Stefan Reißmann ANORGANISCH-CHEMISCHES TUTORIUM WS 2000/2001 8. THERMODYNAMIK UND KINETIK 8.1. Zusammenfassung 8.1.1. Thermodynamik → → Lehre von den Energieänderungen im Verlaufe chemischer und physikalischer Vorgänge („Wärmelehre“) trifft Aussagen, ob eine Reaktion unter gegebenen Bedingungen freiwillig ablaufen kann; sagt aber nichts darüber aus, wie schnell Reaktionen ablaufen 8.1.1.1. Systeme und ihre innere Energie System: (willkürlich) abgegrenzter Bereich der Wirklichkeit, der im Mittelpunkt der Betrachtung steht Umwelt: Welt außerhalb des Systems Innere Energie U eines Systems: = Summe der Energie aller möglichen Formen in diesem System - Die tatsächliche Größe von U ist weder bekannt noch bestimmbar, weswegen sich die Thermodynamik auch nur mit den Änderungen der inneren Energie befaßt, denn diese sind meßbar. - Die innere Energie eines Systems hängt nur von dessen Zustand ab, nicht jedoch von dem Weg, auf dem er erreicht wird. Sie ist folglich eine Zustandsfunktion. Der Zustand eines Systems kann durch Angabe der Zustandsgrößen - wie T, p, Zusammensetzung – erfaßt werden. Mit Umgebung Austausch von → Materie: → Energie: SYSTEME geschlossen + offen + + abgeschlossen - 8.1.1.2. Die Hauptsätze der Thermodynamik DER NULLTE HAUPTSATZ Wenn sich zwei Systeme A und B mit einem dritten System K im thermodynamischen Gleichgewicht befinden, so stehen A und B auch untereinander im thermodynamischen Gleichgewicht. DER ERSTE HAUPTSATZ Energie kann von einer Form in eine andere umgewandelt werden; sie kann aber werden erzeugt noch vernichtet werden. = Gesetz der Erhaltung der Energie → gilt für abgeschlossene Systeme ΣE = konstant ∆U = Q + W (in abgeschlossenen Systemen) ( Q=Wärme, die System aufnimmt; W=Arbeit, die am System verrichtet wird) ∆U > 0 ⇒ System nimmt Energie auf ∆U < 0 ⇒ System gibt Energie ab Volumenarbeit: WV = -p*∆V Reaktionsenthalpie: ∆H = Q = ∆U – W ∆H = ∆U + p*∆V Enthalpie H: = „Wärmetönung“, „Wärmeinhalt“ H = U + p*V → thermodynamische Zustandsfunktion — VIII : 1/4 — Stefan Reißmann ANORGANISCH-CHEMISCHES TUTORIUM WS 2000/2001 DER ZWEITE HAUPTSATZ Bei einer spontanen, das heißt, freiwillig ablaufenden Zustandsänderung vergrößert sich die Entropie. ∆Sges ≥ 0 ∆G = ∆- T*∆S (Gibbs-Helmholtz-Gleichung) Entropie S: → kann als Maß für die Unordung in einem System gedeutet werden (∆S = ∆SSys) wichtig: Die Entropie muß insgesamt zunehmen. Sie kann in einem System auch durchaus abnehmen (Negentropie), wie es die Lebewesen demonstrieren, doch muß sie dann in der Umgebung stärker zunehmen. ∆Sges = ∆SSys + ∆SUmg DER DRITTE HAUPTSATZ Bei 0K ist die Entropie einer perfekten kristallinen Substanz Null. 8.1.1.3. Energie, Enthalpie und Entropie Freie Reaktionsenthalpie: ∆G = ∆H – T*∆S (= Gibbs-Helmholtz-Gleichung) → gilt für p=konstant Freie Reaktionsenergie: ∆F = ∆U – T*∆S → gilt für V=konstant Für Reaktionen bei konstanter Temperatur und konstantem Druck gilt: ∆G < 0 ⇒ Reaktion läuft freiwillig ab ∆G = 0 ⇒ System ist in Gleichgewicht ∆G > 0 ⇒ Reaktion läuft nicht freiwillig ab, dies tut aber die Reaktion in entgegengesetzter Richtung Die Freie Reaktionsenthalpie berücksichtigt zwei Faktoren, die über das freiwillige Ablaufen von Reaktionen entscheiden: 1. Bei Reaktionen wird ein Energieminimum angestrebt. 2. Bei Raktionen wird ein Entropiemaximum angestrebt. (Gibbssche) Freie Enthalpie G: →Zustandsfunktion G = H – T*S Die Frei Enthalpie ist ein Maß für die Arbeit, die von einem System maximal geleistet werden kann. 8.1.1.4. Freie Reaktionsenthalpie und chemisches Gleichgewicht G = G° + RT*lna ∆G = ∆G° + RT*lnQ (G° = freie Standardenthalpie) im Gleichgewicht (Q=K, ∆G=0): ∆G° = -RT*lnK 8.1.2. Reaktionskinetik →Lehre von der Geschwindigkeit chemischer Reaktionen 8.1.2.1. Mechanismen einstufiger Reaktionen Reaktionsmechanismus: → detaillierte Vorstellung über den Ablauf einer chemischen Reaktion - beruht auf kinetischen Untersuchungen - Grad der Übereinstimmung mit Wirklichkeit oft weitgehend unklar - Kollisionstheorie - Theorie des Übergangszustandes (→ Aktivierungsenergie) — VIII : 2/4 — Stefan Reißmann ANORGANISCH-CHEMISCHES TUTORIUM WS 2000/2001 8.1.2.2. Reaktionsgeschwindigkeit → Radikalkettenmechanismus: Radikale als Kettenträger (Radikal: Atom mit ungepaarten Elektronen) 1. 2. 3. 4. Kettenstart Kettenfortpflanzung Kettenrückschritt Kettenabbruch Explosion: sehr schnell ablaufende exotherme Reaktion 8.1.2.3. Reaktionsgeschwindigkeit → beschreibt die zeitliche Änderung von Konzentrationen - wichtig: Änderung von wessen Konzentration? Spezifikation nötig! Konzentrationsabhängigkeit - v meist abhängig von c - Für jede chemische Reaktion kann eine mathematische Gleichung angegeben werden, welche v und c miteinander in Beziehung setzt. Man bezeichnet sie als „Geschwindigkeitsgesetz“. v = k * cx k = Geschwindigkeitskonstante Reaktionsordnung: Summe der Exponenten der Konzentrationsparameter im Geschwindigkeitsgesetz Zeitabhängigkeit 0. Ordnung: 1. Ordnung: 2. Ordnung: v=k v=k*c v = k * c2 c = c0 – kt c = c0 * e-kt c-1= c0-1 + kt Halbwertszeit: Zeit, nach der die Hälfte des Reaktanden umgesetzt ist. Temperaturabhängigkeit Arrhenius-Gleichung: k = A * e^(-Ea:RT) 8.1.2.4. Katalyse Katalysator: Stoff, dessen Anwesenheit die Geschwindigkeit einer Reaktion erhöht ohne daß er selber verbraucht wird → beeinflußt Hin- und Rückreaktion gleichermaßen; die Lage des chemischen Gleichgewichtes ändert sich mithin nicht → senkt Aktivierungsenergie → hat keinen einfluß auf ∆U → wirkt meist sehr spezifisch Die katalysierte Reaktion verläuft über einen anderen Mechanismus als die unkatalysierte. Kraftfahrzeug-Katalysator: → Platin-Rhodium Legierung → katalysierte Reaktion: 2 CO(g) + 2 NO(g) →[Pt,Rh]→ 2 CO2(g) + N2(g) 8.1.2.5. Thermodynamische und kinetische Stabilität kinetisch thermodynamisch stabil (U gering) instabil (U groß) stabil inert = metastabil ø labil stabil (v sehr niedrig) instabil (v hoch) — VIII : 3/4 — Stefan Reißmann ANORGANISCH-CHEMISCHES TUTORIUM WS 2000/2001 8.2. Übungsaufgaben 1. VDP H 99: Erklären Sie, z.B. jeweils durch Angabe eines charakteristischen Beispiels, die Bedeutung der vier Begriffe inert/instabil/labil/stabil. b) Für die Reaktion CaCO3(fest) → CaO(fest) + CO2(gasf.) ist bei 25°C ∆H=178kJ/mol und ∆S°=160J/molK. (1) Wie groß ist ∆G° bei 25°C? Läuft die Reaktion spontan ab? (2) Läuft die Reaktion bei 1000°C spontan ab? Wie groß ist ∆G°? (Nehmen Sie an, daß H und S temperaturabhängig sind.) VDP H99: a) Weshalb explodiert ein inertes Gemisch aus Chlor und Wasserstoff, wenn man es intensivem Sonnenlicht aussetzt? Formulieren Sie die ablaufenden Reaktionen! b) Für die Zersetzung von N2O5(g) in NO2 und O2 wurde ein Geschwindigkeitsgesetz 1.Ordnung gefunden. Die Geschwindigkeitskonstante k bei 35°C wurde zu 8,14*10-3 min-1 bestimmt. Nach welcher Zeit ist bei einer Anfangskonzentration von 0,03mol/l die Hälfte des N2O5 zerfallen? a) 2. 3. a) b) c) d) e) 4. VDP H97: Für den Ablauf von chemischen Reaktionen ist neben der Lage des thermodynamischen Gleichgewichts der kinetische Verlauf entscheidend. Welche Beziehungen bestehen zwischen der thermodynamischen Größen Freie Enthalpie, Enthalpie und Entropie? Welche thermodynamischen Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit eine Reaktion freiwillig abläuft? Nennen Sie drei typische Beispiele für Gemische von Edukten, die zwar thermodynamisch instabil, kinetisch aber inert sind. Wie kann eine kinetisch inerte Reaktion aktiviert werden? In welcher Form kann einer Reaktion Energie zugeführt werden? Geben Sie an, ob die Lage des Gleichgewichts bei den folgenden Reaktionen durch Erhöhung der Reaktionstemperatur, des Druckes oder aber durch Zugabe eines Katalysators im Sinne einer Steigerung der Ausbeute an Produkten zu beeinflussen ist. 2 Cl2 + O2 → 2 Cl2O ∆H°= -160 kJ/mol 2 SO2 + O2 → 2 SO3 ∆H°= -198 kJ/mol VDP F97: Welche thermodynamische Größe entscheidet darüber, ob eine Reaktion freiwillig oder nicht? Formulieren Sie die Gibbs-Helmhotzsche Gleichung! b) Formulieren Sie den Zusammenhang zwischen der freien Standardenthalpie und der Gleichgewichtskonstanten einer Reaktion! c) Wie reagiert das Gleichgewicht N2 + 3H2 → 2NH3 auf (1) Temperaturerhöhung, (2) Erhöhung des N2-Partialdruckes, (3) Zugabe eines Katalysators, (4) Erhöhung des Gesamtdruckes ? a) — VIII : 4/4 —