M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT Klaus Schmidtke1 Michael Strupp2 Roland Brüning3 Michael Reinhardt4 Transiente globale Amnesie Klinik und Pathophysiologie ZUSAMMENFASSUNG Die transiente globale Amnesie ist eine eindrucksvolle, ätiologisch bisher ungeklärte Funktionsstörung des Gehirns. Sie manifestiert sich als plötzlich einsetzender, mehrere Stunden anhaltender und sich dann wieder zurückbildender Ausfall des Neugedächtnisses, begleitet von unterschiedlich ausgeprägten reversiblen Altgedächtnisstörungen. Obwohl gutartig und selbstlimitierend, ist das akute Krankheitsbild für die Betroffenen und ihre Angehörigen in hohem Maße beunru- higend. Dieser Beitrag beschreibt Klinik und Differentialdiagnose der transienten globalen Amnesie und stellt die derzeitigen pathophysiologischen Hypothesen vor dem Hintergrund neuer Befunde mit bildgebenden Verfahren dar. Schlüsselwörter: Transiente globale Amnesie, Gedächtnis, zerebrale Perfusion, diffusionsgewichtete Magnetresonanztomographie, Migräne Transient Global Amnesia Transient global amnesia represents an impressive cerebral dysfunction of unknown aetiology. It presents as a sudden failure of anterograde and retrograde memory, which lasts for several hours and subsides gradually. Although benign in nature, the acute condition is highly alarming for patients and relatives. This article reviews clinical presenta- tion and differential diagnosis of transient global amnesia, and discusses pathophysiological hypotheses with special reference to recent neuroimaging findings. Key words: Transient global amnesia, memory, cerebral perfusion, diffusion weighted magnetic resonance imaging, migraine D ie transiente globale Amnesie (TGA), auch amnestische Episode genannt, gehört zu den eindrucksvollsten neurologischen Syndromen. Ihre Ätiologie und Pathophysiologie sind bisher nicht geklärt. Leitsymptom ist die akut einsetzende Störung des deklarativen Neugedächtnisses (anterograde Amnesie), das heißt die Patienten sind nicht in der Lage, neue Gedächtnisinhalte zu speichern. Sie sind deshalb zur Zeit und zur Situation oft nicht, zur Person jedoch immer orientiert. Sie sind bewußtseinsklar, nicht vigilanzgemindert und normal kontaktfähig. Ihrer Umgebung fallen die Betroffenen oft dadurch auf, daß sie immer wieder die gleichen Fragen stellen, ohne sich an die Antworten erinnern zu können. Handlungen und Ereignisse, wie zum Beispiel eine Fahrt ins Krankenhaus oder ärztliche Untersuchungen, sind nach weniger als einer Minute vergessen. Parallel dazu besteht eine Störung des Abrufes von alten, vor der TGA erworbenen Gedächtnisinhalten (retrograde Amnesie oder Altgedächtnisstörung). Dies betrifft vor allem Ereignisse aus der jüngeren Vergangenheit, zum Beispiel Reisen oder Besuche. Die retrograde Amnesie führt auch zur Desorien- tierung, da die Betroffenen die Ereignisse der vorausgehenden Stunden und Tage nicht rekonstruieren können. Zuweilen zeigen sie sich über einen scheinbar neuen Gegenstand oder eine Umstellung von Möbeln in ihrer Wohnung überrascht. Die zeitliche Ausdehnung der retrograden Amnesie ist variabel; ihr Ausprägungsgrad nimmt für weiter zurückliegende Ereignisse ab. Sehr alte Erinnerungen sowie Faktenwissen über das eigene und das öffentliche Leben bleiben immer intakt. Der körperlich-neurologische Befund ist während der TGA in aller Regel normal. Manchmal kommt es zu begleitenden vegetativen Symptomen, zum Beispiel leichten Kopfschmerzen oder Übelkeit. Manche Patienten wirken ängstlich, konsterniert oder unruhig, andere ungewöhnlich ruhig und 1 Neurologische Universitätsklinik (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. h. c. C. H. Lücking), Freiburg 2 Neurologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. Th. Brandt, FRCP) der Ludwig-Maximilians-Universität, München 3 Radiologische Klinik (Direktor: Prof. Dr. med. M. Reiser) der Ludwig-Maximilians-Universität, München 4 Abteilung Nuklearmedizin (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. E. Moser) des Universitätsklinikums Freiburg A-2602 (58) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 41, 15. Oktober 1999 SUMMARY antriebsarm. Einzelne klagen über ein leichtes Benommenheitsgefühl. Andere kognitive Leistungen, wie zum Beispiel Sprache oder Denkvermögen, sind während der TGA normal. Auch das Kurzzeitgedächtnis ist, wie bei anderen Formen der Amnesie, ungestört, das heißt die Patienten können bildliche und sprachliche Eindrücke für einige Sekunden im Bewußtsein halten. Etwa die Hälfte der TGA-Episoden tritt anscheinend spontan auf. In den übrigen Fällen gehen bestimmte Situationen voraus, die als Auslöser angesehen werden. Dies sind körperliche Anstrengungen, zum Beispiel Joggen oder Skilanglauf; Schmerzen, emotionale Belastungen, zum Beispiel Streitigkeiten oder Trauer, aber auch Eintauchen in kaltes oder warmes Wasser und Geschlechtsverkehr. Die TGA klingt über Stunden allmählich ab. Ihre Dauer beträgt meist ein bis acht, im Durchschnitt etwa fünf Stunden, die Schwankungsbreite liegt zwischen ein und 24 Stunden. Die Betroffenen können in der Phase des Abklingens Gesprächsinhalte zuerst bruchstückhaft und dann immer deutlicher speichern. Parallel dazu bildet sich die retrograde Amnesie zurück. Tritt die TGA am Nachmittag oder Abend M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT ein, so ist sie nach dem Nachtschlaf in der Regel abgeklungen. Für den Zeitraum, in dem die TGA voll ausgeprägt war, sowie für einen kurzen vorausgehenden Abschnitt im Bereich von etwa 20 Minuten verbleibt eine dauerhafte amnestische Lücke. Darüber hinaus treten keine bleibenden Ausfälle auf. Eine geringe, überdauernde Minderung der Gedächtnisleistung wurde von einzelnen Autoren vermutet (10), ist jedoch nicht gesichert. Wegen der spontanen und vollständigen Rückbildung der Symptomatik besteht keine Notwendigkeit einer Therapie. Bis zum Abklingen der Symptomatik empfiehlt sich eine Beobachtung des Patienten, zum Beispiel durch Angehörige. Am folgenden Tag sollte eine Nachuntersuchung erfolgen und der Patient über die gutartige Natur der Erkrankung aufgeklärt werden. Darüber hinaus ergeben sich keine weiteren Konsequenzen. Maßnahmen zur Rezidivprophylaxe sind nicht bekannt. Die TGA ist eine Erkrankung der zweiten Lebenshälfte. Der Altersgipfel liegt in der sechsten Dekade; nur wenige Fälle treten vor dem 40. Lebensjahr auf. Eine Geschlechtsdisposition besteht nicht. Die geschätzte Inzidenz für eine erste TGA beträgt für die Gesamtbevölkerung zirka fünf pro 100 000; für die über 50jährigen ist sie entsprechend höher (13). Zur Frage der Rezidivrate liegen nur ungenügende prospektive Daten vor; sie liegt vermutlich bei etwa drei Prozent pro Jahr. Für die Mehrheit bleibt die TGA damit ein einmaliges Ereignis. Tabelle 1 führt beispielhaft einige demographische und klinische Merkmale von 57 Patienten einer eigenen Fallserie auf. Diese Patienten wurden während oder unmittelbar nach der TGA-Episode untersucht (23). Tabelle 1 Demographische und klinische Merkmale in einer Serie von 57 TGA-Fällen (23) mittleres Alter 60,6 Jahre (Spanne 34–78) Geschlechtsverhältnis m : w 25 : 32 vorausgegangene TGA 12 Prozent identifizierbarer Auslöser 51 Prozent mittlere Dauer der TGA 5,4 Stunden (Spanne 1–24) leichte Übelkeit 23 Prozent leichter Kopfschmerz 23 Prozent Benommenheitsgefühl 18 Prozent andere vegetative Symptome* 23 Prozent * Schwitzen, Tachykardie, Hitzegefühl, Blässe, Diarrhöe, Polyurie Tabelle 2 Differentialdiagnose akut einsetzender Gedächtnisstörungen Erkrankung Merkmale Transiente Globale Amnesie komplette anterograde Amnesie, Bewußtseinsklarheit, retrograde Amnesie vor allem für jüngere Ereignisse Commotio cerebri aktuelle oder vorausgegangene Benommenheit, Prellmarken am Kopf, Erbrechen, andere Hinweise für Trauma Intoxikation Hinweise für Einnahme von Drogen oder Medikamenten, vor allem Benzodiazepine, Somnolenz oder Verwirrtheit, β-EEG, gegebenenfalls toxikologisches Screening Komplex-partielle Anfälle Aura, begleitende Bewußtseinsstörung oder Verhaltensauffälligkeit, Fehlen von repetitiven Fragen, kurze Dauer und wiederholtes Auftreten der Episoden (2, 12, 17, 20) Initialstadium einer Herpesenzephalitis subakutes Einsetzen, Fieber, gegebenenfalls Sprachstörung, Verwirrtheit und weitere neurologische Symptome, pathologischer MRT-, EEG- und Liquorbefund Blutung/Ischämie/Thrombose im Bereich von Thalamus oder Hippocampus Verwirrtheit, Somnolenz, andere neurologische oder kognitive Defizite (zum Beispiel Hemianopsie, Wortfindungsstörung, Lesestörung, sensomotorische Defizite) (19) Psychogene Amnesie vor allem bei jüngeren Personen nach emotionalem Trauma, ganz vorwiegend oder allein retrograde Amnesie, Desorientierung zur Person oder zu biographischem Basiswissen, scheinbare emotionale Indifferenz Diagnose Die Diagnose kann sowohl im Akutstadium als auch danach anhand der unten genannten Kriterien rein klinisch gestellt werden. Sie stützt sich auf die neurologische und orientierende neuropsychologische Untersuchung sowie auf den Ausschluß in Frage kommender Differentialdiagnosen (Tabelle 2). Nach Caplan (4) sowie Hodges und Warlow (11) werden zur Annahme einer TGA folgende Kriterien gefordert: Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 41, 15. Oktober 1999 (59) A-2603 M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT Bezeugung der Symptomatik durch eine dritte Person, akut beginnende und ausgeprägte Neugedächtnisstörung, Rückbildung binnen 24 Stunden sowie Ausschluß von neurologischen Herdzeichen, zusätzlichen kognitiven Defiziten, Bewußtseinstrübung, Desorientierung zur Person, vorausgehendem Trauma und Epilepsie. Zur Prüfung der anterograden Amnesie im Rahmen einer orientierenden Untersuchung nennt man dem Patienten zum Beispiel sechs Wörter und zeigt zusätzlich sechs Gegenstände. Nach etwa fünf Minuten werden Wörter und Gegenstände wieder vorgegeben, jeweils vermischt mit mindestens ebensovielen „Ablenkern“, aus denen sie herausgesucht werden sollen. Zusätzlich kann man zum Beispiel die Uhr des Patienten vor seinen Augen verbergen und Minuten später nach ihrem Verbleib fragen. Die retrograde Amnesie sollte durch Fragen nach öffentlichen und privaten Ereignissen der letzten Monate und Jahre untersucht werden. Zum Ausschluß einer Sprachstörung muß das Benennen von Objekten (Beispiel: Einzelteile einer Uhr oder eines Kugelschreibers) und das Verstehen verbaler Anweisungen geprüft werden. Klinische Symptome, die über eine Störung der Gedächtnisfunktion und leichte vegetative Beschwerden hinausgehen, sprechen gegen eine TGA. Hierzu zählen insbesondere auch starke Kopfschmerzen, Erbrechen, Verwirrtheit sowie eine inkomplette Rückbildung bis zum folgenden Tag. Die Differentialdiagnose der TGA umfaßt verschiedene Erkrankungen, die sich durch eine akut einsetzende Gedächtnisstörung manifestieren können (Tabelle 2). Unter anderem ist zu beachten, daß sich zerebrale Insulte durch eine (länger anhaltende) Amnesie manifestieren können, wenn der anteriore Thalamus oder das temporomediale Versorgungsgebiet der Arteria cerebri posterior links betroffen sind (19). Bei der Untersuchung sollte daher auf Begleitsymptome wie einen möglichen Gesichtsfeldausfall, zum Beispiel in Form einer Quadrantenanopsie und auf eine Lesestörung geachtet werden. Eine andere Form der symptomatischen transienten Amnesie tritt als Komplikation bei zerebraler Angiographie auf. Dies gilt besonders für Vertebralisangiographien, was wahrschein- lich auf der Versorgung des hinteren Abschnitts des Hippocampus aus der Arteria cerebri posterior beruht. Als Mechanismen dieser Form der TGA werden Embolien durch abgelöste arteriosklerotische Plaques, Luftbläschen oder kleine Gerinnsel, Ischämien durch den Katheder, Vasospasmen sowie toxische Kontrastmittelwirkungen postuliert. In einem Fall wurden in der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomographie (MRT) multiple, wahrscheinlich embolisch-ischämische Areale im hinteren Stromgebiet beobachtet, die sich später komplett zurückbildeten (27). Ein Schädelcomputertomogramm (CCT) ist während und nach typisch verlaufender TGA nicht indiziert (3). Diese Einschätzung gilt unseres Erachtens trotz einzelner Berichte über passagere Amnesien bei fokalen zerebralen Läsionen (1, 19, 21). Auch für die Dopplersonographie besteht in der Regel keine Indikation. Das EEG kann bei klassischer TGA Theta- und Deltawellen in den temporalen Ableitungen aufweisen, ist aber in der Mehrzahl der Fälle unauffällig. Wenn nach Prüfung der diagnostischen Kriterien Zweifel verbleiben, stellt die zerebrale Bildgebung meist den ersten Schritt zu einer erweiterten Diagnostik dar. Pathophysiologie der TGA Zerebrale Perfusion In einer kleinen Zahl von Einzelfallberichten wurde über Veränderungen der Gehirndurchblutung berichtet, die sich während der Akutphase der TGA mit Hilfe der zerebralen SPECT nachweisen ließ. Zweimal wurde eine bilaterale temporale Hypoperfusion beschrieben (6, 24). Zwei Patienten, die im Rückbildungsstadium untersucht wurden, zeigten eine fleckförmige Hypoperfusion im Versorgungsgebiet der posterioren Hirnarterien (14, 26). Ein weiterer Fall zeigte eine globale Hypoperfusion sowie ein ausgeprägteres thalamisches Perfusionsdefizit, vor allem linksseitig (8). In einigen Fällen überdauerte die temporo-basale Hypoperfusion die Amnesie um bis zu einen Tag. Dies stimmt mit neuropsychologischen Untersuchungen überein, die A-2604 (60) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 41, 15. Oktober 1999 noch viele Stunden nach klinischer Remission ein Defizit des Neugedächtnisses fanden (7, 26). Bisher liegt nur ein ausführlicher Bericht über eine PETUntersuchung vor, die noch während einer voll ausgeprägten TGA-Episode durchgeführt wurde, allerdings erst elf Stunden nach ihrem Einsetzen (5). Es fand sich ein verminderter Sauerstoffverbrauch im linken lateralen Frontallappen. In anderen kortikalen Arealen wurden umschriebene, uneinheitliche und zum Teil nicht gleichsinnige Veränderungen von Sauerstoffverbrauch und Perfusion beobachtet. In einer eigenen Fallserie konnten wir sechs Patienten während der Akutphase der TGA mit der HMPAO-SPECT Methode untersuchen (22). Temporo-basal fanden sich in drei Fällen signifikante bilaterale Perfusionsminderungen, ein weiterer Patient zeigte in dieser Region eine einseitige Perfusionsminderung. Darüber hinaus war in allen Fällen – in unterschiedlicher regionärer Ausprägung – eine Hypoperfusion im Frontal-, Parietal- oder Okzipitallappen nachweisbar (Abbildung 1). Diffusionsgewichtete Magnetresonanztomographie In einer anderen Studie (25) untersuchten wir zehn Patienten mit der diffusionsgewichteten Magnetresonanztomographie (diffusion weighted imaging, DWI). Dieses bildgebende Verfahren erfaßt die freie Diffusion von Wassermolekülen im interstitiellen Raum. Eine relative Abnahme des interstitiellen Kompartiments, zum Beispiel infolge einer zytotoxischen Schwellung von Neuronen und Gliazellen, führt zur Minderung der Beweglichkeit freien Wassers, die sich in der Diffusionsgewichtung als umschriebene Signalintensitätsänderung darstellt. Das Verfahren ist unter anderem zur frühen Erfassung zerebraler Ischämien geeignet (15). Es ist jedoch auch für andere, reversible oder irreversible Funktionsstörungen von Neuronen und Gliazellen sensibel. Die Studie ergab drei wesentliche Befunde: 1 Sieben der zehn TGA-Patienten zeigten im DWI Signalveränderungen im linken medio-basalen Temporallappen, einschließlich des Hippocampus und des angrenzenden entorhinalen Kortex. M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT a b c Abbildung 1: Darstellung der zerebralen Perfusion von drei Patienten während einer TGA-Episode mit SPECT. a) Hypoperfusion des basalen und lateralen Temporallappens links. Ein umschriebener Perfusionsdefekt ist auch auf der Gegenseite erkennbar. b) Bilaterale, gering asymmetrische Hypoperfusion temporo-okzipital (linkes Schnittbild) und parietal (rechtes Schnittbild). c) linkes Schnittbild: Hypoperfusion temporal beidseits, geringer auch apikal und im Bereich der Basalganglien (links > rechts). Rechtes Schnittbild: normalisierte Perfusion bei Verlaufsuntersuchung nach vier Wochen (modifiziert nach 22). 1 Bei drei dieser sieben Patienten, die während oder wenige Stunden nach der TGA untersucht wurden, ließen sich in beiden mesialen Temporallappen Signalveränderungen nachweisen (Abbildung 2). 1 Bei Verlaufsuntersuchungen – einige Tage nach der TGA – fanden sich weder im DWI noch in den konventionellen MRT-Aufnahmen pathologische Veränderungen. Damit wurde erstmals gezeigt, daß sich mittels DWI Signalveränderungen bei der TGA nachweisen lassen, und zwar in gedächtnisrelevanten anatomischen Strukturen. Lokalisation der Störung Die oben genannten SPECT-Untersuchungen zeigen, daß im Akutstadium der TGA eine zerebrale Hypoperfusion besteht, die in der temporobasalen Region am stärksten ausgeprägt und teilweise bilateral ist. Dieses Muster wurde jedoch nicht in allen Fällen beobachtet, was möglicherweise darauf beruht, daß die Untersuchungen zu einem Zeitpunkt erfolgten, zu dem sich die Symptomatik bereits teilweise oder ganz zurückgebildet hatte. Der Nachweis von Perfusionsminderungen in anderen kortikalen und subkortikalen Regionen deutet darauf hin, daß nicht nur der Hippocampus betroffen ist. Ferner legen sowohl die Variabilität der SPECT-Befunde als auch das in PET-Studien gefundene, komplexe Muster regionärer Stoffwechsel- und Perfusionsanomalien nahe, daß der zugrundeliegende Prozeß in mehreren Phasen abläuft. Die bildgebenden Verfahren können jeweils nur eine Momentaufnahme geben. Die Lokalisation der im DWI beobachteten Verände- betroffenen Patienten gegenüber der Allgemeinbevölkerung mindestens um den Faktor 100 erhöht ist. Es muß also eine individuelle Disposition bestehen. Pathogenetische Theorien sollten die folgenden Aspekte der TGA erklären können: Umschriebenheit, Beidseitigkeit und Reversibilität der Störung. In der Literatur werden drei mögliche Mechanismen diskutiert: erstens eine Ischämie, zweitens ein Anfallsäquivalent im Sinne eines fokalen Anfalls, und drittens ein Migräneäquivalent beziehungsweise spreading deHypothesen zur pression. Die Annahme einer Ischämie Ätiopathogenese der Hippocampi oder der anterioren Die Symptomatik der TGA ist Thalami im Rahmen einer transitodurch eine bilaterale Funktionsstörung risch-ischämischen Attacke sowie die des hippocampalen Systems, das heißt Epilepsie-Hypothese werden weder der Hippocampusformation und den durch neuere epidemiologische Daten, vor- und nachgeschalteten Strukturen, noch durch den Verlauf der TGA geerklärbar. Der zugrundeliegende Pa- stützt (9, 11, 16, 17, 23, 28). Eine transithomechanismus ist bislang noch nicht ente Amnesie kann in seltenen Fällen geklärt. Die oben angeführte Schät- das einzige klinische Symptom eines zung zur Häufigkeit von TGA-Rezidi- komplex-partiellen Anfalls sein (12, ven zeigt, daß die Inzidenz bei einmal 20). Die „transiente epileptogene Amnesie“ ist jedoch keine Erklärung, sondern eine Differentialdiagnose der TGA. Aufgrund einer Reihe klinischer Parallelen wurde seit längerem ein Zusammenhang zwischen TGA und Migräne beziehungsweise der Migräneaura vermutet. Hierzu gehören die Auslösung durch äußere Faktoren, nur vorübergehende, meist Stunden anhaltende, reversible SymAbbildung 2: Diffusionsgewichtete MRT-Aufnahme bei einem Pati- ptome, ein gutartiger Verlauf enten während einer TGA-Episode. Es zeigt sich eine Signalhyper- und rezidivierendes Auftreintensität in beiden Temporallappen, vorwiegend mesial (a). Bei ten. Fall-Kontroll-Studien hader Kontrolluntersuchung zwei Wochen später finden sich in der ben gezeigt, daß die Prävalenz diffusionsgewichteten MRT-Aufnahme (b) – ebenso wie in den kon- der Migräne bei TGA-Patienventionellen MRT-Aufnahmen – keine pathologischen Signalver- ten signifikant erhöht ist (11, änderungen (modifiziert nach 25). 16, 23). Gegen eine Interprerungen im mesialen Temporallappen stimmt mit dem Schwerpunkt der in der SPECT gefundenen Perfusionsminderungen überein. Aus dem Fehlen von Diffusionsstörungen im Neokortex läßt sich schließen, daß die dort in der SPECT beobachteten Perfusionsminderungen sekundärer Natur sind, zum Beispiel Folge einer verminderten Afferenz von Hippocampus und Thalamus (Diaschisis-Phänomen). Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 41, 15. Oktober 1999 (61) A-2605 M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT/FÜR SIE REFERIERT tation der TGA als Migräneäquivalent spricht allerdings, daß trotz der nachgewiesenen Assoziation nur eine Minderheit der TGA-Patienten unter Migräne leidet, und daß TGA und Migräne sich in unterschiedlichen Altersstufen manifestieren. Es wurde jedoch postuliert, daß beide Erkrankungen auf einem gemeinsamen Pathomechanismus beruhen, nämlich der spreading depression (18). Bei diesem aus Tierexperimenten seit langem bekannten Phänomen breitet sich eine Depolarisationsfront mit einer Geschwindigkeit von zirka drei Millimetern pro Minute über den Kortex aus. Dies führt unter normoxischen Bedingungen zu einem vorübergehenden Funktionsausfall des betroffenen Areals. Spreading depression bedingt aufgrund von Elektrolytverschiebungen eine Schwellung von Neuronen und Gliazellen, und damit eine Schrumpfung des Interstitiums. Als möglicher Trigger hierfür wurde eine gesteigerte Freisetzung des exzitatorischen Neurotransmitters Glutamat diskutiert, zum Beispiel im Rahmen einer übermäßigen Stimulation der Hippocampi durch sensorische Stimuli, wie sie bei manchen der oben genannten TGAAuslöser gegeben sind. Die oben beschriebenen bildgebenden Befunde (SPECT: Hypo- und zum Teil Hyperperfusion, DWI: Schrumpfung des Interstitiums mit verminderter Diffusion von freiem Wasser) sind gut mit der Hypothese der spreading depression als Ursache der TGA vereinbar. Fortschritte in der Aufklärung des nach wie vor rätselhaften Krankheitsbildes der TGA sind von weiteren bildgebenden und elektrophysiologischen Untersuchungen zu erwarten. Zitierweise dieses Beitrags: Dt Ärztebl 1999; 96: A-2602–2606 [Heft 41] Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist. Anschrift für die Verfasser Priv.-Doz. Dr. med. Klaus Schmidtke Neurologische Universitätsklinik Breisacher Straße 64 · 79106 Freiburg Gastroösophagealer Reflux bei Diabetes Ein pathologischer Reflux findet sich bei den meisten Patienten mit Sodbrennen. Gezielte Untersuchungen über die Häufigkeit eines pathologischen Refluxes bei Patienten mit Diabetes mellitus liegen nur in beschränktem Umfange vor. Die Autoren untersuchten bei 50 insulinpflichtigen Diabetikern im Durchschnittsalter von 29,2 6 9,0 Jahren mit negativer Refluxanamnese mittels 24-Stunden-pHMetrie und Manometrie das Refluxverhalten und verglichen dieses mit einer gesunden Kontrollgruppe von 36 Patienten. Ein pathologischer Reflux ließ sich bei 28 Prozent der asymptomatischen Diabetiker nach- weisen. In der Regel lag bei diesen Patienten eine kardiovaskuläre autonome Neuropathie vor. Ob sich aus diesem Befund therapeutische Konsequenzen ergeben, lassen die Autoren offen, zumal im Rahmen der diabetischen Polyneuropathie Refluxsymptome möglicherweise seltener perzipiert werden als bei Patienten ohne Neuropathie. w Lluch I, Ascaso JF, Mora F, Minguez M, Hernandez A, Benages A: Gastroesophageal reflux in diabetes mellitus. Am J Gastroenterol 99; 94: 919–924. Departments of Gastroenterology and Endocrinology, Departamento de Medicina, Universidad de Valencia, Blasco Ibanez 15, 46010 Valencia, Spanien. Prophylaktische Schädelbestrahlung beim kleinzelligen Bronchialkarzinom vorteilhaft Eine Metaanalyse von sieben Studien mit insgesamt 987 Patienten zeigt, daß eine prophylaktische Bestrahlung des Schädels bei Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom in kompletter Remission die Langzeitprognose verbessert. Durch die Strahlentherapie ließ sich sowohl die Rate an Hirnfiliae reduzieren (relatives Risiko 0,46), das krankheitsfreie Überleben verlängern (relatives Risiko 0,75) als auch die Gesamtüberlebensrate steigern (20,7 Prozent versus 15,3 Prozent nach drei Jah- ren). Höhere Strahlendosen wiesen gegenüber niedrigen Dosierungen Vorteile hinsichtlich der Inzidenz von Hirnfiliae auf, die Gesamtüberlebensrate wurde hiervon nicht berührt. Ebenso zeigten sich Vorteile für einen frühzeitigen Beginn der Strahlentherapie. acc Auperin A et al.: Prophylactic cranial irradiation for patients with small-cell lung cancer in complete remission. N Eng J Med 1999; 341: 476–484. Dr. Pignon, Department of Biostatistics and Epidemiology, Institut Gustave-Roussy, 94805 Villejuif CEDEX, Frankreich. Gewichtsreduktion bessert Refluxsymptomatik Bei Patienten, die über Sodbrennen klagen steht die Gewichtsreduktion als allgemeine Maßnahme im Vordergrund, da bis zu 70 Prozent der Refluxkranken übergewichtig sind. Die Autoren führten eine prospektive Studie bei 34 Patienten durch, deren body mass index (BMI) größer als 23 war und die für mindestens sechs Monate Refluxsymptome boten. Diese wurden nach einem modifizierten DeMeesterFragebogen erfaßt. Die Patienten sollten während der sechsmonatigen Meßperiode Gewicht reduzieren und keine Medikamente zur symptomatischen Therapie einnehmen. 27 Patienten (80 Prozent) nahmen durchschnittlich 4 kg ab. Dies führte zu einer Abnahme auf der initialen Beschwerdeskala um 75 Prozent, bei neun Patienten ver- A-2606 (62) Deutsches Ärzteblatt 96, Heft 41, 15. Oktober 1999 schwanden die Symptome vollständig. Drei Patienten nahmen weiter an Gewicht zu und boten auch eine Verschlechterung ihrer Symptome. Es bestand eine direkte Korrelation zwischen Gewichtsverlust und den Symptomen. Die Autoren kommen zu dem Schluß, daß sich der Rat an übergewichtige Refluxkranke, Gewicht abzunehmen, lohnt und die Wirkung dieser Maßnahme sich auch wissenschaftlich belegen läßt. w Fraser-Moodie CA, Norton B, Gornall C, Magnago S, Weale AR, Holmes, GKT: Weight loss has an independent beneficial effect on symptoms of gastro-oesophageal reflux in patients who are overweight. Scand J Gastroenterol 1999; 34: 337–340. Derbyshire Royal Infirmary, London Road, Derby DE1 2QY, Großbritannien.