Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Institut für Werkstoffwissenschaften 6 / AlN Martensstr. 7, 91058 Erlangen Vorlesung Grundlagen der WET I Dr.-Ing. Matthias Bickermann, Prof. Dr. A. Winnacker E. SUPRALEITUNG 1. Grundlagen Einige Elemente und Verbindungen besitzen (teilweise auch abhängig von ihrer Kristallstruktur) unterhalb einer Sprungtemperatur TC keinen elektrischen Widerstand mehr. Es handelt sich um einen Phasenübergang zweiter Ordnung ohne Änderung in der Kristallstruktur, aber z.B. mit sprunghafter Änderung der spezifischen Wärme. [Bild 1] [Bild 2] [Bild 3] In der supraleitenden Phase verdrängt das Material jedes Magnetfeld (MeissnerOchsenfeld-Effekt; M = – H), es kann also als idealer Diamagnet betrachtet werden. Da es Energie kostet, das Magnetfeld abzuschirmen, kann der Supraleiter nur ein (temperaturabhängiges) begrenztes Magnetfeld HC(T) abschirmen, ohne in den nor⎡ ⎛ T ⎞2 ⎤ malleitenden Zustand überzugehen. Es gilt: H C (T ) = H C (0 K ) ⋅ ⎢1 − ⎜⎜ ⎟⎟ ⎥ . Insbeson⎢⎣ ⎝ TC ⎠ ⎥⎦ dere gilt H C (TC ) = 0 . [Bild 4] [Bild 5] Man kann zeigen, dass das Magnetfeld an der Oberfläche des Supraleiters eindringen kann, allerdings nimmt es mit zunehmender Tiefe exponentiell ab: B = B0 e − x ΛL m (m ist die Masse, n die Dichte der supraμ0 n e 2 leitenden Elektronen). In dieser Randzone baut sich der Supra-Ringstrom auf, der das Magnetfeld abschirmt. Über H C = Λ L j C lässt sich damit auch die kritische Stromdichte jC(T) bestimmen, die der Supraleiter maximal tragen kann. [Bild 6] mit der London-Eindringtiefe Λ L = Die freie Energie F eines supraleitenden Systems gegenüber dem normalleitenden System beträgt F = V ⋅ w = V ∫ B ⋅ dH = ½ μ 0 H C2 (T ) V wegen BC = µ0 (HC + M) = 0; V ist das Kristallvolumen. Es gilt F(TC) = 0, d.h. oberhalb von TC ist der supraleitende Zustand energetisch ungünstiger. 2. BCS-Theorie In der BCS-Theorie (Bardeen, Cooper, Schrieffer 1959) wird die Supraleitung durch eine anziehende Wechselwirkung zwischen zwei freien Elektronen erklärt. Das erste Elektron hinterlässt beim "Vorbeiflug" eine Gitterdeformation, die anziehend auf ein weiteres Elektron wirkt. Dadurch bilden sie ein Zweielektronensystem, ein CooperPaar. Die Gitterdeformation wird als ständige Emission und Absorption von virtuellen Phononen beschrieben, die Aufgrund der Energieerhaltung jeweils nur innerhalb der Unschärferelation existieren. Durch den Phononenaustausch wechseln die beiden Elektronen ständig ihre Wellenzahlvektoren k1 und k2, wobei die Summe jeweils konstant bleiben muss. Man kann zeigen, dass die Elektronen eines Cooperpaar entgegengesetze Wellenzahlvektoren und Spins haben: (k ↑; − k ↓ ) . [Bild 7] Schon aus der Elektronengeschwindigkeit (ca. 108 m/s) und der maximalen Phononenfrequenz (ca. 1013 Hz) kann man schließen, dass die Elektronen ca. 100 nm voneinander entfernt sind und deshalb auch keine Coulomb-Abstoßung spüren. Man beachte, dass in diesen 100 nm durchaus noch weitere (durchaus z.B. 107) CooperPaare befinden! Cooperpaare gehorchen durch ihren Gesamtspin Null nicht dem Pauli-Prinzip, sondern haben alle die gleiche Energie (Bose-Statistik), die bei T = 0 K gleich der FermiEnergie ist. Diese Energie liegt um einen Wert Δ ("Bandlücke des Supraleiters") unterhalb der möglichen Energiezustände einzelner Elektronen. Es benötigt also die Energie 2Δ, um ein Cooperpaar aufzubrechen. Die Zustandsdichte der angeregten (einzelnen, normalleitenden) Elektronen besitzt einen Pol für E = Δ und lässt sich E . Die "Bandlücke" bestimmt die kritische Temperaschreiben als D(E ) = D0 E 2 − Δ2 Δ(0 K ) = 1,764 . [Bild 8] tur des Supraleiters, es gilt näherungsweise: k TC Die "Bandlücke" sinkt mit steigender Temperatur, da die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Cooperpaare aufbrechen, und schließlich wird Δ(TC ) = 0 . Daraus ergibt sich auch die oben diskutierte Temperaturabhängigkeit von HC und jC. [Bild 9] Durch die Kopplung an Phononen ist die "Bandlücke" Δ (und damit auch die Sprungtemperatur TC) abhängig von der Atommasse, zeigt also einen Isotopeneffekt. Man findet Δ ~ M–1/2 (und TC ~ M–1/2) entsprechend der Betrachtungen über Phononen (es war ja ωmax = α M ). [Bild 10] 3. Supraleiter II. Art In einigen Materialien mit hohen Sprungtemperaturen liegt zwischen dem supraleitenden und dem normalleitenden Zustand ein Zwischenzustand (Shubnikov-Phase) vor, bei dem einige Gebiete im Supraleiter normalleitend werden, so dass lokal ein Magnetfeld eindringen kann. Die Bereiche ordnen sich in Flußschläuchen an, die den magnetischen Fluss tragen; Änderungen des Magnetfelds oder das Einspeisen eines Transportstroms führen zu einer Wanderung der Flußschläuche, was mit einem Energieaufwand verbunden ist (und durch Pinning an Defekten verhindert werden kann). Mit steigender Temperatur nehmen diese Bereiche immer größeren Raum ein, damit sinkt die kritische Feldstärke HC(T) und die Permittivität χ nimmt zu (–1 < χ < 0), bis schließlich bei TC2 das ganze Material normalleitend (und diamagnetisch) wird. Solche Werkstoffe heißen Supraleiter II. Art; einige Vertreter wie z.B. NbTiLegierungen oder Nb3Sn können wesentlich höhere kritische Magnetfelder tragen als "klassische" Magnete oder Supraleiter I. Art. [Bild 11] [Bild 12] [Bild 13] [Bild 14] 4. Hochtemperatur-Supraleiter Bednorz und Müller fanden 1986 erstmals Supraleiter mit Sprungtemperaturen TC über 30 K. In verwandten Werkstoffen konnten kurz darauf TC-Werte von bis zu 130 K gemessen werden. Durch die Verfügbarkeit von Supraleitern, die mit flüssigem Stickstoff (77 K) betrieben werden können, wurde diese Technologie für viele industrielle Anwendungen erst interessant. Gemeinsam ist diesen "Supraleitern III. Art" eine komplexe Kristallstruktur (meist Perowskit-ähnlich) besitzen, in planare CuO-Ebenen auftreten. Erst ein Sauerstoffdefizit (stöchiometrische Abweichung) führt zur Ausbildung einer supraleitenden Phase. Auch heute noch ist der Mechanismus der Supraleitung in diesen Materialien nicht vollständig verstanden. Durch die komplexe Kristallstruktur kann der Supraleiter wohl als "Mischsystem" von normalleitenden/isolierenden und supraleitenden Schichten aufgefasst werden, meist ist deshalb auch keine exakte "Bandlücke" Δ bestimmbar. Der am meisten untersuchte Hochtemperatur-Supraleiter ist YBCO (YBa2Cu3O7–y, sog. 1-2-3-Supraleiter) mit TC = 90 K. Die Werkstoffe sind sehr spröde und werden mit keramischen Verfahren (Sintern) hergestellt. Die Einstellung der Stöchiometrieabweichung ist technologisch sehr aufwändig. Mittlerweile ist es aber gelungen, meterlang Drähte aus Hochtemperatur-Supraleitern zu ziehen. [Bild 15] [Bild 16] 5. Bilder Bild 1: Periodensystem der Elemente mit Supraleitern (grau). Die Sprungtemperatur ist jeweils in K eingetragen. Dunker schraffierte Elemente werden nur in einer Hochdruckmodifikation supraleitend Bild 2: Temperaturabhängiger Widerstand von Quecksilber (Originalmessung von Onnes 1911) Bild 3: Spezifische Wärme von normal- und supraleitendem Al; bei T < TC wurde die normalleitende Phase durch Anlegen eines Magnetfelds H > HC erzwungen Bild 4: Meissner-Ochsenfeld-Effekt: Der Der Supraleiter verdrängt das Magnetfeld Bild 5: Abhängigkeit der kritischen Feldstärke HC von der Temperatur T Bild 6: London-Eindringtiefe und Abschwächung des inneren Magnetfelds in ein Volumenmaterial (links) und in einer dünnen Schicht (rechts). Typische Werte für ΛL sind 25 nm. Bild 7: Das Elektron „zieht“ eine Gitterdeformation hinter sich her. Diese Gitterdeformation zieht ein zweites Elektron an (Austausch „virtueller Phononen“) Bild 8: Energielücke Δ zwischen dem BCS-Grundzustand und den Zuständen angeregter Elektronen (links); die Zustandsdichte in der Nähe minimaler Einteilchenenergien geht gegen unendlich (rechts) Bild 9: Temperaturabhängigkeit der „Bandlücke“ Δ. Bild 10: Isotopeneffekt für Zinn. Bild 11: Verhalten von Supraleitern 1. und 2. Art. Zwischen BC1 und BC2 bildet sich die Shubnikov-Mischphase aus Bild 12: Shubnikov-Mischphase mit Flußschläuchen, durch die das Magnetfeld tritt und die durch Ringströme begrenzt werden Bild 13: BC, BC1 und BC2 einer IndiumWismut-Verbindung in Abhängigkeit von der Temperatur Bild 14: Flußschläuche an einer polykristallinen Oberfläche. Die Flußschläuche werden an Korngrenzen „gepinnt“. Bild 15: Perowskit-Struktur A2BO4. Für B = Cu (z.B. in Ba2CuO4) sieht man die CuO-Ebenen bei z = 0 und z = ½. Bild 16: Temperaturabhängigkeit des Widerstands (links) und der Suszeptibilität (rechts) eines Hochtemperatur-Supraleiters. Man sieht den graduellen Übergang von χ analog zu einem Supraleiter 2. Art.