sehr voneinander abweichen.
Die Frage danach, wie sich diese unterschiedlichen Prädikatsbegriffe miteinander
vertragen und um was für Größen es sich bei Subjekt und Prädikat denn nun genau
handelt (sind es im weitesten Sinne logische, grammatische oder psychologische
Entitäten?) und wie sie auf welcher Ebene der Untersuchung sprachlicher Äußerungen
(Syntax? Semantik? Pragmatik? Alles davon?) sinnvoll zum Einsatz kommen können, ist
Bremer Linguistik Workshop
5
mehr als happig, gehört seit Anbeginn sprachwissenschaftlicher Zeitrechnung zu den
Problemen der Linguistik und kann in diesem Beitrag natürlich nicht geklärt werden. Für
eine etwas ausführlichere Diskussion siehe den Abschnitt The confusion around the
terms subject and predicate in SEUREN 1998 und auch den Beitrag von John Bateman in
diesem (virtuellen) Band.
Auf der Basis der beiden vorgestellten Prädikatsbegriffe können wir Prädikation nun auf
zwei unterschiedliche Arten beschreiben: in einer relationalen Lesart ist Prädikation die
Beziehung zwischen Prädikat (Prädikatsbegriff 1) und seinem einzigen Argument, also
dessen Subjekt. In einer eher statischen Lesart entspricht Prädikation einer (vollständig
gesättigten) Prädikat-Argument-Struktur.
Trotz der aufgeführten Unterschiede zwischen den Prädikatsbegriffen und den daraus
resultieren Prädikationsbegriffen ist es möglich, einen systematischen Bezug zwischen
ihnen zu erstellen. Um diesen Punkt zu erläutern, holen wir etwas aus und beschäftigen
uns zunächst mit ein paar Funktionen.
Funktion und Prädikation
Die Notation von Prädikat-Argument-Strukturen erinnert nicht von ungefähr an die
Schreibweise von Funktionen, die aus einem Funktor und einem oder mehreren
Argumenten bestehen: funktor(Argument1, Argument2,...Argumentn). Was aber ist oder
macht eine Funktion genau aus? Nehmen wir ein dazu ein einfaches Beispiel. Die
Funktion quadrat(x) kann umgangssprachlich mit 'quadriere x' oder 'nimm x zum
Quadrat' wiedergegeben werden. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Tatsache, dass eine
solche Funktion ein Ergebnis hat – die Anwendung der Funktion auf einen Wert x ergibt
einen Wert y: quadrat(x) = y.
Dieser Ausdruck kann als 'x zum Quadrat ergibt y' wiedergegeben werden. Die Frage
'und was ist y?' ist dann beantwortet, wenn das Auswertungsverfahren bekannt ist und für
x ein konkreter Wert eingesetzt wird, z.B. 4: quadrat(4) = 16. Letztendlich bildet eine
Funktion also Werte, in diesem Fall Zahlen, aufeinander ab.
Ein weiteres Beispiel: multipliziere(x,y). Diese Funktion kann mit 'multipliziere x und y'
oder 'nimm x mit y mal' wiedergegeben werden. Sie unterscheidet sich von der
vorhergehenden Funktion, insofern hier über den Funktor zwei Argumente zueinander in
Beziehung gesetzt sind. Auch die Anwendung dieser Funktion ergibt einen Wert:
multipliziere(x,y) = z. Um für z einen konkreten Wert zu ermitteln, müssen beide
Argumentvariablen durch konkrete Zahlen ersetzt sein (dieser Vorgang wird auch als
'Instanziierung der Argumente' bezeichnet). Wird nur ein Argument durch eine konkrete
Zahl ersetzt, erhält man als Ergebnis der Funktion keine Zahl sondern – ein wichtiger
Aspekt unserer Argumentation – eine neue Funktion: multipliziere(x,4) = z.
Der Unterschied liegt klar auf der Hand: im einen Fall, multipliziere(x,y), haben wir es
mit einer zweistelligen Funktion zu tun. Im anderen Fall, multipliziere(x,4), ist nur noch
eine Argumentstelle offen und die Funktion würde umgangsprachlich mit 'nimm x mit 4
mal' wiedergegeben. Um diesen Unterschied transparent zu machen, wollen wir dafür
auch eine andere Notation verwenden:
multipliziere_mit_4(x) = z,
6
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
an der ganz deutlich wird, dass wir es statt mit einer zweistelligen jetzt mit einer
einstelligen Funktion zu tun haben. Wird das Argument dieser Funktion instanziiert, also
durch eine Zahl ersetzt, so erhält man wiederum einen konkreten Wert für z:
multipliziere_mit_4(2) = 8.
Was diese Ausführungen offensichtlich machen sollen, ist der systematische
Zusammenhang einer zweistelligen und einer einstelligen Funktion: wird eine der
Argumentstellen einer zweistelligen Funktion gesättigt, so resultiert eine neue, nämlich
einstellige Funktion, erst die Instanziierung dieses, also quasi des letzten Argumentes
liefert ein 'echtes' Ergebnis. Dieser Sachverhalt gilt im übrigen für alle mehrstelligen
Funktionen, d.h. auch für Funktionen mit 3 oder mehr Argumenten: durch die
Instanziierung eines Argumentes einer mehrstelligen Funktion geht eine n-stellige
Funktion in ein n-1-stellige Funktion über, d.h. der Funktionswert ist selbst wieder ein
Funktion. Jede mehrstellige Funktion kann mithin in eine Kette einstelliger Funktionen
übersetzt werden.
In den verwendeten Beispielen lieferte die Anwendung der Funktion auf eine Zahl bzw.
zwei Zahlen als Ergebnis stets eine weitere Zahl. Wie verhält es sich aber in dem
folgenden Beispiel:
größer_als(x,y), umgangssprachlich 'x ist größer als y'? Was ist hier das Ergebnis der
Funktionsanwendung auf konkrete Zahlen, beispielsweise in größer_als(6,3)? Das
Ergebnis dieser Funktion ist mitnichten eine Zahl, sondern ein Wahrheitswert:
größer_als(6,3) = WAHR.
Desssen ungeachtet gilt auch bei der zweistelligen Funktion größer_als(x,y), dass die
Instanziierung eines Argumentes als Ergebnis eine einstellige Funktion liefert:
größer_als(x,3) bzw. größer_als_3(x). Wird nun x durch einen konkreten Wert, z.B. 2,
ersetzt, erhalten wir als Ergebnis dieser einstelligen Funktion erneut einen
Wahrheitswert: größer_als_3(2) = FALSCH.
Um nun auf sprachliche Beispiele und Prädikat-Argument-Strukturen zurückzukommen,
lautet die entscheidende und für den vorliegenden Kontext wichtige Frage: gibt es in
Prädikat-Argument-Strukturen eine Analogon zu dem Ergebnis einer Funktion? Eine
mögliche Antwort auf diese Frage lautet: ja, das 'Ergebnis' der Instanziierung aller
Argumente ist eine Proposition. 'Proposition' als semantische Größe soll hier (zunächst
vereinfacht, weil auf Deklarativsätze beschränkt2) als Darstellung eines Sachverhalt
verstanden werden, der – ein entscheidender Punkt – ein Wahrheitswert zugeordnet
werden kann. Damit sollte die Analogie zu den oa. Funktionen deutlich werden. Nehmen
wir dazu ein Beispiel, welches unmittelbar an das letzte Funktionsbeispiel anknüpft:
älter_ als(x,y). Durch die Zuordnung y = Edward erhalten wir das einstellige Prädikat
älter_als(x, Edward) bzw. älter_als_Edward(x). So x = Charles resultiert die
2 Vereinfacht deshalb, weil wir unter 'Proposition' hier eher den propositionalen Gehalt oder 'Satzbegriff'
verstehen, also das, was quer zu verschiedenen Satztypen und -modi konstant bleibt. Beispiel: die
('logischen') Paraphrasen der folgenden Sätze Er miaut – Es ist der Fall, daß er miaut (Deklarativ) Miaut
er? – Ist es der Fall, daß er miaut? (Interrogativ) Er miaut nicht – Es ist nicht der Fall, daß er miaut
(Negation) weisen in dem durch den 'daß-Satz'-ausgedrückten Teil jeweils denselben propositionalen
Gehalt auf. Es sei explizit darauf hingewiesen, dass wir 'Proposition' nicht automatisch gleichsetzen mit
Clause oder Satz.
Bremer Linguistik Workshop
7
Proposition älter_als_Edward(Charles), die z.B. in Form der Aussage Charles ist älter
als Edward ausgedrückt sein und der ganz klar ein Wahrheitswert zugeordnet werden
kann: älter_als_Edward(Charles) = WAHR. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem
Beispiel von weiter oben, also kick(x,y): aus dem zweistelligen kick(x,y) wird durch
Instanziierung eines Argumentes das einstellige kick(x,Bill) bzw. kick_Bill(x). Eine
Proposition aber resultiert erst, wenn die nun einzige Argumentstelle gesättigt wird:
kick_Bill(John), sprachlich z.B. realisiert als John kicks Bill. Es ist also folgendes im
Hinterkopf zu behalten:
o Die Sättigung eines Argumentes bei einem zweistelligen Prädikat liefert ein
einstelliges Prädikat.
o Die Instanziierung des Argumentes bei einem einstelligen Prädikat liefert eine
Proposition.
An dieser Stelle wird der Bezug der beiden in Abschnitt 2 diskutierten Prädikatsbegriffe
deutlich: jede n-stellige Prädikat-Argument-Struktur kann in eine n–1-stellige PrädikatArgument-Struktur überführt werden. Erst wenn ein einziges Argument übrigbleibt, führt
dessen Instanziierung zu einer Proposition. Diese Ausführungen sind für uns deshalb so
wichtig, weil in ihnen die Grundlage für die relationale Definition von 'Prädikation'
gelegt ist: Prädikation ist die Beziehung, die zwischen einem einstelligen Prädikat und
seinem Argument besteht, sofern die Instanziierung dieses Argumentes als Ergebnis eine
Proposition liefert. Dieses Argument ist das Subjekt des Prädikates.3
Damit die Prädikationsrelation überhaupt realisiert werden bzw. eine Proposition
resultieren kann, ist allerdings eine ganz bestimmte Bedingungen an das Argument
gestellt: es muss sich dabei um einen Referenzausdruck handeln. Dieser Punkt wird
gleich bei der Differenzierung zwischen Prädikation und Attribution wieder aufgegriffen.
Damit hätten wir eine vorläufige Definition für Prädikation, die mit Bezug auf logische
oder semantische Aspekte getroffen wird, im Einklang mit den Angaben aus dem OCLD
steht und die bereits auf der ersten Seite vorgestellten Definitionen präzisiert. So sollte
klar sein, dass nach unserem Ermessen eine Aussage wie 'Prädikation ist die Relation
zwischen Prädikat und Argument' eben nicht ok ist – wenn man Prädikation schon im
relationalen Sinne definiert, geht es uns um einstellige Prädikate, die Instanziierung des
Argumentes liefert eine Proposition und das Argument muss ein Referenzausdruck sein.
Eine Kernfrage für den relationalen Prädikationsbegriff ist die nach der sequentiellen
Abarbeitung der Argumente,4 also nach den Faktoren, über die ich entscheiden kann,
welches bei einem mehrstelligen Prädikat genau dasjenige ist, das 'übrigbleibt'. Im
bisherigen Text haben wir das unhinterfragt so gemacht, dass z.B. aus einem
zweiwertigen kick(x,y) und der Zuordnung x=John, y=Bill das einstellige kick_Bill(x)
abgeleitet würde – es wird also zunächst das y-Argument instanziiert. Warum wird das
eigentlich so gemacht? Hindert uns irgend etwas daran, erst das x-Argument zu
instanziieren, also John_kick(y)? Gibt es Kriterien, die die Sättigungsabfolge
3 'Subjekt des Prädikates' impliziert nicht notwendigerweise 'Subjekt des Satzes'. Dazu gleich noch mehr.
4 Ein formales Verfahren dafür ist z.B. die sog. 'Lambda-Abstraktion', siehe dazu auch den Beitrag von
John Bateman in diesem (virtuellen) Band
8
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
determinieren? Rein semantisch ist diese Frage nur sehr schwer zu klären, insofern ein
Prädikat wie [jemanden-treten] formal betrachtet nicht irgendwie 'besser' zu sein scheint
als ein Prädikat [jemand-tritt]. Um die verwendete Entscheidung zu begründen, können
aber möglicherweise sprachliche Daten zum Einsatz kommen. Beispielsweise ist es so,
dass Konstruktionen bestehend aus intransitiven, transitiven und bitransitiven Verben in
Sprachen wie dem Englischen oder dem Deutschen eine syntaktische Distributionsklasse
bilden – eine VP mit bitransitivem Verb hat dieselbe Verteilung wie eine VP mit
transitivem und eine VP mit intransitivem Verb. Andersherum will das gar nicht so recht
funktionieren:
John |
ìïran
üï
íkissed Bill
ý
ïîsold the car to Bill ïþ
vs.
ìï? * ran
üï
í John kissed
ý
ïî* John sold the car ïþ
| Bill
Die Annahme, Verb + y-Argument ergäbe eine Einheit (im Gegensatz zu Verb + xArgument) scheint auch bei der Nominalisierung transitiver Verben eine Rolle zu
spielen, denn wenn eines der Argumente dabei auftritt, handelt es sich um das yArgument: Tellerwäscher (wäscht Teller), Frauenhasser (hasst Frauen),
Kaninchenzüchter (züchtet Kaninchen).
Primäre und sekundäre Prädikation
'Proposition' wurde eingeführt als Repräsentation eines Sachverhaltes, der ein
Wahrheitswert zugeordnet werden kann, und wie wir gesehen haben können
Propositionen über eine Prädikationsrelation beispielsweise in Form von
Deklarativsätzen kodiert sein. Im folgenden Satz liegen aber nicht eine, sondern zwei
Prädikationen vor: John kicked Bill dead mit den Prädikaten kick_Bill(x) und dead(x).5
Paraphrasiert werden kann das in etwa mit 'John kicked Bill and Bill died'. Im
Unterschied zu der Paraphrase, in der die Prädikationen über eine Koordination
miteinander verknüpft und in zwei distinkten Teilsätzen kodiert sind, in denen z.B. die
Verben in ihrer flektierten Form vertreten sind, ist das Prädikat dead(x) im Beispielsatz
aber nicht in einem distinkten clause sondern als Adjektiv/Partzip realisiert. Auf diesem
Hintergrund sind auch die Standardbeispiele für sekundäre Prädikation gut
nachzuvollziehen:
The man ate the meat naked
(5)
The man ate the meat raw
(6)
In Satz (5) liegen die Prädikationen ate_the_meat(the-man) und naked(the-man) vor. Wir
können feststellen, dass nur die erstgenannte Prädikation durch ein flektiertes Verb
(genauer gesagt: eine VP mit flektiertem Verb) ausgedrückt ist, die zweite Prädikation
hingegen durch ein Adjektiv/Partizip. Die zweite Prädikation ist darüberhinaus in
gewisser Weise von der ersten abhängig (The man ate the meat ist ok; *The man naked
dagegen nicht). In Satz (5) teilen sich die Prädikate jeweils dasselbe Argument, nämlich
5 Die Argumentsvariablen 'x' sind im konkreten Fall an zwei unterschiedliche Ausdrücke gebunden, also
x = John in der primären, x = Bill in der sekundären Prädikation.
Bremer Linguistik Workshop
9
das grammatische Subjekt. In Satz (6) ist das Argument in der primären Prädikation das
grammatische Subjekt; das in der sekundären Prädikation das grammatische Objekt. Hier
ist also darauf zu achten, wie die Prädikationen jeweils kodiert sind, ob und wie sie
voneinander abhängig sind und worauf sie sich beziehen. Auf dieser Basis können wir
sekundäre Prädikation sehr tentativ wie folgt beschreiben: wenn innerhalb eines Satzes
mehr als eine Prädikation auftritt derart, dass eine davon nicht in einem distinkten
Teilsatz kodiert ist sondern beispielsweise über ein Adjektiv/Partizip o.ä. realisiert wird,
abhängig ist von einer anderen und sich entweder auf das grammatische Subjekt oder auf
ein grammatisches Objekt des Satzes bezieht, handelt es dabei um eine sekundäre
Prädikation. Für die Beispiele unter (5) und (6) ergibt sich damit das folgende Bild:
Primäre Prädikation
[The man] [ate the meat] [naked].
Sekundäre Prädikation
Primäre Prädikation
[The man] [ate [the meat]] [raw].
Sekundäre Prädikation
An dieser Stelle wird erneut die Ambivalenz des Subjektsbegriffes deutlich – wir
unterscheiden klar zwischen einem grammatischen Subjekt (dem Subjekt des Satzes) und
dem Subjekt der Prädikationsrelation. Wiewohl diese häufig identisch sein mögen, zeigt
Beispiel b), dass das Subjekt der sekundären Prädikation das grammatische Objekt ist,
nicht das Subjekt des Satzes.6
Die in der einschlägigen Fachliteratur zur sekundären Prädikation vertretene Flut
sprachlicher Phänomene läßt den Eindruck entstehen, in diesem Gegenstandsbereich sei
kaum eine wie auch immer geartete Systematik auszumachen. Es lassen sich aber eine
Reihe von Faktoren identifzieren, die zumindest eine grobe Klassifizierung von
sekundärer Prädikation zulassen. Was das für Faktoren sein können, wollen wir ganz
kurz vorstellen, wobei wir uns an den in der gängigen Literatur verwendeten Beispielen
orienteren.
Bezüglich der Semantik von Ausdrücken mit sekundärer Prädikation kann zwischen
Fällen unterschieden werden, bei denen durch das sekundäre Prädikat eine Eigenschaft
zugeschrieben wird (Deskriptiva), und solchen, bei denen diese Eigenschaft das Resultat
eines durch das primäre Prädikat ausgedrückten Prozesses ist (Resultativa). Die
Fleischesser-Beispiele sind klar deskriptiv, vgl. dazu jedoch
John kicked Bill dead
(7)
(8)
John wiped the table clean
Wie die Fleischesser-Beispiele zeigten, kann sich das sekundäre Prädikat sowohl auf das
grammatische Subjekt wie auf das grammatische Objekt beziehen. Auffällig sind
diejenigen Fälle, in denen dieser Bezug nicht eindeutig ist, wie z.B. in
Johni brought Maryj home drunki,j
(9)
6 In diesem Text wird versucht, Begriffe wie 'logisches' oder 'psychologisches' Subjekt weiträumig zu
umgehen. Für eine ausführlichere Diskussion siehe den Beitrag von John Bateman in diesem (virtuellen)
Band.
10
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
In diesem Kontext stellt sich ganz allgemein die Frage, nach welchen Kriterien
überhaupt die Zuordnung des sekundären Prädikates erfolgt.
Ebenfalls interessant sind diejenigen Fälle, in denen sich an den Valenzeigenschaften des
die primäre Prädikation kodierenden Verbes durch die Erweiterung durch eine sekundäre
Prädikation etwas ändert:
John ran / *John ran his trainers / John ran his trainers thin
(10)
(11)
Mary cried/ *Mary cried her eyes / Mary cried her eyes blind
Auf der Basis dieser Distinktionen könnte man – tentativ und ziemlich grob –
unterschiedliche Typen von sekundärer Prädikation identifzieren, auf einige von welchen
wir später noch zurückkomen:7
o intransitiv-deskriptiv (notwendigerweise subjektbezogen)
Mary left — Mary left angry
'X Verb-ed and when X Verb-ed X was Z'
'intransitiv'-resultativ ® Shift in der Verbvalenz
Mary sang — Mary sang herself hoarse
'X Verb-ed to the point that X/Y became Z'
o transitiv-deskriptiv-subjektbezogen
John ate the meat half-asleep
'X Verb-ed and when X Verb-ed Y X was Z'
o transitiv-deskriptiv-objektbezogen
John ate the meat raw
'X Verb-ed and when X Verb-ed Y Y was Z'
o transitiv-resultativ-objektbezogen
Mary shot the rabbit dead
The gardener watered the tulips flat
'X cause Y to become Z by Verb-ing Y'
Diese (rein deskriptiven) Unterscheidungen suggerieren vielleicht eine gewisse Ordnung
oder Systematik, doch dieser Eindruck täuscht ein wenig. Zum Abschluss dieses
Abschnittes deshalb noch ganz kurz zwei Beispiele aus dem Bereich transitiv-deskriptivobjetkbezogen, die exemplarisch anreißen sollen, welch interessanten Fragestellungen
sich hinter Ausdrücken mit sekundärer Prädikation verbergen können.
Wenn John is asleep / I saw John asleep in Ordnung ist – warum gilt das Gleiche nicht
auch für John is intelligent / *I saw John intelligent? Wenn The meat is raw / John eats
the meat raw in Ordnung ist – warum gilt das Gleiche nicht auch für The meat is tasty /
*John eats the meat tasty?
Wie sind die Unterschiede zu erklären? Ein Kriterium könnte im ersten Beispiel die
Frage danach sein, inwieweit das sekundäre Prädikat jeweils eine dauerhafte (intelligent)
oder eine vorübergehende Eigenschaft (asleep) seines Subjektes kodiert und nur die
letztgenannten akzeptabel wären: I saw John happy / drunk / naked vs. *I saw John tall /
dead / boring. Was das zweite Beispiel angeht: während raw ein Attribut ausdrückt das
o
7 Die abstrahierten Paraphrasen stammen aus NAPOLI 1994.
Bremer Linguistik Workshop
11
quasi unabhängig von der 'Wahrnehmung' des Subjektes der primären Prädikation (John)
existiert und eine intrinsische Eigenschaft des meat darstellt, besteht zwischen tasty in
*John eats the meat tasty und dem Subjekt der primären Prädikation ein enger
Zusammenhang, insofern John als eine Art Experiencer von tasty gelten kann. Eine
mögliche weitere Restriktion für ein sekundäres Prädikat könnte also so aussehen, dass
dieses eine intrinsische Eigenschaft seines Subjektes kodieren muss. Dies würde auch
den den Unterschied erklären zwischen John eats the meat salted / *John eats the meat
salty.
Diesen interessanten Fragen nach den genauen Formen von sekundärer Prädikation und
den damit verbundenen Restriktionen gehen wir in diesem Beitrag nicht näher nach. Es
sollte aber deutlich geworden sein, dass diese Fragen ausgeprägt semantischer Natur
sind. Für weitere Beispiele zu diesem Punkt siehe z.B. WINKLER 1994. Für einen
ausführlicheren Erklärungsansatz siehe den Beitrag von John Bateman in diesem
(virtuellen) Band.
Prädikation versus Attribution
Wir wollen Beispiel (6) erneut aufgreifen, um die für uns wichtige Unterscheidung
zwischen Prädikation und Attribution zu illustrieren. Man könnte bei dem Satz
(6)
The man ate the meat raw
auf die Idee kommen, dieser sei nicht mehr als eine Paraphrase des Satzes
The man ate the raw meat.
(12)
Ist dem aber wirklich so? Anhand des folgenden Beispielpaares, in dem eine analoge
Situation vorzuliegen scheint, wollen wir diesen Fall diskutieren.
The ball is red
(13)
The red ball
(14)
Ausdrücke wie red oder tall oder drunk haben – wie gesehen – im valenztechnischen
Sinne den Status von Prädikaten. Wenn wir darüber hinaus die weiter oben diskutierte
Aussage 'Prädikation ist das Verfahren der Zuweisung von Eigenschaften an eine Entität'
rekapitulieren, scheint in der NP in Beispiel (14) Prädikation vorzuliegen. Dem aber
wollen wir widersprechen. Zunächst einmal ist (14) eben 'nur' eine NP, und diese hat als
solche überhaupt nicht den Status einer Proposition, was die folgenden Beispiele
verdeutlichen:
It is the case that the ball is red
(13')
(14')
*It is the case that the red ball
Hier erhalten wir einen Fingerzeig darauf, dass die AP red in (14) eine andere
semantische Funktion erfüllt als in (13):
o
In (13) bezeichnet sie eine Eigenschaft (hier: rot-sein), die einem
Referenzausdruck wie z.B. einer im Gesprächskontext identifizierten Entität
(darunter fallen auch Klassen oder generische Ausdrücke) zugeordnet ist.
The ball is red: 'dem Objekt, das durch the ball identifiziert ist, ist die
Eigenschaft 'rot-sein' zugeschrieben'.
12
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
o
In (14) erfüllt red dagegen die Aufgabe, über die Zuweisung dieser Eigenschaft
die potentielle Referenz eines Ausdrucks überhaupt erst näher zu bestimmen.
The red ball: 'identifiziere das Objekt mit den Eigenschaften 'rot-sein' und 'ballsein'.
Während in (13) tatsächlich eine Prädikationsrelation gegeben ist, liegt in (14)
Attribution vor, insofern die AP hier die Funktion hat, die Denotation von ball
einzuschränken. Es kommt uns bei der Unterscheidung zwischen Prädikation und
Attribution also nicht so sehr auf den Prädikatsstatus von red (oder raw) an, den wir
nicht in Frage stellen, sondern auf das Argument dieses Prädikates: in (13) ist das
Argument ein Referenzausdruck; in (14) hingegen ist das Argument das Nomen ball, das
diesen Status nicht hat. Eine Prädikationsrelation liegt nach unserem Verständnis nur
dann vor, wenn das Argument eines Prädikates ein Referenzausdruck ist, und das ist ball
eben nicht.
Damit können wir auch den Unterschied zwischen (6) und (12) wie folgt beschreiben:
o (ate) the meat raw: das Argument des Prädikates raw ist die NP the meat;
sprich ein Referenzausdruck, dem eine Eigenschaft zugeweisen wird (roh-sein)
und dessen Instanziierung zu einer Proposition führt (the meat is/was raw),
o the raw meat: das Argument des Prädikates raw ist das N meat, also kein
Referenzausdruck, demnach ist das Ganze keine Proposition und es liegt keine
Prädikation vor.
Dass zwischen den Sätzen (6) und (12) ein erheblicher semantischer Unterschied besteht,
wird spätestens dann deutlich, wenn man sie negiert. Dabei kommt nämlich gut heraus,
dass sie jeweils unterschiedliche Implikationen aufweisen:
The man didn't eat the meat raw
(6')
The man didn't eat the raw meat
(12')
(12') impliziert eindeutig, dass der Mann das Fleisch überhaupt nicht gegessen hat,
während in (6') das Fleisch gegessen wurde, allerdings in einem anderen Zustand als roh.
Eine Möglichkeit, den Unterschied zwischen den Paaren (6) vs. (12) und (13) vs. (14) zu
beschreiben, ist, einen Bezug zu dem Unterschied zwischen Assertion (Behauptung) und
Präsupposition (Voraussetzung) zu erstellen. Der Sachverhalt 'das Fleisch war roh' wird
Satz (6) als gegeben vorausgesetzt und bleibt auch unter Negation konstant. In Satz (12)
hingegen wird dieser Sachverhalt nicht vorausgesetzt, was daran erkennbar ist, dass er
sich unter Negation in sein Gegenteil verkehrt ('das Fleisch war nicht roh'). Damit sollten
die semantischen Disktinktionen und die Unterscheidung zwischen Prädikation und
Attribution ansatzweise deutlich geworden sein.
Bevor wir uns daran machen, exemplarisch zu zeigen, in welchen Kontexten Prädikation
und sekundäre Prädikation in der modernen Linguistik diskutiert werden, erstmal eine
kleine Zusammenfassung. Wir haben Prädikation – in Abhängigkeit von
unterschiedlichen Prädikatsbegriffen – auf zwei Arten vorgestellt: einerseits als eine
Konstruktion im Sinne einer vollständig gesättigten Prädikat-Argument-Struktur,
andererseits relational als eine Beziehung zwischen einem Prädikat und dessem
(einzigen) Argument. In beiden Fällen haben wir es mit Entitäten zu tun, die
Bremer Linguistik Workshop
13
Propositionen ausdrücken, denen also ein Wahrheitswert zugeordnet werden kann. Wie
die Geschichte mit der sequentiellen Instanziierung der einzelnen Argumente in einer
Prädikat-Argument-Struktur gezeigt hat, können beide Prädikationsbegriffe aufeinander
abgebildet werden. Dabei sollte aber stets im Hinterkopf behalten werden, dass
'Prädikation' als Terminus mindestens genau so vage ist wie 'Prädikat' und also die
Bandbreite der bei diversen Wissenschaftlern darunter subsumierten Erscheinungen
ungeheuer groß. Im Klartext heißt das, dass die hier vorgestellten Definitionen nicht in
der Lage sein werden, all diejenigen Phänomene in den Griff zu bekommen, die mit
'Prädikation' assoziiert sind. Sie erheben aber auch nicht den Anspruch, in dieser Weise
erschöpfend zu sein, sondern versuchen, eine vorsichtige Eingrenzung der Begriffe zu
geben.
Prädikation und sekundäre Prädikation als linguistische
Untersuchungsgegenstände
Ausgehend von der eben gemachten Aussage, nachdem wir die Prädikationsrelation als
ein logisch-semantisches Konstrukt ansehen, stellt sich die Frage danach, wie dieses
sprachlich realisiert werden kann, welche Unterschiede es in den Sprachen der Welt
dabei gibt und welche interessanten theoretischen Fragestellung bei der Beschreibung
beispielsweise der Syntax dieser Realisierungen auftreten können.
In den bisherigen englischen Beispielsätzen lag stets die Situation vor, dass das Prädikat
durch ein intransitives Verb oder die Kombination von transitivem Verb plus Objekt(en)
realisiert ist:
(15)
John |
ìïruns
üï
íkisses Bill
ý
ïîsells the car to Phil ïþ
Im Vergleich dazu:
John | is [sad]AP
(16)
(17)
John | is [a student]NP
John | is [in the garden]PP
(18)
Semantisch betrachtet steckt in den Sätzen (16)–(18) das Prädikat jeweils in einer AP,
einer PP und einer NP. Diese Prädikate unterscheiden sich inhaltlich betrachtet auch von
denen unter (15), insofern dem jeweiligen Subjekt keine Aktion (küssen, rennen usw.)
zugewiesen ist, sondern eine Eigenschaft (16), die Mitgliedschaft in einer Klasse (17)
oder es verortet wird (18). Vermittelt wird die Prädikationsrelation in (16)–(18) durch
eine Kopula, hier immer be, die für die semantische Interpretation eigentlich keinen
eigenen Beitrag leistet. Im Englischen scheint primäre Prädikation bei Adjektiv-,
Präpositional- und Nominalphrasen also nur per Einsatz der Kopula möglich zu sein:
(16')
*John sad
(17')
*John in the garden
(18')
*John a student
Ein ähnliches Bild zeigt sich übrigens im Deutschen:
14
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
Sie ist lustig vs. *Sie lustig
Sie ist im Bett vs. *Sie im Bett
Sie ist Progammiererin vs. *Sie Progammiererin
Die Unterschiede im kategorialen
Status der Prädikate – VP einerseits;
AP, PP und NP andererseits – fällt
unter das Schlagwort 'verbale' vs
'nicht-verbale' Prädikation. Für das
Deutsche oder das Englische wird
wie gesehen angenommen, dass
nicht-verbale (primäre) Prädikation
stets durch eine Kopula vermittelt
werden muss – ein keinesfalls
universales Phänomen, insofern z.B.
im Türkischen oder im Russischen
(allerdings auf bestimmte Tempora
beschränkt)
nicht-verbale
Prädikation auch ohne Kopula
auskommt. Kees Hengeveld, der
ganz im hier vorgestellten Sinn
'Prädikation' als eine semantische,
'Satz'
dagegen
als
eine
morphosyntaktische Größe auffasst,
klassifiziert
die
Realisierungsmöglichkeiten
von
Prädikation
wie
in
der
nebenstehenden Graphik (HENGEVELD 1992:27). Diesem Themenkomplex wird in der
Annahme, dass er in den 'empirischen' Workshop-Beiträgen noch zur Genüge behandelt
wird, hier nicht weiter nachgegangen. Für eine Diskussion und zahlreiche weitere
Beispiele siehe z.B. STASSEN 1997. Nur noch eine Kleinigkeit dazu: auch im Deutschen
oder Englischen liegen die Dinge bei genauerer Betrachtung nicht so einfach, wie die
oben angegebene Vermutung es suggeriert. Betrachten wir dazu die folgenden Beispiele:
With his leg in plaster, Bill had to take a cab
(22)
(23)
John a traitor? I can't believe it!
In (22) liegt eine absolute with-Konstruktionen vor, in deren Komplement eine
Prädikation realisiert ist. In John a traitor in Satz (23) ist das Prädikat durch ein NP
realisiert. In keinem der (allerdings stark eingeschränkten Fälle) taucht eine Kopula auf,
genausowenig wie z.B. in
Kevin allein zu Haus.
(24)
In diesem Kontext ist natürlich auch von Interesse, wie solche Konstruktionen überhaupt
syntaktisch beschrieben werden können. Um genau diesen Punkt, nämlich die
syntaktische Struktur von Ausdrücken, die eine Prädikationsrelation kodieren, geht es im
nächsten Abschnitt. Wie die Literatur oder, genauer gesagt, die darin vertretenen
(19)
(20)
(21)
Bremer Linguistik Workshop
15
diversen und zum Teil erheblich voneinander abweichenden Analysen verdeutlichen, ist
dieser Punkt alles andere als unumstritten. Am Beispiel der sogenannten 'Small-Clause'Analyse wollen wir beispielhaft zeigen, wo hier Probleme liegen.
Prädikation, sekundäre Prädikation & syntaktische Repräsentation
Wiewohl die Mutter aller Phrasenstrukturregeln, nämlich S ® NP VP, dereinst sicherlich
nicht hauptsächlich dadurch motiviert war, ein Konstrukt wie primäre Prädikation im
relationalen Sinn syntaktisch abzubilden, leistet sie diesbezüglich doch recht gute
Dienste, insofern die oben diskutierte Distinktion der Argumente eines Verbes hier einen
syntaktischen Reflex findet: ein Argument (das 'Subjekts-'Argument) ist außerhalb
derjenigen Konstituente aufgeführt, die das Prädikat enthält. Bei einem zweistelligen
Prädikat träte demnach das Subjekt außerhalb der VP als Tochter des Satzes auf; das
Objekt hingegen innerhalb der VP als Schwester des Verbs. Zwischen diesen
Konstituenten liegt eine Prädikationsrelation vor:
S
NP
Prädikation
VP
Bei dieser Herangehensweise wird das Subjekt des Prädikates abgebildet auf eine
spezifische syntaktische Position, nämlich auf die unmittelbar von S dominierte NP.
Ebenfalls unmittelbar von S dominiert wird die VP, auf die das Prädikat abgebildet wird.
Dahinter steckt die Annahme, dass sich die Prädikationsrelation syntaktisch als
Konstituente manifestiert, in der Subjekt und Prädikat (bzw. die entsprechenden
Konstituenten) Schwestern von einander sind. Im Falle von finiten Verben bzw.
Verbalphrasen und Sprachen, in denen diese eine syntaktische Klasse darstellen, liefert
uns diese Annahme die sattsam bekannte Struktur eines Deklarativsatzes: 8
SATZ
NP Prädikation
VP
schwächelt
¬
küsst sie
¬
Er
legt sich auf das Sofa
¬
Sowohl die PS-Regel S ® NP VP als auch die hier vorgestellten Beispiele beziehen sich
auf solche Fälle, in denen das Prädikat durch eine finite Verbalphrase und die
Prädikation in Form eines Satzes realisiert ist. Doch dass dies nicht unbedingt der Fall
sein muss, hat die Geschichte mit den sekundären Prädikaten gezeigt. Um für Sätze wie
John ate the meat naked die Hypothese aufrecht erhalten zu können, nach der sich
'Prädikation syntaktisch als Phrase manifestiert, in der Subjekt und Prädikat Schwestern
von einander sind', landet man fast automatisch bei der sogenannten 'Small-Clause'8 Damit reihen wir uns in die lange Reihe der Logiker/Grammatiker ein, deren Untersuchungsgegenstand
sich im wesentlichen auf aktivische Deklarativsätze beschränkte. Sobald man jedoch andere Satztypen
einbezieht, z.B. Sätze mit Topikalisierung oder Passivsätze, muss der theoretische Unterbau um ein
Vielfaches angereichert werden, z.B. mit Konstrukten wie 'Oberflächen-' vs. 'Tiefensubjekt', 'internes' und
'externes Argument', Transformationen oder ähnlichem.
16
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
Analyse. Danach würde jedes einstellige Prädikat, bei dem die Instanziierung des
Argumentes eine Proposition liefert, syntaktisch wie folgt repräsentiert:
Phrase
<Subj>
Prädikation
<Prädikat>
Bei primärer Prädikation entspräche <Prädikat> wie gesehen z.B. einer finiten VP,
<Subjekt> z.B. dem Subjekt des Satzes und 'Phrase' einem S. Wenn wir nun einen Satz
mit sekundärem Prädikat nehmen, müssen folgende Punkte geklärt werden:
1. welcher Kategorie gehört 'Phrase' an,
2. woher kommt die Information darüber, was das Subjekt des Prädikates ist – die
beiden stehen z.B. im Falle von subjektbezogener sekundärer Prädikation nicht
in benachbarten Positionen,
3. wohin gehört 'Phrase' selber. Dieser Punkt ist, wie wir gleich sehen werden, eng
mit dem 2. Punkt verbunden.
Was Punkt 1. angeht: 'Phrase' ist im Falle von sekundärer Prädikation kein vollwertiger
Clause, denn dazu fehlt ihre Verortung in Raum und Zeit – das Prädikat kann in Form
von Adjektiv-, Präpositional-, Nominal- oder nicht-finiten Verbalphrasen manifestiert
sein. Als Oberbegriff für diese Konstruktionen wird die Bezeichnung 'Small-Clause'
verwendet. Darüber, was genau das im Einzelfall sein kann, besteht kein rechter
Konsens. Um beim Standardbeispiel zu bleiben, stellt sich hier die Frage, welchen
kategorialen Status der Small Clause in eat the meat raw hat. Ist es eine Art AP, die um
ein Subjekt erweitert wurde? Oder sollte die Analogie zwischen Clauses und Small
Clauses expliziter dargestellt werden, indem man beide als Prädikationsphrase
bezeichnet? Sowohl für die eine als auch die andere Annahme sind Vorschläge gemacht
worden, stellvertretend siehe dazu STOWELL 1983 und BOWERS 1993. Dieser Frage
gehen wir hier nicht näher nach sondern bleiben bei der Kategorie 'Small Clause'.
Wesentlich ist hier auf jeden Fall die kategoriale Differenzierung zwischen einer
attributiv und einer prädikativ verwendeten Konstituente.
Was Punkt 2. angeht: in die Subjektsposition des sekundären Prädikates könnte ein
'Dummy'-Element gesetzt werden, also eine Art Platzhalter für Information, die zwar
mitverstanden, d.h. semantisch interpretiert wird aber phonetisch nicht oder auch nicht
'vor Ort' realisiert ist. Fachjargon für solche Dummy-Elemente (dazu gehören z.B. auch
die umstrittenen traces in der generativen Grammatik) ist 'leere Kategorie'. So es sich
dabei um ein phonetisch leeres Subjekt eines Prädikates handelt (das gilt übrigens auch
in Infinitivkonstruktionen), wird diese leere Kategorie als PRO bezeichnet.9 Diese
Bezeichnung, die an 'Pronomen' erinnert, soll auf die anaphorische Funktion der
Kategorie hindeuten: wie ein Pronomen hat auch PRO ein Antezedens, das selber an
einer anderen Position im Syntagma auftritt. Diese Art der Analyse ist aus
Kontrollverbsätzen wie z.B. Mary persuaded him to kiss the cat bekannt: dieser Satz
enthält eine eingebettete Infinitivkonstruktion, deren Subjekt morphosyntaktisch nicht
9 'Groß-PRO', es gibt übrigens auch pro, also 'klein-pro', eine wirklich selten dämliche Terminologie
Bremer Linguistik Workshop
17
realisiert ist, aber mit dem Objekt des Matrixsatzes koindiziert würde. Die solchen
Sätzen zugrundeliegende Struktur würde so beschrieben: [Mary persuaded himi [PROi to
kiss the cat]]S. Über den Index 'i' sind PRO und dessen Antezedens zueinander in
Beziehung gesetzt, anders ausgedrückt: der Index zeigt an, wo die Information für PRO
herkommt. Der Indizierungsmechanismus – der in den Bereich der sogenannten
'Kontrollphänomene' gehört – ist für Sätze mit sekundärem Prädikat nicht
unproblematisch und alles andere als auch nur annähernd einheitlich geklärt. Nehmen
wir als Einstieg den Satz mit subjektbezogenem sekundärem Prädikat
The man ate the meat naked.
(5)
Der Small Clause hätte nach den bisherigen Ausführungen die folgende Struktur:10
SC
NP
AP
naked
PRO
Aber wo genau gehört – wie in Punkt 3. weiter oben schon angesprochen – dieser Small
Clause syntaktisch hin? PRO muss mit dem Subjekt des Matrixsatzes koindiziert werden.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Beziehung zwischen Antezendens (im Beispielsatz
also die Subjekts-NP The man) und PRO im Small Clause syntaktisch vermittelt ist,
beispielsweise dadurch, dass beide im selben lokalen Baum auftreten und also
Schwestern voneinander sind, wäre die einzige mögliche Position für den Small Clause
eine unmittelbar von S dominierte Konstituente und der Satz hätte die folgende
syntaktische Struktur:
S
NP
The mani
VP
V
SC
NP
PROi
AP
ate
the meat
naked
Im Falle von objektbezogener sekundärer Prädikation dagegen wäre der Small Clause
eine Tochter der VP, um als Schwester des Antezedens von PRO, nämlich der ObjektsNP aufzutreten:
10 Die nachfolgende Argumentation ist sehr frech vereinfacht, sie soll sehr grob ein paar Grundprobleme
der PRO-Indizierung bei sekundärer Prädikation anreißen
18
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
S
NP
VP
The man V
ate
NP
the meati
SC
PROi
AP
raw
Wenn also die Indizierung von PRO über syntaktische Kriterien wie 'Schwesternschaft'11
liefe bzw. mit diesen korrelierte, könnten die Antezendentien von PRO tatsächlich in
beiden Fällen über die syntaktische Struktur identifiziert werden.
Aber: ist diese Vorgehensweise sinnvoll? Haben subjektbezogene und objektbezogene
sekundäre Prädikation tatsächlich andere syntaktische Strukturen? Die oa. Analyse des
Satzes mit subjektbezogener sekundärer Prädikation widerspricht der Beobachtung, dass
der Small Clause syntaktisch betrachtet eine Tochter der VP ist:
John [ate the meat naked] and Bill did so, too.
(25)
Bill told Mary that John will eat the meat naked, and [eat the meat naked]i he
(26)
did ti.
* Bill told Mary that John will eat the meat naked, and [eat the meat]i he did ti
naked.
(27)
[Eat the meat naked]i though he did ti, John nevertheless continued to sweat.
(naja)
*[Eat the meat]i though he did ti naked, John nevertheless continued to sweat.
Nach diesen Tests hätte der Satz eine Konstituentenstruktur wie die folgende:
(28)
[[Johni]NP [eat [the meat]NP [PROi naked]SC]VP]S
Danach aber sind Antezedens und Small Clause nicht mehr Schwestern voneinander.
Dieser Punkt ist nach meinem Dafürhalten sehr interessant, denn er tangiert unmittelbar
die hochinteressante Frage nach dem Verhältnis von Syntax und Semantik. Die hier
verwendete, dreist vereinfachte Argumentation läuft letztendlich ja darauf hinaus, dass
subjekt- und objektbezogene sekundäre Prädikate bzw. die entsprechenden Small
Clauses in unterschiedlichen syntaktischen Positionen aufgeführt werden. Wie das in
modernen Ansätzen konkret durchgezogen wird, ist hier unerheblich, wie haben unter
Verzicht auf beispielsweise X-bar Phrasenstrukturen die Positionen 'Tochter von S' im
Falle von Subjektbezug und 'Tochter der VP' im Falle von Objektbezug gewählt. Die
Annahme, dass Unterschiede in der Semantik einen syntaktischen Reflex haben können,
wird gar nicht in Frage gestellt. Kriegsentscheidend aber sind letztendlich doch die
Faktoren, die die Zuordnung des Small-Clauses auf eine entsprechende Position regeln,
und die scheinen semantischer bzw. funktionaler, nicht syntaktischer Natur (siehe dazu
auch den Beitrag von John Bateman in diesem (virtuellen) Band). Unterschiedliche
11 'In Echt' wäre das z.B. C-Kommando
Bremer Linguistik Workshop
19
syntaktische Positionen für unterschiedliche sekundäre Prädikate werden nicht in Abrede
gestellt und möglicherweise tatsächlich für die Beschreibung benötigt – aber was steuert
denn die jeweilige Zuordnung? Was bringt mich denn dazu – wenn ich die SC-Analyse
wähle – in den Fleischesserbeispielen den Small-Clause [PRO naked]SC als Tochter von
S, den Small Clause [PRO raw]SC als Tochter der VP aufzuführen? Von was ist das ein
Reflex? Auch wenn die Syntax so ausgelegt ist, dass sie übergeneriert, d.h. dass sie für
die Fleischesserbeispiele genau vier potentielle Strukturen zur Verfügung stellte, kommt
man an dieser Frage nicht vorbei, denn von diesen vier Strukturen müssen zwei
ausgefiltert werden, um die Daten und den genauen Bezug des sekundären Prädikates
angemessen zu beschreiben. Die Gretchenfrage hier ist für mich also gar nicht mal so
sehr die nach der syntaktischen Struktur sondern vielmehr nach der Semantik bzw. dem
semantischen Filter, der die Unterschiede in der Syntax jeweils bedingt, und genau der
muss nach meinem Empfinden für den Phänomenbereich 'sekundäre Prädikation' (und
viele andere auch) entsprechend aufbereitet und formalisiert werden. Eine Diskussion
dieser Problematik findet sich auch in NAPOLI 1989:81ff.
Mit der hier vorgestellten Herangehensweise sind also viele offene Fragen verbunden.
Diese beziehen sich einerseits auf die Angemessenheit der SC-Analyse den konkreten
Phänomenbereich betreffend, und dafür wurden auch zahlreiche Alternativen entwickelt.
Exemplarisch kann dafür z.B. die sog. Prädikationstheorie (WILLIAMS 1980, 1983)
genannt werden, die sich im wesentlichen dadurch von der SC-Analyse unterscheidet,
dass die Prädikationsrelation nicht in Form einer Konstituente syntaktisch manifestiert
wird:
Williams (1983) arguments against SCs are based on the assumption that subjectpredicate sequences need not be represented as sentential constituents on the
syntactic level. Instead, he asserts that the subject and the predicate that enter into a
predication relation function as independent maximal projections, which are either
represented in a flat structure under VP in the case of OOD [=objektbezogendeskriptiv] and RSP [=resultativ] or IP-adjoined in the case of SOD
[=subjektbezogen-deskriptiv, IP kann hier mit S gleichgesetzt werden]. (WINKLER
1994: 98)
Über die Forderung, dass Subjekt und Prädikat 'maximal projections' sein müssen und
also phrasalen Status haben, wird bei Williams Attribution und Prädikation differenziert
– eine attributiv verwendete AP hat als Argument eben keine NP, sondern ein N. Für
nähere Information und weitere Ansätze siehe WINKLER 1994.
Zum anderen aber berührt die SC-Analyse Fragestellungen, die über Phänomenbereich
hinausgehen und allgemein beispielweise Sinn und Nutzen der Postulierung von leeren
Kategorien wie z.B. PRO hinterfragen. Das Stichwort 'leere Kategorien' ist ein heißes
Eisen in der Linguistik und wurde, allerdings in einem anderen Kontext, auch im
Workshop kurz angesprochen. Die Forderung, nur solche Kategorien in die Grammatik
zu integrieren, die auch tatsächlich einen phonetischen Reflex 'auf der Oberfläche' haben,
ist für mich nicht so recht nachvollziehen, denn dabei wird m.E. übersehen, welchen
Nutzen und Einsatzgebiet diese Kategorien haben, first and foremost aber wird ihr Status
als theoretisches Konstrukt verkannt. Ein indiziertes Dummy wie PRO tut i.d.R. nicht
mehr, als auf vorhandene oder mitverstandene Information zu verweisen, die nicht
unmittelbar aus der Struktur hervorgeht. Etwas plump ausgedrückt hilft PRO zu
20
Susanne Hackmack: Prädikation und sekundäre Prädikation
verdeutlichen, worauf sich was bezieht. Nicht overt realisierte Kategorien haben in der
Linguistik eine lange Tradition (vgl. 'Nullmorphem'), und können dazu dienen,
Strukturen zu erklären und scheinbar disparate Phänomene aufeinander zu beziehen.
Natürlich kann man dasselbe auch ohne leere Kategorien hinkriegen. An deren statt aber
werden dann – und das ist der entscheidende Punkt – normalerweise eben andere
theoretische Konstrukte eingeführt, und da muss schon genau differenziert werden, was
nun ökonomischer oder transparenter ist: die leere Kategorie in Formalismus X oder das,
was in Formalismus Y eingesetzt wird, um denselben Phänomenkomplex zu
beschreiben.
Von z.T. technischen Fisimatenten wie 'leere Kategorie – sinnvoll oder nicht?' abgesehen
ist der Gegenstandsbereich 'sekundäre Prädikation' auch insbesondere deshalb so
interessant, als er, wie eben gesehen, grundlegende Fragen wie die Relation von Syntax
und Semantik aufwirft.
Literatur
BATEMAN, JOHN A.
2001
Predication: short notes on a (meta)functional view. In diesem Band: 17–42.
BOWERS, J.
1993
The syntax of predication. Linguistics Inquiry 24:591–656
HENGEVELD, KEES
Non-verbal Predication. Theory, Typology, Diachrony. Mouton de Gruyter:
1992
Berlin, New York.
MATTHEWS, PETER H.
The Concise Oxford Dictionary of Linguistics. Oxford University Press,
1997
Oxford
NAPOLI, DONNA JO
Predication Theory: A case study for indexing theory. Cambridge University
1989
Press: Cambridge etc.
1994
Resultatives. In: R.E. Asher (ed.), The Encyclopedia of Language and
Linguistics.Vol. 7: 3562–3566.
PINKER, STEVEN
1989
Learnability and cognition: the acquisition of argument structure. MIT Press,
Cambridge, Mass
SEUREN, PIETER A.M.
Western Linguistics. An Historical Introduction. Blackwell Publishers:
1998
Oxford, Malden (Mass.)
STASSEN, LEON
Intransitive Predication. Clarenden Press: Oxford u.a.
1997
Bremer Linguistik Workshop
21
STOWELL, TIM
1983
Subjects across Categories. The Linguistic Review 2: 285-312
WILLIAMS, E.
1980
Predication. In: Linguistic Inquiry 11: 203–238
1983
Against Small Clauses. In: Linguistic Inquiry 14:287–308
WINKLER, SUSANNE
Secondary Predication in English: A Syntactic and Focus-Theoretical
1994
Approach. (Dissertation Tübingen) [= Arbeitspapiere des Sonderforschungsbereiches 340 (Sprachtheoretische Grundlagen für die Computerlinguistik)
Bericht Nr. 64–1994]
SUSANNE HACKMACK
Universität Bremen
Fachbereich 10
Postfach 330440
28334 Bremen
[email protected]
Herunterladen