Influenza A/H1N1v - Pandemie 2009/10 in Österreich Redlberger-Fritz M¹, Popow-Kraupp T¹ ¹Nationale Influenza Referenzzentrale - Labor, Department für Virologie, Medizinische Universität Wien Bedingt durch die intensive Reisetätigkeit der Menschen blieb das neue Influenza Pandemievirus A/H1N1v, das im April 2009 erstmals epidemisch in Mexiko aufgetreten ist, nicht auf seinen geographischen Ursprung beschränkt, sondern wurde innerhalb kürzester Zeit in fast alle Regionen der Welt exportiert. Bei dem neuen Erreger der Grippepandemie 2009 handelte es sich um eine Variante des Influenza A/H1N1 Virus, die im Schwein durch Neusortierung von Gensegmenten aus anderen bereits bekannten Schweine-Influenzaviren entstanden ist. Dieses Virus hat offensichtlich auch die Fähigkeit erworben, effizient von Mensch zu Mensch übertragen zu werden. In Österreich konnte es am 28. April 2009 erstmals durch die Nationale Influenza Referenzzentrale (Labor) bei einer Reiserückkehrerin aus Guatemala nachgewiesen werden. In weiterer Folge konnten dann mit Hilfe des Diagnostischen Influenza Netzwerks Österreich (DINÖ) sehr genaue virologische Daten über das Auftreten und die Aktivität des neuen Influenza Pandemievirus erhoben werden. Die gemeinsame Analyse der virologischen Daten mit den epidemiologischen Daten der Stadt Wien, der Stadt Graz und des Landes Tirol ermöglichten es auch das Ausmaß der Pandemiewelle genau zu erfassen. Die im Rahmen des DINÖ erhobenen Daten zeigten, dass die in den Sommermonaten 2009 aufgetretenen Erkrankungsfälle ausschließlich mit Urlaubs- und Reisetätigkeit assoziiert und somit nicht durch Infektionsketten in Österreich bedingt waren. Beginnend mit dem 28. Oktober 2009 wurde jedoch ein zunehmender Anstieg von Erkrankungen bei Personen ohne Auslandskontakte beobachtet. Einhergehend damit kam es auch zu einem signifikanten Anstieg der positiven Virusnachweise in den eingesendeten klinischen Proben und dem für Influenzawellen typischen sprunghaften Anstieg der Neuerkrankungen an Grippe / grippalem Infekt (Abbildung 1). Daher wurde am 11. November 2009 die Information über den Beginn der Pandemiewelle in Österreich an die Gesundheitsbehörden und die Öffentlichkeit weitergegeben (1). Während der gesamten Pandemiewelle konnte in der Nationalen Influenza Referenzzentrale am Department für Virologie der Medizinischen Universität Wien, in 1969 der 5302 untersuchten Proben das Influenza A/H1N1v Virus nachgewiesen werden. ↑ 654 Abbildung 1: Influenzavirus Nachweise und Anzahl an Neuerkrankungen an Grippe / grippalen Infekt in Wien pro Woche in der Influenzasaison 2009/10. Bis Ende KW 45: Mitigation Stufe 1 (2), ab KW 46 Mitigation Stufe 2 (3) Was die Anzahl der Erkrankungen betrifft kann diese Pandemiewelle insgesamt betrachtet ähnlich wie eine saisonale Grippewelle eingestuft werden. Im Unterschied zu den Influenzawellen der vergangenen Jahre begann sie jedoch um 8-10 Wochen früher, nämlich bereits Anfang November 2009. Der Höhepunkt wurde in den KW 47 bis 49 des Jahres 2009 erreicht. Danach nahm die Influenzavirusaktivität kontinuierlich bis zur KW 9 des Jahres 2010 ab. Die Subtypisierung der nachgewiesenen Influenzaviren ergab, dass ausschließlich Influenza A/H1N1v Viren zirkulierten (Abbildung 2). Die wenigen nachgewiesenen saisonalen Influenza-Subtypen wurden fast nur bei Reiserückkehrerinnen und -rückkehrern gefunden (Influenza A/H3N2: bei Reisenden aus Indien, Thailand und Vietnam, saisonale A/H1N1 bei Patientinnen und Patienten aus Ungarn, Indonesien und China, Influenza B: einmal bei einem Patienten aus Russland und einmal bei einem Knaben aus Oberösterreich ohne Reiseanamnese). Abbildung 2: Ergebnisse der Subtypisierungen der nachgewiesenen Influenzaviren: der rechte Teil ist eine Vergrößerung des linken Teiles der Abbildung um auch die erfassten saisonalen Influenza-Subtypen aufzuzeigen. Was das Auftreten von therapieresistenten Influenzavirus-Stämmen in Österreich betrifft, so konnte im Zuge der routinemäßigen Untersuchung von Stichproben in der nationalen Influenza Referenzzentrale kein einziges Oseltamivir bzw. Zanamivir resistentes Virus nachgewiesen werden (Tabelle 1). Auch weltweit konnten nur wenige Stämme mit einer Resistenz gegen Oseltamivir gefunden werden. Die meisten von diesen stammten von immunsupprimierten Patientinnen und Patienten, die eine Oseltamivir- Therapie erhalten haben bzw. von Personen, die Oseltamivir prophylaktisch eingenommen haben (4). Die WHO riet daher zur Vorsicht bei der prophylaktischen Gabe von Neuraminidasehemmern, da eine prophylaktische Einnahme möglicherweise die Resistenz-Entwicklung begünstigt. Derzeit gibt es keinen Hinweis dafür, dass resistente H1N1v-Stämme Infektionsketten ausgelöst hätten. Resistenzen gegen das wesentlich seltener verabreichte Zanamivir wurden bislang noch nicht beobachtet. Eine Zusammenstellung über die Anzahl und die Ergebnisse der Neuraminidasehemmer-Resistenztestungen in Österreich während der Pandemiewelle gibt Tabelle 1. B H3N2 H1N1v nachgewiesen / getestet: 2/2 nachgewiesen / getestet: 7/7 nachgewiesen / getestet: 2465/261 resistent resistent sensitiv resistent sensitiv 0 7 0 261* 0 sensitiv 2 Tabelle 1: Anzahl der nachgewiesenen Influenzaviren und Ergebnisse der Neuraminidase-Resistenztestungen während der Saison 2009/10. * pandemische Influenza A/H1N1v Auch wenn die Anzahl der Erkrankungen während der Pandemiewelle vergleichbar war mit jenen der vergangenen saisonalen Grippewellen, so gab es doch beträchtliche Unterschiede das Alter und die Risikogruppen für schwere Erkrankungsverläufe betreffend (Daten der Altersverteilung in Österreich Abbildung 3). Abbildung 3: Anzahl der in der Nationalen Influenza Referenzzentrale (Labor) nachgewiesenen Infektionen mit Influenza A/H1N1v nach Altersgruppen Im Gegensatz zu den saisonalen Influenza Virusinfektionen waren vor allem Kinder und jugendliche Erwachsene von einer Infektion mit dem neuen pandemischen Influenza A/H1N1v betroffen. Diese spezifische Altersverteilung ist schon bei der Analyse des Infektionsausbruches in Mexiko im April 2009 manifest geworden und wurde durchgehend in allen von der Pandemie betroffenen Ländern beobachtet, wobei durchschnittlich zwei Drittel der Patientinnen und Patienten unter 40 Jahre alt waren (5-8). Dementsprechend fanden sich auch ungewöhnlich häufig schwere Krankheitsverläufe und Hospitalisierungen in dieser Altersgruppe. So lag das durchschnittliche Alter bei intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten, die ein Akutes Respiratorisches Distress Syndrom (ARDS) entwickelten und in weiterer Folge eine ECMO (Extra Corporale Membran Oxygenierung) benötigten bei 34 Jahren (7). Bei jenen Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer respiratorischen Insuffizienz bei primärer Viruspneumonie intensivmedizinisch versorgt werden mussten, entwickelte sich bedingt durch den direkten zytopathischen Effekt des Virus auf die alveolären Epithelzellen, in der Mehrzahl der Fälle ein sehr rasch progredientes Lungenversagen im Sinne eines ARDS (bei Kindern innerhalb von 48 Stunden). Dies steht im Gegensatz zu den Infektionen mit saisonalen Influenza Viren, bei denen Todesfälle zumeist nur indirekt auf das Influenzavirus zurückzuführen sind und die tatsächliche Todesursache in einer Verschlechterung der Grundkrankheit begründet ist. Die weitere genaue Analyse der schweren Krankheitsverläufe während der Pandemie zeigte, dass sich das bekannte Spektrum der Risikogruppen verändert und erweitert hat, nicht auch zuletzt bedingt durch das häufigere Auftreten von H1N1v-Infektionen bei jüngeren Erwachsenen. Obwohl auch bisher bekannt war, dass eine Influenza-Erkrankung bei werdenden Müttern mit einem 4fach höheren Risiko für Komplikationen assoziiert ist, stellte sich während der Pandemie heraus, dass für schwangere Patientinnen mit einer H1N1vInfektion ein bis zu 10fach höheres Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bestand. In ganz Europa wurden insgesamt 198 Schwangere an Intensivstationen behandelt, wobei nur 24,4 % von diesen neben der Schwangerschaft einen weiteren Risikofaktor für einen schweren Krankheitsverlauf hatten, bei 10 Patientinnen nahm die Infektion einen tödlichen Verlauf. Als weiterer und bisher völlig unbekannter Risikofaktor kristallisierte sich die Fettleibigkeit heraus (Body Mass Index BMI > 35). So hatten in Australien und Neuseeland 28,6 % der H1N1v-infizierten Patientinnen und Patienten auf den Intensivstationen einen BMI > 35, während diese in der Gesamtbevölkerung lediglich mit 5,3 % vertreten waren. Nachdem die indigenen Bevölkerungsgruppen überdurchschnittlich häufig schwer erkrankten, scheint es möglicherweise auch noch eine genetische Prädisposition für einen schweren Krankheitsverlauf zu geben (8). Obwohl noch nie in der Geschichte der Influenzavirus-Infektionen beim Menschen während einer Pandemie ein so genaues Wissen über den Ursprung des Pandemievirus, seine Ausbreitung und seine Pathogenität erworben wurde, zeigte sich auch die Schwierigkeit bei der Erhebung aussagekräftiger epidemiologischer Daten. Ein zentrales Problem in allen Ländern Europas war es, verlässliche Daten über den Schweregrad des Krankheitsverlaufes sowie über die tatsächliche Anzahl an Influenza assoziierten Todesfällen zu erhalten. Dies beruht vor allem auf der Tatsache, dass keine klare Definition und Harmonisierung dieser Begriffe in allen europäischen Ländern existiert. Es wird daher die Aufgabe der Zukunft sein, im Rahmen einer engen internationalen Zusammenarbeit einheitliche Kriterien zur Bestimmung des Schweregrades einer Influenzavirus-Infektion und für die Definitionen von Influenza assoziierten Todesfällen zu erarbeiten. Als einen ersten Schritt, hat das ECDC ein neues Projekt (EURO-Momo: European Mortality Monitoring) ins Leben gerufen, um in Zukunft exaktere Daten über die Sterblichkeitsraten in Europa zu erhalten. Referenzen: (1) Virusepidemiologische Information: Department für Virologie, Kinderspitalgasse 15, 1095 Wien; link: http://www.virologie.meduniwien.ac.at/home/virusepidemiologie/virusepidemiologische-information/lang_1-content.html (2) Information des Bundesministeriums für Gesundheit an die Landessanitätsdirektionen, österreichische Krankenanstalten, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie die Krankenversicherungsträger, Influenza A(H1N1) – Mitigation Stufe 1, vom 7. August 2009; http://www.bmgfj.gv.at/cms/site/attachments/9/1/0/CH0981/CMS1255870454985/200908 06_rundschreibenmitigation_7.8.09.pdf (3) Information des Bundesministeriums für Gesundheit an die Landessanitätsdirektionen, österreichische Krankenanstalten, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie die Krankenversicherungsträger; Influenza A(H1N1) – Mitigation Stufe 2, vom November 2009; http://www.bmgfj.gv.at/cms/site/artikel.pdf?channel=CH0981&doc=CMS1257855198786 (4) Weekly update on oseltamivir resistance to influenza H1N1 (2009) viruses; link: http://www.who.int/csr/disease/influenza/weekly_update_oseltamivir_resistant_20101108. pdf (5) European Centre for Disease Prevention and Control: Facts Mortality from Influenza; link: http://ecdc.europa.eu/en/healthtopics/H1N1/basic_facts, Mortality from Influenza (6) V. Alberto Laguna-Torres et al, Infection and death from influenza A H1N1 virus in Mexico, Lancet Vol 374, Dec 19 2009 (7) J. K. Louie et al, Factors Associated With Death or Hospitalization Due to Pandemic 2009 Influenza A(H1N1) Infection in California; JAMA, Vol 302, No17, Nov. 2009 (8) The ANZIC Influenza Investigators, Critical Care Services and 2009 H1N1 Influenza in Australia and New Zealand, NEJM vol.361 no. 20 Nov.12 2009