SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE Alexander Glasunow "Ich bin von der Musik besessen" Zum 150. Geburtstag des Komponisten (1) Von Ulla Zierau Sendung: Montag, 10. August 2015 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 1 SWR2 Musikstunde mit Ulla Zierau 10. August 2015 Alexander Glasunow "Ich bin von der Musik besessen" Zum 150. Geburtstag des Komponisten (1) Signet Zu einer neuen Woche begrüßt Sie Ulla Zierau – Wir widmen uns Alexander Glasunow. „Ich bin von der Musik besessen“, hat er von sich behauptet, wir lassen uns von seiner Besessenheit und seiner Musik anstecken. Herzlich willkommen zu einem Porträt des russischen Komponisten zu seinem 150. Geburtstag. (0‟20) Titelmusik Kennen Sie Alexander Glasunow oder kennen Sie seine Musik – er war ein Zeitgenosse Tschaikowskys und Rimskij-Korsakows und gilt als letzter Klassiker der russischen Musik, als Meister der Instrumentierung, als russischer Brahms. Acht Sinfonien hat er geschrieben, drei Ballette, darunter am populärsten „Raymonda“. In einer einzigartigen kollegialen und freundschaftlichen Kooperation hat er mit Nikolaj Rimskij-Korsakow zusammen nach Borodins Tod dessen Oper „Fürst Igor“ vollendet und instrumentiert. Geiger freuen sich über ein Violinkonzert von ihm, die Pianisten über zwei Klavierkonzerte und für Pablo Casals schrieb er ein Cellokonzert. 2 Vieles davon werden wir diese Woche hören. Einen Gassenhauer von Glasunow kann ich Ihnen leider nicht bieten, keine ungarischen Tänze, keine kleine Nachtmusik und auch keine Mondscheinsonate, aber dennoch melodiöse, lyrische, ebenso dramatische und folkloristische Musik, die es lohnt zu entdecken. Sinfonische Musik, Kammer- und Klaviermusik. Wir durchstreifen Leben und Werk Alexander Glasunows, der am 10. August 1865, also heute vor 150 Jahren in Sankt Petersburg geboren wurde und der den politischen Umbruch Russlands vom Zarenreich über die Revolution zur Sowjetunion hautnah miterlebt hat. (1‟30) Musik 1 Alexander Glasunow: Korn- und Mohnblumenwalzer aus dem Ballett „Die Jahreszeiten“ Royal Scottish National Orchestra, Leitung: José Serebrier M0067240 013, Wea International; 2564-61434-2, 1‘45 Die Korn- und Mohnblumen wiegen sich hier im Wind in diesem Walzer aus dem Ballett „die Jahreszeiten“ von Alexander Glasunow mit dem Royal Scottish National Orchestra unter der Leitung von José Serebrier. „Es ist mir unmöglich, mich mit anderem zu beschäftigen; ich bin von der Musik besessen. Wenn ich nicht komponieren könnte, hätte ich den Eindruck, meine Zeit zu verlieren“. Behauptet Alexander Glasunow von sich. Da sind die Würfel für die Musik bereits gefallen. Anfangs verspürte er noch eine 3 Doppelbegabung. Als Sohn wohlhabender Eltern, beide künstlerisch und kulturell gebildet und interessiert, entwickelt der junge Sascha neben der musikalischen Neigung auch ein zeichnerisches Talent. Er entwirft Spielkarten mit den Porträts seiner Eltern und Figuren mit Blasinstrumenten. Doch der Drang zur Musik und zum Komponieren ist größer. Mit neun Jahren kritzelt er erste musikalische Gedanken zu Papier und bittet die Mutter, sie ihm auf dem Klavier vorzuspielen. Die Eltern sind wachsam, kümmern sich um den besten Unterricht in Klavier, Harmonie und Formenlehre sowie Kontrapunkt. Beim Klavierlehrer der Mutter lernt Sascha, während der Sommerfrische auf dem Landgut der Familie, Bachs Wohltemperiertes Klavier kennen, er spielt Chopin und Liszt vom Blatt und über Balakirews Islamej vermerkt er: „Dieses Werk brachte mich mit seiner Neuartigkeit buchstäblich um den Verstand und erweckte überhaupt erst mein Interesse für russische Musik.“ (1‟35) Musik 2 Milij Balakirew: Islamej Olli Mustonen, Klavier M0026808 001, Decca, 436255-2, 3‘42 Oli Mustonen mit dem Finale aus Balakirews Islamej. Zur selben Zeit wie sich der 12-jährige Glasunow von dieser Musik den Kopf verdrehen lässt, besucht er zum ersten Mal ein Orchesterkonzert, „mein tiefer Eindruck war unbeschreiblich. Er erweckte in mir das unstillbare Verlangen, mich hauptsächlich sinfonischen Werken zu widmen“. 4 Der junge Sascha saugt alle musikalischen Eindrücke auf wie ein Schwamm. Während einer Reise nach Paris besucht er Notre Dame und hört dort den Komponisten Camille Saint-Saens an der Orgel, in Sankt Petersburg erlebt er eine Aufführung von Glinkas „Ruslan und Ludmilla“. Glasunow, gerade mal 14 Jahre, ist wissbegierig, musikhungrig, mit Ideen voll bis zum Anschlag, so trifft er auf seinen um zwanzig Jahre älteren Lehrer Nikolaj Rimskij-Korsakow, die Instanz im Petersburger Musikleben und Rimskij erinnert sich: „er war ein lieber Junge mit wunderschönen Augen (…) Elementartheorie und Solfeggio erwiesen sich als überflüssig, da er ein unfehlbares Gehör besaß. Jede freie Minute verbrachte Sascha Glasunow am Klavier und verschaffte sich selbstständig eine immer größere Kenntnis der Musikliteratur. Er entwickelte sich musikalisch nicht von Tag zu Tag, sondern von Stunde zu Stunde“. So Rimskij-Korsakow. Glasunow studiert Werke von Liszt, Bach, Beethoven, Chopin und Brahms, auf Rimskijs Rat auch Haydns Streichquartette. Die LehrerSchüler-Beziehung entwickelt sich zu einem freundschaftlichen Verhältnis. Rimskij-Korsakow erkennt schnell, „er brauchte nicht viel bei mir zu studieren.“ Statt grauer Theorie führt Rimskij seinen Zögling in die richtigen Kreise ein. Er nimmt ihn mit zu den Treffen des sogenannten „Mächtigen Häufleins“ oder die „Gruppe der Fünf“, wie sie auch 5 genannt wird, zu ihr gehören neben Rimskij-Korsakow, auch Milij Balakirew, Alexander Borodin, Cesar Cui und Modest Mussorgsky. Alle Fünf verbindet der Wunsch nach einer russischen Nationalmusik. Ihr großes Vorbild ist Michail Glinka, acht Jahre vor Glasunows Geburt ist er gestorben. Mit seinen beiden Opern „Ein Leben für den Zaren“ und „Ruslan und Ludmilla“ gilt er als Vater der russischen Nationaloper. Ihm eifern die Komponisten des Mächtigen Häufleins nach. Damit grenzen sie sich ganz bewusst vom Kosmopoliten Tschaikowsky ab, der schon immer mit einem Fuß im Westen stand, der deutschen Romantik zugewandt war. Diesem Einfluss wollen sich die Fünf nicht unterwerfen, russische Tänze, russische Weisen, russische Sujets werden zu Merkmalen ihrer musikalischen Handschrift, so wie in Glinkas Kamarinskaya. (2‟45) Musik 3 Michail Glinka: Kamarinskaya, Fantasie über russische Volkslieder für Orchester BBC Philharmonic , Leitung: Wassilij Sinaiskij M0020408 005, CHANDOS 9861, 4‘52 Allegro moderato aus Kamarinskaya, Fantasie über russische Volkslieder von Michail Glinka. Wassilij Sinaiskij leitete das BBC Philharmonic. Vor Michail Glinka verneigt sich Glasunow zeit seines Lebens tief. Diese Hochachtung teilt er mit den Kollegen des mächtigen 6 Häufleins.- Unter all diesen spannenden Eindrücken und getragen von der nationalen Verbundenheit wagt sich Glasunow an seine erste Sinfonie. Mit 16 notiert er in sein Tagebuch: „Ich erwarte den Tag, an dem meine erste Sinfonie gespielt wird“. Balakirew, Direktor der freien Musikschule, macht es möglich. In einer Konzertreihe der Musikschule will er Glasunows Gesellenstück aufführen. „Groß war der Eindruck auf der Probe beim erstmaligen Anhören meiner Musik in ihrer Wiedergabe durch ein Orchester. Es versetzte mich in eine festliche beseligte Stimmung“. So der junge Komponist. Glasunows erste Sinfonie wird gefeiert. Bravorufe, Glückwünsche, ein seliger Debütant, ein zufriedener Lehrer. Rimskij-Korsakow vermerkt in seiner musikalischen Chronik: „Das war ein wirklicher Freudentag für uns alle, die Musiker der jungen russischen Schule. Jugendlich in der Eingebung, aber reif in der Technik und Form, errang die Sinfonie einen großen Erfolg. Das Publikum rief den Komponisten, und als er auf die Bühne kam, war es erstaunt, dass es ein Junge in Gymnasiastenuniform war.“ Balakirew, der Dirigent des Abends verleiht ihm die Auszeichnung „der kleine Glinka“. (1‟30) Musik 4 Alexander Glasunow: Sinfonie Nr.1, 1. Satz BBC National Orchestra of Wales, Tadaaki Otaka M0272204 001, BIS-CD-1368, 4’55 7 Der Anfang der ersten Sinfonie von Alexander Glasunow mit dem BBC National Orchestra of Wales unter der Leitung von Tadaaki Otaka. Mit dieser Sinfonie setzt Glasunow seinen ersten musikalischen Fußabdruck. Der Kritiker Stassow meint: „Glasunow ist als eine musikalische Urkraft geboren und sofort als junger Samson in die Arena gesprungen“. Rimskij-Korsakow prophezeit ihm, er werde bald „Alexander der Große“ sein und Borodin nennt ihn ein „Glückskind“ und ist überzeugt, dieser Junge wird uns bald alle in die Tasche stecken.“ Selbst der überkritische Cui kommt nicht umhin, Glasunows Leistung als ein Wunder anzuerkennen, seine erste Sinfonie sei beängstigend durch die Frühreife. Der Komponist Anatoli Ljadow, bald ein guter Freund Glasunows, befürchtet bei aller Kollegialität, „das Talent dieses Kleinen werde uns allen noch gefährlich werden und Tschaikowsky berichtet man: „Bei der Komposition der Sinfonie brauchte man ihm nicht zu helfen, außer Mendelssohn hat keiner so gut angefangen wie Glasunow.“ Der 16-jährige Glasunow hat bei seinen Freunden, Kollegen und in der musikinteressierten Petersburger Gesellschaft Aufsehen erregt. Und als der junge Pennäler am Tag nach der Uraufführung in der Geometriestunde an die Tafel geholt wird, ruft ihn der Lehrer: Komponist Glasunow. Besser hätte es nicht laufen können. Das musikalische Feuer ist entfacht und Glasunow legt gleich nach. Wenige Monate später wird sein erstes Streichquartett aufgeführt, und zwar von 8 namhaften Musikern, u.a. Leopold Auer, für den Glasunow später sein einziges Violinkonzert schreiben wird. Wiederum ein großes Ereignis und wieder das große Erstaunen, wie ein so junger Kerl, mit gerade mal 17 Jahren, so viel Reife, technische Kenntnis, ernste, starke und tiefe Gedanken aufbringen könne. Cui bemerkt: „Diese vorzeitige Reife des Talents hat etwas Erschreckendes in sich. Die Frage drängt sich auf: Wenn Glasunow jetzt so schreibt, wie wird er in zehn zwanzig Jahren schreiben?“ (2‟10) Musik 5 Alexander Glasunow: Streichquartett Nr.1 D-dur, 3. Satz, Andante Utrecht String Quartett M0315582 003, MDG 603 1736-2, 3‘28 Das Utrecht String Quartett mit dem langsamen Satz aus Glasunows erstem Streichquartett. Mit diesen beiden Erstlingswerken, der ersten Sinfonie und dem ersten Streichquartett reiht sich Glasunow in die Riege der angesehenen russischen Komponisten ein. Dabei ist er in der Runde ein Jungspund, Rimskij ist 20 Jahre älter, die Kollegen, Borodin, Cui, Balakirew rund 30 Jahre und Modest Mussorgsky ist bereits tot, da kommt ein neuer Stern am Himmel gerade wie gerufen. Borodin schreibt an einen befreundeten Dirigenten: „Sie möchten wissen, ob es in der neuen russischen Schule begabte junge Komponisten gibt. Ich beginne mit dem Jüngsten. Ich nenne Ihnen vor allem Alexander Glasunow. Dies ist ein Talent von absoluter Einzigartigkeit“. 9 Zu vielen seiner Kollegen und Förderern entwickelt Glasunow ein freundschaftliches Verhältnis, zu seinem Lehrer Rimskij-Korsakow, zu Alexander Borodin, den er sehr verehrt und zu Anatol Ljadow, mit dem er ein Leben lang verbunden bleibt. Ljadow ist ein schüchterner, wortkarger, eher bescheidener Geselle, der ungern seine eigenen Kompositionen in den Vordergrund stellt. Er schwärmt vielmehr von anderen, von Schumann, Glinka, Rimskij oder Liszt. Als Glasunow ihm gesteht, dass er außer dem Karneval nichts von Schumann kenne, erwidert Ljadow, „Welche Genüsse stehen Ihnen noch bevor, Sie glücklicher“. (1‟25) Musik 6 Anatolj Ljadow: Baba-Jaga. Musikalisches Bild nach einem russischen Volksmärchen, op. 56 BBC National Orchestra of Wales, Thirry Fischer M0324037 005, Signum Classics, SIGCD195, 3‘35 Die russische Hexe Baba-Jaga von Anatoli Ljadow, ein musikalisches Bild nach einem russischen Volksmärchen mit dem BBC National Orchestra of Wales unter der Leitung von Thirry Fischer. Und noch eine wichtige Begegnung zieht die Uraufführung der ersten Sinfonie Glasunows nach sich. Ein Funke der Begeisterung springt auf den vermögenden Holzgroßhändler Mitrofan Belaieff. Er verliebt sich leidenschaftlich in die Musik Glasunows, schreibt dessen erstes Streichquartett ab und transkribiert es für Klavier zu vier Händen. Belajeff entwickelt sich zu einem der größten Mäzene 10 der russischen Kulturszene. Er stiftet den Glinka Preis, der fortan jährlich an russische Komponisten verliehen wird. Er gründet in Leipzig einen Verlag und bringt verstärkt russische Musik an die Öffentlichkeit. In den kommenden Jahren wird er alle Werke Glasunows herausgeben. Zuerst entscheidet er allein, welche Werke er verlegt, später beruft er eine Kommission ein, darin sitzen Rimskij-Korsakow, Ljadow und Glasunow. In Belaieffs Haus finden regelmäßig Kammermusikabende statt, immer freitagabends, die sogenannten „Vendredis“. Hierfür schreiben seine Zöglinge und Freunde eigens klein besetzte Werke. Und da Belajeff vor allem Glasunows Handschrift liebt, liefert der fleißig Bearbeitungen von Bach-Fugen oder Liedern von Grieg. Die Freitagabende sind legendär. Man musiziert aus Leibeskräften, Quartette, Quintette, Sextette bis hin zu Oktetten, dann mal wieder Klavier vierhändig. Zwischendurch wird ordentlich gegessen und getrunken, von homerischen Ausmaßen ist die Rede. Man sitzt meist bis spät in die Nacht oder früh in den Morgen und insgeheim bedauert man, dass die Woche nicht mehr Freitage hat. Zu Belaieffs 50. Geburtstag entsteht eine Gemeinschaftsproduktion von Rimskij-Korsakow, Borodin, Ljadow und Glasunow, ein Streichquartettsatz über die Tonfolge B-La-F (ba-f). (2‟00) Musik 7 Glasunow / Sokolow / Ljadow Polka aus „Les Vendredis” Vertavo String Quartet M0083110 002, Simax, PSC 1178, 2’02 11 Soweit die Polka aus den Bagatellen „Les Vendredis”, eine Zusammenarbeit von Glasunow, Sokolow und Ljadow mit dem Vertavo String Quartet. Noch während der Schulzeit schreibt Glasunow einige Lieder, eine Suite und seine beiden Ouvertüren über griechische Themen. Wieder ist es Balakirew, der die Werke aus der Taufe hebt. Bei einem Konzert der Freien Musikschule führt er die zweite Ouvertüre auf und Glasunow notiert: „Wieder trat ich auf die Rufe des Publikums heraus in meinem Schüleruniförmchen mit den Messingknöpfchen. Das war das letzte Mal, denn im Mai 1883 beendete ich meinen Besuch am philologischen Zweig der Realschule“. Keine Sekunde denkt Glasunow daran, die Familientradition fortzuführen und den Verlag seines Vaters zu übernehmen, obwohl er als Ältester an erste Stelle steht. Als man ihm in der Familie diese Erwartung einmal vorträgt, antwortet er, nur dann, wenn sein jüngerer Bruder Michael seine Sinfonien schreibe. Damit ist das Thema vom Tisch, der Berufsweg ist klar: Komponist. Er schreibt eine sinfonische Dichtung, sammelt Motive, Themen für seine zweite und dritte Sinfonie. Für die allgemeine Bildung besucht Glasunow als Gasthörer einige Vorlesungen der philologischen Fakultäten, was ihm aber bald viel wichtiger ist, er lernt verschiedene Instrumente. Klavier und Geige kann er schon, hinzukommen Horn, Trompete, Posaune, Klarinette, Pauke und mit besonderer Vorliebe Cello. 12 Glasunow spielt bald so gut, dass er bei Bedarf die verschiedenen Blasinstrumente im Universitätsorchester und im Symphonieorchester der Militärmedizinischen Akademie St. Petersburg spielen kann. Am Pult steht Alexander Borodin. Sämtliche Instrumentalisten mögen es ihm bis heute danken, denn Glasunow gilt als Meister der Instrumentation, nur zu gut weiß er, was er den einzelnen Musikern abverlangen kann, wie weit er gehen darf und vor allem welcher Farbenreichtum im Zusammenklang der Instrumente entstehen kann. In seiner Leidenschaft für jedes einzelne Instrument schreibt er das ein oder andere kammermusikalische Stück. Eine Elegie für Bratsche und Klavier, eine arabische Melodie für Cello und Klavier oder die Rêverie für Horn und Klavier. (2‟30) Musik 8 Alexander Glasunow: Rêverie für Horn und Klavier d-Moll, op. 24 Felix Klieser, Christof Keymer M0350153 008, Berlin Classics, 0300530 BC, 3‘03 Felix Klieser und Christof Keymer mit der Rêverie für Horn und Klavier d-Moll, op. 24 von Alexander Glasunow. Die ersten zwanzig Jahre seines Lebens wächst Glasunow wohlbehütet, finanziell abgesichert und sorgenfrei auf. Bis auf eine Reise mit der Familie nach Frankreich und Deutschland ist er fest in Russland verwurzelt. Rimskij-Korsakow, Balakirew, Borodin, Cui und Mussorgsky sind seine Ziehväter. 13 Belajeff ist es dann, der Glasunow mit auf eine Reise nach Weimar nimmt, zu Jubiläumskonzerten des Allgemeinen Deutschen Musikvereins. Dort begegnet er Franz Liszt, der 73-jährige Abbé empfängt den jungen Glasunow. Vor Ehrfurcht zittern ihm die Knie und er gesteht: “Vor lauter Erregung brachte ich fast kein Wort hervor und küsste statt der Begrüßung nur die Hand des vergötterten Mannes.“ Die beiden unterhalten sich auf Französisch und Deutsch über russische Musik, über Borodin und über Glasunows erste Sinfonie, Liszt lädt den jungen Mann täglich nach dem Mittagessen für zwei bis drei Stunden zu sich nach Hause ein. Bei einem der Weimarer Konzerte wird dann auch Glasunows erste Sinfonie gespielt. So recht zufrieden ist der Komponist jedoch nicht: „Das Weimarer Orchester ist schlechter als unseres“, notiert er, „die Hörner haben ein unmögliches Timbre. Man hat meine Sinfonie schlechter gespielt als bei uns“. Aus der Goethe und Liszt Stadt Weimar reisen Belajeff und Glasunow weiter nach Bayreuth, allerdings über einen enormen Umweg: Frankfurt, Wiesbaden, Straßburg, Lyon, durch die Provence nach Sète über die Pyrenäen nach Spanien, dem Land, in dem Glinka einst gereist ist, also auf den Spuren des musikalischen Vorfahren. Glasunow ist begeistert: „Der Eindruck von Spanien war überwältigend. Uns berührte ein Hauch von Eigenwüchsigkeit und Grandiosität, und vieles erinnerte an Russland“. 14 Aus Sevilla schreibt Glasunow an Rimskij: „Ich bin jetzt glücklich. Außer Volksmusik werde ich keine andere Musik hören“. Einiges von diesem Kolorit nimmt er in seine Musik auf, allerdings nicht direkt, sondern immer reflektiert. „Alle schöpferische Arbeit muss im Kopfe vor sich gehen, gespeist durch das Feuer der Inspiration … Einen genialen Komponisten würde ich jenen nennen, der eine klar umrissene hochkünstlerische Individualität hat (an welcher er unschuldig ist), aber der auch ebenfalls eine vollkommene Verarbeitung seiner Gedanken anstrebt, wozu er schon der Kenntnisse und der Technik bedarf, wie z.B: J.S. Bach, Mozart, Glinka u.a…. Aus diesem allem folgen zwei Aspekte des Schöpferischen: Das erste ist das unmittelbare Schaffen, die schöpferische Kraft, was von höherer Instanz kommt. Und das zweite ist sozusagen die schwarze mathematische Arbeit. Und dieses alles zusammen ist die Inspiration des ganzes Werkes.“ (2‟45) Musik 9 Alexander Glasunow: Alla spagnola aus den Fünf Novelletten für Streichquartett Fine Arts Quartett M0068588 001, Naxos, 8.570256, 2‘36 Das Fine Arts Quartett mit dem Finale aus „Alla spagnola“, einer der fünf Novelletten für Streichquartett von Glasunow. 15 Wir erinnern uns, Belajeff und Glasunow sind auf Riesen von Weimar über Spanien nach Bayreuth, nicht der direkte Weg, aber welcher Weg führt schon direkt zu Wagner. Glasunow tut sich schwer mit dem deutschen Recken. Tannhäuser und Lohengrin, davon war er begeistert, jetzt besucht er Parsifal und ist irritiert: „Die Musik kam mir seltsam vor, der zweite Aufzug geradezu unangenehm. … Während des ganzen ersten Aktes langweilte ich mich zu Tode, sehnte mich fort wie aus einem Gefängnis…. Ich glaubte damals noch nicht an das Genie Wagner. Das geschah erst später…“ Es spricht für Glasunow, dass er sich immer wieder mit Wagner, seiner Musik und seiner Idee des Musiktheaters auseinandersetzt. Bei seinem ersten Bayreuth-Besuch überwiegen noch Irritationen und Langeweile. Im weihevollen Bayreuth begegnet Glasunow noch einmal Franz Liszt oder besser, er beobachtet ihn aus der Ferne, wie er von bewundernden Damen umschwärmt wird. Da will er nicht stören. Glasunow widmet ihm später seine zweite Sinfonie zum Andenken, da ist Liszt schon drei Jahre tot. (1‟20) Musik 10 Alexander Glasunow: Sinfonie Nr.2, 1. Satz BBC National Orchestra of Wales, Leitung: Tadaaki Otaka M0403879 001, BIS-1308, 7’34 (auf Zeit) Der erste Satz aus der 2. Sinfonie von Alexander Glasunow, dem verehrten Franz Liszt gewidmet. Tadaaki Otaka leitete das BBC National Orchestra of Wales. 16 In der morgigen Musikstunde begegnet Glasunow Peter Tschaikowsky und daraus entsteht eine wahre Freundschaft. Bis dahin sagt ade Ihre Ulla Zierau (0„20) 17