Moderate Ganzkörperhyperthermie in der Onkologie

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Moderate Ganzkörperhyperthermie in der Onkologie
Grundlagen und Praxis von Ralf Kleef, Wien
Erschienen in: Biologische Medizin / Heft 3 /Juli 2002
Zusammenfassung
Die Ganzkörperhyperthermie (GKHT) in der Onkologie erlebt besonders im deutschen Sprachraum seit über einem
Jahrzehnt eine Renaissance. Zur Hyperthermie in der Onkologie (lokale Hyperthermie, Perfusionshyperthermie,
Hochtemperatur Ganzkörperhyperthermie (GKHT)) liegen klinische Daten vor. Bereits heute werden viele dieser Verfahren in verschiedenen Kliniken weltweit eingesetzt. Zur moderaten Hyperthermie liegen klinische Arbeiten vor, die
die Auswirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem, Asthma Bronchiale und immunologische Funktionen untersuchten.
Um die Effekte der moderaten Ganzkörperhyperthermie bei onkologischen und verschiedenen anderen Erkrankungen eingehender zu untersuchen, laufen an amerikanischen und deutschsprachigen Universitäten klinische Studien, die auf Basis der vorliegenden positiven Anwendungsbeobachtungen erarbeitet wurden und diese zu Unrecht
in Vergessenheit geratene Tradition der physikalischen Medizin wieder aufgreifen. Im Mittelpunkt des Interesses
steht hierbei der Einfluss der Methode auf die Lebensqualität und die mögliche Reduktion der Nebenwirkungen
zytotoxischer Therapien, in zweiter Linie aber auch die mögliche Steigerung der Effektivität einer Chemo- und/oder
Strahlentherapie.
Daneben liegen klare immunologische Rationale vor, die wissenschaftlich untersucht und publiziert wurden und den
Einsatz der moderaten Hyperthermie in der Onkologie nahe legen. Der folgende Mini-Review gibt insbesondere
einen kurzen Überblick über eine Form der Hyperthermie, bei der im Tierversuch eindeutig wachstumshemmende
Effekte nachgewiesen werden konnten. Epidemiologische Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen
Krebsinzidenz und fehlendem Fieber sowie Spontanremissionen nach fieberhaften Infekten werden beschrieben.
Weitere klinische Studien zur Evaluation der Methode sind wünschenswert und förderungswürdig
Geschichtliche Vorbemerkungen
Ende des 19. Jahrhunderts induzierte Coley in Krebspatienten Fieber durch die Applikation von pyrogenen Bakterientoxinen und beobachtete dabei in einigen Fällen partielle Remissionen [1]. Bis Anfang der 60er Jahre dieses Jahrhunderts waren nur retrospektive Analysen von Patienten, die mit gemischten gramnegativen und grampositiven
Bakterienlysaten behandelt worden waren, verfügbar. In den letzten 30 Jahren wurden jedoch mehrere prospektive,
z.T. randomisierte, Studien vorgelegt, in denen die grundsätzliche Fähigkeit von Bakterientoxinen, Tumorregressionen in Einzelfällen zu induzieren, belegt werden konnte. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass wegen methodischer Mängel eine endgültige Beurteilung des Stellenwertes dieser Fiebertherapie nicht möglich ist [2]. Darüber
hinaus gibt es Hinweise auf eine inverse Assoziation zwischen der Häufigkeit manifester Infekte und dem Krebsrisiko [2, 3]. Insbesondere die inverse Korrelation zwischen Fieber und Krebsinzidenz ist in epidemiologischen Studien
und Metaanalysen belegt und vielfach publiziert [4]. Neben zahlreichen älteren [5, 6] liegen auch eine Reihe neuerer
epidemiologische Studien vor, die diesen Zusammenhang belegen [4, 7, 8, 9].
Die Behandlung mit Bakterienlysaten wirft jedoch eine Reihe von Problemen auf: Standardisierbarkeit der Präparate,
Steuerbarkeit einer iatrogen induzierten Sepsis-ähnlichen Situation, erhebliche nicht vorhersehbare Toxizitäten [3].
Aus diesem Grunde wurden in den letzten Jahrzehnten Tumorpatienten zunehmend mit einer exogenen Hyperthermie behandelt [10], auch wenn die exogene Hyperthermie in ihren Auswirkungen auf den menschlichen und tierischen Organismus nicht mit einer endogenen Hyperthermie gleichzusetzen ist. Moderate Hyperthermie hat daher
insbesondere im deutschen Sprachraum eine jahrzehntelange Tradition [Übersichten bei: 10, 11]. Es sollte betont
werden, dass additive Therapieverfahren wie z.B. der Einsatz proteolytischer Enzyme [12] oder immunstimulativer
Therapien, insbesondere geprimter und ungeprimter Dendritischer Zellen [13, 14] durch den gezielten Zeitoptimierten Einsatz der Ganzkörperhyperthermie im Sinne vielfältiger Synergismen verstärkt werden können.
Generell unterscheidet man die regionale (Perfusion, Oberflächen- und Tiefenhyperthermie) und die Ganzkörperhyperthermie [15]. Im Folgenden wird zu den verschiedenen Behandlungsformen kurz Stellung bezogen.
Hyperthermiebehandlung in der Krebstherapie
Aus in-vitro Untersuchungen, besonders an tierischen Zellinien ist bekannt, daß deren Empfindlichkeit gegenüber
einer Hitzeexposition Temperatur- und Zeitabhängig ist [16]. Bei Temperaturen oberhalb 42.5°C nimmt die Zytotoxizität stark zu [17]. Bei in-vivo Untersuchungen am Tiermodell fand sich eine vergleichbare Temperatur- und Zeitabhängigkeit der zytotoxischen Wirkung [18].
Eine Thermotoleranz wird beschrieben bei einer Exposition von Temperaturen < 43.0°C. Dieses Phänomen ist allerdings reversibel bei Beachtung eines entsprechenden Zeitintervalls zwischen den Behandlungen [16]. Weiterhin
konnte gezeigt werden, daß eine Hyperthermie im o.g. Temperaturreich sowohl in vitro als auch in tierischen Tumo
ren den pH-Wert senkt, was wiederum zu einer Steigerung der Sensibilität von Tumoren gegenüber der Hyperthermie führt [19]. Im Tiermodell wurde demonstriert, daß bis zu einer Tumortemperatur von 40.0°C die Kapillarperfusion
zunimmt. Oberhalb dieses Temperaturbereiches ist eine Abnahme der Kapillardurchblutung zu beobachten, die erst
bei Temperaturen > 41.0°C irreversibel ist [20, 21].
Frühere präklinische und klinische Studien demonstrierten Natürliche Killer-Zell-Aktivierung, Zytokin- und Apoptoseinduktion durch Hyperthermie, in denen physiologische Temperaturerhöhungen im Fieber-ähnlichen Bereich
induziert wurden [22, 23, 24, 25, 26, 27, 28]. In-vivo demonstrierten Park et al. und Hajto et al. mit moderater GKHT
erhöhte Natürliche Killer Zell Aktivitäten und zelluläre Immunität bei Krebspatienten [29, 30]. Interessanterweise
wurde in-vitro bei einer Temperaturexposition >42° Celsius eine Verminderung der NK-Zell Aktivität festgestellt,
während bei einer Hyperthermie bis zu 40° Celsius von nur 60 Minuten Expositionsdauer eine deutliche NK Zell
Aktivitätssteigerung zu verzeichnen war [26]. Eine neuere Untersuchung mit einer nur 60-minütigen Infrarot-A-Ganzkörperhyperthermie zeigte bei 5 von 8 Probanden einen Priming Effekt neutrophiler Granulozyten durch signifikante
Steigerung der Sauerstoffradikalproduktion [31]. Molekulare Mechanismen der Lymphozyten Aktivierung durch NTLZ-GKHT wurden kürzlich beschrieben [32].
In neuerer Zeit sind vor allem Zytokinregulationen und die Expression von Hitzeschockproteinen (HSP) [33, 34, 35]
in den Vordergrund des Interesses gerückt. HSP wurden als molekulare Chaperone beschrieben, die dem lymphatischen System Proteinstrukturen präsentieren können [36, 37]. Daher können sie möglicherweise zu einer verbesserten Erkennung tumorassoziierter Antigene (TAA) beitragen [38, 39, 40]. HSP wurden als potente Krebsvaccine
vorgeschlagen [41, 42]. Weiterhin wurde gezeigt, daß die Expression von HSP-70 und HSP-110 direkt in immunologischen Effektorzellen durch die hier beschriebene, prolongierte fieber-ähnliche GKHT induziert wurde ().
In-vivo Experimente mit Bakterienlysaten zeigten, daß Fieber zu einer erhöhten Expression von HSP in Makrophagen [43, 44], Blutgefäßen und Gefäßendothel [45] und Enterozyten führt [46]. Ähnliche Effekte sind auch bei einer
exogenen, fieberähnlichen Hyperthermie zu beobachten [47].
Klinische Daten zur lokoregionalen und extrakorporalen Hyperthermie
Signifikante Destruktion maligner Tumoren mit alleiniger Hyperthermie wurde von verschiedenen Autoren demonstriert [48]. Die höchste Sensitivität zeigten dabei Sarkome und Tumore des Gastrointestinaltraktes. Besonders eindrucksvolle Erfolge wurden in der Behandlung des malignen Melanoms mit der isolierten hyperthermen Extremitätenperfusion bei einer Bluttemperatur von 41.5°C - 44.5°C erzielt. Die Ergebnisse der loko-regionalen Hyperthermie
lassen sich durch die Kombination mit Chemo- und Strahlentherapie insbesondere bei Weichteilsarkomen eindrucksvoll steigern [49, 50]. Ebenso zeigen jüngere Studien der lokalen und regionalen Hyperthermiebehandlung
fortgeschrittener Rektumkarzinome eine deutliche Verbesserung der Ergebnisse in Kombination mit Strahlen- und
Chemotherapie [51]. Bei allen o.g. Studien wurden intratumorale Temperaturen über 40.0°C angestrebt. In früheren
Studien wurden positive Erfahrungen mit extrakorporaler Erwärmung des Blutes [52] berichtet. Eine Sonderform
der Hyperthermiebehandlung von Krebserkrankten stellt die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion dar, einer
Methode mit der insbesondere bei lokoregionären Tumorrezidiven maligner Extremitätenmelanome beeindruckende
Erfolge in der Kombination mit TNF-alpa oder Chemotherapeutika erzielt wurden [Übersicht bei 53].
Klinische Daten zur Ganzkörperhyperthermie im Hochtemperaturbereich
Die Ganzkörperhyperthermie in einem Temperaturbereich von 41.0°C ° - 42.0°C und mit einer Hyperthermiedauer
bis zu 4 Stunden weist bei Patienten mit fortgeschrittenen, refraktären Tumorerkrankungen nach einer Meta-Analyse aus dem Jahre 1997 von Seifert et. al. nur eine sehr geringe Wirksamkeit auf [54]. Allerdings zeigen weitere
Untersuchungen ähnlich wie bei der loko-regionalen Hyperthermie, dass sich mit der Ganzkörperhyperthermie die
Ansprechrate durch eine Kombination mit Chemotherapie deutlich verbessern lässt [55, 56, 57, 58, 59, 60]. Ein viel
versprechender neuer Einsatz scheint die Kombination der Hyperthermie mit Chemotherapie und Zytokinen (TNFalpha) zu sein [61].
Präklinische und klinische Daten zur Ganzkörperhyperthermie im Niedrigtemperaturbereich
Zusätzlich zu kürzer dauernden – oft im Hochtemperaturbereich von 41.5°-41.8°C liegenden – Ganzkörperhyperthermiebehandlungen werden weltweit derzeit in verschiedenen Pilotphase Studien [62, 63] Patienten mit metastasierten inkurablen nicht häma tologischen Tumorerkrankungen mit einer Langzeit-Niedrigtemperatur-Ganzkörper
hyperthermie (LZ-NT-GKHT) behandelt werden, einer Form der Hyperthermie, bei der im Tierexperiment eindeutige
tumorwachstumshemmende Wirkungen nachgewiesen werden konnten.
Neuere präklinische Forschungsarbeiten deuten auf interessante immunologische Mechanismen, die durch diese
moderate, (38.5° - 39.5° Celsius) prolongierte (3 - 12 Stunden) GKHT induziert werden können [64, 65] hin. Mit dieser
neuen Form der fieberähnlichen Hyperthermie wurden deutliche Tumorwachstumsverzögerungen in verschiedenen
Tiermodellen mit menschlichen und tierischen Tumorzellinien demonstriert [64, 65, 66]. Die Tumorwachstumsverzögerung ließ sich durch eine Wiederholung der Hyperthermie steigern [66]. Offensichtlich besteht eine Korrelation
zwischen der Dauer einer Hitzeexposition und dem Ausmaß der Tumorwachstumsverzögerung [64]. Eine eindrucksvolle Steigerung dieses Effektes ist insbesondere ab einer Expositionszeit von 6 Stunden zu beobachten [64]. Die
Antitumorwirkung scheint bei dieser Hyperthermieform (fieberähnliche, prolongierte GKHT) stärker ausgeprägt zu
sein, als bei einer zweistündigen Hochtemperatur im Temperaturbereich von 41.5°C [67].
Im Tiermodell ist die Toxizität der NT-LZ-GKHT gemessen am Körpergewicht, der Thrombozyten- und Leukozytenzahl, sowie der Nierenfunktion deutlich geringer im Vergleich zur Hochtemperaturhyperthermie (). Weiterhin zeigten
klinische Anwendungsbeobachtungen amerikanischer Gruppen mit der Ganzkörperhyperthermie nach Heckel, die
mit komplett Reflexionsgestreuter Infrarothellstrahlung in wärmedämmenden innenverspiegelten Spezialbetten
arbeit die gute Verträglichkeit der prolongierten, moderaten GKHT hinsichtlich kardiovaskulärer Parameter [68].
Entsprechend wurden mit der Methode der moderaten GKHT nach Heckel bis 39.0° C bei allerdings kürzeren Expositionszeiten Studien zu verschiedenen physiologischen Parametern durchgeführt, die eine gute Verträglichkeit
demonstrierten [69, 70].
Bei der Antitumorwirkung werden bei dieser Langzeitform der GKHT die im Folgenden genannten Mechanismen
diskutiert. So demonstrierten Burd et al. in-vivo eine Apoptose – Induktion bei 39.0° Celsius über einen Zeitraum
von 6 - 8 Stunden bei SCID- und Balb-C Mäusen in einem humanen Mamma-Carcinom Modell und einem syngenen
Tumor [65]. Diese Apoptose-Induktion konnte erst ab einer Expositionszeit der Tiere von mindestens 4 Stunden bei
39.0° Celsius dokumentiert werden und war deutlich stärker bei einer Expositionszeit von 6-8 Stunden bei 39.0°
Celsius (p=0.05). Dieser Effekt war besonders ausgeprägt bei Balb-C Mäusen, in denen im Gegensatz zu SCIDMäusen neben den NK-Zellen offensichtlich auch andere immunologische Effektormechanismen stimuliert wurden.
Es konnte gezeigt werden, daß diese Apoptose NK Zell-mediiert war, da monoklonale AK gegen NK Zellen den
Apoptose-induzierenden Effekt der GKHT aufhoben.
Dieselben Autoren beobachteten eine Vasodilatation größerer Gefäße innerhalb des Tumors (>100 µm), die noch
bis zu 2 Wochen nach der in-vivo Exposition durch moderate, prolongierte Hyperthermie zu beobachten war. Die
beobachtete NK-Zell Akkumulation innerhalb des Tumors könnte auf die beschriebene Mehrdurchblutung und damit verbundene Reduktion des intratumoralen Druckes zurückzuführen sein. Diese Vasodilatation von Tumorgefäßstrukturen kann daher entscheidend zur Verstärkung des Einstroms von immunologischen Effektorzellen oder auch
von Zytostatika beitragen.
Als weiterer Mechanismus wird ein antiangiogenetischer Effekt diskutiert, da eine 20-30% Reduktion der durchschnittlichen Gefäßdurchmesser (MVD=mean vascular density)) bei kapillären Strukturen mit einem Durchmesser
<7.5 µm in einem murinen Tumormodell beobachtet werden konnte [71]. Dies steht nur scheinbar im Gegensatz zur
oben beschriebenen Vasodilatation von intratumoralen Blutgefäßen (> 100 µm) [65]. Es ist durchaus denkbar, daß
die beschriebenen Phänomene synergistische Antitumorteffekte aufweisen: 1. Tumorwachstumsverzögerung durch
Zerstörung kleiner mikrovasculärer Strukturen [71] und: 2. Vermehrter Antransport lymphatischer Zellen durch die
Vasodilatation größerer Gefäße.
Bisher wurden keine klinischen Daten zur Anwendung der NT-LZ-GKHT publiziert, allerdings existieren Anwendungsbeobachtungen, die die Durchführbarkeit der Methode demonstrierten und die vor allem in den Proceedings
der NASH (North American Hyperthermia Society) publiziert wurden. Hierbei ging es primär um eine Kombination
dieser Hyperthermieform mit Zytostatika und Zytokinen [71, 72, 73].
Als zusätzlicher wichtiger Mechanismus konnte in-vivo die Induktion von Zelladhäsionsmolekülen [74] und die Veränderung zytoskeletaler Strukturen durch milde, prolongierte GKHT demonstriert werden [75]. Dieser Effekt war mit
einer deutlichen Aktivierungssteigerung lymphozytärer Zellen ex-vivo durch erhöhte Zellmotilität und Zytotoxizität
assoziiert. Die Induktion von ICAM-1 auf lymphozytären und endothelialen Strukturen durch Hyperthermie wurde
zuvor beschrieben [76] und ist von besonderem Interesse im Zusammenhang mit den oben beschriebenen Phänomen der Akkumulation von lymphozytären Zellen innerhalb des Tumors. Ob die ICAM-1 Expression durch Hyperthermie auch auf Tumorzellen zu induzieren ist, bleibt zu untersuchen, da bei einer Reihe von Tumoren ICAM-1
Expression beschrieben wurde [77].
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