Die Reliefs der Archäologische Sammlung der Universität Zürich Dr. med. Alexander Schläfli in Bagdad, 1862 Julius Weber, nach einem Ölgemälde Der Naturforscher und Truppenarzt Dr. med. Alexander Schläfli und der Kaufmann Julius Weber waren kulturhistorisch interessierte Männer, die sich in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts im Orient aufhielten. Mögen ihre Interessen und Beweggründe, in den Orient zu gehen, sehr unterschiedlich gewesen sein – diesen beiden Schweizern ist es in erster Linie zu verdanken, dass die Antiquarische Gesellschaft Zürich und in der Folge die Archäologische Sammlung der Universität Zürich im 19. Jahrhundert in den Besitz von sumerischen, assyrischen und babylonischen Altertümern kamen. Die Wege von Schläfli und Weber kreuzten sich 1861 in Bagdad, wo Schläfli von Konstantinopel kommend im Hause Weber aufgenommen wurde. Nach einem zwei­ monatigen Aufenthalt begab er sich zu seinem Regiment in Samawa am unteren Euphrat. Auf der Reise dorthin besuchte er Babylon, wo er einige kleinere Erinnerungsstücke sammelte. Bevor er am 3. Juni 1862 seine Reise in die Tropen fortsetzte, ordnete er seine Sammlungen von Mollusken, Insekten, Herbarien sowie von Münzen und Antiken für den Versand und schickte u. a. 60 Antiken als Schenkung an die Antiquarische Gesellschaft Zürich, vor allem Statuetten und Gefässe aus Ton und Alabaster aus Babylon sowie einige Bauziegel und andere Tonfragmente mit Keilschrift aus Ninive. In seinem Brief an Prof. Mousson gab Schläfli seiner Hoffnung Ausdruck, dass „sie als erste derartige Sammlung aus Bagdad erwünscht sein“ würden. Ein Jahr später schickte auch Julius Weber eine erste Sendung von kleineren Gegenständen aus den Ruinen von Ninive und Babylon an die Antiquarische Gesellschaft nach Zürich, darunter Rollsiegel, „kissenförmige Thonstücke“ und Bauziegel mit Keilschrift, ein „Stück eines Ziegels mit sehr kleiner Keilschrift“ (vielleicht das ‚Zürcher Vokabular’), Statuetten aus Ton und Alabaster und anderes mehr. Angeregt durch die Ausgrabungen von Botta und Layard und dank seiner guten Verbindungen zu Gouverneuren und Beduinenführern dürfte es Weber nicht schwer gefallen sein, Ausgrabungen in Nimrud durchführen zu lassen. Am 14. September 1864 schrieb er in einem Brief an Ferdinand Keller, den Begründer und Direktor der Antiquarischen Gesellschaft Zürich, dass er ihm „Steinplatten“ aus Nimrud geschickt habe, „ ... die ich vor einigen Jahren in den Ruinen von Nimrod, einige Stunden südwärts von Mosul, habe ausgraben lassen. Diese zum grössten Teil ausgezeichnet erhaltenen Stücke sollten Ihnen gewiss sehr wert sein und Freude machen, und möchten sie ausser London und Paris wohl kaum zu finden sein.“ Diese Sendung enthielt elf Reliefplatten aus Alabaster, von denen, wie wir heute wissen, vier aus dem Palast von Assurnasirpal II. und sieben aus jenem von Tiglatpileser III. stammen. Dazu kamen zwei kleine Fragmente aus Alabaster, das eine mit Keilschrift, das andere mit einem Relief versehen. Diese wertvolle Fracht schenkte Weber der Antiquarischen Gesellschaft, was im Zwanzigsten Bericht verdienstvoll hervorgehoben wird: „Dem Patriotismus und Edelsinne eines der Chefs der Schweizerischen Exportgesellschaft, des Herrn Julius Weber, Ehrenmitglied unseres Vereins, in Bagdad, ... verdanken wir ... die schönste und kostbarste Bereicherung, die seit ihrer Gründung unserer Sammlung zu Theil geworden ist.“ Zürich, Archäologische Sammlung, Provisorium an der Künstlergasse 16, 1980–1982 Zürich, Archäologische Sammlung, Rämistr. 73, vor dem 1979 beginnenden Umbau Zürich, Archäologische Sammlung, Rämistr. 73, 1984–2008 ungünstiger Lichtverhältnisse nicht ideale Aufstellung, wie Hugo Blümner immer wieder zu bedenken gab. Zürich, Hauptgebäude der Universität. Blick ins Foyer mit der Archäologischen Sammlung; Blicke in die Nische mit den assyrischen Antiken, um 1950 (© Hochbauamt des Kantons Zürich) Aufstellungsorte – eine bewegte Geschichte Brief von Julius Weber an Ferdinand Keller, Direktor der Antiquari­schen Gesellschaft Zürich, 14. September 1864 (© Staatsarchiv des Kantons Zürich) Im Jahre 1897 wurden Reliefplatten sowie alle „assyrischen kleinen Altertümer“ der Antiquarischen Gesellschaft der Archäologischen Sammlung der Universität übergeben. Hugo Blümner, der damalige Direktor der Sammlung, schrieb, die „Sammlung antiker Originale“ habe „durch eine schöne Schenkung der antiquarischen Gesellschaft eine beträchtliche Vermehrung erhalten“, die aus „dreizehn mit Reliefs und Keilschrift verzierten Alabastertafeln“ und einer „beträchtlichen Zahl kleiner assyrischer Altertümer aus Stein, Thon und Glas (Götterfiguren, Menschenund Tierfiguren, Reliefs, Backsteine, Gefässe)“ bestand. Die Antiquarische Gesellschaft hatte ihre assyrischen Objekte lange Jahre zusammen mit den prähistorischen im Helmhaus in Zürich ausgestellt. Die assyrischen Reliefs, die „den grössten Schmuck unserer Sammlungen“ bildeten, waren in Holzrahmen eingelassen an den Wänden angebracht, die assyrischen Kleinobjekte, darunter das ‚Zürcher Vokabular’, in einer Vitrine. Nachdem die assyrisch-babylonischen Antiken 1897 der Universität übergeben worden waren, wurden alle diese Kostbarkeiten im Vestibül des zweiten Stockwerks und im Auditorium XIV des von Gottfried Semper erbauten Polytechnikums untergebracht, wo damals auch die Universität ihren Platz hatte Eine wegen Platzmangel und Mit dem 1914 eingweihten Neubau des Hauptgebäudes der Universität sollte der Notwendigkeit, „der archäologischen Sammlung mehr Raum zu schaffen“, Rechnung getragen werden. Der zentral gelegene Lichthof und die südlich anstossende kleine Halle sowie das westliche, beidseits mit Nischen unterteilte Foyer boten endlich genügend Raum für die Sammlung. Die antiken Originale wurden im Foyer ausgestellt, wobei das erste Kompartiment vom stadtseitigen Eingang herkommend für einen Glasschrank mit den kleineren assyrisch-babylonischen Altertümern reserviert war. Die assyrischen Reliefplatten schmückten die Wände des Foyers, die zwei grossen geflügelten Figuren waren beidseits der Nische angebracht. Als 1956 der grösste Teil der Abgüsse und die Kleinobjekte aus dem Lichthof und dem Foyer entfernt werden ­mussten, wechselten auch die assyrischen Reliefs ihren Aufstellungsort und gelangten in die Alte Augenklinik, wo sie bis zum 1979 einsetzenden Umbau im Erdgeschoss im Bereich der heutigen Hörsäale an der Wand aufgehängt waren. Während den Jahren des Umbaus wurden sie in einem Provisorium an der Künstlergasse 16 ausgestellt. Seit 1984 bis zur jetzigen Jubiläumsausstellung schmückten sie die Wände des kleinen Museumsraumes der Archäologischen Sammlung an der Rämistrasse 73. Für die Sonderausstellung wurden die Reliefs aus dem Palast Assurnasirpals II. von der Wand gelöst, um zusammen mit den Platten aus Dresden und Berlin freistehend im grossen Museumsraum präsentiert werden zu können. Die Reliefs von Dresden Als Hermann Hettner im Mai 1855 sein Amt in Dresden als Direktor der Antiken- und Abgusssammlung antrat, hatte die Ausgrabungstätigkeit in Vorderasien einen ersten Höhepunkt erreicht. Hettner verfolgte interessiert die vorderasiatischen Entdeckungen und erwarb zwischen 1855 und 1857 für die Dresdner AbgussHermann Hettner (1821–1882) sammlung in London, Berlin und Paris Kopien von Hauptwerken der Layard’schen Grabungen, darunter einen Abguss des Schwarzen Obelisken und von Reliefs aus Nimrud und Kujundschik. Hettner war allerdings auch darum bemüht, nicht nur die Abgusssammlung, sondern auch die Antikensammlung zu vermehren. Im Mai 1862 reiste Professor Ludwig Gruner, Direktor des Dresdener Kupferstichkabinetts (1856–1885), im Auftrag des Ministeriums nach London, um Erkundigungen nach den Altertümern einzuholen, die im September 1861 die Euphrat-Mündung verlassen hatten und per Schiff auf dem Wege nach London waren. Es wurde ausgemacht, dass Hettner beim Nahen des Schiffes nach London aufbrechen sollte, um die für Dresden endgültige Auswahl zu treffen und den Kauf abzuwickeln. Layard vereinbarte mit Gruner, dass Hettner das Vorrecht der ersten Wahl haben und unter Umständen auch die ganze Sammlung ankaufen könne. Am 9. August traf Hettner in London zum ersten Mal Percy Badger, den englischen Unterhändler. Das Schiff lag vor Anker, die Bildwerke waren aber noch nicht ausgepackt, weil Hettner sie als erster sehen sollte. Allerdings war Hettner nicht der einzige Interessent an den Altertümern dieser Schiffsladung. Ein Sachverständiger der russischen Regierung, der Numismatiker Bernhard Baron von Koehne, war ebenfalls beauftragt, aus der Sendung Stücke für die Eremitage in St. Petersburg auszuwählen. Hettner fürchtete erschwerende Umstände, falls ihre Wahl auf gleiche Stücke fallen sollte. Das Auf und Ab der Verhandlungen und seine mehr oder weniger verdriess­ lichen Erlebnisse schildert er anschaulich in Briefen an seine Frau. Am 21. August war Hettner am Ziel: Vier assyrische Reliefs aus Nimrud waren ausgesucht, und der Kauf konnte besiegelt werden. Hettner hatte sich bei der Wahl von der Rücksicht leiten lassen, „dass innerhalb der geringen Anzahl nichtsdestoweniger möglichste Mannichfaltigkeit gewahrt sei“, wobei ihm sein Vorrecht der ersten Wahl natürlich zugutekam. In der Tat trägt jedes der Dresdener Reliefs ein anderes Motiv. Freistehende Orthostatenreliefs Dresden, Japanisches Palais, Antikensammlung, Saal 10 mit Blick auf die Palastreliefs, 1888 Nach Abschluss aller Formalitäten verliess Hettner am 25. August London fast fluchtartig, um in Oostende einen mehrwöchigen Erholungsurlaub anzuschliessen. Erst am 29. August meldete er von dort aus das glückliche Ende der Verhandlungen und den Abschluss des Kaufes in einem offiziellen Schreiben an den Minister nach Dresden. Der Preis für die vier Reliefs betrug 325 Pfund Sterling, und Hettner war der Meinung, nicht zuviel bezahlt zu haben. Koehne, der erst nach Hettner seine Auswahl treffen konnte, erwarb zwar eine grössere Zahl von ­Reliefs für St. Petersburg, bezahlte aber für jedes einzelne so viel wie Hettner für alle vier Dresdener Platten. Aus dem Jahresbericht über das Jahr 1862 geht hervor, dass die Reliefs wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Dresden und nach ihrer Restaurierung bereits am 14. Oktober 1862 in der Antikensammlung in Saal 10 des ­Japanischen Palais gemeinsam mit den ägyptischen Werken der Sammlung zu sehen waren. Bis 1890 waren die Dresdener Reliefs im Japanischen Palais aufgestellt. Als das Zeughaus an der Brühlschen Terrasse zu einem Museums- (und Archivgebäude), dem so genannten ‚Albertinum’, umgebaut worden war, und Georg Treu, der damalige Direktor (1882–1915), Antiken- und Abguss­ sammlung dort zur ‚Skulpturensammlung’ vereinigte, zogen auch die Reliefs vom Japanischen Palais ins Albertinum und wurden 1894 im Ägyptisch-Assyrischen Saal im 1. Obergeschoss aufgestellt. An dieser Stelle überlebten sie den 2. Weltkrieg und den Angriff auf Dresden am 13. Februar 1945. Gemeinsam mit den anderen Werken der Skulpturensammlung wurden sie im Sommer 1945 durch die sowjetische Trophäenkommission nach Russ­ land abtransportiert, um erst 13 Jahre später (1958) von dort zurückzukehren. Dresden, seit 1958 eingelagerte Reliefs im Depot der Skultpurensammlung Dresden, Rückseite eines freistehenden Reliefs mit Standfüssen Alle Orthostatenreliefs, die sich heute in verschiedenen Museen der Welt befinden, sind fest an massiven Wänden verankert oder gar eingemauert. Dies birgt immer die Gefahr, dass über die Feuchtigkeit im Mauerwerk enthaltene Salze in die Objekte diffundieren oder sich bei entsprechender Rückseitenisolierung Schwitzwasser sammelt – ganz abgesehen von der Unmöglichkeit, die Präsentation wechselnden Ausstellungskonzeptionen anzupassen oder sie, wie nun erstmals hier in Zürich, in ein anderes Museum zu transportieren. trachtung ihrer Rückseiten und damit Rück­schlüsse auf die nachantike Geschichte der Reliefs möglich. Die Idee einer frei stehenden, variablen Präsentation der 800 bis 1300 Kilogramm schweren Reliefs wurde erstmals in Dresden durch Reiner Thiel, Restaurator der Skulpturenhalle, entwickelt und umgesetzt. Die Restaurierung sollte eine konservatorisch sichere, aber räumlich flexible Aufstellung gewährleisten. Das Mauerwerk, bislang überall als statisch sicherer Träger verwendet, sollte durch ein bewegliches Trägerelement ersetzt werden, das die auftretenden Kräfte genauso gut wie ein Mauerwerk aufnehmen würde. Für die Präsentation der Zürcher Reliefs im Rahmen der Jubiläumsausstellung wurde die von Reiner Thiel entwickelte Konstruktion aus doppelt verzinktem Stahl übernommen und durch Rolf Fritschi, Restaurator der Archäologischen Sammlung, und Gregor Frehner, Steinbildhauer und Restaurator, an die Reliefs angepasst. Dafür ­mussten sie zuerst von der Wand im kleinen Museumsraum abgenommen werden, an welcher sie seit dem Umbau von 1984 befestigt waren. Dies erlaubte eine Revision der Reliefs und machte erstmals auch eine Be- Zürich, Archäologische Sammlung, gitterförmiger Betonträger und Ausgleich­schicht für eine Reliefplatte Die in drei waagrechte Teile zersägten Reliefs Inv. 1910 und 1911 weisen unterschiedliche Tiefen auf, weshalb sie auf einem Betonträger befestigt sind, der gleichzeitig den Unebenheiten der Reliefrückseiten als Ausgleichschicht dient. Um das Gewicht zu verringern, weist der Träger eine gitterartige Struktur auf. Darauf sind die Reliefteile mittels Winkeln und Klammern befestigt. Dank dieser flexiblen Aufstellungsart ist es erstmals seit der Entdeckung des Nordwest-Palastes möglich geworden, grosse Reliefplatten, die seither in unterschiedlichen europäischen Museen untergebracht waren, für die ­Dauer einer Ausstellung zu vereinen. Dies ist im ­Hinblick auf eine Dresdener und eine Zürcher Platte, die ursprünglich in Raum T des Nordwest-Palastes unmittelbar nebeneinander standen, besonders vorteilhaft (s. Ausstellungsraum). Zeittafel zu Assyrien Werdegang eines antiken Grossreiches 30 Aleppo Assur Assyrisches Reich Damaskus Bagdad Babylon Jerusalem 30 30 Uruk/Warka Basra Ägypten 40 Jahre (Beginn der Eponymenliste) Persischer Golf Nil Rotes Meer Jachdunlim in Mari (1815?–1800) Hammurapi in Babylon (1792–1750) 1:21,000,000 0 500 Km 20 20 Kleinasien, Mesopotamien und Ägypten, 1595–1000 v. Chr. 30 Kara-indasch in Babylon (ca. 1420) Amenophis III. in Ägypten (ca. 1370) Supiluliumas I. in Hatti (ca. 1350–1324) 50 40 Schwarzes Meer 60 Aralsee Kaspisches Meer Am u 40 10 Ramses II. in Ägypten (1279–1213) Aleppo Mittelmeer 40 30 Khorsabad (Dur Scharrukin) Ninive Mosul Nimrud (Kalchu) Assur Damaskus 50 Bagdad Babylon Jerusalem 30 Persischer Golf Rotes Meer Das Assyrische Reich (934–612 v. Chr.) unter Assurdan II. (934–912 v. Chr.) unter Assurnasirpal II. (883–859 v. Chr.) grösste Ausdehnung unter Asarhaddan (680–669 v. Chr.) und Assurbanipal (668–626 v. Chr.) 1:21,000,000 0 Das Neubabylonische Reich (626–539 v. Chr.) unter Nebukadnezar II. (604–562 v. Chr.) 500 Km 701 Feldzug gegen Hiskija von Juda Taharka in Ägypten (690–664) Fall von Ninive 612 Ende des Neuassyrischen Reiches Assur-uballit II. bis 608 v. Chr. Meder (Kyaxares) 625–585 Nebukadnezar II. und Nabonid in Babylon Seleukiden 305–64 Parther/Arsakiden 250 v. Chr.–224 n. Chr. Unter Adad-nirari I. (1295–1263 v. Chr.) und Salmanassar I. (1263–1233 v. Chr.), zwei Zeitgenossen Ramses’ II. von Ägypten, wurde das von Unruhen eroberter Regionen beeinträchtigte Reich umorganisiert in einen komplexen, mit Hilfe von Verwaltung und Heer stabilisierten Staat. Das endgültige Zusammenbrechen des Hethiterreiches und seiner Vasallenstaaten öffnete den Weg nach Westen. Der Expansion Assyriens nach Nordsyrien und zum Mittelmeer stand nichts mehr im Wege. Phönikische Handelsstädte wurden zu Tributen gezwungen, und der sogenannte mittelassyrische Staat erlebte seine höchste Arabisches Meer Blüte. 20 20 Feldzüge gegen Damaskus, Israel und die Philister Eroberung von Samaria, Ende des Nordreichs Israel 60 30 Uruk/Warka Basra Könige in Nimrud Dynastie der Omriden, dann Jehu König in Israel 40 10 Nil 966–935 v. Chr. 934–912 911–891 890–884 883–859 858–824 823–811 810–783 782–773 772–755 745–727 727–722 722–705 705–681 681–669 669–627 623–612 Um 1500 v. Chr. schloss Puzur–Assur III. einen ersten Vertrag mit Babylonien, dem steten Rivalen im Süden, der damals von der aus dem östlichen Bergland zugewanArabisches Meer Dynastie der Kassiten beherrscht wurde. In den derten Niedergang des Staates von Mitanni griff Assur-uballit I. (1353–1318 v. Chr.) ein, indem er eine Seite der gespaltenen Grossmacht unterstützte, Kontakt zu den Ägyptern aufnahm und durch dynastische Heirat mit dem Hof von Babylon seine Stellung zu stärken versuchte. Der fortan verwendete Titel „König des Landes Assur“ unterstreicht die territoriale Konsolidierung der assyrischen Herrschaft. rya Da ca. 1490 v. Chr. 1393–1384 1383–1354 1353–1318 1308–1296 1295–1263 1263–1233 1233–1197 1181–1169 1169–1134 1114–1076 1073–1056 Khorsabad (Dur Scharrukin) Ninive Mosul Nimrud (Kalchu) is Tigr Neuassyrische Zeit Tiglatpileser II. Assur-dan II. Adad-nirari II. Tukulti-Ninurta II. Assurnasirpal II. Salmanassar III. Schamschi-Adad V. Adad-nirari III. Salmanassar IV. Assur-dan III. Tiglatpileser III. Salmanassar V. Sargon II. Sanherib Asarhaddon Assurbanipal Sin-schar-ischkun Zeit der III. Dynastie von Ur in Sumer Mykenischer Kulturkreis 40 Mit der Wende zum 2. Jahrtausend v. Chr. orientierte sich das nördliche Zweistromland über Nordsyrien hin nach Kleinasien und zum Mittelmeer, was Assyrien später den Weg zur Grossmacht bereiten sollte. Gleichsam als Schnittstelle des Handels zwischen Iran, Mesopota­mien und Anatolien dienend, kaufte, lieferte und verkaufte man von Assur aus Zinn aus Iran und Lebensmittel sowie Textilien und Wolle aus Assyrien und Babylonien nach Nordwesten. Von dort erhielt man begehrte Rohstoffe, die im Zweistromland nicht zu haben waren und die auch in weiter entlegenen Gebieten Interesse fanden: Kupfer, Blei, Silber, Gold, aber auch Halbfabrikate wurden nach Assur und von dort aus weiter nach Süden und Osten befördert. Reich der Hethiter rat ph Eu Mittelassyrische Zeit Puzur-Assur III. Assur-nadin-ache Eriba-adad I. Assur-uballit I. Arik-den-ili Adad-nirari I. Salmanassar I. Tukulti-Ninurta I. Ninurta-apil-ekur Assur-dan I. Tiglatpileser I. Assur-bel-kala 40 Mittelmeer um 2000 v. Chr. ca. 1980 ca. 1975–1935 ca. 1921 ca. 1920–1880 ca. 1850–1820 1808–1776 1776–1760? ca. 1555 ca. 1515 Am u is Tigr Altassyrische Zeit Schalim-achum Ilu-schuma Erischum I. Ikunum Sargon I. Naramsin Schamschi-Adad I. Ischme-Dagan I. Erischum III. Assur-nirari I. Dynastie von Akkade (2350-2170) zu sein. Unter ihnen ist die nachmalige Hauptstadt Assyriens namens Assur (heute Qal’at Scherqat) zu nennen. Kaspisches Meer rat ph Eu 22. – 21. Jahrhundert v. Chr. = Assyrische Königsliste: „Könige, die in Zelten wohnten“ Schwarzes Meer 60 Aralsee rya Da Frühzeit in Assur 25. – 23. Jahrhundert v. Chr. = archaischer Ischtar-Tempel 50 40 Kleinasien, Mesopotamien und Ägypten, 934–539 v. Chr. Die Anfänge der assyrischen Geschichte sind bis heute nur schemenhaft bekannt. Zwar zählt das Gebiet zwischen Assur und Ninive zu den sehr früh entwickelten Kulturregionen Mesopotamiens, doch ist eine eigenständige Entwicklung – im Vergleich mit dem südlicheren Babylonien – erst relativ spät zu bemerken. Im Süden hatten sich schon zum Ende des 4. Jahrtausends v. Chr. die ersten urbanen Zentren (z. B. Uruk) und grössere territoriale Einheiten herausgebildet. Der Norden, das spätere Assyrien, erlebte dagegen nach heutigem Forschungsstand eine verhaltenere Entwicklung. Erst um die Mitte des 3. Jahrtausends v. Chr. scheint es am Oberlauf des Tigris zu Gründungen befestigter urbaner Siedlungen gekommen 10 30 40 50 Die Eroberung Babylons im Jahr 1215 v. Chr., bei der zahlreiche babylonische Schriftwerke erbeutet und zum Studium nach Assur überführt wurden, spiegelt sich in einem Heldenepos wider, das den siegreichen assyrischen König Tukulti-Ninurta I. als Friedensstifter darstellt. Neben der eigentlichen Dichtung entstand eine charakteristische Annalenliteratur. Auch auf dem Gebiet der Zeitrechnung formierte sich allmählich die Regel des Eponymats, in dem jedes Jahr nach einem hohen Regierungsbeamten benannt wurde. 10 60 Nach einer relativ kurzen Periode scheinbarer Schwäche, in der Assyrien vor allem mit Nomadeneinfällen und Revolten der vertraglich gebundenen Vasallenstaaten zu kämpfen hatte, gelang eine erneute Konsolidierung und Reorganisation des Herrschaftsbereiches, bei der eine Reihe aramäischer Fürstentümer immer fester unter ständigen Einfluss Assurs geriet und mittels des Provinzialsystems effektiv zivil und militärisch verwaltet wurde. Das Reich expandierte und gewann neue Vasallen, wenn auch eine dauerhafte Unterwerfung aller Gebiete westlich des Euphrat bis zum Mittelmeer noch nicht gelang. Beredtes Beispiel dieser erfolgreichen Entwicklung war die Gründung der neuen, tigrisaufwärts gelegenen Residenz durch König Assur­nasirpal II. (883–859 v. Chr.) in Kalchu (Nimrud). Von hier aus wurde bis ins letzte Viertel des 8. Jahrhunderts v. Chr. das assyrische Reich regiert. Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) unternahm mehrere Feldzüge in die Levante, namentlich gegen Damaskus; ihm unterwarf sich König Jehu von Israel als loyaler Vasall (vgl. den Schwarzen Obelisken im Nachbarraum). Tiglatpileser III. (745–727 v. Chr.) ordnete die Reichsverwaltung grundlegend neu, indem er viele Vassallenstaaten in Provinzen umwandelte; in Kalchu baute er den Zentral-Palast. Sargon II. (722–705 v. Chr.) gründete weiter tigrisaufwärts seine neue Hauptstadt Dur-Scharrukin, sein Nachfolger Sanherib (701–682 v. Vhr.) verlegte die Hauptstadt dann ins traditionsreiche Ninive. Sanheribs umstrittener Nachfolger Asarhaddon (681–669 v. Chr.) scheint eine Rückverlegung der königlichen Residenz nach Kalchu geplant zu haben, doch blieb der dortige Südwest-Palast unvollendet. Ninive blieb die unbestrittene Hauptstadt, wo als letzter erfolgreicher assyrischer König Assurbanipal (668–626 v. Chr.) residierte. In den Ruinen seines Palastes wurden die spätassyrischen Staatsarchive mit Zehntausenden von Keilschrifttafeln gefunden. Das Zusammenspiel politischer, militärischer und wirtschaftlicher Faktoren erschuf jene scheinbar unüberwindbare Macht, die alle Nachbarn das Fürchten lehrte, und vermittelt über alttestamentliche Schilderungen bis in unsere Zeit hinein das Bild von Assyrien als militärische Supermacht. Zur Zeit seiner grössten Ausdehnung kontrollierte das assyrische Reich Territorien von Ägypten bis Iran. Dass dieses nur scheinbar mono­lithische Gebilde nicht unüberwindbar war, zeigt sein ­relativ schneller Fall im letzten Drittel des 7. Jahrhunderts v. Chr. 612 v. Chr. erlag Assyrien einer Koalition von Babyloniern und Medern. Der Zerstörung von Kalchu, Ninive und Assur vorangegangen waren Jahrhunderte reicher kultureller Blüte, in denen die assyrischen Könige sich nicht nur als bedeutende Kriegsherren, sondern auch als Bauherren, Sponsoren der grossen Tempel und Förderer von Wissenschaft, Technik und Gelehrsamkeit feiern liessen. ‚Königliche Wohnungen’ in Kalchu des Königs und seiner Familie, wo auch die genannten Gräber der Königinnen gefunden wurden. Im anschliessenden, noch wenig erforschten Bereich folgten diverse Dienst- und Versorgungstrakte, die aus praktischen Gründen über eigene Zugänge von Süden und Osten her verfügten. Im Norden lag der grösste Hof, der Eingangshof, der durch mindestens ein Tor von Osten her betreten werden konnte. Die nördlichen Räume können verschiedenen Bereichen der Verwaltung zugewiesen werden. Plan der Zitadelle von Nimrud mit Zikkurrat (68), den Tempeln (R–U), dem Nordwest-Palast Assurnasirpals II. (A). Weitere Bauten: Palast Adad-niraris III. (C, D), Südwest-Palast Asarhaddons (E), „Verbrannter Palast“ und Nabû-Tempel (G, H), Zentral-Palast Tiglatpilesers III. (K, L?). Nicht nur der Nordwest-Palast von Assurnasirpal II. war Gegenstand archäologischer Bemühungen seit 1845, auch andere Strukturen der assyrischen Zitadelle wurden durch verschiedene Expeditionen englischer, polnischer oder irakischer Archäologen erforscht. Dazu zählen die Zikkurrat des Ninurta-Tempels, dieser selbst sowie die Tempel von Nabû und Ischtar, Reste der Anlage eines Palastes Adad-niraris III. südlich des Nordwest-Palastes, der riesige, aber stark zerstörte Zentral-Palast Tiglatpilesers III., der sogenannte Burnt Palace und der Gouverneurs-Palast, der unvollendete Südwest-Palast Asarhaddons sowie weitere Gebäude und Wohnanlagen und die Befestigungswälle. Das unzweifelhaft spektakulärste Ergebnis der Grabungen in Nimrud seit Layards Zeiten war die im Jahr 1998 erfolgte Entdeckung durch irakische Archäologen der Gräber assyrischer Königinnen im eigentlichen Wohnbereich des Nordwest-Palastes. Unter drei Räumen des Wohnbereiches konnten Grüfte freigelegt werden, in denen sich die sterblichen Überreste der Königinnen Mullissu-mukannischat-Ninuq, Jaba und einer weiteren hochgestellten Person fanden. In zweien der Grüfte entdeckten die Ausgräber prächtigste Goldschmiedearbeiten, Beigaben aus Bergkristall, Gefässe aus kostbaren Materialien, Keramik und Inschriftenträger, die über die einstigen Besitzerinnen Auskunft gaben. Sämtliche Funde wurden gesichert und und befinden sich im Tresor der irakischen Staatsbank in Bagdad. Der Nordwest-Palast Assurnasirpals II. Der Nordwest-Palast, die älteste Palastanlage von Kalchu/Nimrud, wurde von König Assurnasirpal II. (883–859 v. Chr.) errichtet. Die Bauarbeiten sind bereits ab dem 1 Nordwest-Palast Assurnasirpals II. 1A Eingangsbereich: Empfang, Verwaltung, Lagerräume etc. 1B Offizieller Repräsentationsbereich: B: Thronsaal F: Vorbereitungs- und Übergangsraum WG–WM: Bankett- und Vergnügungstrakt G–O: Ritualtrakt 1C Privatbereich mit königlichen Gemächern, Frauenpalast, Diensträumen 2 Gebäude im Zentrum der Zitadelle 2A Central Building (Assurnasirpal II.) 2B Centre Bulls und Monumentalbau (Salmanassars III.) 2C Zentral-Palast und Reliefdepot (Tiglatpileser III.) 3 Upper Chambers (Adad-Nirari III.) fünften Regierungsjahr (879 v. Chr.) des Königs inschriftlich dokumentiert. Die Gründe für die Verlegung der Hauptstadt von Assur nach Kalchu dürften vielfältig gewesen sein: bessere verkehrstechnische Lage, Distanzierung von einflussreichen Notablenfamilien in der alten Hauptstadt, Nutzung der militärischen Erfolge im Westen für ein politisches und wirtschaftlich ambitioniertes Grossprojekt, religionspolitische Optionen wie die Favorisierung des Gottes Ninurta u. v. a. m. Der Nordwest-Palast nimmt auf der Zitadelle den hervorragendsten Platz ein. In Nord-Süd-Richtung ist bisher eine Ausdehnung von 230 m festgestellt, in Ost-WestRichtung beträgt sie bislang 130 m. Obwohl nicht alle Teile des Palastes erhalten geblieben sind, lassen diese Masse erkennen, dass der gesamte äussere Baukörper eine Fläche von fast 30 ha einnahm. Der mit rechteckigem Grundriss angelegte Palast war durch verschiedene Höfe gegliedert, um welche mindestens 90 grosse und kleinere Räume gruppiert waren. Diese meist fensterlosen Räume bzw. Suiten öffnen sich in der Regel auf die Höfe, von wo Frischluft und Tageslicht in die fensterlosen Räume gelangten. Architektur und Raumanlage lassen klar verschiedene Funktionsbereiche erkennen: An einen um den grossen Hof im Norden gelagerten Interaktionsbereich schloss südlich zunächst ein offizieller Repräsentationsbereich mit verschiedenen, um einen Innenhof gelagerten Suiten an. Weiter nach Süden folgten die Privatgemächer Die im nordöstlichen Bereich des grossen Hofes gelegenen Räume dienten als Empfangsraum (Nr. 25) und zur Aufnahme grosser Gefässe und Tontafeln, deren Inhalt darauf hinweist, dass hier Öl, Korn und Wein in Empfang genommen, eingelagert und ausgegeben wurden. Die der Ostmauer entlang in Doppelreihe geordnete Raumgruppe dürfte aufgrund ihrer enormen Mauer­ stärke zweistöckig gewesen sein. Nach aussen bildeten die Ostseite und das Eingangstor eine eindrückliche Schaufassade. Die innere Südfassade des grossen Haupthofes war zugleich die turmbewehrte Aussenwand des Empfangsbereiches mit dem Thronsaal (B). Die drei Eingänge zum Thronsaal wurden von monumentalen Torhüterfiguren flankiert und waren mit imposantem Reliefschmuck versehen. Der mittlere war als Hauptzugang deutlich grösser gebaut und dürfte nur bei aussergewöhnlichen Zeremonien geöffnet worden sein. Der Empfangsbereich selbst war in zwei parallele Räume B und F geteilt. Raum B hat die Ausmasse von 45,5 x 10,5 Metern und dürfte eine Höhe von acht Metern aufgewiesen haben. An seinem Ostende wurde die gewaltige, mit Inschriften versehene Thronbasis gefunden, die heute im Museum von Mosul aufbewahrt wird. Daneben liegt eine Steinplatte, die wohl zur Aufnahme einer Reinigungs- bzw. Waschgelegenheit diente, während vor der Basis der Boden Steinplatten aufwies, auf denen ein Heizwagen fahren konnte. Ein dezentral in der Nähe des Thrones gelegener Durchgang führte zunächst in den parallel zum Thronraum gelegenen kleineren Vorraum F, der wohl zur Vorbereitung der Empfänge diente. Am anderen Schmalende des Raumes befand sich ein grosses Treppenhaus mit 3,5 m breiten Läufen. Von Raum F gelangte man durch ein Tor in einen zweiten Hof Y. Hier fand sich eine Sammlung königlicher Standardgewichte, die u. a. zur Kontrolle der Tribute und Abgaben gedient haben dürften. Der Hof Y wird von einer Reihe von Raumgruppen umgeben, die verschiedenen Zwecken dienten, welche aufgrund architektonischer Besonderheiten, Einzelfunden, Reliefmo- Nimrud, Nordwest-Palast Assurnasirpals II., Hof Y und umliegende Räume. tiven oder aus Kombinationen dieser Gesichtspunkte erschlossen werden können. Die östliche Suite mit den Räumen G–L scheint wesentlich rituell-religiösen Handlungen gedient zu haben. Die Räume um H sind streng symmetrisch angeordnet, Bodenfliesen und andere Vorrichtungen weisen auf häufigen Gebrauch von Flüssigkeiten für Libationen und/oder Waschungen hin. Die aussergewöhnliche Dichte der Darstellungen von Schutzgottheiten und -symbolen zeigt, dass hier eine Art religiöser ‚Hochsicherheitstrakt’ lag. Im Unterschied dazu muss der westlich des Hofes gelegene Trakt WG– WM für Empfänge ausserhalb der Thronraumfeiern gedient haben. Im Süden des Hofes Y schloss sich der Privatbereich der Herrscherfamilie an. Zwei langgestreckte Gänge P und Z erlaubten den Zugang vom Hof unter Umgehung der bisher genannten Suiten und der königlichen Privatgemächer. Letztere dürften mit den Räumen S und X begonnen haben, woran ein wieder etwas kleinerer Innenhof mit Brunnen (AJ) und diverse kleinere Schlaf-, Bade- und Kleidungsräume anschlossen. Südwestlich davon liegt der als ‚Harem’ bezeichnete Bereich, wo die erwähnten Königinnengräber gefunden wurden. Ab hier teilt sich die Anlage in unterschiedliche Bereiche. Im Grundriss lassen sich einige Wohn- und Empfangsräume ausmachen, in denen die Wände nischenförmig mit einer Art Schränke versehen waren und die zusätzlich über Baderäume verfügten. Das wichtigste Merkmal dieser Bauzone ist, dass hier in einigen Räumen anstelle der Steinreliefplatten an den Wänden keine Reliefs, sondern nur noch (bzw. stattdessen) Reste von Malereien zu finden waren.