Universität Regensburg Naturwissenschaftliche Fakultät I – Didaktik der Mathematik Dr. Günter Rothmeier WS 2008/09 Private Vorlesungsaufzeichnungen Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit 51 722 Elementarmathematik (LH) 1. Zahlenbereiche 1.1. Natürliche Zahlen 1.1.1. Definitionen a) axiomatisch als Menge mit dem ausgezeichneten Element 1 sowie einer Nachfolgerfunktion b) durch die Peanoaxiome c) mit Hilfe der Mengenleere als Menge der Kardinalzahlen nicht-leerer Mengen 1.1.2. Die Peanoaxiome Die Menge der natürlichen Zahlen, Formelzeichen IN, enthält je nach Definition die natürlichen Zahlen, also IN = {1, 2, 3 . . .} oder IN0 = {0; 1, 2, 3 . . .}. Für jede der beiden unterschiedlichen Konventionen gibt es sowohl historische als auch praktische Gründe. Die Definition ohne die Null steht in der älteren Tradition, da die natürlichen Zahlen ohne die Null lange Zeit die einzigen bekannten Zahlen waren: In Europa wurde erst ab dem 13. Jahrhundert die Null bekannt. In manchen Gebieten der Mathematik wie der Zahlentheorie, in der die multiplikative Struktur der natürlichen Zahlen im Vordergrund steht, ist aufgrund der Sonderrolle der Null bei der Multiplikation die Definition ohne Null häufiger anzutreffen. Aber beispielsweise in der mathematischen Logik, der Mengenlehre oder in der Informatik vereinfacht die Definition mit Null die Darstellung. In der DIN-Norm 5473 wird die Null zu den natürlichen Zahlen gezählt. Im Zweifelsfall bietet es sich an, die verwendete Definition explizit anzugeben. Als Symbol für die Menge der natürlichen Zahlen führte Peano 1889 das Symbol IN ein. Die gleiche Darstellung mit Doppelstrich findet sich auch bei den anderen Zahlmengen-Symbolen wie beispielsweise Q I und IR. Im Schulbereich unterscheidet man üblicherweise IN und IN0 = IN ∪ {0} Für eine formale Definition der Menge der natürlichen Zahlen und der zugehörigen Rechenregeln ist es letztlich egal, ob man auch die Null als natürliche Zahl bezeichnet oder nicht. Im Folgenden wird jedoch zugunsten der Verständlichkeit davon ausgegangen, dass 0 eine natürliche Zahl ist. Peano selbst begann die natürlichen Zahlen in seinen Axiomen mit der 1 statt mit der 0; aber die behandelten Axiome und Rechenregeln lassen sich analog in beiden Fällen anwenden. Wichtig ist, dass es ein Startelement gibt und zu jedem Element einen Nachfolger. Die Definition der Menge der natürlichen Zahlen durch Axiome wurde erstmals 1889 von Giuseppe Peano angegeben. Diese Axiome werden Peano-Axiome genannt, obwohl sie eigentlich genauer Peano-Dedekindsche Axiome genannt werden müssten, da Peano lediglich die von Richard Dedekind in dessen Schrift Was sind und was sollen die Zahlen? (1888) dargestellten Axiome in eine logische Formelsprache übersetzt hat. 1. 1 ist eine natürliche Zahl. 2. Zu jeder natürlichen Zahl n gibt es genau einen Nachfolger n', der ebenfalls eine natürliche Zahl ist: n + 1 = n’ 3. Es gibt keine natürliche Zahl, deren Nachfolger 1 ist. 4. Jede natürliche Zahl ist Nachfolger höchstens einer natürlichen Zahl. 5. Von allen Mengen X, welche o die Zahl 1 und o mit jeder natürlichen Zahl n auch stets deren Nachfolger n' enthalten, ist die Menge der natürlichen Zahlen die kleinste. Die Axiome verwenden dabei die Begriffe 1, Zahl und Nachfolger. Bertrand Russell wies darauf hin, dass man damit nicht nur die natürlichen Zahlen, sondern jedes beliebige (abzählbare) Zahlensystem definieren kann. Man definiere z. B. 7/16 als 0 und erzeuge einen Nachfolger durch Addition von 1/16. 1.1.3. Schreibweise Natürliche Zahlen werden in unserem Kulturkreis mit den Ziffern 0; 1; . . .9 im Dezimalsystem notiert. Dabei wird dem nach Peano definierten ausgezeichneten Anfangselement die Ziffer 1 zugeordnet. Auf diese Weise entsteht die Zahl 1. Alle weiteren Zahlen erhält man durch Addition der Zahl 1 und Zuordnung der entsprechenden Symbolik. Grundsätzlich lässt sich jede Zahl in einem beliebigen g-adischen System darstellen. Beispiel: 1310 = 1 ⋅ 23 + 1 ⋅ 22 + 0 ⋅ 21+ 1 ⋅ 20 Bei einem g-adischen Zahlensystem stehen jeweils g Ziffern zur Verfügung. gn + 1 gn ... g3 g2 g1 g0 Universität Regensburg Naturwissenschaftliche Fakultät I – Didaktik der Mathematik Dr. Günter Rothmeier WS 2008/09 Private Vorlesungsaufzeichnungen Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit 51 722 Elementarmathematik (LH) Einordnung auf der Zahlenhalbgeraden Unter Zahlengerade versteht man in der Mathematik die Veranschaulichung der natürlichen Zahlen als Punkte auf einer Geraden, d. h. jeder Zahl als mathematisches Konstrukt wird als Bild dieses Konstrukts ein Punkt auf einer skalierten Halbgeraden zugeordnet. 0 5 10 15 1.1.4. Verwendung der natürlichen Zahlen a) Kardinalaspekt Man verwendet die Zahl als Zählzahl. Der Begriff der Zahl wird beispielsweise also auf einen Begriff der Mengenlehre zurückgeführt. Durch einen Abstraktionsprozess wird die Zahl aus einem handelnden Umgang mit Dingen gewonnen. Eine Kardinalzahl ist also eine Menge gleichmächtiger Mengen. Häufig spricht man in diesem Zusammenhang auch von Anzahl. 3 a c b b) Ordinaler Aspekt Verwendet man die Zahlen zur Ordnung von Gegenständen, so spricht man vom ordinalen Aspekt. In beiden Fällen wird die Zahl zur Beschreibung eines Zustandes verwendet. c) Der Operatoraspekt In dem Ausdruck „das Dreifache“ beschreibt die Zahl eine Zustandsänderung. Mathematisch kann man eine solche Zustandsänderung als Abbildung beschreiben. Jeder Zahl m ∈ M wird eine Zahl n ∈ N in GI = M × N nach einer festgelegten Abbildungsvorschrift zugeordnet. ⋅3 → n m |⎯⎯⎯ Das Neuartige besteht hierin, dass ein Operator als eigenständiges Objekt verstanden wird, d.h. die Zahl wird mit einem Rechenzeichen verknüpft. Bisher waren dem Schüler die Zahl und das Rechenzeichen jeweils getrennte mathematische Symbole. 1.1.5. Gesetze in IN Für alle a, b, c ∈ IN gilt Ea Ka Aa Ma D Addieren a+b=c a+b=b+a (a + b) + c = a + (b + c) Aus a > b folgt a+c>b+c Gesetz der eindeutigen Existenz Vertauschbarkeit Verbindung Monotonie Multiplizieren a⋅b=c a⋅b=b⋅a (a ⋅ b) ⋅ c = a ⋅ (b ⋅ c) Aus a > b folgt a⋅c>b⋅c Em Km Am Mm Verteilung a ⋅ (b + c) = a ⋅ b + a ⋅ c Die Operationen Addieren, Multiplizieren und Potenzieren sind also in der Menge der natürlichen Zahlen abgeschlossen. Universität Regensburg Naturwissenschaftliche Fakultät I – Didaktik der Mathematik Dr. Günter Rothmeier WS 2008/09 Private Vorlesungsaufzeichnungen Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit 51 722 Elementarmathematik (LH) 1.1.6. Unterrichtsspezifische Anmerkungen a) Zahlenbilder Zahlen kann man auch durch Pfeile (Zahlenpfeile) ver- Fuß Spitze 5 anschaulichen. Jeder Zahlenpfeil hat einen Fuß und 3 eine Spitze. Den Abstand zwischen einer Zahl und ihrem Nachfolger nennt man Längeneinheit, im Zeichen 0 1 2 3 4 5 6 1 LE. Häufig gilt 1 LE ∧ = 1 cm. Dies ist aber nicht zwingend. b) Zahlenmengen Definierte Mengen bezeichnet man mit einem Doppelstrich. Frei gewählte Mengenbezeichnungen haben keinen Doppelstrich. Die Mengen IN und IN0 sind unendliche Zahlenmengen. Unendliche Mengen können in der aufzählenden Form und im Mengenbild nur angedeutet werden. Aufzählende Form: Beschreibende Form: c) M = {6; 7; 8; 9; 10; 11; 12; . . .} M = { x | x ist eine natürliche Zahl größer als 5} = {x | x > 5} Teilermengen Die Zahl 18 kann man durch 1, 2, 3, 6, 9 und 18 ohne Rest teilen. Diese Zahlen nennt man Teiler von 18. Die Menge aller Teiler der Zahl 18 heißt Teilermenge von 18, kurz T(18). T(18) = {1; 2; 3; 6; 9; 18} Teilermengen sind endliche Zahlenmengen. d) Vielfachenmengen Die Zahlen 3; 6; 9; 12 . . . sind Vielfache der Zahl 3. Fasst man diese Zahlen zu einer Menge zusammen, so erhält man die Vielfachenmenge von 3, kurz V(3). V(3) = {3; 6; 9; 12; . . .} Vielfachenmengen sind unendliche Zahlenmengen. e) Mächtigkeit von Mengen Die Anzahl der Elemente einer Menge A heißt auch Mächtigkeit von A. Wir schreiben: |A| |A|=5 1.1.7. Fachsprachliche Anmerkungen zu IN fachsprachlich falsch Zahlenstrahl Trage die Zahl 5 auf der Zahlenhalbgerade ein fachsprachlich richtig Zahlenhalbgerade Trage das Bild der Zahl 5 auf der Zahlenhalbgerade ein 1.1.8. Kulturhistorische Anmerkungen Zählen ohne Zahlen Bereits in den ältesten Kulturen dürfte das Zählen bekannt gewesen sein. Finger und Zehen waren wahrscheinlich die ersten "Gegenstände", die zum Zählen dienten. Aus der Zeit um 4000 v. Chr. kennen wir so genannte Zählstöcke. Sie waren aus Knochen oder Holz und mit Kerben versehen, daher der Name Kerbholz. Anfänglich legte man die Kerbhölzer nebeneinander und schloss aus der Länge des gekerbten Bereichs auf die dargestellte Anzahl. Man spricht von vorzahligem Rechnen. Universität Regensburg Naturwissenschaftliche Fakultät I – Didaktik der Mathematik Dr. Günter Rothmeier WS 2008/09 Private Vorlesungsaufzeichnungen Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit 51 722 Elementarmathematik (LH) Kerbhölzer Kerbhölzer dienten in der Regel dazu, eine Menge von Dingen, etwa den Viehbestand, abzuzählen. Jedem Tier wurde eine Kerbe zugeordnet, Je mehr Kerben, desto größer also der Viehbestand. Mit dem Kerbholz konnte man somit die Anzahl der Elemente einer Menge bestimmen, ohne Zahlwörter zu verwenden. Kerbhölzer wurden bis in das 16. Jahrhundert verwendet, um Schulden festzuhalten. So hatte der Gastwirt ein Kerbholz, wenn er Getränke ausgab, ohne eine Bezahlung zu bekommen. Kerbholz Noch heute erinnern verschiedene Redeweisen an diese Bedeutung. Wenn jemand eine beträchtliche Schuld auf sich geladen hat, so sagen wir, er hat "einiges auf dem Kerbholz". Die Zahl Null Bis zum Mittelalter wurde mit römischen Ziffern und dem Abakus L X V I gerechnet. Hierzu setzte man Malsteine und verschob diese in 50 10 5 1 die betreffenden Wertspalten entsprechend der gewünschten Rechenoperationen. Abakusfelder ohne Wert blieben leer, so dass die Ziffer Null nicht nötig war. Erst mit Einführung der arabischen Ziffern, beginnend im 13. Jahrhundert, und dem damit verbundenen dezimalen Stellenwertsystem war die Null zur Kennzeichnung des Stellenwertes einer Ziffer nötig. Universität Regensburg Naturwissenschaftliche Fakultät I – Didaktik der Mathematik Dr. Günter Rothmeier WS 2008/09 Private Vorlesungsaufzeichnungen Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit 51 722 Elementarmathematik (LH) 1.1.9. Übungsblatt: Zahlenbereiche – Natürliche Zahlen Aufgabe 1 1.1 1.2 1.3 Aufgabe 2 2.1 2.2 Aufgabe 3 3.1 3.2 3.3 3.4 Aufgabe 4 4.1 4.2 Bilde die Vielfachenmengen V(4) und V(8). Welche Elemente der Vielfachenmenge V(4) gehören nicht zur Vielfachenmenge V(8). Wie hängen V(4) und V(8) zusammen? Zeige an einem Beispiel: Das kleinste gemeinsame Vielfache (kgV) zweier Zahlen m und n ist das kleinste Element der Schnittmenge der beiden Vielfachenmengen: Zeige an einem Beispiel, dass gilt: m ist ein Teiler von n, genau dann wenn n ∈ V(m). Verwende Vielfachenmengen. Für einen einreihigen Plattenweg stehen Steine mit einer Länge von 28 cm zur Verfügung (siehe Zeichnung). Kann man einen Weg von 500 cm damit auslegen, wenn die Steine lückenlos aneinander liegen? Welche Weglänge kann man mit 23 Platten legen? Kann eine Weglänge von 476 cm mit diesen Platten gelegt werden? Begründe, warum dieser Weg auch mit Platten von 14 cm Länge gelegt werden kann. Stellen Sie im Fünfersystem die Zahl 87 dar. Führen Sie im Zweiersystem die Addition 15 + 27 durch. Universität Regensburg Naturwissenschaftliche Fakultät I – Didaktik der Mathematik Dr. Günter Rothmeier WS 2008/09 Private Vorlesungsaufzeichnungen Kein Anspruch auf Vollständigkeit und Fehlerfreiheit 51 722 Elementarmathematik (LH) Lösungen zu 1.2.9: Zu Aufgabe 1: 1.1 1.2 1.3 V(4) = {4; 8; 12; . . . 4 ⋅ n; n ∈ IN} V(8) = {8; 16; . . . 8 ⋅ n; n ∈ IN} \ {4 ⋅ n; n ungerade} V(4) ⊂ V(8) Zu Aufgabe 2 2.1 8 ∈ V(4) ∧ 8 ∈ V(8) 12 4 20 ∧ 8 16 8 ist kleinstes Element von V(8) 24 32 8 ∈ V(4) 2.2 4 teilt 8 3.1 3.2 3.3 3.4 28 ∉ T(500) bzw. 500 ∉ V(28) Der Weg kann nicht lückenlos ausgelegt werden. 23 ⋅ 28 cm = 644 cm Die Weglänge kann nicht gelegt werden. 476 ∉ V(28) bzw. 476 ∉ V(28) Da 14 | 28 gilt auch: 14 | l mit l ∈ V(28). 4.1 4.2 8710 = 3225 1 1 1 1 0 1 1 1 1 1 1 0 0 1 0 Anmerkung: Alle Lösungen sind so zu erstellen, wie sie dem Unterrichtsfortschritt entsprechen, in dem das Thema Gegenstand des Lehrplans ist.