Aktuell | Ernährungslehre & Praxis 22 Fragen zu Obst und Gemüse für die Praxis In den 10 Regeln der Deutschen Gesellschaft für Ernährung heißt es „Gemüse und Obst – ‚Nimm 5 am Tag‘“. Umgesetzt in Mengen heißt dies, ca. 250 g Obst und ca. 400 g Gemüse am Tag zu essen. Im Umgang mit Obst und Gemüse tauchen immer wieder praktische Fragen auf, die an dieser Stelle durch Herrn PD Dr. Bernhard WATZL und Prof. Dr. Rolf GEISEN vom Max Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel, Karlsruhe, beantwortet werden. international als Obergrenze für kommerziell gehandelte Kartoffeln angesehen. Je nach Sorte und besonders bei unsachgemäßer Lagerung kann der Alkaloidgehalt in den Kartoffelschalen und -keimen erhöht sein. Das Ausstechen der so genannten „Augen“ (d. h. der Stellen in der Kartoffelschale, an denen sich Keime entwickeln können) und das Entfernen der Keime vor dem Kochen ist normalerweise ausreichend, um den Alkaloidgehalt zu reduzieren. Da die Kartoffelalkaloide bei höherer Konzentration geschmacklich als unangenehm wahrgenommen werden, schützt dies vor dem Verzehr von Kartoffeln mit zu hohem Alkaloidgehalt. Kartoffeln zählen bei der 5-am-Tag-Kampagne nicht zum Gemüse. Warum nicht? Wo befindet sich das Solanin bei der Kartoffel? Kann man es durch haushaltstechnische Maßnahme wie Schälen, Abschneiden von verfärbten Stellen oder Kochen/Braten entfernen? Für Kartoffeln gibt es keine epidemiologische Evidenz, die auf protektive Wirkungen hinweist. Im Gegensatz dazu liegen für Gemüse eine große Anzahl von Studien vor, die eine inverse Korrelation zwischen der Verzehrsmenge und dem Krankheitsrisiko zeigen.1 Auch auf Nährstoffebene gibt es deutliche Unterschiede (Kartoffeln: mehr Energie, weniger sekundäre Pflanzenstoffe als Obst und Gemüse), weshalb die differenzierte Empfehlung für Kartoffeln und Gemüse sinnvoll ist. Die Lagermöglichkeiten für Kartoffeln sind in den heutigen Wohnungen/Kellern nicht optimal. Sie fangen an zu keimen, wenn sie nicht kühl und dunkel gelagert werden. Kann man die Keime abbrechen und die Kartoffeln kochen oder braten? Der größte Teil der Alkaloide befindet sich in der Schale, weshalb durch das Schälen die meisten Alkaloide entfernt werden. Kochen oder Braten verringert den Gehalt dagegen nicht. Bei Kartoffeln mit niedrigem Alkaloidgehalt kann die Schale auch mitgegessen werden. Der Alkaloidgehalt einer Kartoffelsorte kann allerdings je nach Anbaubedingungen stark variieren, sodass die Sorte wenig über den Gehalt an Alkaloiden aussagt. Wirklich hohe Gehalte sind die Folgen von entsprechenden Umwelteinflüssen. Da Die gesundheitlich negativ relevanten Inhaltsstoffe der Kartoffel sind die Alkaloide (Solanine und Chaconine)2. Die Giftigkeit dieser Alkaloide ist abhängig von der Konzentration. Ein Alkaloidgehalt von unter 200 mg/kg Frischgewicht in Kartoffeln ist normal und zeigt nach Verzehr keine negativen Effekte. Diese Konzentration wird 1 s. auch DGE-Stellungnahme „Obst und Gemüse in der Prävention chronischer Krankheiten“ http://www.dge.de/pdf/ws/ Stellungnahme-OuG-Praevention-chronischer-Krankheiten2007-09-29.pdf 2 vgl. Weiß C (2007) Glykoalkaloide in Kartoffeln und Tomaten. Ernährungs Umschau 54: 474–477 B22 Ernährungs Umschau | 6/09 Da der Alkaloidgehalt in der Schale und den Keimen am höchsten ist, sollten Kartoffeln geschält verzehrt und Keime ausgestochen werden. der Verbraucher den Gehalt also nicht erkennen kann, ist das Schälen empfehlenswert. einer Lagertemperatur von 11,5 °C auf. Eine Nachreifung der Bananen ist dann nicht mehr möglich. schen und Trockenreiben verringert werden. Bei Sorge vor Rückständen ist Bio-Obst eine Alternative. Wenn Kartoffeln falsch gelagert werden, verfärben sie sich an manchen Stellen oder insgesamt blau bzw. grün. Was passiert da? Wie unterscheide ich „Druckstellen“ von mit Schimmelpilzen befallenen Stellen? Stellt die Rückstandsbelastung bei Obst und Gemüse Ihrer Ansicht nach ein Problem dar? Dafür sind nicht die Dauer, sondern die Bedingungen der Lagerung entscheidend. Bei Lichteinwirkung bildet sich Chlorophyll, welches die Grünfärbung verursacht. Gleichzeitig wird die Alkaloidsynthese stimuliert. Grüne Kartoffeln sollten deshalb nicht verzehrt werden. Auch Tomaten enthalten ein Alkaloid. Wo befindet es sich bei dieser Frucht? Das Alkaloid der Tomate heißt Tomatin. Es wird in der Tomatenfrucht synthetisiert und kommt in der gesamten Tomate vor. Unreife grüne Tomaten enthalten hohe Konzentrationen an Tomatin, während der Reifung kommt es zum Abbau dieser Alkaloide. Sollte man also keine grünen Tomaten essen? Unreife grüne Tomaten enthalten hohe Mengen an Tomatin und sollten deshalb nicht verzehrt werden. Allerdings wird die Toxizität von Tomatin schwächer eingeschätzt als die der Kartoffelalkaloide. Bei der gängigen Praxis, unreife grüne Tomaten sauer einzulegen oder zu frittieren, sind bisher keine negativen Wirkungen nach dem Verzehr solcher Tomaten beschrieben. Reife grüne Tomaten, z. B. die Sorte Green Zebra, haben einen den ausgereiften roten Tomatensorten vergleichbar niedrigen Tomatingehalt. Durch den Transport oder bei der Lagerung bekommen Obst (z. B. Pfirsiche, Erdbeeren, Äpfel und Bananen) und Gemüse (z. B. Tomaten) „braune Flecken“. Wodurch entstehen diese? Das kann unterschiedliche Ursachen haben. Neben einer Pilzinfektion kann es durch mechanischen Druck zu braunen Stellen kommen. Bei Bananen entstehen die rosa-braunen Verfärbungen durch zu niedrige Lagertemperaturen. Dies wird als „Chilling“ bezeichnet. Dieser Effekt tritt bei Bananen unterhalb Mit etwas Erfahrung kann man mit dem Auge zwischen Druckstellen und mikrobiellem Befall unterscheiden. Eine Druckstelle ist z. B. durch eine leichte Delle auf der Oberfläche gekennzeichnet. Dabei wird die Zellstruktur zerstört und freigesetzte Enzyme führen zu Oxidationsreaktionen, die die Bräunung auslösen. Der mikrobielle Befall führt zu einer anderen, meist dunkleren Braunfärbung. Sofern keine ausreichende Sachkenntnis vorhanden ist, kann der Verbraucher keine Unterscheidung vornehmen. Deshalb der Ratschlag, bei Unsicherheit diese Stelle(n) wegzuschneiden. Muss ich Obst wegwerfen, wenn ich Schimmelspuren entdecke? Dies hängt vom Ausmaß des Befalls und von der Matrix des Produktes ab. Bei Produkten mit hohem Flüssigkeitsanteil können sich die Toxine des Pilzes weiter ausbreiten. Untersuchungen bei Äpfeln haben gezeigt, dass sich die Toxine nur in einem Bereich von 1–2 cm um die kontaminierte Stelle verteilen. Bei kleineren Stellen reicht es daher, wenn sie großzügig entfernt werden. Wie kommt es, dass manchmal Äpfel oder Birnen von außen einwandfrei sind, aber innen im Kerngehäuse schimmeln? Ein Befall mit Schimmelpilzen kann bereits während der Blüte auftreten. Während der Entwicklung eines Apfels kommt es dann zum Wachstum der Schimmelpilze im Kerngehäuse. Befunde von Pflanzenschutzmittelrückständen bei Obst und Gemüse sorgen immer wieder für Diskussionen. Soll man Obst schälen, um Rückstände zu entfernen? Entfernt man damit nicht auch wertvolle Inhaltsstoffe? Obst enthält einen Großteil der sekundären Pflanzenstoffe in den Schalen. Deshalb sollte ein Apfel oder eine Birne mit der Schale verzehrt werden. Eventuelle Rückstände sollten durch Wa- Bei der Beurteilung der Rückstandssituation sind die Angaben des BVL sowie der Landesuntersuchungsämter hilfreich. Aus Sicht der Wissenschaft ist klar zu sagen, dass ein hoher Verzehr von Obst und Gemüse mit einem deutlich verringerten Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, bestimmten Krebsarten sowie weiteren Krankheiten einhergeht. Epidemiologische Daten sowie die Ergebnisse von Interventionsstudien am Menschen lassen eindeutig die Bewertung zu, dass eventuelle schädliche Wirkungen von Rückständen durch die nachweislich gesundheitsfördernden Wirkungen von Obst und Gemüse mehr als kompensiert werden.3 Neben der Belastung mit Pflanzenschutzmitteln wird auch der Nitratgehalt von Gemüse kritisch diskutiert. Wovon hängt die Nitratbelastung ab? Die Nitratbelastung hängt von der Nitratverfügbarkeit im Boden, vom Reifegrad der Pflanzen, klimatischen Bedingungen sowie von der Gemüseart ab. So ist in den lichtarmen Frühjahrs- und Herbstmonaten der Nitratgehalt in pflanzlichen Lebensmitteln höher als in den Sommermonaten. Außer der Lichtintensität und Belichtungsdauer sind Temperatur, Bodenfeuchte, Standort und Düngung ausschlaggebend. Welche Gemüse gehören zu den nitratreichen Sorten? Zunächst ist die Information wichtig, dass 50–75 % des Nitrats über Obst und Gemüse aufgenommen werden. Blattgemüse hat eindeutig den höchsten Nitratgehalt, wobei Rucola Spitzenreiter ist. Gemüse wie Spinat und Salat unterliegen bereits der EU-Verordnung zur Festlegung eines Nitrathöchstgehaltes. Nach Ansicht des Bundesinstituts für 3 s. auch DGE-Stellungnahme „ Objektive Darstellung der Rückstandsbelastung von Obst und Gemüse“ http://www. dge.de/pdf/ws/Stellungnahme-Rueckstaende-OuG-200708-28.pdf Ernährungs Umschau | 6/09 B23 쑺 Aktuell | Ernährungslehre & Praxis gemüse können bis zu 50 % des Nitrats in das Kochwasser übergehen. Das Schälen von Kartoffeln verringert ebenfalls den Nitratgehalt. Wie bewahrt man Obst und Gemüse am besten auf? Da es sehr viele Abweichungen von der Norm gibt, sind allgemeine Rucola ist Spitzenreiter im Nitratgehalt unter den Gemüsen Empfehlungen nur eingeschränkt sinnvoll. Risikobewertung (BfR) spräche nichts Grundsätzlich ist für Gemüse eine Kühldagegen, aus Vorsorgegründen auch lagerung das beste sowie der schnelle für Nitrat in Rucola eine Höchstmenge Verbrauch innerhalb von 1–2 Tagen. Alzu etablieren4. Auch Wurzelgemüse wie lerdings gibt es kälteempfindliche GeRettich, Kohlrabi oder Rote Bete weisen müsearten wie Paprika, Zucchini, Gurhohe Nitratgehalte auf. Entscheidend ken und Tomaten, die besser bei Raumist jedoch auch der durchschnittliche temperatur gelagert werden sollten. Bei tägliche Verzehr dieser Gemüsearten. Obst muss zwischen nachreifenden und Im Juni 2008 hat ein Gremium der nicht nachreifenden Arten unterschieEFSA5 eine Abwägung der Risiken und den werden7. Eine Nachreifung ist nur der Nutzen einer Nitratexposition bei Raumtemperatur möglich. Reifes durch Gemüse vorgenommen. Sie Beerenobst sollte max. 1–2 Tage im kommt zu dem Schluss, dass es insge- Kühlschrank gelagert werden. Ethylen, samt unwahrscheinlich ist, dass die ge- das von manchen Obstarten während schätzten Nitratbelastungen durch Ge- der Lagerung gebildet wird, beschleumüse zu nennenswerten Gesundheitsri- nigt die Nachreifung anderer Arten bei siken führen.6 gemeinsamer Lagerung. Kann man das Nitrat entfernen? Das Waschen von Salatblättern kann den Nitratgehalt um 10–15 % verringern. Da Stängel und Blattrippen höhere Gehalte aufweisen, führt das Abtrennen dieser Teile auch zur Nitratreduktion. Beim Kochen von Wurzel- 4 http://www.bfr.bund.de/cm/208/nitrat_in_rucola.pdf CONTAM: Gremium für Kontaminanten in der Lebensmittelkette 6 Nitrat in Gemüse - Gutachten des Wissenschaftlichen Gremiums für Kontaminanten in der Lebensmittelkette. http://www.efsa.europa.eu/EFSA/efsa_locale1178620753824_1178712852460.htm 7 Eine Tabelle über kälteempfindliches Obst und Gemüse sowie kühlschrankverträgliches Obst und Gemüse ist unter http://www.was-wiressen.de/download/kaelte_obst_gemuese.pdf zu finden. 8 s. Bognár A (1995) Vitaminverluste bei der Lagerung und Zubereitung von Lebensmitteln. Ernährung/Nutrition 19: 411-416 9 s. auch Watzl B (2008) Smoothies – Wellness aus der Flasche? Ernährungs Umschau 55: 352-353 gensatz zu Vitaminen sind bis auf wenige Ausnahmen sekundäre Pflanzenstoffe nicht empfindlich gegenüber Luft (d. h. Sauerstoff) und Licht. Viel bedeutender ist das Entfernen von Randschichten, da viele dieser Stoffe vorwiegend in den Schalenbereichen vorhanden sind. Was weiß man über die Verfügbarkeit von sekundären Pflanzenstoffen? β -Carotin z. B. wird aus rohen, ungekochten Möhren bekanntlich kaum absorbiert. Die Verfügbarkeit der SPS ist je nach Stoffgruppe sowie innerhalb der einzelnen Stoffgruppen stark verschieden. Carotinoide werden aus rohen Karotten nur in einem geringen Umfang aufgenommen (unter 3 %). Durch mechanische Zerkleinerung, Erhitzen und Zugabe von Fett kann die Verfügbarkeit auf über 50 % erhöht werden. Auch der rote Farbstoff der Tomate, das Lykopin, wird aus rohen Tomaten nur in geringem Umfang aufgenommen. Durch Erhitzen und Fettzugabe wird die Verfügbarkeit hier ebenfalls erhöht. Bei den Flavonoiden weisen die Anthocyane eine sehr geringe Verfügbarkeit auf, während Flavonole und Flavanole relativ gut verfügbar sind. Somit sind allgemeine Aussagen nicht möglich. Wie lange bleiben Obst und Gemüse frisch, d. h. der Vitamin- und Mineralstoffgehalt erhalten? Warum gibt es noch keine Empfehlungen für die Zufuhr von sekundären Pflanzenstoffen? Der Mineralstoffgehalt bleibt natürlich während der Lagerung unverändert. Im Gegensatz dazu kann der Vitamingehalt sehr schnell abnehmen. Solange jedoch Gemüse und Obst frisch aussieht und gut schmeckt, ist die ernährungsphysiologische Qualität auch hoch.8 Bisher fehlen klare Kriterien als Basis für Zufuhrempfehlungen. In erster Linie sind dies Informationen zum Wirkmechanismus beim Menschen, Dosis-Wirkungs-Beziehungen, relevanten funktionellen Endpunkten sowie zu Wechselwirkungen mit anderen Nährstoffen. Gehen bei der Lagerung auch sekundäre Pflanzenstoffe (SPS) verloren? Können Fruchtsäfte, Smoothies oder Präparate mit Konzentraten von Obst und Gemüse frisches Obst und Gemüse ersetzen? 5 Der Gehalt wertgebender Inhaltsstoffe wie Ballaststoffe und die meisten sekundären Pflanzenstoffe ändert sich während der Lagerung kaum. So zeigten z. B. Carotinoide und Flavonoide während der Lagerung stabile Konzentrationen. Empfindlich sind bestimmte Monoterpene, z. B. in Kräutern. Im Ge- Nein, all diese Produkte liefern nicht das komplette Spektrum der Inhaltsstoffe aus Obst und Gemüse. Säfte und Smoothies können jedoch eine Portion Obst oder Gemüse ersetzen – nur sollte dies nicht jeden Tag geschehen9. „Ernährungslehre und -praxis“, ein Bestandteil der „Ernährungs Umschau“. Verlag: UMSCHAU ZEITSCHRIFTENVERLAG GmbH, Sulzbach/Ts. Zusammenstellung und Bearbeitung: Dr. Eva Leschik-Bonnet, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Dr. Udo Maid-Kohnert, mpm Fachmedien (verantwortlich). B24 Ernährungs Umschau | 6/09 ● ●