„Heiße Entwicklungen“ ( 2 Fälle ) ( aus : „Der Notarzt“ 3, 2007 ) Fall 1 Alarmierung unter Stichwort „Schwere Atemnot“ wird Notarzt alarmiert. Lebensgefährte einer 22-jährigen Patientin beobachtete eine seit Stunden bestehende und zunehmende Erschöpfung seiner Freundin, die auch zuletzt kaum noch ansprechbar war. Erstbefunde : - RR : 70/40 mmHg HR : 144/min SpO2 : 98 % BZ : 70 mg/dl Reaktion nur auf lautes Ansprechen und auf Schmerzreize mit unverständlichen Lauten - auffallend heiße Haut gemessene Ohrtemp. : 40,6°C Weitere klinische Befunde : - schlaffer Muskeltonus - keine Menigismuszeichen - Pupillen mittelweit mit träger Lichtreaktion - Konjunktiven etwas gerötet - Nach wie vor niederer RR und hohe HR - Spuren von Erbrochenem an den Lippen Fremdanamnese durch Freund : - Vor 24 Stunden völlig gesund vom regelmäßigen FitnessTraining zurückgekommen - nachts zweimaliges Erbrechen, zurückgeführt auf Essen - Am Morgen fuhr er zur Arbeit und sie habe ihm einen guten Tag gewünscht. - Bei Rückkehr am Nachmittag sei sie schwer erweckbar gewesen und habe abends überhaupt nicht mehr reagiert - Er habe keine Erklärung für diesen Zustand Maßnahmen : - Legen einer Venenverweilkanüle Rasche Gabe von 1500 ml Elektrolytlösung Transport in nahe gelegene Klinik Maßnahmen und weitere Diagnostik in der Klinik : - Unter V.a. Meningitis bzw. Sepsis unbekannter Ursache Veranlassung eines CCT Kein pathologischer Befund - Bei weiter angestiegener Körpertemperatur auf 41,2°C wird Patientin intubiert, beatmet - Beginn mit Katecholamintherapie (Noradrenalin), um annähernd normale RR-Werte zu erreichen 1 - Laborwerte : CRP 2,5 mg/dl und 13000 Leukos machten eine Infektion unwahrscheinlich erstmalig Verdachtsdiagnose „Maligne Hyperthermie“ Kühltherapie unter Analgosedierung : Bedeckung mit Crush-Eis Hierunter ist kein anhaltender Temperaturabfall zu erzielen Entschluss zur Verlegung in eine 40 km entfernte Uniklinik 8 Stunden nach Einlieferung der Patientin, um dort mit Hilfe einer Hämodialysebehandlung eine Kühlung zu erzwingen. Befunde und weiterer Verlauf in der Uniklinik : - weite lichtstarre Pupillen - Körpertemperatur : 41.6°C - klinisch und laborchemisch alle Zeichen eines Multiorganversagens - trotz ausreichender Volumenzufuhr und knapp normalen Venendruck besteht ein anurisches Nierenversagen - Zunehmendes Leberversagen mit Hypoglykämie trotz Glucosezufuhr sowie einer Verbrauchskoagulopathie - Ausgeprägte Tachykardie geht in Bradykardie und Asystolie über - Alle Reanimationsbemühungen sind erfolglos Toxikologie : - Substanz 2,4-Dinitrophenol in Körperflüssigkeiten nachgewiesen Dadurch wird ATP-Synthese verringert und es kommt zu einer deutlich gesteigerten Wärmeproduktion Vereinzelt wurden Todesfälle nach Einnahme von DNP beschrieben, für das als „fatburner“ auch im Internet stark geworben wird. (Nach eigenen Recherchen ist dieses Präparat jedoch in Deutschland verboten ! Anmerkung Niederberger) Für weiter Interessierte die Abhandlung aus dem Internet als weitere Anlage. Fall 2 Alarmierung des Rettungsdienstes Stichwort „Hilflose Person“ ,frühmorgens bei sommerlichen Temperaturen Erstbefund durch RD : - Ca. 30-jähriger Patient reagiert nur auf starke Schmerzreize mit unverständlichen Lauten - Nach sofortiger Nachalarmierung des Notarztes weitere Untersuchung - Weitgehend normale Vitalfunktionen - V.a. Alkoholintoxikation - Plötzlich generalisierter Krampfanfall Erstbefund durch Notarzt : - inzwischen stabile Seitenlage - Befunde i.w. wie oben - Aber SpO2 : 86 % trotz O2-Zufuhr über Maske 2 Erste Maßnahmen durch Notarzt : - Intubation, Absaugung und Beatmung nach Gabe von Midazolam wegen anhaltender Bewusstseinstrübung und V.a. Aspiration - Transport auf Intensivstation Befunde nach Übernahme auf Intensivstation : - Körpertemperatur 41°C - Labor : Creatinkinase 80 000, Laktat 90 mg/dl CRP 6 mg/dl, Leukos 17 000/mm³ - CCT : Keine pathologischen Veränderungen - Lumbalpunktion : unauffällig - Toxikologie : 0,6 Promille und Nachweis des Midazolam - Trotz Gabe von Metamizol und Kühlung mit Kühldecke Anstieg der Körpertemperatur auf 41,4°C - Unter V.a. Maligne Hyperthermie Einsetzen eines Kühlsystems und Hypothermiebehandlung - Senken der Körpertemperatur auf Werte um 38°C - Kühltherapie musste über insgesamt 3 Tage durchgeführt werden - Zwischenzeitliche Dialysebehandlung wegen Anurie - Nach 6 Tagen Beendigung der Dialysebehandlung, zu diesem Zeitpunkt auch Besserung der anfänglich eingeschränkten Lungenfunktion; Extubation - Zwei Tage später erste anamnestische Angaben durch den Patienten möglich - Wegen einer Schizophrenie seit längerem wie vom Psychiater verordnet Einnahme von Olanzipin (Dopaminantagonist Zyprexa®) - Rückblickend lag beim Patienten am wahrscheinlichsten ein Malignes Neuroleptisches Syndrom vor. ► Leitsymptom ausgeprägte Erhöhung der Körpertemperatur Wenn entzündliche Ursachen ausgeschlossen werden können, und die klassischen Antipyretika wirkungslos sind, sollte die Verdachtsdiagnose (medikamenteninduzierte) Hyperthermie erwogen werden. ► Ursachen, Mechanismen, Symptomatik und Therapie der Hyperthermie-Syndrome Erhöhung der Körpertemperatur, bei der vorhandenen Regulationsmechanismen nicht mehr zur Temperaturkontrolle ausreichen. Für zahlreiche Medikamente und Chemikalien wurden als Nebenwirkung derartige z.T. tödliche Hyperthermien beschrieben. Verschiedene Hyperthermiesyndrome wurden beschrieben : Maligne Hyperthermie, Malignes Neuroleptisches Syndrom, Anticholinerges Syndrom, Sympathomimetisches Syndrom, Serotoninsyndrom 3 Allgemeine Therapie : - Zufuhr des Agens beenden - Behandlung des Muskelzitterns oder der Krämpfe mit Sedativa, in schweren Fällen mit Muskelralaxantien - Adäquate Oxygenierung durch gesteigerten O2-Bedarf - Behandlung einer Hyperkapnie durch entsprechende Beatmung - Flüssigkeitsverluste und Vasodilatation durch Volumengabe und ggf. durch Vasopressoren behandeln - Versuch der Kühlung auf Werte um höchstens 39°C ► Verschiedene Hyperthermiesyndrome 1. Maligne Hyperthermie Pathophysiologie : Am ehesten genetische Störung durch einen veränderten Calciumkanal, der durch starken Calciumeinstrom in die Muskelzelle und deren Mitochondrien sowohl eine verstärkte Muskelkontraktion sowie eine Entkopplung der oxidativen Phosphorylierung auslöst. Die Hyperthermie ist das Resultat verstärkter Muskeltätigkeit und des erhöhten Stoffwechsels. Frühsymptome : - Tachykardie Tachypnoe Muskelsteifigkeit ( v.a. M. Masseter ) Ventrikuläre Rhythmusstörungen Hyperkapnie - Hyperthermie Schwitzen Mydriasis Myoglobinurie Gemischte Azidose CK – Erhöhung Hyperkaliämie - sofortige Unterbrechung der Agenszufuhr Beatmung mit O2 Gabe von Dantrolen, Dosierung : initial 2,5 mg/kg i.v. als Bolus, dann ggf. weiter bis zur Gesamtdosis von 10 mg/kg über 24 h (bis 40 mg/kg) Wirkungsweise : gestörter Calciumtransport wird unterbunden Kühlung Falls mit diesen Therapiemaßnahmen keine Besserung zu erzielen ist, sind auch andere Hyperthermieformen zu bedenken. Spätsymptome : Therapie : - 2. Malignes Neuroleptisches Syndrom Kann als Nebenwirkung unter der Therapie von Neuroleptika, trizyklischen Antidepressiva, MAO-Hemmern, Antiepileptika und Benzodiazepinen auftreten. 4 Pathophysiologie : Gestörte Temperaturregulation infolge erhöhter Serotonin- oder verringerter Dopaminkonzentrationen unter medikamentöser Therapie der beschriebenen Substanzklassen oder bei Entzugssyndromen. Bedeutsam ist auch, dass keine Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht. Symptome : - Muskelsteifigkeit Vegetative Störungen Einschränkung der Bewusstseinslage Hyperthermie infolge der gestörten Thermoregulation im Zusammenhang mit der vermehrten Muskelspannung - im Wesentlichen symptomatisch Absetzen des vermutlich auslösenden Agens Kühlmaßnahmen Evtl. Bromocriptin (Dopaminagonist) und Benzodiazepine (!), gegebenenfalls Muskelrelaxantien in schweren Fällen Dantrolen wurde versucht, wird aber nicht empfohlen Therapie : - 3. Anticholinerges Syndrom Ausgelöst durch Antihistaminika, Atropin, Carbamazepin, Phenothiazine, Clozapin, Procainamid, Chinidin, trizyklischen Antidepressiva u.a. Pathophysiologie : Durch Blockade zentraler und peripherer muskarinartiger Rezeptoren kommt es zu vermehrter Muskeltätigkeit, verminderte Wärmeabgabe durch verminderte Schweißproduktion. Symptomatik : - Bewusstseinsveränderungen bis zum Koma Unruhe, Krämpfe Muskelzuckungen Peripher-anticholinerge Symptome wie verminderte Schweißproduktion, trockene Schleimhäute, Mydriasis, Tachykardie, Harnretention, verminderte Darmperistaltik - Kühlmaßnahmen bei Hyperthermie Sedativa, ggf. Muskelrelaxantien Versuch mit Physostigmin ( vor allem wenn nur durch Anticholinergika bedingtem Zustand ) Therapie : 4. Sympathomimetisches Syndrom Tritt vor allem nach Einnahme von Drogen wie Ecstasy, Amphetaminen und Kokain auf. Pathophysiologie : Vermutlich sind Veränderungen der Konzentrationen von Noradrenalin, Dopamin und Serotonin im Serum für die Entsehung der Hyperthermie ursächlich. Durch periphere 5 Vasokonstriktion wird die Wärmeabgabe beeinträchtigt bei gleichzeitiger erhöhter Thermogenese durch vermehrte Muskelaktivität und Zunahme des Lebermetabolismus. Symptome : - Unruhezustände, Panikattacken, Halluzinationen Krämpfe, Veränderungen im Bewusstsein bis zum Koma Reduzierte periphere Durchblutung durch ausgeprägte Vasokonstriktion ( z.B. Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, Lebernekrosen, Rhabdomyolyse, Nierenversagen - Benzodiazepine gegen Unruhezustände und Muskelzittern ggf. auch Muskelrelaxantien aggressive Kühlungsmaßnahmen bei Hyperthermie Therapie : 5. Serotoninsyndrom Kann auftreten nach Einnahme von L-Tryptophan, trizyklischen Antidepressiva, MAOHemmern, L-Dopa, Lithium, Hemmstoffen der Serotoninwiederaufnahme ( SSRI ) sowie Amphetaminderivaten, Kokain, Meskalin, LSD und Ecstasy. Pathophysiologie : Entstehung der Symptome durch massive Serotoninfreisetzung, meist durch Einnahme mehrerer Medikamente. Bei der Hälfte der Fälle tritt eine Hyperthermie auf, die durch die vermehrte Muskeltätigkeit entsteht. Symptome : - Verwirrtheitszustände, Unruhe Muskelsteifigkeit und Muskelzittern Tachykardie, Hypo- oder Hypertonie, Mydriasis In ca. 50% Hyperthermie - Symptomatisch Kühlmaßnahmen Sedativa Allgemeine intensivmedizinisch unterstützende Maßnahmen Therapie : ► Präklinische Therapiemöglichkeiten durch den Notarzt : - Stabilisierung der Vitalfunktionen wie Volumen- und Vasopressorgabe, Intubation und Beatmung Selbst bei schon präklinischer Entdeckung der Hyperthermie eine Hyperthermiebehandlung allenfalls über gekühlte Infusionen zu empfehlen gez. Niederberger 03/2008 6