w Religionen Welt der Die Frage nach Leben und Tod im Buddhismus Der interreligiöse Dialog beginnt zunächst nicht mit der Frage nach Gott. Es ist eher die Frage nach dem Höhe- und Endpunkt des menschlichen Lebens, welche die religiöse Suche aufbrechen lässt. Die Gretchenfragen „Wie hast du’s mit der Religion?” und „Wie hast du’s mit dem Tod?” sind ziemlich deckungsgleich. Teil 3 BEITRAG_MICHAEL FUSS F ür den Buddhismus sind Tod und Leben verschiedene Perspektiven der gleichen Existenz. Tod ist der Ernstfall des Lebens. Ausgehend von dem Merksatz, „Was geboren wird, muss auch sterben,” ergibt sich für den Buddha das konkrete Leben nicht so sehr als eine lineare Entwicklung von Geburt zum Tod, sondern als eine Kette von unzähligen Ein­zelmomenten, die jeweils entstehen und vergehen. Aufmerksamkeit auf diese Existenz im „So” und „Jetzt” ist darum Kern des buddhistischen Erlö­sungs­weges. Dieser besteht in einem entschiedenen Aufgeben des menschlichen Egos, welches wie eine Krake alle Dinge auf sich bezieht und dem eigenen Willen unterwirft, um sich der Illusion seiner eigenen Macht hinzugeben. Der Weg der Reinigung Der Mönch Buddhaghosa hat im 5. Jahrhundert das Kompendium „Weg der Reinigung” verfasst, das noch immer ein Handbuch für den Weg der persönlichen Heiligung ist. Hier wird das schrittweise Leerwerden positiv mit dem Bemühen um Reinheit und dem Aufgeben aller das Ich versklavenden Abhängigkeiten gedeutet. Es wird deutlich, dass Buddhismus keine nihilistische und pessimistische Weltsicht predigt, wohl aber die entschiedene Abkehr von Illusionen über das eigene Selbst. Er vertritt keine Selbsterlösung, sondern ein völliges Loslassen von jeglichem Selbstbesitz und dualistischer Weltsicht. missiothek 1101 Die Religionswissenschaft drückt diese Befindlichkeit in den Worten von Rudolf Otto mit dem Kreaturgefühl aus. Wenn auch der Buddha über eine Existenz Gottes schweigt und folgerichtig, entsprechend der zyklischen Zeitvorstellung Indiens, keinen Schöpfer oder ersten Anfang annimmt, beginnt seine Botschaft doch mit der radikalen Kontingenzerfahrung des Menschen. Dieser kann sein Leben nicht aus eigener Kraft machen, sondern ist ganz im Sinne der existentialistischen Philosophie „ins Leben geworfen”. Buddhismus versteht sich daher nicht als Offenbarung Gottes, wohl aber als Offenlegung einer Grundwirklichkeit des Universums, mit der ein jeder in Leid und Tod konfrontiert ist. Wo für Christen das Symbol der Asche sowohl das Verwehen des Lebens, aber auch die frohe Botschaft des ewigen Aufgehobenseins in Gott ausdrückt, spricht der Buddhismus von dem radikalen „Nichts” menschlicher Möglichkeiten, welches zugleich Nirvana, d.h. Erlösung, bedeutet. Das „Kreaturgefühl“ verbindet Buddhisten und Christen in der bewussten Erfahrung von menschlicher Abhängigkeit und Machtlosigkeit, und trennt sie im Blick auf das Heil. Für viele westliche Suchende hat inzwischen das „Tibetische Totenbuch“ das klassische Hausbuch der Nachfolge Christi als Anleitung zum spirituellen Leben abgelöst. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, wieder neu eine christliche Lebens- und Sterbebegleitung einzuüben, die in eine vertrauende Hoffnung führt. Das Christentum sieht das menschliche Leben nicht als privaten Besitz, sondern in seiner Bezogenheit auf die Mitmenschen und auf Gott. In dieser Perspektive wird die Einmaligkeit des Lebens als „Berufung“ (Gaudium et spes) verstanden. Dieses unmittelbare Angerufensein durch das schöpferische Gotteswort ist eine Antwort auf die buddhistische Frage nach dem „Ort“ des Menschen, die heute vor allem in der Philosophie der Kyoto-Schule eine große Bedeutung erlangt hat. Wo lebt der Mensch, wenn nicht in einer alles durchströmenden Liebe, die selbst durch die Endgültigkeit des Todes hindurch trägt? Fernab von jeder materiellen Vorstellung – und daher einer Vergänglichkeit – der Schöpfung wird der tragende Grund des Lebens im geschichtlichen Ereignis des „Gott mit uns“ erkannt. Leben in dialogischer Struktur Der einmalige Wert der menschlichen Person, die personale Gegenwart Gottes und das Liebesgeschehen im gegenseitigen Vertrauen (Joh 10,14) enthüllen für Christen das Geheimnis des Lebens in seiner dialogischen Struktur. Christliche Erwartung des ewigen Lebens meint darum nicht die Selbstvollendung einer isolierten Monade, sondern eine „dialogische Unsterblichkeit“ des ganzen Menschen in der Fülle göttlicher Liebe, die den Tod überdauert. Der w Religionen_17 Mensch kann seine Vollendung nicht selbst machen, sondern nur als Geschenk empfangen. Dabei kommt es nicht auf eigene Leistung (karma) an, sondern auf die erbarmende Vergebung Gottes. Dagegen kennt der klassische Buddhismus, im Gegensatz zum Hinduismus, kein Fortleben einer individuellen körperlich-psychischen Einheit oder einer „Seele“. Als Konsequenz der Lehre vom Nicht-ich (anatman) sind es einzelne Faktoren der Bewusstseinszustände, die so lange fortdauern, wie sich in ihnen ein Verlangen („Durst”) oder ein Wirken (karma) befinden. Aus der Tatsache, dass in jedem Körper ständig eine Vielzahl von Zellen abstirbt und sich erneuert bei gleichzeitiger Kontinuität der Körper- oder Bewusstseinsfunktionen, ergibt sich die Ansicht von einer nur vordergründig fortdauernden Individualität, der aber kein eigenständiges Wesen entspricht. Auch sollte der moralische Unterton der Wiederverkörperungslehre nicht übersehen werden. Es geht primär nicht um die Tatsache einer Selbstvervollkommnung auf der sanften Welle der Reinkarnationen, sondern um die moralische Aufforderung, den unendlichen Kreislauf der Ursachenkette mit seinen negativen Konsequenzen anzuhalten. Andererseits durchbricht diese Lehre jeden Fatalismus. Zwar lassen sich die Bedingungen des Gegenwärtigen aus früheren Verstrickungen erklären, aber in jedem einzelnen Moment ist der Mensch frei, seine Verantwortung für die Zukunft des Kosmos im Geist des liebenden Mitgefühls recht zu gebrauchen. Joseph Ratzinger* erinnerte in seiner „Eschatologie“ (Regensburg 1977, Seite 155) an die buddhistische Figur des Bodhisattva, der erst die Schwelle zur Erlösung überschreitet, wenn alle anderen Lebewesen auch dazu bereit sind, und sieht in Christus “den wahren Bodhisattva, in dem der Traum Asiens wahr wurde.” < * (Eschatologie, Regensburg 1977, 155) FACTBOX UNTERSCHIEDE CHRISTENTUMKI FACTBOX UNTERSCHIEDE BUDDHISMUSI • Offenbarung des Schöpfers, von dem sich der Mensch getragen erfährt. • Das Leben ist linear von der Geburt bis zum Tod/Ewigen Leben. • Vollendung gibt es durch die erbarmende Vergebung als Gnade Gottes. • Leben ist Bezogenheit auf Gott – wir sollen für Andere da sein. • Erfahrung des Kreatürlichen ohne Kenntnis des Schöpfers. • Das Leben im Jetzt mit Tod und Leben bis zum Vergangensein. • Vollendung gibt es nur durch eigene Leistung (karma). • Leben ist Aufgeben der versklavenden Abhängigkeiten. Fotos: Ernst Zerche, istockphotos 16_Welt der MISSIOTHEK.AT • Exklusiv online: Sie finden diesen Artikel auch als PDF online: Ausdrucken und in der Klasse gemeinsam lesen! missiothek 1101 w Religionen Welt der Die Frage nach Leben und Tod im Buddhismus Der interreligiöse Dialog beginnt zunächst nicht mit der Frage nach Gott. Es ist eher die Frage nach dem Höhe- und Endpunkt des menschlichen Lebens, welche die religiöse Suche aufbrechen lässt. Die Gretchenfragen „Wie hast du’s mit der Religion?” und „Wie hast du’s mit dem Tod?” sind ziemlich deckungsgleich. Teil 3 BEITRAG_MICHAEL FUSS F ür den Buddhismus sind Tod und Leben verschiedene Perspektiven der gleichen Existenz. Tod ist der Ernstfall des Lebens. Ausgehend von dem Merksatz, „Was geboren wird, muss auch sterben,” ergibt sich für den Buddha das konkrete Leben nicht so sehr als eine lineare Entwicklung von Geburt zum Tod, sondern als eine Kette von unzähligen Ein­zelmomenten, die jeweils entstehen und vergehen. Aufmerksamkeit auf diese Existenz im „So” und „Jetzt” ist darum Kern des buddhistischen Erlö­sungs­weges. Dieser besteht in einem entschiedenen Aufgeben des menschlichen Egos, welches wie eine Krake alle Dinge auf sich bezieht und dem eigenen Willen unterwirft, um sich der Illusion seiner eigenen Macht hinzugeben. Der Weg der Reinigung Der Mönch Buddhaghosa hat im 5. Jahrhundert das Kompendium „Weg der Reinigung” verfasst, das noch immer ein Handbuch für den Weg der persönlichen Heiligung ist. Hier wird das schrittweise Leerwerden positiv mit dem Bemühen um Reinheit und dem Aufgeben aller das Ich versklavenden Abhängigkeiten gedeutet. Es wird deutlich, dass Buddhismus keine nihilistische und pessimistische Weltsicht predigt, wohl aber die entschiedene Abkehr von Illusionen über das eigene Selbst. Er vertritt keine Selbsterlösung, sondern ein völliges Loslassen von jeglichem Selbstbesitz und dualistischer Weltsicht. missiothek 1101 Die Religionswissenschaft drückt diese Befindlichkeit in den Worten von Rudolf Otto mit dem Kreaturgefühl aus. Wenn auch der Buddha über eine Existenz Gottes schweigt und folgerichtig, entsprechend der zyklischen Zeitvorstellung Indiens, keinen Schöpfer oder ersten Anfang annimmt, beginnt seine Botschaft doch mit der radikalen Kontingenzerfahrung des Menschen. Dieser kann sein Leben nicht aus eigener Kraft machen, sondern ist ganz im Sinne der existentialistischen Philosophie „ins Leben geworfen”. Buddhismus versteht sich daher nicht als Offenbarung Gottes, wohl aber als Offenlegung einer Grundwirklichkeit des Universums, mit der ein jeder in Leid und Tod konfrontiert ist. Wo für Christen das Symbol der Asche sowohl das Verwehen des Lebens, aber auch die frohe Botschaft des ewigen Aufgehobenseins in Gott ausdrückt, spricht der Buddhismus von dem radikalen „Nichts” menschlicher Möglichkeiten, welches zugleich Nirvana, d.h. Erlösung, bedeutet. Das „Kreaturgefühl“ verbindet Buddhisten und Christen in der bewussten Erfahrung von menschlicher Abhängigkeit und Machtlosigkeit, und trennt sie im Blick auf das Heil. Für viele westliche Suchende hat inzwischen das „Tibetische Totenbuch“ das klassische Hausbuch der Nachfolge Christi als Anleitung zum spirituellen Leben abgelöst. Hier zeigt sich die Notwendigkeit, wieder neu eine christliche Lebens- und Sterbebegleitung einzuüben, die in eine vertrauende Hoffnung führt. Das Christentum sieht das menschliche Leben nicht als privaten Besitz, sondern in seiner Bezogenheit auf die Mitmenschen und auf Gott. In dieser Perspektive wird die Einmaligkeit des Lebens als „Berufung“ (Gaudium et spes) verstanden. Dieses unmittelbare Angerufensein durch das schöpferische Gotteswort ist eine Antwort auf die buddhistische Frage nach dem „Ort“ des Menschen, die heute vor allem in der Philosophie der Kyoto-Schule eine große Bedeutung erlangt hat. Wo lebt der Mensch, wenn nicht in einer alles durchströmenden Liebe, die selbst durch die Endgültigkeit des Todes hindurch trägt? Fernab von jeder materiellen Vorstellung – und daher einer Vergänglichkeit – der Schöpfung wird der tragende Grund des Lebens im geschichtlichen Ereignis des „Gott mit uns“ erkannt. Leben in dialogischer Struktur Der einmalige Wert der menschlichen Person, die personale Gegenwart Gottes und das Liebesgeschehen im gegenseitigen Vertrauen (Joh 10,14) enthüllen für Christen das Geheimnis des Lebens in seiner dialogischen Struktur. Christliche Erwartung des ewigen Lebens meint darum nicht die Selbstvollendung einer isolierten Monade, sondern eine „dialogische Unsterblichkeit“ des ganzen Menschen in der Fülle göttlicher Liebe, die den Tod überdauert. Der w Religionen_17 Mensch kann seine Vollendung nicht selbst machen, sondern nur als Geschenk empfangen. Dabei kommt es nicht auf eigene Leistung (karma) an, sondern auf die erbarmende Vergebung Gottes. Dagegen kennt der klassische Buddhismus, im Gegensatz zum Hinduismus, kein Fortleben einer individuellen körperlich-psychischen Einheit oder einer „Seele“. Als Konsequenz der Lehre vom Nicht-ich (anatman) sind es einzelne Faktoren der Bewusstseinszustände, die so lange fortdauern, wie sich in ihnen ein Verlangen („Durst”) oder ein Wirken (karma) befinden. Aus der Tatsache, dass in jedem Körper ständig eine Vielzahl von Zellen abstirbt und sich erneuert bei gleichzeitiger Kontinuität der Körper- oder Bewusstseinsfunktionen, ergibt sich die Ansicht von einer nur vordergründig fortdauernden Individualität, der aber kein eigenständiges Wesen entspricht. Auch sollte der moralische Unterton der Wiederverkörperungslehre nicht übersehen werden. Es geht primär nicht um die Tatsache einer Selbstvervollkommnung auf der sanften Welle der Reinkarnationen, sondern um die moralische Aufforderung, den unendlichen Kreislauf der Ursachenkette mit seinen negativen Konsequenzen anzuhalten. Andererseits durchbricht diese Lehre jeden Fatalismus. Zwar lassen sich die Bedingungen des Gegenwärtigen aus früheren Verstrickungen erklären, aber in jedem einzelnen Moment ist der Mensch frei, seine Verantwortung für die Zukunft des Kosmos im Geist des liebenden Mitgefühls recht zu gebrauchen. Joseph Ratzinger* erinnerte in seiner „Eschatologie“ (Regensburg 1977, Seite 155) an die buddhistische Figur des Bodhisattva, der erst die Schwelle zur Erlösung überschreitet, wenn alle anderen Lebewesen auch dazu bereit sind, und sieht in Christus “den wahren Bodhisattva, in dem der Traum Asiens wahr wurde.” < * (Eschatologie, Regensburg 1977, 155) FACTBOX UNTERSCHIEDE CHRISTENTUMKI FACTBOX UNTERSCHIEDE BUDDHISMUSI • Offenbarung des Schöpfers, von dem sich der Mensch getragen erfährt. • Das Leben ist linear von der Geburt bis zum Tod/Ewigen Leben. • Vollendung gibt es durch die erbarmende Vergebung als Gnade Gottes. • Leben ist Bezogenheit auf Gott – wir sollen für Andere da sein. • Erfahrung des Kreatürlichen ohne Kenntnis des Schöpfers. • Das Leben im Jetzt mit Tod und Leben bis zum Vergangensein. • Vollendung gibt es nur durch eigene Leistung (karma). • Leben ist Aufgeben der versklavenden Abhängigkeiten. Fotos: Ernst Zerche, istockphotos 16_Welt der MISSIOTHEK.AT • Exklusiv online: Sie finden diesen Artikel auch als PDF online: Ausdrucken und in der Klasse gemeinsam lesen! missiothek 1101